Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[1932]

Bullinger an
Hans Rudolf Lavater
Zürich,
23. Juni 1544

Abschrift von Johann Jakob Simler a : Zürich ZB, Ms S 55, 66 Ungedruckt

Ist nicht dazu gekommen, dem auf der Tagsatzung zu Baden weilenden Empfänger den versprochenen Briefauszug früher zukommen zu lassen; am [Sonntag] war ihm nicht wohl, und trotzdem war er mit Predigt, Seelsorge und Schulangelegenheiten im Fraumünster (in Anwesenheit

c Nach der Abschrift Johann Jakob Simlers in Zürich ZB, Ms S 55, 65; weist Fehler auf
d Zum Teil sehr freie Wiedergabe; etliche Auslassungen.
a Nach dem heute nicht mehr erhaltenen Autograph "in bibliotheca Ludovici Breitingen, Stec[k]boranae ecclesiae pastoris fidelissimi", laut der am oberen Rand von Simler stammenden Angabe. - Hans


briefe_vol_14_278arpa

von Schulherren und [Rudolf] Stoll) voll beschäftigt. Der Zofinger Pfarrer [Peter Schnyder] hat berichtet, was ihm der Zofinger Seckelmeister (Hans Span] am 18. Juni in Aarburg mitgeteilt hat, nämlich dass dieser bei einem Essen in Königsfelden während eines Gesprächs mit dem Schafthauser [Thomas]Spiegelberg von einem beisitzenden Zürcher des Großen Rats hören musste, wie Letzterer gut hieß, dass sich aus dem Zürcher Gebiet so viele als Söldner in den Dienst (von König Franz I.]begaben; ferner rechtfertigte Spiegelberg die zuvorkommende Antwort Schaffhausens und der Sieben Orte gegenüber Frankreichs Söldnergesuch; dass Frankreich ein Abkommen mit den Türken hat, ist so wenig bedenklich wie das Aufsuchen des jüdischen Arztes [David] durch den kranken Prädikanten von Schaffhausen (Simprecht Vogt]. Grüße von Vadian, der Nachrichten über die bald Österreich überfallenden Türken und eine Schrift zu den durch den Bischof von Eichstätt [Moritz von Hutten] in Nürnberg gestifteten Unruhen übermittelt hat.

Dem fromen ersamen, fürsichtigen und wysen Hansen Rudolffen Lavatern, sekelmeistern zu Zürych, jetzund radtsbotten uff dem tag zu Bad 1 , sinem günstigen, lieben herrn und gevattern 2 .

Min willig dienst, früntlicher gruß und was ich üch eeren, liebs und guts vermöchte bevor. Ich bitt üch, insonders günstiger herr und lieber gevatter, ir wöllend nit zürnen, das ich üch gester 3 üwerm begeren nach gheinen zädel geschikt hab. Dann zu dem, das ich uff die predig vast blöd 4 worden was, so plagetend mich die lüt, das ich nie mee dran gedacht. So hatt ich by der warheyt von dem ässen an biß umb die 4 nie dhein 5 underlaß nach muß 6 , lüten und gschäften halb, daheym und zu dem Frowen Münster, mitt den schulherren 7 und m[eister] Stollen 8 . Demnach erst fiel mir in sinn, was ich vergaßen und versumpt hatt.

Diß ist aber der handel, den ir begärt habend, und also hatt der predicant von Zoffingen 9 geschriben: "Uff den 18. tag brachets 10 hat unser herr sekelmeister

