Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[1806]

Matthias Erb an
Bullinger
Reichenweier,
24. Oktober [1543]

Autograph: Zürich StA, E II 361, 271r.-v. (Siegelspur), [Nachschrift:]267r.; [Beilage a :] Zürich ZB, Ms F 62, 463r.-466r., [Zusatz von Matthias Erb:] 467r. Ungedruckt; Druck der Beilage: Rhenanus BW 496-502, Nr. 368

Den Brief Bullingers [Nr. 1793]übergab ihm nicht der [darin empfohlene]Jüngling [Hans] Wilpert Zoller, sondern der Priester von Bennweier, der ihn von Hans [Jakob]Löw, Pfarrer in Riehen, erhalten hatte; Erb hat die erhaltenen Briefe sogleich weitergeleitet, doch wegen der Abwesenheit von Amandus [Hans Henman] Truchsess [von Rheinfelden] sowie des Fürsten [Georg von Württemberg] und seines Kanzlers [Sigismund Stier] ist noch keine Antwort erfolgt. Löw hatte Erb bereits im September in Beblenheim Briefe gezeigt, in denen Bullinger Zoller einem Basler Edelmann empfahl, doch da Bullinger den zunächst ins Auge gefassten Hof der Herren von Mörsberg für sittlich bedenklich hielt, bat Löw Erb um eine Anfrage bei Graf [Georg]; da keine passende Stelle frei war, hat Löw nun wohl Zoller in Riehen zurückgehalten. In Speyer wird der Reichstag vorbereitet; der Anstieg des Weinpreises deutet darauf hin, was von diesem Tag zu erwarten ist. Grüße. Hofft immer noch, als alter Mann die Kirchen von Zürich und Bern besuchen zu können. [Nachschrift:] Hat soeben einen Brief Bucers [vom 21. Oktober] erhalten, worin dieser zur Fürbitte für die Bischöfe von Köln und Münster [Hermann von Wied und Franz von Waldeck]aufruft; sie werden schwer bedrängt, wie auch die Gläubigen in Metz -diese durch Kaiser [Karl V] —, doch [Hermann von Wied] will lieber sterben als das begonnene Werk preisgeben. [Beilage: Brief von Beatus Rhenanus an Erb vom 29. Juli 1543 über die Geschichte von Horburg/Argentuaria; dazu Nachschrift von Erb:] Hat Rhenanus' Brief mit dem dieser der Geringschätzung Horburgs am Hof [Georg von Württembergs] entgegentreten wollte, auf Drängen des Quirinus von Leiden abschreiben lassen.

Gratia domini tecum etc.

Litteras tuas 2 , vir doctissime, accepi 21. die octobris, non a iuveni illo Wilperto Zollero 3 , sed a decano, sacrifico in Beinwyr 4 , qui dicebat se eas recepisse a Ioanne Leone 5 , Ryhensi ecclesiastae. Porro reliquas 6 iunctas tuis

a Kopie von Johannes Ulstetter: vgl. unten Anm. f
1 Der Bezug auf Bullingers Schreiben vom 2. Oktober (oben Nr. 1793) und die Beilage erlauben eine sichere Datierung.
2 Oben Nr. 1793.
3 Bullinger hatte Erb um Unterstützung für den Zürcher Hans Wilpert Zoller gebeten.
4 Bennweier (Bennwihr) war eine Filiale des in der württembergischen Herrschaft Reichenweier gelegenen Mittelweier, gehörte jedoch zur Herrschaft Rappoltstein; vgl. Marie-Joseph Bopp, Die evangelischen Gemeinden und Hohen Schulen in
Elsaß und Lothringen von der Reformation bis zur Gegenwart, Neustadt a. d. Aisch 1963. —Genealogie und Landesgeschichte 5, S. 15. Als "rector"in Bennweier ist für das Jahr 1544 Andreas Koitz bezeugt; s. Lucien Blum und Pierre Gresser, Bennwihr et son passé, Colmar 1957, S. 75.
5 Hans Jakob Löw (Leu, Lew) von Laufenburg, ehemaliger Ordensbruder in Beuggen, wirkte ab 1529 bis 1539 (offenbar mit Unterbrechung) in Gelterkinden (Kt. Basel-Land) und 1541-1546 in Riehen (Kt. Basel-Stadt) als Pfarrer und versah 1537-1539 das Amt des Dekans des Farnsburger Kapitels. Zwischenzeitlich ist er für 1531


