Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2049]

Martin Bucer an
Bullinger
Straßburg,
13. Dezember 1544

Ausfertigung von Johannes Lenglin a : St. Gallen Kantonsbibliothek (Vadiana), Ms 40 (VBS XI), 29 (ohne Siegel)

Erkennt in dem, was Bullinger [in Nr. 2037]schreibt, eine Bedrohung für die Kirchen; glaubt nicht, etwas bei ihm erreichen zu können, sieht sich aber als Glied der Kirche zu einer Erwiderung verpflichtet. Will der Reihe nach beantworten, was Bullinger [1.] zum [Abendmahls-]Streit, [2.] zu Luthers jüngster Schrift [,,Kurtz bekentnis"] und [3.] zu Bucers Bemühungen um die Konkordie schreibt, und tut dies in höchstem Ernst vor dem Angesicht des Herrn. [1.][Die Zürcher und andere reformierte Kirchen der Eidgenossenschaft] lehren laut Bullinger die geistliche Gegenwart Christi im Mahl und sagen, Luther bezeichne dies als Häresie; sie bestreiten die leibliche Gegenwart Christi und werfen Luther vor, er lehre gleich wie das Bekenntnis Berengars [von Tours], was dem menschlichen Leib Christi und dessen Verherrlichung widerstreite. Dass Christus allein in seinem Wirken gegenwärtig sei, widerspricht jedoch den [biblischen] Schriften und der Lehre der Alten Kirche; Paulus, Irenäus, Hilarius, Chrysostomus, Cyrill u.a. lehren so vom Leib Christi, dass dessen Darreichung nicht in Frage gestellt werden kann. Luther will mit seinem Hinweis auf Berengar und seinem Beharren auf dem leiblichen Essen einzig diese Darreichung des ganzen Christus sicherstellen; Leib und Brot sind durch die "unio sacramentalis" so verbunden, dass gemäß der "communicatio idiomatum" von Christus ausgesagt werden kann, was dem Brot geschieht; schon die Väter lehrten so, und Luther hat in seinem großen Bekenntnis [,,Vom Abendmahl Christi", 1528] die Schriftgemäßheit dieser Redeweise dargelegt. In Übereinstimmung mit Luther ist zwar die Transsubstantiation und die permanente Verbindung Christi mit dem Brot abzulehnen, sonst ist aber an der recht verstandenen Lehre Berengars und der "Sophisten" [Scholastiker], etwa des Thomas von Aquin, nichts auszusetzen. Bucer und viele andere können bezeugen, dass es Luther einzig um diese wahrhafte Darreichung Christi geht, die nicht auf sinnliche oder rationale Weise, sondern nur im Glauben zu verstehen ist; der Herr möge Bullinger zum rechten Verständnis verhelfen, denn es geht um die Sache Christi, und Bullingers Gegner wird von vielen Kirchen hoch geschätzt. Wenn Bullinger den Aufenthaltsort Christi

7 Nicht ermittelt.
8 Herzog Ulrich von Württemberg.
9 D.h. Jäger (nach dem Jäger Akteon oder Aktaion in der griech. Mythologie; vgl. Albert Schachter, in: DNP I 414).
10 Vgl. oben Nr. 2036 mit Anm. 13; 2044, 38-40.
a Einzelne Korrekturen, Unterschrift und Nachschrift autograph. Mit Randbemerkungen und Dorsualvermerk von späteren Händen.


