[1574]
Abschrift a von Jean L'Archer 3 : Neuenburg, Bibliotheque des Pasteurs, Lettres des réformateurs, Cahier A, Nr. 6
Vor drei Jahren hat die Neuenburger Kirche einstimmig den damals in Basel weilenden [Guillaume]
Farel zum Pfarrer berufen, der ihnen bereits früher die Anfänge des Glaubens beigebracht
hatte; Gesandte der Räte und der Pfarrer sowie benachbarte Kirchen halfen mit,
dass er darin den Ruf des Hi. Geistes erkannte. In Neuenburg traf er verschiedene Missstände
an; besonderen Anstoß erregte, dass eine vornehme Frau [Jeanne d'Alliez, geb. de Rive]ihren
Ehemann [Claude d'Alliez, Herr von Rosay], mit dem sie mehrere Kinder hatte, grundlos
verlassen hatte und sich weigerte, zu ihm zurückzukehren. Nachdem Farel vergeblich ein
Einschreiten der Eltern [Gouverneur Georges de Rive und Isabelle, geb. de Vaumarcus] verlangt
hatte, prangerte er solches Verhalten -ohne Namensnennung - in seinen Predigten an;
auch mahnte er die Frau selbst, worauf diese kaum noch zum Gottesdienst erschien. Darauf
drängte er die Obrigkeit, Maßnahmen zu ergreifen, und kritisierte schließlich öffentlich deren
Untätigkeit. Außerdem versuchte er zusammen mit den übrigen Pfarrern eine Art Kirchenzucht
einzuführen, was ebenfalls auf Widerstand stieß und bei gewissen Aufrührern den Ruf nach
seiner Absetzung laut werden ließ, obwohl an seiner Lebensführung und Lehre nichts auszusetzen
war. Die Mehrheit des Rates und die Besten der Stadt stellten sich einmütig hinter ihnBriefe_Vol_11_329 arpa
und warnten, seine ungerechtfertigte Entlassung würde Spaltungen und weitere Willkür nach
sich ziehen. Auch die Pfarrer forderten ihn einstimmig auf nicht zu weichen, sowohl aus
Respekt vor seinem Predigtamt als auch wegen seiner Bildung, die allgemeinen Nutzen bringt.
Unterstützt wird er auch von den Nachbarkirchen, darunter Genf Mömpelgard, Thonon, Morges
und Biel. Aus all diesen Gründen sieht sich Farel außerstande, das ihm von Gott aufgetragene
Amt aufzugeben. Inzwischen hat eine Nachbarstadt [Bern] Vermittler geschickt, die
vorschlugen, einen Schiedsspruch zufällen; Farels Partei erklärte sich einverstanden, vorausgesetzt
dass dessen Amt nicht herabgewürdigt würde. Der Spruch lautete, Farel solle zwei
weitere Monate im Amt bleiben; falls sich die Parteien versöhnten, solle es dabei bleiben,
andernfalls sei neu zu entscheiden, doch inzwischen dürfe er nicht weiter angefeindet werden.
Im privaten Gespräch wurde er jedoch aufgefordert, sich nach einer andern Stelle umzusehen,
nachdem er ja bereits einen Ruf [nach Genf] erhalten habe, was er allerdings bestritt; diese
Aufforderung hat großes Befremden ausgelöst, da der ordnungsgemäß berufene und unbescholtene
Farel einzig in einem ordentlichen Verfahren abgelöst werden könnte. Er erklärte,
wenn er sich der ihm von Gott zugewiesenen Aufgabe entzöge, würde er die Kirche in größte
Gefahr bringen und treulos handeln; seit den Zeiten der Apostel sei so etwas niemals geduldet
worden. Falls er aber eines Vergehens schuldig sei, werde er weichen und jegliche Strafe auf
sich nehmen. Die Neuenburger Pfarrer möchten die Meinung der angesprochenen Kirchen
dazu hören und bitten sie, sich der Sache anzunehmen. Sie bitten, an die Neuenburger Kirche,
aber auch an andere, besonders jene in Bern, zu schreiben. Das Schreiben an Neuenburg soll
an Rat, Volk und Pfarrer gerichtet werden; sie sollen zur Eintracht sowie zum Festhalten am
gewählten Pfarrer, ihrem Vater im Glauben, ermahnt und vor schlimmen Folgen und Gottes
Zorn gewarnt werden. Die angesprochenen Pfarrer sollen auch versuchen, gleichartige
Schreiben ihrer Obrigkeiten zu erwirken, da deren Fürsprache noch größeres Gewicht haben
dürfte; es besteht Grund zur Hoffnung, da manche bereits Einsicht zu zeigen beginnen. Angesichts
der allgemeinen Wertschätzung für Farel und des Alters der [evangelischen] Neuenburger
Kirche muss gerade in diesem Fall besonders entschlossen für die kirchliche Ordnung
gekämpft werden. Wichtig ist vor allem, dass Rat und Volk an das ortsübliche Berufungsverfahren
erinnert werden: Die Pfarrer wählen den geeigneten Kandidaten aus und prüfen ihn,
die Fürstin [bzw. ihr Gouverneur] und der Magistrat approbieren ihn, und schließlich wird er
der Gemeinde vorgestellt; dieses Verfahren ist seit Jahren allgemein anerkannt. Erst neuerdings
wird behauptet, die Wahl stehe der Fürstin [bzw. dem Gouverneur] und dem Volk zu.
Deshalb möchten die Neuenburger hören, was die andern Kirchen davon halten.
[Gedruckt: Corr. des réformateurs VII 274-283, Nr. 1050.]