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actutum reddidi viritim omnibus. Amandus Truckseß 7 aberat; princeps 8 cum cancellario 9 equitibusque in procinctu erant Argentuariam 10 petituri. Hinc a neutris responsum est.

Quod vero iuvenis ipse ad nos non venerit, intelligo sane occasionem b , nisi me mea fallat opinio, quae sic habet. Ioannes Leo aliquot dies in septembri apud Beblen 11 agebat curtam huius anni vindemiam legens. Quem conveni gratia salutandi, is vero statim exhibuit binas literas, quas tu scripseras cuidam nobili viro Basiliensi, familiae, si non excidit, a Ryschach 12 , cui adolescentem commendaras, ut illum aulae d. a Merspurgio 13 iungeret. At cum eius olle 14 mores tibi displicuissent, 15 voluisti, ut loco honestiori provideretur. Id negotii commissum fuerat Ioanni Leoni a Ryhen, qui, ut dixi, tuas litteras nobili missas ostendit rogans, diligenter omnia ad principem referrem. Quod domum rediens sedulo curavi principique litteras, quibus illius et mores et honestam familiam praedicas, legi. Vacabat tum munus iuveni accommodum, ut fuisset tum vel a secretis vel ab epistolis. Rebar mihi etiamnum datam occasionem Tigurinis fratribus in aliquo gratificandi, sed

b occasionem über der Zeile nachgetragen.
und 1541 als Pfarrer in Beblenheim in der Herrschaft Reichenweier nachweisbar. 1546 ersuchte er um seine Entlassung, um sich der Medizin zu widmen, nachdem er schon früher u. a. in Solothurn praktiziert und im Riehener Pfarrhaus eine Sektion durchgeführt hatte. Nach einem Ehebruch verließ er Basel. — Lit.: Gast, Tagebuch 221, Anm. [8]; 272-274 mit Anm. 30; Felix Platter, Tagebuch (Lebensbeschreibung) 1536-1567, hg. v. Valentin Lötscher, Basel-Stuttgart 1976, S. 103-105; Karl Gauß, Basilea reformata. Die Gemeinden der Kirche Basel Stadt und Land und ihre Pfarrer seit der Reformation bis zur Gegenwart, Basel 1930, S. 105; Bopp, aaO, S. 296.
6 Gemeint ist wohl der oben Nr. 1793, Z. 12 erwähnte Brief von Erasmus Schmid an Hans Henman Truchsess von Rheinfelden.
7 Hans Henman I. (Amandus) Truchsess von Rheinfelden, gest. 1562, hatte in Freiburg, Basel und Heidelberg studiert und war seit 1539 Vogt zu Reichenweier. 1552 wurde er Statthalter in Mömpelgard, 1556 herzoglicher Rat von Haus aus und 1560 Oberrat. — Lit.: Walther Merz, Oberrheinische Stammtafeln, Aarau 1912, Stammtafel
44; Walter Bernhardt, Die Zentralbehörden des Herzogtums Württemberg und ihre Beamten 1520-1629, Bd. II, Stuttgart 1972. —Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, B 71, S. 561.
8 Graf Georg von Württemberg.
9 Sigismund Stier.
10 Horburg, vgl. die Beilage zu diesem Brief sowie Johann Jacob Hofmann, Lexicon universale, Bd. I, Leiden 1698, S. 319.
11 Beblenheim.
12 Zu denken ist vielleicht an Ludwig von Reischach, ein entsprechender Brief Bullingers liegt jedoch nicht vor.
13 Gemeint ist wohl nicht der in Meersburg am Bodensee residierende Bischof von Konstanz, sondern Freiherr Hans Jakob von Mörsberg (Morimont) und Belfort (in Belfort), geb. um 1520, gest. nicht vor 1588. — Lit.: Walther Merz, Oberrrheinische Stammtafeln, Aarau 1912, Stammtafel 40; Kindler von Knobloch III 101.
14 Wohl ein Wortspiel mit "aula" (Hof) und "olla"(Topf), im Sinne von: die Sitten an dieser Tafel.
15 Zum schlechten Ruf der Herren von Mörsberg vgl. Amerbach, Korr. VI 513 (zu Nr. 2982).


