Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2133]

Martin Bucer an
Bullinger
Straßburg,
11. April 1545

Autograph: Zürich ZB, Ms D 197d, 40r., Nr. 20 (Siegelspur) Ungedruckt

Bucer empfiehlt den unvorsichtigen [Glaubensflüchtling ...], der vielleicht der Kirche von Nutzen sein kann. Man soll für die durch die Verfolgung, die [Joristen] und die Libertiner geplagten [südlichen Niederlande], welche so manchen standhaften Bekenner hervorbringen, beten. Eustache Du Quesnoy, der früher eine Zeitlang [in Basel] bei [Simon] Grynäus wohnte und von dort aus Zürich besuchte, musste, von Frau [Jeanne de Fourmestraux] und Kindern getrennt, nach Straßburg flüchten. In Antwerpen wurden vier Menschen [...] verbrannt, obwohl ihre Angehörigen Kaiser [Karl V.] viel Geld für deren Freilassung angeboten hatten. Man soll für [Franz von Waldeck], Bischof von Münster, der vom Antichristen in Person von [Herzog] Heinrich von Braunschweig heimgesucht wird, beten.

S[alutem] d[ico]. Invicta res pertinax flagitatio. 1 Hic homo bonus 2 quidem nec indoctus est, ususque eius esse possit, si plusculum haberet prudentiae. Flagitare non destitit, ut eum tibi commendarem. Commendo igitur ut pauperem Christi et iuvari habentem necesse. Qui eius usus esse possit, ipsi statuite. Nolim gravari quemquam; nolim etiam necessaria ope destitui aut ab usu ecclesiae repelli, qui ope fratrum indigent et possunt ecclesiae usui alicui esse. Suscipite igitur hunc hominem, ut dominus vobis suggesserit, et oremus pro ecclesiis dei in Belgico, qui horrendis modis exagitantur, 3 nona tam persecutione sevissima caesaris, quam per Davidicas 4 et Iibertinas 5 pestes.

a Von non bis pestes am Rande nachgetragen.
1 Anspielung auf Lk 11,5-8. 18, 1-8.
2 Ein durch die Verfolgungen in den südlichen Niederlanden vertriebener Mann (s. unten Z. 7f). Handelt es sich dabei um Henri Le Monnier aus Arras (damals Flandern, unter kaiserlicher Hoheit), der während des Prozesses gegen Pierre Brully gesucht wurde und im Juli 1545 in Genf nachzuweisen ist? Er wird wohl durch Straßburg gereist sein, wo er eine Zeitlang Frau und Kinder zurückgelassen haben könnte, ehe er sich nach Zürich und Genf begab. Er starb zwischen dem 10. und dem 25. März 1546 in Straßburg; s. Philippe Denis, La Correspondance d'Hubert de
Bapasme, réfugié lillois a Strasbourg (1545-1547), in: BSHPF 124, 1978, 84-112; 125, 1979, 288-313 — hier BSHPF 124, 1978, 103 und Anm. 8, und S. 105.
3 Vgl. oben Nr. 2120, 91-110.
4 Die Anhänger von David Joris.
5 Calvin hatte gerade eine Schrift gegen die "Libertiner" verfasst (s. oben Nr. 2073). Veranlasst wurde sie durch die Ausbreitung dieser Sekte in der Gegend von Tournai, Lilie und Valenciennes während des Jahres 1544, wie auch durch die Tatsache, dass zwei der Hauptverfechter dieser Bewegung, Antoine Pocquet und Thierry Quintin, dem Kreise von Margareta, Königin von Navarra, angehörten; s. Bibliotheca Calviniana I 1521: CO XII, Nr. 634.


Briefe_Vol_15_253arpa

6 Id autem gratulandum illis, quod tam multos in utroque sexu dant fortissimos confessores.

D. Eustathius Quercetanus 7 , qui aliquando apud Gryneum 8 cum esset, vos, ni fallor, invisit, nunc quoque hic exulat, depulsus ab uxore 9 et liberis quatuor 10 ac patrimonio perquam lauto.

