Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[159]

Sebastian Grübel an
Bullinger
St. Gallen,
7. Dezember 1532

Autograph: Zürich StA, E II 351,201r. -v. Siegelspur Gedruckt: ASchweizerRef IV 2033; Teildruck: Knittel, Kirche 42f

Berichtet über die zunehmende Bedrängnis der Evangelischen im Rheintal und in den äbtischen Gebieten. Überall wird versucht, die Messe wieder einzuführen, auch gegen den Willen der Bevölkerung. Schikanen gegen reformierte Prädikanten. Grübel schreibt Bullinger auf Anraten Vadians und hofft auf die Hilfe Zürichs.

Gnad und frid von gott durch Christum etc.

Besonders lieber herr und bruder. Wie dan uff verschinen osteren Jacob Riner selig 2 und ich für mine g[nädigen] h[erren] von Zürrich uß bevelch aller brüder, der predicanten im Rintall und Gotzhuß 3 , abgefertigat warend 4 , damit der uffgericht landtsfriden 5 erlütterett, ouch was articell den landfriden brechen mügend, worend mir in hoffnung, alle sach in mittler zitt 6 dahin gebracht werd, das mir gottes bevelch 7 fry, unverhollen hettend dörffen predigen, so ist es je lenger je ferner. Dan ich üch unverhaltten will haben, das der appt 8 ain solliche tyrannery im Gotzhuß brucht, das es zu erbarmen ist. Dan uff jetz verschinen fritag hatt er sine anwalt 9 zu Berg 10 kain 11 , mit sollichem boch 12 und trutz, besonders als sich die biderben lütt der mesß und des gantzen grüwels widerettend 13 , das sy tapffer heruß liessend, mine herren von Zürrich hettend im zu Frowenfeld zugesait 14 , in by siner herlikait, gerechtikat und allen sinen bruchen schutzen, schirmen und handthaben

1 Sebastian Grübel, gest. 1574, aus St. Gallen, studierte von 1510 bis 1512 in Krakau, anschließend in Tübingen, wo er 1516 Magister artium wurde. 1520 kam er als Pfarrer nach Berg (Kt. St. Gallen). Grübel war mit Vadian befreundet und verwandt. Schon früh engagierte er sich für die Sache der Reformation und wurde zu einem der aktivsten Prädikanten der St. Galler Synode. Er war einer der vier Pfarrer, die seit 1529 im Auftrag der Kapitelsversammlung zu Rheineck die gemeinsamen Anliegen der ostschweizerischen Gemeinden wahrnahmen. Infolge der nach 1531 einsetzenden Rekatholisierung in der Ostschweiz mußte Grübel seine Pfarrei 1532 verlassen. Er hielt sich zunächst in St. Gallen auf und kam 1533 als Diakon nach Schaffhausen. 1536 wurde er dort Pfarrer im Spital. Als solcher war er den Pfarrern Heinrich Linggi an St. Johann und Simprecht Vogt am Münster gleichgestellt und leitete gemeinsam mit diesen die Schaffhauser Kirche. Einige Briefe Grübels an Bullinger sind erhalten. — Lit.: Z X 417, Anm. 6; Vadian, Diarium 411. 507; ASchweizerRef II 998b; Egli, Analecta I 94f.133; Staerkle 262f; Wipf passim; HBLS III 773.
2 Jakob Riner war am 11. Oktober 1532 an
der Pest gestorben, s. Kessler, Sabbata 398,31-37.
3 Das Herrschaftsgebiet des Abtes von St. Gallen.
4 Der Vortrag der Delegation der «diener des wortes Gottes» aus der Landschaft der Abtei St. Gallen ist abgedruckt in ASchweizerRef IV 1584.
5 Der Zweite Landfriede von 1531 (EA IV/1b 1567-1571) bezieht das Rheintal und die äbtischen Gebiete nicht ausdrücklich in die Friedensregelung ein. Vgl. dazu auch Frey 181-191; Näf, Vadian II 341-355.
6 inzwischen.
7 Auftrag, d. h. Gottes Wort bzw. die reformatorische Lehre.
8 Der Abt von St. Gallen, Diethelm Blarer von Wartensee.
9 Bevollmächtigten.
10 Berg (Kt. St. Gallen).
11 hyperkorrekte Schreibung für «ghan» = gehabt.
12 Übermut, Prahlerei (SI IV 969).
13 widersetzten.
14 An der Tagsatzung vom 4. bis 10. November 1532 in Frauenfeld wurde der Konflikt zwischen Zürich und dem Abt von St. Gallen bereinigt (EA IV/1b 1425 s.).


