Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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Georg Distel an
Bullinger
Zofingen,
21. August 1532

Autograph: Zürich StA, E II 360,259. Siegelspur. —Ungedruckt

Dankt für die von Bullinger früher empfangenen Wohltaten. Berichtet über seine jetzige Lage in Zofingen, wo er als Sprachlehrer tätig ist. Bullinger soll seiner gedenken. Grüße.

Gracia tibi et pax a deo patre et domino Iesu Christo.

Quod tam officiose me tuis literis erga Bernenses ministros ac meiis comodis tantopere studuisti 2 , gracias habeo et habiturus immortales, Heinrice humanissime. Tua in me multa, cum apud te Bremgarten agerem 3 , et maxima. Quibus sacrarum literarum muneribus me non donasti? Quibus me salibus inter ambulando non alloquutus? Quibus me refectionibus in edibus tuis non saciasti? Quibus honoribus a non honorasti? Denique animum tuum erga me tuis salutationibus, quamvis non literis, detinere non potuisti. Huiusmodi omnium nulla unquam deletura erit oblivio.

19 Gemeint ist wohl die Verkündung des evangelischen Glaubens.
20 U. a. das Messemandat vom 29. Mai 1532; s. oben S. 129, Anm. 12.
a in der Vorlage honorius.
1 Georg Distel (Cardelius) muß dem Inhalt und dem familiären Ton dieses Briefs nach mit Bullinger und dessen Familie gut bekannt gewesen sein. Er stammte vielleicht aus dem Solothurnischen, von wo er in späteren Briefen wiederholt Neuigkeiten mitteilt. Offenbar besuchte er Bullinger in Bremgarten und wurde möglicherweise von ihm, den er praeceptor nennt, unterrichtet. In Verehrung für Bullinger und dessen Bruder taufte er seinen im Dezember 1533 geborenen Sohn auf die Namen Johann Heinrich. 1532/33 war Distel Lehrer an der deutschen Schule in Zofingen und wirkte gleichzeitig als Helfer. Im September 1534 besuchte er Ambrosius Blarer in Tübingen
(Blarer BW I 565) und trat 1535 eine Stelle im württembergischen Entringen an, wo ihm von Seiten der Gemeinde Schwierigkeiten bereitet wurden. — Lit.: Ludwig Friedrich Heyd, Ulrich, Herzog zu Württemberg. Ein Beitrag zur Geschichte Württembergs und des deutschen Reiches, 3. Band, Tübingen 1844, S. 88.92; Gustav Bossert, Die württembergischen Kirchendiener bis 1556, in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte, 9. Jg., Stuttgart 1905, S. 20. — Die Identität des in der Matrikel der Universität Wien unter dem 13. Oktober 1500 aufgeführten Georgius Distel de Rottenburg (Wien, Matrikel II 284) mit dem Briefschreiber ist fraglich.
2 Ein Brief Bullingers an die Berner Prediger, in dem er sich für Distel einsetzt, ist nicht erhalten.
3 Wann und unter welchen Umständen Distel im Hause Bullingers weilte, ist nicht bekannt.


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Item, ut eciam te de meo statu cerciorem reddam, me scias adhuc b Zofigen inhabitare, iuventutem lingua vernacula ibidem instituere et aliquantisper evangelii ministris in oppido 4 et circum me dei verbo, ut solitus tecum, inservire.

Uxor 5 vero proxima partui, quatuor puelle, annona exigua 6 , onus ad laborandum vel lucrandum quasi nullum. Tamen auxilium a domino et spes fortissima in deum, qua me et domum meam hactenus mirabiliter enutrivit. Domini Bernenses 7 me in Zofigen manere iusserunt ad expectandum 8 etc. Quare multum t[uam] h[umanitatem] rogatam facio nostre mutue familiaritatis memor, uti non diffido te fore: Mihi et meiis in adiumento tanquam dei instrumentum esse, ubi comodum et faciendum, velis, iterum oro. Quod autem me adhortatus es per certos nuncios, videlicet Sebastianum Oeconomum 9 et Iohannem Bryttnow 10 , tuis expensis circa autumnum deo favente fiet, vel quo tempore me tuis literis expostules: Mox tuus Gutschenckel 11 et tue uxori Fenderli 12 praesto ero.