6 Vgl. oben Nr. 2120, 110-113.
7 Der Arzt Eustache Du Quesnoy, sieur de Biocbénard et de la Métairie, aus Lilie (damals Flandern), Sohn des Arztes Bauduin Du Quesnoy aus Lilie (Henri Frémaux, Histoire généalogique de la famille de Fourmestraux, in: Bulletin de la Société d'études de la province de Cambrai 10, 1907, 202 — Ciotilde Herbert, Médiathèque de Cambrai, sei hier für die Vermittlung dieses Aufsatzes gedankt); Lebensdaten unbekannt. Am 8. Februar 1531 Baccalaureus in Montpellier (Gérard Moreau, Histoire du protestantisme a Tournai jusqu'a la veille de la Révolution des Pays-Bas, Paris 1962, S. 141). Am 23. Januar 1532 Immatrikulation an der dortigen medizinischen Fakultät (Montpellier, Matrikel 65, Nr. 1047) und Doktorat in Valence (Amerbach Korr. VIII 364). Spätestens 1535 Bildungsreise durch Deutschland und Kontakte mit namhaften Gelehrten (Ulrich Hugwald, Widmungsepistel an Du Quesnoy, in De Germanorum prima origine ..., Basel August 1539; Zusammenfassung in Hieronymus, Petri, Nr. 131, S. 340), u.a. Bucer. Vor September 1535 in Basel (Henri Meylan, A propos d'Eustache du Quesnoy, in: Revue historique Vaudoise 56, 1948, 220). Anfang 1536 Immatrikulation ebenda bereits als Doktor und nicht, wie meist angenommen, als Doktorand (Basel, Matrikel 9; Albrecht Burckhardt, Geschichte der Medizinischen Fakultät zu Basel, 1460-1900, Basel 1917, S. 46, Anm. 3; berichtigt von Amerbach Korr. aao). In Basel liest er in Medizin, lernt Deutsch (Hugwald, aao) und erhält 1537 (erneut 1550 und 1551) ein Lehrangebot, das er zurückweist (Amerbach Korr. VIII 362, Z. 6f. 14-50). Am 7. Januar 1539 Heirat mit Jeanne de
Fourmestraux aus Lilie (unten Anm. 9). Am 15. März 1539 Bürger von Lilie, 1540 échevin daselbst, 1541 prud'homme, 1543 juré (Frémaux, aao). Mit den verschärften Verfolgungen und der Festnahme von Pierre Brully muss Du Quesnoy spätestens im Dezember 1544 aus Lilie weichen (Marie-Paule Willems-Closset, Le protestantisme a Lilie jusqu'a la veille de la révolution des Pays-Bas, 1521-1565, in: Revue du Nord. Revue historique 52, 1970, 201; Denis, aao, BSHPF CXXV 297). Anfang März 1545 in Evreux (Dép. Eure) (CO XII 43). Spätestens Anfang April (s. Z. 13) in Straßburg, im Juli in Lyon auf dem Weg nach Genf (CO XII 123). Am 21. November 1545 Immatrikulation in Heidelberg (Heidelberg, Matrikel I 593), wo er (obwohl nicht in Drüll) bis 1550 Medizin lehrt (CO XII 217. 249; Amerbach Korr. aao) und zwischen Mai und Oktober 1547 Briefe an seinen Mitbürger Hubert de Bapasme (Pseudonym: Martin Du Mont), seit dem 5. April 1545 als Flüchtling in Straßburg, schreibt (lenis, aao, BSHPF 124, 1978, 86-88. 91; und aao, BSHPF 125, 1979, 297-299.304. 307). Spätestens am 17. November 1550, aus Heidelberg kommend und über Basel reisend (Amerbach Korr. VIII 362, Z. 14f), ist Du Quesnoy in Lausanne nachgewiesen (unten Anm. 9). Am 22. Dezember von Viret als Nachfolger des verstorbenen Arztes Nicolas de Copeaux gewünscht (Epistolae Vireti, Nr. 62). Dass es dazu kam, ist durch Du Quesnoys Aufnahme als Bürger von Lausanne am 15. Januar 1551 zu vermuten (Eugene Olivier, Eustache Du Quesnoy et sa méthode pour l'étude de la médecine, 1549, in: Revue historique Vaudoise 45, 1937,206, Anm. 75). Am 12. Dezember 1552 zum Lehrer an der dortigen


Briefe_Vol_15_254arpa

Immolati domino per ignem his diebus sunt Antverpiae quatuor, quos cognati 40'000 aureorum redimere volebant. 11 Sed quamquam pecuniam nunc undique corradat caesar 12 animas tamen horum quam pecuniam maluit.

