Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[1960]

Bullinger an
[Joachim Vadian]
Zürich,
28. August 1544

Autograph a : St. Gallen Kantonsbibliothek (Vadiana), Ms 41a (Bremer Briefe), 92 (ohne Siegel)

[Johannes]Stumpf ist über Luzern, Unterwalden und Un ins Wallis gelangt; auf der Suche nach Altertümern reist er weiter an den Genfersee, nach Lausanne und von dort durch den Jura ins Uechtland. [Johannes] Kessler soll prüfen, was Stumpf über den Thurgau schrieb, und auch [Vadian]selbst soll das Buch [die in Bearbeitung befindliche Schweizerchronik] vor der Rückgabe durchsehen. Über den französischen [König Franz I.]und Kaiser [Karl V.]sind nur unsichere Gerüchte zu hören; von beiden droht im Falle eines Sieges Gefahr. Bullinger will sich vor dem Rat für das Anliegen von Pelagius [Amstein] einsetzen; allerdings werden bereits 50 Schüler aus dem Almosen und rund 40 aus dem kirchlichen Stipendium unterhalten. [Johannes] Gast hat Bullinger und Bibliander [Andreas] Osianders [d.Ä.] "Coniecturae [de ultimis temporibus ac] de fine mundi" sowie ein bissiges Gedicht [auf Osiander, das "Speculum Andreae Osiandri"]zugeschickt; Bullinger legt das Gedicht leihweise bei und vermutet den verstorbenen Vincentius Opsopoeus als Autor; durch solche Lästermäuler bestraft Gott jene, die Unschuldige verleumden, wie dies Osiander in seinen "Coniecturae" mit Zwingli, Oekolampad und [Christoph]Schappeler tut. Sein Buch zeugt von seinem Unverstand; er zieht unhaltbare Schlüsse aus dem Talmud und der "[Traditio] domus Eliae", äußert sich unqualifiziert zu Engels- und Jubeljahren sowie zu Stellen aus dem Danielbuch und [der Offenbarung des]Johannes und schreibt die Zerstörung Roms -gegen Orosius und Prokop -Alarich statt Totila zu, doch Bullinger muss hier abbrechen, da die Glocke zur Ratssitzung ruft, wo er wegen Pelagius vorsprechen will. Vadian soll öfter schreiben als im vergangenen Sommer. Bullinger grüßt Kessler; hat den Brief nicht mehr durchgelesen.

[Gedruckt: Vadian BW VI 334-336, Nr. 1356.]

a Zu Beginn des 17. Jahrhunderts von Melchior Goldast entwendet, 1948 von der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen zurückgegeben (früherer Standort in Bremen: Ms. a. 8., 92); s. Rudolf Gamper, Die Bücherdiebstähle des Melchior Goldast in St. Gallen, in: Lesen - Schreiben - Drucken.
Für Ernst Ziegler hg. v. Marcel Mayer u.a., St. Gallen 2003, S. 73-88.
1 Der Briefinhalt, besonders die Erwähnung von Johannes Kessler, erlaubt eine sichere Identifizierung des Empfängers.