Ludwig Breitinger (1694-1763), seit 1729 Pfarrer in Steckborn (Kt. Thurgau), am Untersee.
1 Lavater war mit Johannes Haab Zürcher Gesandter an der Tagsatzung vom 23. Juni 1544 zu Baden (EA IV/1d 391-401). Bullinger muss Lavater kurz vor dessen Abreise nach Baden versprochen haben, ihm den unten abgeschriebenen Auszug zukommen zu lassen.
2 Lavater war Pate von Hans Rudolf Bullinger (geb. 1536); s. HBD 24, 24f.
3 Ein Sonntag.
4 sehr schwach; vgl. unten Nr. 1956 mit Anm. 24.
5 kein.
6 noch freie Zeit.
7 Johann Jakob Ammann. - Ulrich Ernst, Geschichte des Zürcherischen Schulwesens bis gegen das Ende des sechzehnten
Jahrhunderts, Winterthur 1879, S. 99, kennt für die Zeit zwischen 1537 und 1560 nur einen, nämlich den bereits erwähnten Schulherrn. Doch bereits 1541 findet man eine Andeutung Bullingers, dass es mehr als einen Schulherrn gegeben haben muss; s. HBBW XI 303, 28. Könnte es sich dabei um Otto Werdmüller handeln (vgl. nämlich HBBW XIII 171, 20-22), der vielleicht Ammann beistand? Der Zuchtmeister des Alumnats im Fraumünster, Sebastian Guldibeck, kommt hier kaum in Betracht.
8 Wahrscheinlich Rudolf Stoll vom Kleinen Baptistalrat in Zürich.
9 Wohl Peter Schnyder, der im Briefwechsel mit Bullinger stand, und nicht dessen Kollege Johann Ulrich Wellendinger, der nicht als Korrespondent Bullingers bezeugt ist; s. Rudolf Weber, Zofingens Prädikanten. Die Pfarrer der reformierten


briefe_vol_14_279arpa

11 und ich mit imm zu abend b gäßen uff dem schloß Arburg 12 . Da hat er mitt kumber 13 anzeigt, wie der Spiegelberg 14 von Schaffhusen mitt imm 15 geäßen hab zu Künigsfälden 16 ; der habe gerümpt, wie ouch Schaffhusen den 7 orten 17 ze hilff uffbrächen werde. Da hat der sekelmeister gesagt: 'Warumb wänd ir einem 18 hälffen, der den Türggen an imm hat' 19 . Antwurt der Spiegelberg: 'Unser predicant c 20 ist krank und hat nach dem Juden 21 gschikt; ||v. also thut der künig 22 ouch' etc. Daby ist gesäßen ein Zürycher des großen radts 23 . Der hatt geredt: 'Wenn noch so vil Zürych uß
b In der Vorlage nach gestrichenem und.
c Vom unteren Rand eingewiesen Sympert Vogt.
Kirchgemeinde Zofingen seit 1528. - Separatdruck des Zofinger Njbl., 1977, S. 13; Willy Pfister, Die Prädikanten des bernischen Aargaus im 16.-18. Jh., 1528-1798, Zürich 1943. -Quellen und Studien zur Geschichte der helvetischen Kirche 11, S. 141. 144. 198. 203. -Schnyder sollte im März 1545 Pfarrer in Aarburg werden (s. unten Anm. 12). Er hatte schon früher Bullinger über das ihm widerstrebende Anwerben von Söldnern für Frankreich informiert; s. HBBW VI 308f; VII 34-39. 105f. 148-150. 167-169.
10 am 18. Juni [1544].
11 Hans Span, seit 1537 im Kleinen Rat und seit 1541 lebenslänglich Seckelmeister; s. Tobinium politicum oder weltliches Aemterbuch der Stadt Zofingen, Zofingen [1793?], S. 48. Er ist 1544 und 1545 als solcher nachgewiesen, hatte den Alt-Schultheißen Hans Gränicher zur Seite, der hier aber kaum gemeint sein kann; s. Theodor Gottlieb Gränicher, Die Stadtrechnungen von Zofingen (16. Jh.), in: Blätter für bernische Geschichte, Kunst und Altertumskunde, Bd. XII/3, 1916, S. 179; Zofingen Stadtarchiv, "Rechenbuch der Ungelter" (STAZ 539), unter 1544. - Wir verdanken diese Angaben Frau Cécile Vilas, Leiterin des Stadtarchivs Zofingen.
12 Aarburg (Kt. Aargau), 10 km nördlich von Zofingen.
13 Kummer.
14 Thomas Spiegelberg (gest. 2. Feb. 1553), der bald mit einem Schaffhauser Fähnlein
Franz I. in Frankreich zu Hilfe kommen sollte; s. HBBW VI 306f, Anm. 23; HBLS VI 468.
15 Hans Span, vielleicht auf einer bezeugten Reise zu bzw. von den Bädern in Baden; s. [Samuel] G[ränicher], Historische Notizen und Anekdoten von Zofingen vom Jahrgang 586. an bis auf gegenwärtige Zeit, Zofingen 1825, S. 134.
16 Königsfelden bei Brugg (Kt. Argau).
17 Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern, Zug, Freiburg und Solothurn. Am 16. Juni hatten sich XI Orte (die bereits erwähnten sowie Glarus, Basel und Schaffhausen) in Solothurn versammelt und, mit Ausnahme Basels, sich bereit erklärt, gemäß dem Soldbündnis von 1521 Franz I. Söldner zukommen zu lassen. Bern, welches 1521 das Abkommen auch unterschrieben hatte (im Gegensatz zu Zürich), sandte damals keinen Abgeordneten zum Treffen; s. EA IV/1d 387-390.
18 Franz I.
19 Anspielung auf das im Februar 1536 abgeschlossene Bündnis zwischen Frankreich und den Türken.
20 Simprecht Vogt.
21 Der jüdische Arzt David in Schaffhausen; s. HBBW VIII 154, Anm. 10.
22 Franz I.
23 Unbekannt, es sei denn, es handle sich hier in Folge eines auf den Seckelmeister zurückgehenden Missverständnisses um den Zürcher Thüring Göldli, der ab 1539 dem Grossen Rat von Rapperswil (heute Kanton St. Gallen) angehörte und immer wieder Söldner für Frankreich anwarb; s. HBBW VI 307, Anm. 24.


