Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2329]

Martin Borrhaus an
Bullinger
Basel,
7. Januar 1546

Autograph a : Zürich StA, E II 343a, 312, 312a (ohne Siegel) Druck: Füssli 247—251, Nr. 63

Dass Borrhaus Bullinger in Bezug auf [Kaspar] Schwenckfeld ermahnt hat, kann er guten Gewissens begründen. Er hatte nur eines vor: Sich für die Eintracht zwischen denen, die für das Himmelreich bestimmt sind, einzusetzen. Er braucht sich also diesbezüglich nicht weiter zu entschuldigen; doch möchte er hier richtigstellen, dass er im Gegensatz zu Bullingers Meinung im Streit über die [menschliche Natur] Christi nicht heimlich für Schwenckfeld vermittelt. Seit

a Die Ränder des Briefes sind beschädigt, was stellenweise zu Textverlusten führte. Die Fehlstellen wurden anhand eckiger Klammern und z.T. aus Johann Konrad Füsslis Ausgabe ergänzt.
40 Sultan Suleiman I.
41 Am 10. November 1545 war ein anderthalbjähriger Friede geschlossen worden; s. HBBW XV 674, Anm. 33.
42 weit entfernt.
43 Franz I. hatte gehofft. durch eine Vermittlung zwischen den Türken und dem Kaiser von diesem doch noch Mailand zu erhalten, das ihm durch den Tod seines Sohnes Charles II. von Orléans vor der geplanten Hochzeit mit Anna von Österreich wieder entglitten war; s. Johann Wilhelm Zinkeisen, Geschichte des osmanischen Reiches in Europa, Bd. 2: Das Reich auf der Höhe seiner Entwickelung 1453—1574, Gotha 1854, S. 859—884; Lenz III 384; vgl. auch HBBW XIV 462, Anm. 44.
44 Das Versprechen, die Protestanten anzugreifen; s. HBBW XV 367,36f. 368, Anm. 9. 386,75—77. Nr. 2192. 502,32. 507f,33f und Anm. 22.
45 Einrichtung.
46 Am Reichstag zu Worms wurde im Juli 1545 beschlossen, die Frage der Neubesetzung und Finanzierung des Reichskammergerichts auf den nächsten Reichstag zu verschieben; s. RTA-JR XVI/1 77. Am Reichstag zu Regensburg 1546 wurde die Sache wieder aufgegriffen (s. RTA-JR XVII 393f, Nr. 58. 408f, Nr. 63. 428f, Nr. 67), jedoch erneut verschoben (s. RTA-JR XVII 522, Nr. 109).
47 Der Schmalkaldische Bund.
48 Nicht in Blarer BW.


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sechzehn Jahren hat er nämlich keinen Kontakt mit diesem, noch hat dieser ihn gebeten, sich als Schiedsrichter einzuschalten. Vielmehr wird er von Schwenckfeld als Gegner und nicht als Freund angesehen. Wenn er also [den Zürchern]geschrieben hat [HBBW XV, Nr. 2254], ist dies auf seine eigene Initiative wie auch auf die eines Freundes [Jakob Held?](der sowohl Schwenckfeld als auch die Zürcher schätzt) zurückzuführen. Sollte Schwenckfeld tatsächlich denken, dass die menschliche Natur und ihre Eigenschaften in dem verherrlichten Christus verdrängt oder gar von der göttlichen Natur resorbiert seien, müsste man sich mit Recht vor Schwenckfelds Lehre hüten. Stünde aber die Auffassung, die dieser von der Würde und der Macht des verherrlichten menschlichen Christus hegt, im Einklang mit der Heiligen Schrift, ohne dass dabei die eine oder die andere Natur Christi zunichtegemacht oder entkräftet wäre, müsste Bullinger seine Haltung gegenüber Schwenckfeld ändern. Bullinger wird wohl nicht bestreiten, dass im gegenwärtigen Zwist vieles behauptet wurde, das eher auf sprachliche Missverständnisse als auf inkompatible Inhalte zurückzuführen ist, und dass die Streitenden möglicherweise nicht richtig begriffen haben, was die Gegenseite wirklich denkt. Bullinger wird auch wissen, wie sehr die Affekte das Urteilsvermögen der Opponenten beeinträchtigen; die Aussage von [Publilius Syrus], "Beim vielen Streiten geht die Wahrheit verloren", ist ja gut bekannt! Deshalb sollten diejenigen, die über göttliche Angelegenheiten disputieren, sich vor sich selbst hüten, zumal auch [Paulus] vor "Wortstreitereien" und vor komplizierten Debatten (wie man sie bei Schwenckfeld manchmal finden kann) warnt. Es kränkt Borrhaus, dass Bullinger die missglückten Versuche Bucers, zwischen den Zürchern und Luther zu vermitteln, mit seinen eigenen Bemühungen vergleicht. Es war ja nicht sein Ziel, zwischen den Zürchern und Schwenckfeld zu vermitteln. Zudem hätte er sich vor einem solchen Versuch gehütet, weil er sich bewusst war, dabei möglicherweise die anderen zu verärgern. Borrhaus wollte Bullinger nur die Möglichkeit bieten, sich an der Beilegung eines für die Kirche schädlichen Streites zu beteiligen. Er selbst war bereit, in diese Richtung mitzuwirken, umso mehr, als er hörte, dass Schwenckfeld sich anbot, seine Ansichten auf friedliche Weise vorzulegen. Auch wenn es mit Schwenckfeld so stünde, wie Bullinger es schildert, wäre es nichtsdestoweniger Borrhaus' Aufgabe gewesen, seinen Freund Bullinger über Schwenckfelds Vorhaben zu benachrichtigen. Trifft aber Bullingers Urteil über Schwenckfeld nicht zu, ist Borrhaus der Aufgabe eines Friedensstifters, welche die Pflicht jedes rechtschaffenen Menschen ist, nachgekommen. Die Zürcher müssen nun selbst sehen, was sie zugunsten der Eintracht tun könnten. Was Bucer und dessen Friedensbemühungen betrifft, wird Gott beurteilen. Borrhaus seinerseits kann sich nur freuen, dass er im Einklang mit gottgefälligen Ratschlüssen steht. Auch den Zürchern dürfte er nicht missfallen, würden diese ihn richtig beurteilen. Sein Anliegen ist es, der menschlichen Natur Christi, die zur Rechten Gottes erhoben wurde, die gleiche Ehre zu erweisen wie dem allmächtigen weisen Vater; eine Ehre, von der der von den Toten auferstandene Christus selbst ein Zeugnis abgab, als er sagte: "Mir ist alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben." Borrhaus' Anliegen ist es ferner, dass die mit den geistlichen Gaben Gottes beschenkten Menschen auch tatsächlich geschätzt werden. Bullinger und seine Kollegen zählen zu diesen Menschen; vielleicht aber auch Schwenckfeld. Sollte dies der Fall sein, wird Christus [auch]durch Schwenckfeld [der Welt]geoffenbart. Wenn nicht, sollte man für diesen beten.