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im Himmel auf irdische Weise [d.h. lokal]versteht, müsste er dies aus der Schrift belegen, nicht nur aus Augustinus und Fulgentius; welcher Schriftbeweis spricht gegen eine durch den Glauben fassbare Gegenwart Christi und dessen Leib, die der Teilhabe an der himmlischen Gabe und dem Hl. Geist gemäß Hebr. 6 [4]entspricht? Der Verweis auf die verklärten Leiber der Auferstandenen, 1Kor 15 [35-58], führt nicht weiter; das Wandeln Petri über das Wasser, die Erscheinung von Mose und Elia auf dem Berg Tabor, die für Stephanus sichtbare Gegenwart Christi deuten darauf hin, dass der Leib Christi unbeschadet seiner menschlichen Natur gegenwärtig sein kann; der einfache Schriftsinn darf nicht umgedeutet werden. Die Worte von Christus und Paulus sind klar, und alle vergleichbaren Stellen belegen, dass mit dem Symbol auch Christus selbst dargereicht wird; was [Zwingli] einst über die Gemeinschaft des Leibes Christi lehrte, ist nicht annehmbar und wurde auch von Oekolampad nicht gebilligt, da Paulus von einer Gemeinschaft der Gläubigen mit dem Leib des Herrn spricht. Luther vorzuwerfen, er weiche vom Wort Gottes ab, ist eine Verleumdung. An der Berner Disputation hat Bucer einzig eine irdisch verstandene Gegenwart Christi verworfen; Oekolampad teilte seine Auffassung, wie dessen "Dialogus"[,,Quid de Eucharistia veteres ... senserint"]zeigt, und auch Zwingli scheint in seiner Antwort an Eck [,,De convitiis Eckii"] so gelehrt zu haben; dass Luther dies nicht anerkennt, verwundert nicht, da selbst [die Zürcher] dies nicht hervorheben [2.] Was Luther selbst betrifft, soll Bullinger bedenken, in welch herausragender Weise dieser für den Herrn wirkt. Im Urteil über die Fehler anderer ist Zurückhaltung angebracht, besonders wenn sie uns verletzt haben. Auch anderen Bibelauslegern werden wegen ihrer Verdienste Mängel nachgesehen, etwa Erasmus; Luthers Heftigkeit ist mit unserer Haltung gegenüber den Täufern zu vergleichen, sieht er doch in diesem Kampf Gottes Wort in Gefahr; es ist tragisch, dass seine Sorge neu genährt wurde, nachdem sie [1536]durch das [Erste Helvetische]Bekenntnis von Basel ausgeräumt war. Dass [die Zürcher]ihren Ruf verteidigen wollen, ist verständlich, doch wenn sie sich an die erreichte Konkordie [von 1536]gehalten und diese gefördert hätten, wäre schwerer Anstoß für die Kirche vermieden worden. Bucer muss Luther als Mitdiener im Herrn anerkennen; wer einen solchen verwirft, versündigt sich. In seiner Bullinger noch nicht vorliegenden Schrift verurteilt Luther zu Bucers Bedauern alle, die leugnen, dass Christus sogar vom gottlosen (impius) Judas mit dem Mund empfangen wurde, womit er zweifellos auch auf [die Zürcher]zielt; Bucer teilt Luthers Auffassung nur, insofern der Empfang des Leibes Christi durch die Unwürdigen (indignos) aus dem [1.]Korintherbrief [11, 29]hervorgeht, gibt aber zu, dass Luthers Auffassung von einem Empfang des Leibes Christi sogar durch die Gottlosen zu weitumfassend und kategorisch ist und der papistischen Auffassung einer andauernden Gegenwart Christi in den Symbolen viel zu nahe kommt. Doch steht es Bucer nicht zu, Luther entgegenzutreten; aufgrund erneuter Provokation durch [die Zürcher] sieht Luther an diesem Punkt den Glauben insgesamt bedroht; Luther ist so, wie ihn uns der Herr gegeben hat, und es ist undenkbar, ihn deshalb zu exkomrnunizieren. Bucer ist zwar wie viele andere davon überzeugt, dass [die Zürcher] trotz ihrer nicht ganz schriftgemäßen Lehre keineswegs des Teufels sind, doch nimmt er Luther um seiner Verdienste willen in Schutz. Bucer verhält sich nämlich ihm gegenüber so, wie er es vor der Kirche und Christus verantworten kann. Dass Bullinger Zwinglis Aussagen über [die Erlösung] von Herkules, Numa, Scipio, der [beiden] Cato und der großen fränkischen Könige verteidigen will, beunruhigt Bucer sehr, denn auch wenn einigen Heiden wie Hiob die wahre Gottesverehrung nicht fremd war, hat Gott doch Israel eine Sonderstellung verliehen; Bullinger soll von diesem Vorhaben abstehen, da [die Zürcher] sonst als Epikuräer betrachtet würden, die das Heil einzig von rechter Lebensführung abhängig machen. [3.]Bullinger hat ihn aufgefordert [mit Nr. 2037], seine Konkordienbestrebungen aufzugeben; er aber dankt Gott dafür, dass dank seines Bemühens alle Kirchen mit Ausnahme der eidgenössischen an der Wittenberger Konkordie festhalten; ja sogar die Konstanzer Kirche scheint sich daran zu halten, auch wenn diese die Konkordie nicht unterschrieben hat; um [die Zürcher] bemüht er sich seit Jahren nicht mehr, da sie nicht ausreichend zum [Ersten Helvetischen]Bekenntnis stehen. Kam nur deshalb [in Nr. 2028 und 2031] auf die Sache zurück, um Bullinger vorsichtiger zu stimmen, denn Luther kann sie nur als Brüder gelten lassen, wenn sie die wahrhafte Darreichung des Leibes Christi nicht bestreiten; dies schien [1536 mit dem Ersten Helvetischen Bekenntnis] der Fall zu sein, deshalb sah