Ceterum est, ut salvere iubeas, flagito tuam dilectissimam Paenolopen 13 [!] ac Syrenem' 14 , parentem illum Griseum 15 , den wyldpret verjäger, den vogel schöcher 16 , den visch verderber 17 , et episcopum Iohannem 18 fratrem tuum de valle lacrimarum 19 von Ottenbach, dilectissimam ac suavissimam matrem tuam 20 , dominum Wernherum Steyner 21 , prothonotarium civitatis, Iacobum Funck 22 , denique totam familiam tuam.

Vale incolumis et me commendatum habe. Iterum vale.

b in der Vorlage aduc.
4 In der Stadt Zofingen.
5 Unbekannt.
6 Über die spärlichen Einkünfte des Helfers von Zofingen vgl. Pfister 168.
7 Der Rat.
8 Vgl. die Bezeichnung «Exspectanten» für junge Geistliche, die auf eine Pfründe warten müssen.
9 Sebastian Hofmeister, der Pfarrer von Zofingen.
10 Johannes zur Mühle, der 1528-1560 Pfarrer in Brittnau (Kt. Aargau) war (s. Pfister 70).
11 Beiname eines bekannten Possenreißers (SI VIII 970).
12 Mensch, welcher herumreist, statt bei seiner Arbeit zu bleiben (SI I 832).
13 Penelope, die treue Gattin des Odysseus. Gemeint ist Anna Bullinger, geb. Adlischwyler.
14 Der Vergleich mit einer Sirene ist etwas befremdlich. Der Briefschreiber will wohl das anziehende Wesen von Bullingers Frau loben.
15 Greis, wohl aus dem Mundartlichen latinisiert (SI II 800); zweifellos ist Bullingers Vater gemeint; vgl. die folgenden Attribute, die auf dessen Jagdleidenschaft hinweisen, s. Pestalozzi 6.
16 der die Vögel scheu macht, der den Vögeln
nachstellt (vgl. SI VIII 111).
17 der die Fische tötet (vgl. SI XIII 1421 und 1431f).
18 Johannes Bullinger, Heinrichs älterer Bruder. Demnach wäre er (entgegen Egli, Analecta II 165 und HBBW I 114, Anm. 17) schon vor November 1532 als Pfarrer in Ottenbach im Reußtal tätig gewesen. Dies stünde im Einklang mit der Angabe in Verzeichnis 1 101, er sei im Januar 1532 dorthin gekommen. Die Absetzung des früheren Pfarrers Joseph Haas durch den Rat am 6. November 1532 (AZürcherRef 1903) wäre dann nur als nachträgliche, offizielle Bestätigung eines bereits bestehenden Zustandes zu verstehen (s. auch oben S. 47,46).
19 Vielleicht eine Anspielung auf die Schwierigkeiten in Ottenbach.
20 Anna Bullinger, geb. Wiederkehr.
21 Möglicherweise lernten sich Distel und Steiner im Hause Bullingers kennen, den Steiner wiederholt besuchte (s. HBBW I 45, Anm. 1).
22 Jakob II. Funk, gest. 1564, gehörte zur berühmten Glasmalerfamilie. Jacob war der Bruder von Hans (s. HBBW I 242, Anm. 2). Jakob Funks erste Frau, Magdalena Lüscher, stammte aus Zofingen. In welchem Verhältnis Funk zu Bullinger stand, konnte nicht geklärt werden. — Lit.: Jacob 159-164 (über Hans und Ulrich Funk); SKL I 533.


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Raptim ex Zofigen, 21. die mensis augusti servatoris anno etc. 32.

Tuus humilis

Georius [!] Cardelius 23 Eripolitanus 24 .

Sepe ad me scribe, ut ansam scribendi ad te habeam.

[Adresse auf der Rückseite:] Venerando ac fideli M. Heinrico Bullero [!], ecclesiasti Tygurino, praeceptori suo multum colendo etc. c