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me fefellit mea expectatio. Alius 16 enim ante biduum e Stuckgardia 17 veniens successerat, qui heri primum in grammatophylatium iuravit. Preterea nunc nihil muneris vacat, quod faciat pro iuvene; habet princeps nobiles, qui sunt a dapibus et poculis, sed sanguine nobiles. Si iis posset iungi tantisper, dum aliud munus illi committeretur, bene haberet; promovi enim eo adolescentem Hertenstein Lucernanum, Hartmanni ||271v. ab Hallwil ex sorore nepotem 18 . Haec sunt, Bullingere charissime, quae nolui te adolescentis huius nomine diutius latere etc. Enimvero puto hac occasione iuvenem a Ioanne in Ryhen retentum, quo ipsus nos minus inviserit etc. Acceptum principis responsum brevi, ni aliud interciderit, ad te dabo.

Nil novi apud nos nisi vulgi mendatia c et vani rumores feruntur. Spirae adornantur d comitia magnis adparatibus. 19 Distrahunt apud nos vinum magno pretio, ut facile possimus coniicere, qualis sit conventus futurus, eorum scilicet, qui non Christi gloriam et reipublicae bonum quaerant, sed suum luxum et tyrannidem. Ora dominum pro nobis cum tuis fratribus, ut nos liberet ab omni malo 20 ecclesiamque nostram servet in Christi confessione ac pio candore, qua est instituta.

Salutabis meo nomine tuam e familiam, Bibliandrum, meum Megandrum, Erasmum 21 , ecclesiae nostrae primarium apostolum. 22 Salutant vos in Christo omnes nostri fratres, in primis vero Nicolaus Regius 23 .

Raptim, Richenvillae, 24. octobris.

Matthias Erbius

tuissimus.

c mendatia über der Zeile nachgetragen.
d adornantur korrigiert aus adornanttur.
e tuam korrigiert aus tuas.
16 Unbekannt.
17 Stuttgart.
18 Gemeint sein kann wohl (trotz seines nicht mehr jugendlichen Alters) nur Benedikt von Hertenstein (1514-1565), Sohn des Luzerner Schultheißen Jakob von Hertenstein und dessen vierter Frau Anna von Hallwyl, einer Schwester Hartmanns. Letzterer entschuldigt in einem Brief an Matthias Erb vom 23. Januar 1544 den plötzlichen Abgang seines "nepos ex sorore" vom Hof Graf Georgs, da er eine gute Gelegenheit erhalten habe, Französisch zu lernen (s. Basel UB, Ms. Fr. Gr. I 19,30 [neu: 32]). Der als hochfahrend und streitsüchtig geltende Benedikt bezog ab 1548 eine französische Pension. 1546-1554
war er Hofmeister das Abtes von St. Gallen, 1558-1560 Hauptmann der 4 Schirmorte zu St. Gallen. 1554 gelangte er in den Großen, 1555 in den Kleinen Rat von Luzern; er starb hoch verschuldet. — Lit.: Th[eodor] von Liebenau, Hans Holbein d. J. Fresken am Hertenstein-Hause in Luzern nebst einer Geschichte der Familie Hertenstein, Luzern 1888, S. 162 und Stammtafel I.
19 Der Reichstag zu Speyer war auf den 30. November ausgeschrieben; s. RTA JR XV/1 151-153, Nr. 1.
20 Vgl. Mt 6, 13.
21 Erasmus Schmid.
22 Schmid, Erbs Vorgänger, war 1535 nach Reichenweier berufen worden, um dort der Reformation zum Durchbruch zu verhelfen (vgl. bes. HBBW V, Nr. 658).
23 Nikolaus König.