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15 , das menger biderman redt, das gott müsse geklagat sin, das sy in by dem grüwell und aller gotzlesterung schützen weltend. Habend uns also pfründen abgekündt und schier an allen ortten die bebschlichen mesß uffgericht, doran ain mechtig mißvallen ain 16 den biderben lütten ist, dan besonderlichen in miner pfarr (doch nit mer min) ob 17 600 personen horrend 18 , und hatt sy 19 kain anige 20 person von wib noch man me begertt. Doch so sind die biderben lütt so begirig und yffrig umm gottes wortt, das sy der merenthail die predicanten uff iren aignen kosten enthalttend wend 21 . Doch so ist der trutz und boch so groß, wo mine herren von Zürrich nit ain besonderlich drinsehen thond, das mir nit bliben mügend. Dan des apts hoffmaister, Fridrich von Hadaham 22 , hatt zu Berg in des aman huß fry heruß geredt, es thü nit recht, biß sin g[nädiger]h[err] ain 4 oder 5 predicanten in ainen thurn zemen saltze 23 und inen darnach blatten schere 24 , das köpff ainweg fallend und blutt übersich spring. Es hand ouch die biderben lütt begertt, damit der mesßpfaff umm die 8 oder 9 grech 25 sige, damit sy iren predicanten ouch uffstellen möchtind. Ist inen gar abgeschlagen, dan der bricht 26 vermügs nit 27 , sonder man sölle in nit hinderen, öb er schon erst umb die 12 stund grech würde. Das also ain sonetag verschinen der predicant zu Stainach 28 nit hett künden predigen, dan er erst umm den mittag grech ist worden. Semlichs hab ich uß besonderem vertruwen, so ir zu der worhait und allen predicanten hand, nit wellen verhaltten.

Es hats michs ouch der from und wiß ||201v. burgenmaister von Watt üch kaissen 29 ze schriben und anzaigend. Ist also min früntlich bitt und beger, mir und uns allen predicanten ze rattend, wie der sach ze thund were. Dan, der herr sigs gelobt, die predicanten sind all tapffer und handtlich 30 . So witt und irß ouch riettend, möcht ich liden 31 , das vertruwtten, als burgenmaster Rösten (dan er selbs a in kurtz verschinen tagen die handlichait und yffer by miner gemand gesehen hatt 32 ), anzaigt würde, damit mir nit gewaltigett, und der trutz und boch abgestelt wurde. Des will ich mich gentzlich, ouch alle bruder, zu üch versehen 33 .

a in der Vorlage sebs.
15 beschützen, verteidigen (SI II 914).
16 hyperkorrekte Schreibung für «an».
17 mehr als (SI I 49).
18 gehören.
19 gemeint: die Messe.
20 einzige.
21 erhalten wollen; die Tagsatzung vom 4. bis 10. November 1532 bestimmte, daß jene Untertanen des Abtes von St. Gallen, die einen reformierten Pfarrer einsetzen wollen, die Kosten dafür selbst tragen müssen, vgl. oben Anm. 14.
22 Niklaus Friedrich von Heidenheim, gest. 1548, Hofmeister des Abts von St. Gallen, bemühte sich nach dem Zweiten Landfrieden als entschiedener Gegner der Reformation mit Erfolg um die Wiedereinführung der Messe in Homburg (Kt. Thurgau). — Lit.: Rudolf Wigert, Homburg und die ehemaligen Herrschaften von Klingenberg, in: Thurgauische Beiträge zur vaterländischen Geschichte, 44. Heft, Frauenfeld 1904, S. 28—44;
HBLS IV 117.
23 mit Gewalt an einen unerwünschten Ort bringen (SI VII 895).
24 Tonsuren schneide; euphemistisch für enthaupten.
25 fertig (mit der Meßfeier; SI II 699f).
26 Das Abkommen zwischen dem Abt und Zürich, s. oben Anm. 14.
27 enthalte das nicht (vgl. SI IV 111).
28 Als Pfarrer von Steinach (Kt. St. Gallen) nahm an der St. Galler Synode von 1530 ein weiter nicht bekannter «Herr Lux» teil (s. Egli, Analecta I 125.132; Vadian BW IV 163). Ob es sich hier um denselben handelt, ließ sich nicht nachweisen.
29 geheißen.
30 standhaft, mutig (SI II 1405).
31 gestatten, zugeben; oft geradezu: würde ich gern sehen, wäre mir erwünscht (vgl. SI III 1089).
32 aus welchem Grund Diethelm Röist zu jener Zeit in der Ostschweiz war, ließ sich nicht ermitteln.
33 von euch erwarten (SI VII 566f).


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Hiemit bewar uns die gnad gottes, und troste uns ouch der rich gott, damit mir stiff in siner verjechung 34 und crütz blibend, dan er ain richer bezaller ist, das zittlich mit dem ewigen. Amen.

So üch min schwager Gebhartt Brunner 35 begegnaty, so sagend im vill gutts und eeren von mir, ouch den ergangen handell.

Geben zu Sant Gallen, uff 7. tag december im 1532 jar.

Sebastian Grubell,

diner zu Berg, üwer früntlicher bruder.

[Adresse auf f. 202v.:] Dem fromen und getrüwen Hainricho Bullinger, predicanten zu Zürich, minem besonders herren und bruder.