Pro Monasteriensi 13 orate, quem miris et gravissimis artibus petit Antichristus 14 14 per Henricum Brunsvicensem. 15

Hohen Schule anstelle von Quintin Le Boiteux ernannt (Beze, Corr. 1162, Anm. 10). Ende August und September 1556 Begleiter Calvins nach Frankfurt (CO XVI 293). Im Dezember 1556 von Bern beurlaubt (Zürich StA, E 11359, 2957), im Juli 1557 noch in Lausanne (Beze, Corr. 1179) und spätestens im September 1558 in Frankfurt (CO XVII 341). Am 26. Januar 1559 Ältester der französischen Gemeinde Frankfurts (lenis 634). Am 5. Juni 1563 zum letzten Mal in Straßburg bei Zanchi nachgewiesen (Meylan, aao, S. 223-225). Der einzige von ihm bekannte Druck entsprang seinem Unterricht in Heidelberg: Acroamaton in librum Hippocratis de natura hominis commentarius unus ... Eiusdem autoris in Cl. Galeni libros tres De temperamentis scholia ..., Basel, Johannes Oporin, Dezember 1549 (VD 16 G 198; GG 323). —Lit. (mit den obigen Angaben zu berichtigen oder zu vervollständigen): Fp 1 IV 479f; Fp 2 V 963f; Junod/Meylan 63, Anm. 1; Amerbach Korr. VIII 364, Denis, aao, BSHPF 125, 1979,297, Anm.
8 Simon Grynäus. — Diese Angabe erklärt, warum Du Quesnoy aus Basel am 2. September 1535 an Bucer schrieb, er sei mit Grynäus zufrieden und würde Letzterem folgen, falls dieser Basel verließe Mey-lan aao, S. 220 und Anm. 2). —Du Quesnoys Besuch in Zürich steht möglicherweise mit dem [1536]verfassten Brief von Simon Grynäus (HBBW VI, Nr. 746) in Zusammenhang.
9 Jeanne, 7. Kind von Pierre de Fourmestraux, Handelsmann in Lilie; s. Frémaux, aao. —Spätestens im Mai 1547 muss sie ihrem Mann nach Heidelberg gefolgt sein. Wie der am 17. November [1550] von Du
Quesnoy aus Lausanne seinem stellenlosen Freund Francisco de Enzinas alias Dryander gespendete Trost, jener habe eine Frau, die kein Hindernis für ihn darstelle, zu deuten sei (Francisco de Enzinas, Epistolario. Edición critica, hg. y. Ignacio J. Garcia Pinilla, Genf 1995 — Travaux d'Humanisme et Renaissance 290, S. 600; und - zur Begründung der ergänzten Jahresangabe - Meylan, aao, S. 221f und Anm. 4), bleibt offen, wie auch die Frage, ob die von Pierre Alexandre gegrüßte Frau in dessen Brief vom 6. Mai 1554 an Calvin (CO XV 132) dieselbe oder eine andere ist.
10 Unbekannt, außer der letzten Tochter mit dem Vornamen Isabeau. Am 29. Mai 1547 versuchten Vater und Mutter, die [drei anderen] Kinder aus "Ägypten" zurückzubekommen; s. Denis, aao, BSHPF 125, 1979, 298f. Laut Frémaux, aao, hinterließ Eustache Du Quesnoy zwei Töchter, die in Lilie heirateten. —Keinesfalls ist Josephe Du Chesne, sieur de la Violette, der aus Südfrankreich stammt und erst ca. 1544 geboren ist, ein Sohn Du Quesnoys, wie Albrecht Burckhardt, aao, und andere es behaupten; s. Olivier, aao, S. 206, Anm. 71.
11 Laut Alphonse L. E. Verheyden, Le Martyrologe protestant des Pays-Bas du Sud au XV e siècle, Bruxelles 1960, S. 174, wurden am 27. Februar 1545 Jan Davion, Germain Bousseraille und Gabriel van Hove hingerichtet.
12
13 Bischof Franz von Waldeck.
14 Das Papsttum.
15 Siehe Bucers Brief an Blarer vom 13. April 1545, Blarer BW II 358. —Herzog Heinrich d.J. von Braunschweig-Wolsen


Briefe_Vol_15_255arpa

Valete omnes in Christo.

Argentinae, 11. aprilis 1545.

M. Bucerus,

tuus.

[Adresse auf der Rückseite:] Eximio viro domino Henrico Bullingero, pastori ecclesiae Tigurinae, suo in domino observando.