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Haud dum despondi animum, si dominus faverit pro solita dementia, Erbium silicernium cum sua canitie Tigurinorum et Bernatium ecclesias, priusquam in foveam descendent, visurum, ut a vobis consolationem accipiam etc.

[Adresse darunter:] Viro cum primis pietate ac eruditione eximio d. Heinricho Bullingero, Tigurinorum ecclesiae antistiti vigilantissimo, fratri in domino charissimo.

||267 [Nachschrift:] S. iterum.

Quando tuas obsignaveram, datae sunt ex Bucero litterae 24 , quarum adpendix haec continebat; placuit ergo tuis inserere etc.: "Commendo precibus vestris, mi Erbi, episcopum Coloniensem 25 et Monasteriensem 26 et ecclesias illorum; evangelium enim pure, ut nuper ad te scripsi, doceri et sacramenta iuxta illud administrari apud suos curant admirandam et horrendam a suis ob id persecutionem pacientes[!]. Qua in re hostes illi Christi adiutorem habent imperatorem 27 strenuum, qui nunc verbum dei ex Meti depulit grandemque concitare persecutionem ibi conatur sanctis. 28 Ita praeparamus nos Turcis. Senex Coloniensis sepe iam testatus est mori se malle, nedum principatum amittere quam caeptum opus domini deserere. 29 Ergo orabitis pro illo et universa ecclesia, cui intentantur hodie multa mala. Papistae valde ferociunt etc."

||MS F 62, 463-467 [Beilage, gedruckt: Rhenanus BW 496-502, Nr. 368.]f

||467r. [Zusatz von Matthias Erb:]

Bullingero s[alutem].

Quirinus 30 aegre impetravit a me descriptionem epistolae Rhenani; nam ad me illam dederat, ut responderem barbaris aulae proceribus, qui vetustatem et ruinas Argentuoarie rident. Aiebat Quirinus a vestris illam flagitari; a g quibus sit prodita, ignoro, nisi idem Quirinus fecerit, qui, dum hic est, a nostris

f Eigenhändiger Vermerk des Kopisten auf f 465v.: Ioannes Ulstetter Norimbergensis, iam tum hypodidascalus Richenvillae, scribebat 9. cal. novembris [24. Oktober] anno 1543.
g Vor a gestrichene Buchstaben.
24 Bucer an Erb, 21. Oktober 1543 (Basel UB, Ms Ki. Ar. 25c, f. 14); mit falscher Jahreszahl "1545"gedruckt in: Karl und Wilhelm Krafft (Hg.), Briefe und Documente aus der Zeit der Reformation im 16. Jahrhundert nebst Mittheilungen über
Kölnische Gelehrte und Studien im 13. und 16. Jahrhundert, Elberfeld [1875], S. 94, Nr. 45.
25 Erzbischof Hermann von Wied.
26 Bischof Franz von Waldeck.
27 Karl V.
28 Zu den Ereignissen in Metz vgl. unten Nr. 1811, 22-37.
29 Vgl. Pollet, Relations I 223 mit Anm. 4.
30 Quirinus von Leiden; zu seiner Reise nach Rufach im Oktober 1543 vgl. Pellikan, Chronikon 156.


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non arcetur colloquiis. Tum forte lecta fuit etc. Eam tibi bona fide committo legendam cum reliquis etc. Alias forte plura de ea re etc.

Erbius.