Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[1931]

Bullinger an
Philipp Melanchthon
Zürich,
22. Juni 1544

Abschrift von Leodegar Hirsgarter a : Zürich StA, E II 345, 257-263a

Dankt für Melanchthons Brief [Nr. 1881] mit dem Urteil über seinen Johanneskommentar; diejenigen, die die [Heilige] Schrift für unkultiviert und ungeordnet halten, möchte er vom Gegenteil überzeugen und der alten Kirche Christi wieder zu ihrem einstigen Glanz verhelfen, wobei man aber Ketzertum und abweichende Auffassungen unterdrücken muss. Melanchthon hat ihn leicht davon überzeugt, von der Diskussion über Monogamie und Polygamie abzulassen; auf [Johannes]Lenings Brief [Nr. 1710], in dem dieser die Polygamie, die er Digamie nannte, verteidigte, antwortete Bullinger absichtlich nur kurz [Nr. 1723] und wird sich nun

a Die vorangestellte Adresse stammt von der Hand Johann Rudolf Stumpfs (1530-1592), auf den auch die Überschrift zurückgeht: Copiae epistolarum aliquot clarissimi viri d. d. Ioachimi Vadiani ad praestantissimum virum Heinrichum Bullingerum olim scriptarum de rebus lectu dignissimis.
a Mit Vermerk von späterer Hand.
b Auf S. 258, 260 und 262 etliche Wörter, Wortteile und Wartenden im engen Einband nicht oder nicht vollständig lesbar.


briefe_vol_14_277arpa

umso lieber fernhalten; diesem Beispiel muss mit der heilsamen Lehre des Evangeliums widerstanden werden, wie es ja auch Melanchthon fordert. Entgegen Melanchthons Ermahnung

an [die Zürcher], provozierende Briefe [von den Lutherischen] schweigend hinzunehmen, kann man zu dem beleidigenden Brief von Luther an Christoph Froschauer [vom 31. August 1543, WA Briefwechsel X 384-388, Nr. 3908] nicht schweigen: Nach Luthers Meinung haben [die Zürcher] nichts mit [den lutherischen] Predigern gemein, sie seien Häretiker, ihre Kirchen teuflische Synagogen, sie seien verdammt und genug gemahnt worden, wieder zur Vernunft zu kommen; doch dieser Meinung Luthers ist entgegenzuhalten, dass es die eidgenössischen Kirchen waren, die Luther ihr Glaubensbekenntnis [WA Briefwechsel XII 265-275, Nr. III-V.]und die Deklaration [der Zürcher Synode vom 24. Oktober 1536, WA Briefwechsel XII 274f, Nr. V.] darbrachten, ohne von Luther jemals eine Antwort zu erhalten; noch bitterer aber sind Luthers Drohungen, ein öffentlicher Feind [der eidgenössischen Kirche] zu werden, die das Gericht Zwinglis ereilen wird; an [der Echtheit dieses]überaus verletzenden Briefs besteht kein Zweifel. Luthers Zorn ist theologisch unbegründet und unverständlich; der Kampf [der Zürcher] gegen Epikureer, Unfromme und Verbrecher ist ein mühevoller Beitrag zur Wohlfahrt von Wissenschaft und Staat, für den viele ihr Leben hingaben; wenn auch andere Kirchenmänner in Sachsen derart gesinnt sind, besteht eine große Gefahr für [die Zürcher]. Melanchthon könnte diesem Ubel durch seine Autorität abhelfen, indem er die Seinen zu Bescheidenheit, Gleichheit und Gerechtigkeit ermahnt; sie sollen die Schriften [der Eidgenossen]sorgfältiger lesen, bevor sie sie verdammen; Mäßigung kann eine geistige Verbindung schaffen und zu besserer gegenseitiger Kenntnis beitragen, wofür sich auch Bullinger einsetzen wird; mehr wird [der Überbringer], der junge Ungar Joseph [Macarius], berichten; Bullinger bittet um Melanchthons Antwort zur Herbstmesse. Gruß von Kaspar Megander, der mit Melanchthon bei Georg Simler in Pforzheim lernte, außerdem von Rudolf Gwalther, Erasmus Fabricius [Schmid], Pellikan, Theodor Bibliander, Johann Jakob Ammann, Rudolf Collin, Konrad Gessner, Otto Werdmüller; Grüße an die Kirchenvorsteher und Professoren; Segenswunsch.

[Gedruckt: Bindseil 194-199, Nr. 261 c ; Teildruck: CO XI 727-730, Nr. 559; Regest: MBW, Regesten IV, Nr. 3596; Teilübersetzung d : Salomon Hess, Lebensgeschichte M. Heinrich Bullingers, Antistes der Kirche Zürich, Bd. 1, Zürich 1828, S. 402-413; Pestalozzi 219-221.]