Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[1652]

Joachim Vadian an
Bullinger
[St. Gallen,
(gegen Mitte?) August 1542]

Abschrift des 19. Jahrhunderts a : Utrecht, Bibliotheek der Rijksuniversiteit, Ms. 11. C. 10, S. 99, Nr. 51 Ungedruckt

Hat die glaubwürdige Information aus München erhalten, dass Herzog Heinrich von Braunschweig Anfang August am Hof Herzog Ludwigs [X.] von Bayern in Landshut nur widerwillig empfangen worden sei und dass er bei den [bayerischen]Fürsten keine Aufnahme finden wird; Heinrich wird bloß von seinem Kaplan, seinem Hofnarren und einem Reiter begleitet. Es ist zu vermuten, dass er nach Rom oder Mailand weiterzieht, wo er möglicherweise Aufnahme finden wird. Die Fürsten von Sachsen [Kurfürst Johann Friedrich I.]und Hessen [Landgraf Philipp] ziehen gegen Heinrichs Ländereien und sollen sein stärkstes Schloss belagert haben; Heinrich wird wohl sein ganzes Land verlieren.

Uss Mönchen 2 habend wir glaubwürdig zeytung, das ongefarlich zu angendem ougsten hertzog Heinrich von Brunschwig, den man den mordtbrenner nendt, 3 zu Landtzhut in das schloss an hertzog Ludwigs von Payern 4 hof salb vierdt 5 khommen ist, und gar nit wol empfangen, dann niemandt in gern gsechen. Landtzhut ligt 8 meyl under Mönchen an der Isser 6 , hat ain fürstlich schloss, darinn hertzog Jörg von Payern 7 vor jaren hof ghalten und jetz

a Mit marginalen Anmerkungen zur Person Vadians, Bullingers und zur Datierung des Braunschweiger Handels. Die Abschrift (vgl. HBBW VI, S. 433, Anm. a) gibt den originalen, nicht mehr erhaltenen Text nicht durchwegs getreu wieder.
1 Die Nachricht von der Belagerung Wolfenbüttels (vgl. unten Anm. 14) und der Flucht Heinrichs von Braunschweig nach Landshut (vgl. oben Nr. 1650, 14f) erlauben eine ungefähre Datierung.
2 aus München.
3 Vgl. etwa HBBW XI, S. 89, 10-13.
4 Ludwig X., Herzog von Bayern.
5 mit drei Begleitern.
6 Isar.
7 Georg von Wittelsbach, der Reiche, Herzog von Bayern-Landshut. Geb. vor dem 15. August 1455 in Landshut als Sohn Herzog Ludwigs IX. und Amalias von Sachsen. Georg vermählte sich 1475 mit der polnischen Königstochter Hedwig und
trat 1479 die Nachfolge seines Vaters als Herzog von Bayern-Landshut an. 1491 führte er eine 1501 ergänzte neue Landesordnung ein und erwarb die Markgrafschaft Burgau. In Ermangelung eines männlichen Nachfolgers setzte er entgegen den Bestimmungen der Wittelsbacher Erbverträge seine Tochter Elisabeth als Erbin ein, was nach seinem Tod 1503 zum Landshuter Erbfolgekrieg (1503-1505) führte. - Lit.: Reinhard Stauber, Herzog Georg von Bayern-Landshut und seine Reichspolitik. Möglichkeiten und Grenzen reichsfürstlicher Politik im wittelsbachisch-habsburgischen Spannungsfeld zwischen 1470 und 1505, Kallmünz/Opf. 1993. - Münchener historische Studien, Abteilung Bayerische Geschichte 15; Gerhard Schwertl, in: LMA IV 1279; Große Bayerische Enzyklopädie, hg. von Hans-Michael Körner, unter Mitarbeit von Bruno Jahn, Bd. I, München 2005, S. 628; Sebastian Hiereth, in: NDB VI 199f.


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hertzog Ludwig hof halt. Der hat dem von Brunschwik hayter uss hin 8 gsagt, dass er seiner fiafenen b handlung gar khain gfallens trag, werde auch nit darvon lassen, biss er seinen thaten gar um den hals khommen. Und sol gwiess sein, das er bey disen fürsten khain ufendthalt 9 haben wirdt. Er hat niemandten bey im dann seinen caplan 10 und seinen narren (so sind der narren zwen) und einen reüter. Und ist sich zu versechen 11 , er werde uff Italien zu gen Rom oder Maylandt, da er vielleicht ufenthalt finden mag. 12

Saxen und Hessen ziehend nun in sein landt, sollend das sterkest schloss 13 belegert haben, achtend wol, ess werd sich nit endthalten. 14 Ich acht, er werd um all sein landtschafft khommen, dann diss zwen fürsten 15 vast 16 stark im feld sind. 17

Gott begnad die, so seiner glori wol willend. Amen.

Doctor v. Watt.

[Adresse c :]Bullingero suo.

b Wohl für frefnen o. ä.
c Unterhalb der Unterschrift wiedergegeben; Überschrift: Intitulatio exterior.
8 geradeheraus.
9 Schutz, Zuflucht.
10 Hofkaplan Heinrichs war Lambert von Balven, gest. 1553. Ab 1536 Abt des Zisterzienserklosters Riddagshausen (Niedersachsen), das 1542 nach der Vertreibung Herzog Heinrichs geplündert und verwüstet wurde. 1539 misslang ein von Lambert initiiertes Komplott, das den Widerstand der aufständischen Stadt Braunschweig hätte brechen sollen. Lamberts Verhältnis zur Reformation war anfänglich schwankend, was ihm von protestantischer Seite zum Vorwurf gemacht wurde. Darüber ungehalten entwickelte er sich zu einem heftigen Gegner reformatorischer Bemühungen. Seine Bemühungen, das Kloster Riddagshausen nach der Restitution des Herzogs 1547 wieder aufzubauen, schlugen fehl. -Lit.: Peter-Johannes Schuler,
in: BBKL IV 1020f; [Ludwig Ferdinand] Spehr, in: ADB II 35f.
11 es ist zu erwarten.
12 Um seine Restitution voranzutreiben, zog Heinrich schließlich im Winter 1543 Karl V. entgegen, vgl. Otto von Heinemann, Geschichte von Braunschweig und Hannover, Bd. 2, Gotha 1886, S. 369.
13 Schloss Wolfenbüttel.
14 behaupten können. - Die Besatzung des Schloss Wolfenbüttel kapitulierte am 12. August, vgl. Blume, Goslar 108.
15 Johann Friedrich I., Kurfürst von Sachsen und Philipp I., Landgraf von Hessen.
16 sehr.
17 Zum Eingreifen des Schmalkaldischen Bundes zu Gunsten der von Heinrich von Braunschweig bedrohten Städte Goslar und Braunschweig vgl. Franz Petri, Herzog Heinrich der Jüngere von Braunschweig-Wolfenbüttel. Ein niederdeutscher Territorialfürst im Zeitalter Luthers und Karls V., in: ARG 72, 1981, 135-146 und Heinemann, aaO, S. 359-368.