briefe_vol_14_280arpa

stand und land zühend 24 , alls zogen sind, dann wirts erst gut, und wirt die sach ouch d gan e . ' Hatt der sekelmeister gesagt: 'Was sagend aber die predicanten dartzu?' Daruff der Zürycher geantwurtet: 'Sy sind darwider, wir gänd aber nüt darumb 25 ' etc. Deßhalb besorgt imme 26 der sekelmeister einer bösen f prattik, die vilicht under üch sin möchte" etc.

So vil ist des handels. Daruff mögend ir jetzund handlen, was üch nutz und gut bedunkt. Die sach ist an iro selbs; ists zu Künigsfälden also ergangen; böß gnug, und ist iro wol nach ze vragen.

Gott sye mitt üch.

Datum Zürych, 23. iunii 1544.

H. Bullinger, der üwer.

Nächt 27 hatt mir min herr burgermeister von Watt 28 geschriben und befolhen beide herren 29 und üch ze grüßen; und schript, daß sy us Ungern gute 30 bottschafft oder kundtschafft habend, das der dürgg 31 in 80'000 stark schon jetz gerüst sye uff Oestrych, da wenig voradts g sye nochmals; und entsitze man sich 32 eines grusamen ynfaals. 33 So sye zu Nürenberg von des bischoffs wägen von Eystett 34 ouch ettwas unruw entstanden; doch sye es vertütscht 35 etc. Die geschrifft hab ich den herren gaben. 36

Gott beware üch.

d ouch korrigiert aus auch.
e Nach gestrichenem gut.
f Nach gestrichenem böser. -Die merkwürdige Satzkonstruktion wie auch das Zögern beim Wort hosen mag auf einen Lesefehler Simlers hindeuten. Zu lesen ist möglicherweise eine böse.
g voradts aus einem nicht mehr zu lesenden Wort korrigiert.
24 wegziehen; nämlich nach Frankreich als Söldner. - In der Tat gab es damals trotz des vorhandenen Reislaufverbots im Kanton Zürich sehr viele Männer, die sich dazu entschlossen; s. Zürich StA, A 166.2, Nr. 158-265.
25 wir halten nichts davon.
26 ihm: Peter Schnyder.
27 Vom 22. auf den 23. Juni 1544.
28 Joachim Vadian, wohl am Schluss einer heute nicht mehr vorhandenen Zeitung, die seinem nur noch durch eine Kopie erhaltenen
Schreiben vom 21. Juni 1544 (Vadian BW VI 329f, Nr. 1351) beigelegen haben muss.
29 Diethelm Röist und Johannes Haab.
30 zuverlässige.
31 Suleiman I.
32 und man befürchtet.
33 Es handelt sich zum Teil um ein Gerücht; s. unten Nr. 2001 mit Anm. 17.
34 Moritz von Hutten, Erzbischof von Eichstätt; s. oben Nr. 1837, Anm. 8.
35 unterdrückt; s. SI XIII 1957.
36 Möglicherweise im Zusammenhang mit den Klöstern Engeithal und Pillenreuth, die zur Diözese Eichstätt gehörten und auch später Anlass zu Streitigkeiten gaben; s. Karl Braun, Nürnberg und die Versuche zur Wiederherstellung der alten Kirche im Zeitalter der Gegenreformation (1555-1648), Nürnberg 1925. -Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns 1, S. 8 und passim.