Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2035]

Johannes Calvin an
Bullinger
Genf,
[15. November 1544]

Abschrift von Theodor Beza: BGE, Ms tat. 106, 118f

Bullinger soll vom Überbringer [Eynard Pichon]die noch offene Summe von einer Krone und zwei Silberstücken erhalten. [Pichon]ist von den Neuenburgern gesandt; diese haben Schwierigkeiten mit einem Amtsbruder [Jean Chaponneau], der zänkisch und rücksichtslos ist und vom Gouverneur [Georges de Rive, Baron von Prangins] der Fürstin [Johanna von Hochberg] Rückendeckung erhält; nun sollen die Zürcher [den Neuenburgern] helfen, diesen Ismael zu bändigen. Die [Waldenser-]Brüder in der Provence haben vor drei Jahren [1541]dem Parlament zu Aix-en-Provence ihr reines und einfältiges Bekenntnis [RBS I/2 223-227, Nr. 25] schriftlich dargelegt, wurden weitergefoltert, widerstanden und erreichten [am 14. Juni 1544], dass König [Franz I.]zwei Untersuchungsrichter einsetzte, wobei ihm das Schlussurteil überlassen bleibt; seitdem werden die [Waldenser]sowohl offen als auch heimlich ausgespäht; sie wurden auch aufgefordert, [Franz I.] ein klares und aufrichtiges Bekenntnis zu überreichen [RBS I/2 415-420, Nr. 30]; nun widersetzen sich sowohl die Bischöfe als auch die Gouverneure und das Parlament [von Aix] mit allen Kräften, damit es keine Möglichkeit für königliche Vermittlung gibt; [die Waldenser] sind dementsprechend den Löwen [der weltlichen Obrigkeit]und den Wölfen [der geistlichen Obrigkeit]ein willkommenes und leichtes Opfer; in drei Städten [Mérindol, Lourmarin und Cabrières d'Aigues?] und in mehreren Dörfern bekennen sie das wahre Evangelium; je größerer Gefahr sie ausgesetzt sind, umso mehr bedürfen sie der Unterstützung, zumal die ihnen drohende Gefahr nur ein Vorwand ist, das Evangelium [in Frankreich] zu bekämpfen; sollten [Waldenser] also in [Zürich]auftauchen, sollte Bullinger sich darauf einstellen, ihnen zu helfen; entweder muss man den König bitten, dass er die Waldenser weiter duldet oder sie weniger jähzornig bestraft. Luthers kürzlichem Ausfall gegen die Zürcher, der auch die Genfer betrifft und nicht nur auf Luthers Charakterschwächen, sondern auch auf seinen üblen Berater Nikolaus von Amsdorf zurückzuführen ist, wäre am besten mit Schweigen zu begegnen; da dies aber nicht gerecht wäre, soll man bei der Verteidigung Luthers Verdienste um das Evangelium nicht vergessen und sich dabei bewusst sein, wie dieser inner[protestantische] Streit dem Gegner nützt und die Wunden vergrößert. Zur [Abendmahlsproblematik] würde sich Calvin gerne einen halben Tag [mit Bullinger] unterhalten, denn er vermutet, dass Bullinger ihm diesbezüglich etwas vorzuwerfen hat; dieser soll aber wissen, dass er sich an das Wort Gottes hält und dabei nichts dem Menschen zuschreibt; mittlerweile mögen sie untereinander die brüderliche Freundschaft [weiter]pflegen. Größe.

[Gedruckt: CO XI 772-775, Nr. 586; Corr. des réformateurs IX 370-375, Nr. 1413; Teildruck: Ioannis Calvini Epistolae et responsa ... Eiusdem I. Calvini vita a Theodoro Beza ... descripta, Genf, Pierre de Saint-André, 1575, S. 382f; englische Übersetzung: Letters of Calvin I 405-410, Nr. CXXII; (Teil-)Übersetzungen: George Cornelius Gorham, Gleanings of

1 In Bezas Abschrift findet sich als später handschriftlicher Zusatz von unbekannter Hand die Datumsangabe "25. Nov. 1544" mit Referenz auf den Teildruck von 1575. Herminjard (Corr. des réformateurs IX 370, Anm. 2 und 8) vermutet einen Lesefehler
des Herausgebers Beza für den 15. November, da Pichon schon kurz nach dem 4. November 1544 Calvin um ein Empfehlungsschreiben an Bullinger gebeten hatte. Die vorliegende Edition übernimmt diese Umdatierung.


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a few scattered ears ..., London 1857, S. 27-29; Schwarz, Calvins Lebenswerk I 200f, Nr. 120; Günter Gloede, Reformatorenbriefe. Luther, Zwingli, Calvin, Berlin 1973, S. 342-344.]