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Bucer die einzige Differenz in der unterschiedlichen Genauigkeit der Aussagen. Auch die Umschreibungen der Art des Empfangens widersprachen sich nicht. Da die Zürcher, wenn auch widerstrebend, den klaren Formulierungen des [Ersten Helvetischen] Bekenntnisses zustimmten, hoffte er, ganz Deutschland in dieser Konkordie vereinen zu können, doch als er [1538] ihre veränderte Haltung wahrnahm, überließ er sie dem Herrn; die unfreundliche Behandlung, die ihm und Capito damals in Zürich zuteilwurde, haben sie verziehen. Die Bitte, [die Zürcher] nicht mehr mit Luther aussöhnen zu wollen, ist bereits früher berücksichtigt worden; an anderen Orten aber fördert Bucer mit Gottes Hilfe die Konkordie auch weiterhin; Bullingers Wunsch, Bucer hätte nie damit begonnen, wird von anderen nicht geteilt. Bittet ihn dringend, ihn und seine Bemühungen in der Antwort an Luther nicht zu erwähnen, wie dies auch Luther nicht tat, da er sonst öffentlich Bullinger widerlegen müsste; weist Bullingers ihm kürzlich zu Ohren gekommenen Vorwurf der Unaufrichtigkeit (für die er Prügel verdient hätte) zurück; ihn in diesen Streit hineinzuziehen, würde allen die Undankbarkeit Bullingers Bucer gegenüber - der schon mehr als genug mit den Gegnern in Köln zu tun hat - offenbaren; gerade der Streit um dieses Sakrament schadet den Kirchen sehr und wird dem [römischen] Antichrist beim bevorstehenden Reichstag [zu Worms]gelegen kommen; noch nie stand man so kurz davor, die Lehre [der Eidgenossen]durch ein öffentliches Reichsdekret zu verdammen. Wenn auch Luther Anlass dazu gab, sollte doch eine Antwort [der Zürcher] unterbleiben; Philipp [Melanchthon] schrieb in diesem Sinne an Bucer, und Bucer, der sich diesem Wunsch auch anschließt, hofft zumindest, dass die [gereizten Eidgenossen]maßvoll antworten. Bucer mahnt zur gegenseitigen Duldsamkeit und möchte wissen, ob Bullinger bereit ist, ihm diesen unnötigen Kampf zu ersparen. [Nachschrift:] Dankt dafür, dass er sich für ihn und den Fürsten [Ottheinrich von der Pfalz] um die [,,Bibliotheca universalis" Konrad Gessners]bemüht.

[Gedruckt und deutsche Übersetzung: Johannes Pappus, Warhaffte und wolgegründte widerlegung deß unwarhafften und falschen berichts ..., Straßburg 1611, S. 93-116 bzw. 116-144 b ; Vadian BW VI 374-389, Anhang zu Nr. 1381.]