Gratiam et pacem a domino. Quae ego de Swencfeldio 1 admonui, 2 optime Bullingere, talia arbitror esse, in quibus et conscientie meae de bona fide et tibi de syncero animo satisfacere possim. Nihil enim praeter concordiam inter eos, quos in uno coelestis tranquillitatis regno pater domini nostri lesu Christi conscripsit, conciliari exoptavi; quam scirem et ornamento fore pii[s] et in hac temporum confusione necessariam. De me igitur, quomodo tibi

1 Kaspar von Schwenckfeld.
2 Mit einem Brief vom 26. September 1545 (HBBW XV, Nr. 2254), auf den
Bullinger am 28. Oktober 1545 abweisend reagierte (aaO, Nr. 2273).


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excuser in his, quae scripsi de Swencfeldio, non existimo mihi magnopere laborandum esse. De hoc potiu[s], cuius nomine sequestrem me voluisse agere putas, purgando op[e]ram sumendam mihi duco. Conquereris tu, quia me familiariter utatur Swencfeldius, ab eo me tanquam arbit[rum] subornatum in hac ipsa de carne Christi disputatione e[t] causa. Falleris hic, pace tua dixerim, mi Bullingere. Nam neque ille familiariter me utitur, cum quo mihi iam amplius sedecim annis nulla neque vitae neque literarum consuetudo intercesserit, neque, arbitrum ut me interponerem in tam gravi controversia, unquam rogavit, sed me, cred[e] mihi, suspectum potius ut adversarium quam fidum ut a[mi]cum, cui sua permitteret, habuit. Quae igitur ego ad te scripsi de isto homine mea sponte et rogatu cuiusdam amici, utriusque vestrum studiosi, 3 scripsi.

Itaque si, quae Swen[c]feldius singularia habet de carnis Christi origine deque eius transformatione ad gloriam divinae naturae, huiusmodi s[unt], quae aut humanam naturam et eius proprietates, quaequ[e]||312v. illam necessario consequantur, tollere aut utrasque naturas temere permiscere inter se videantur, digna sane fuerit haec doctrina, a qua omnes pii abhorreant. Sin vero, quae docet ille, carnis Christi iam glorificatae et evectae ad maiestatem patris dignitatem et amplitudinem ex sententia sacrae scripture et consentanee analogiae fidei depredicant natura altera neque sublata neque utrisque invicem perturbatis, tu ipse iudicare poteris, quid hic statuendum sit, neque, ut arbitror, non probabis verisimile esse mult[a] in hac controversia inter disputandum iactari potuisse, quae verborum contentione potius quam rei inter se pugnarent. Atque, tametsi magnis viribus concertatum est in hac causa ab utrisque partibus, non propterea tamen consequuturum existimo clare novisse utrosque, quid alten sentirent. Tu enim ipse ut harum rerum peritus homo satis intelligis, quid inter pugnandum affectus possint, quam hi interdum veri iudicium perturbent et mentem de gradu deiiciant, a quibus liberi, cum sunt spectatores, saepe rem acrius perpendunt et venus iudicant quam hi ipsi, qui in lucta versantur et pulvere. Notum enim est illud comici 4 : "Nimium altercando veritas amittitur."5 Quo magis enitendum fuerit iis, qui

3 Kaum Oswald Myconius, auch wenn er den Zürchern als Erster mitteilte, dass Schwenckfeld ein Gespräch mit den Eidgenossen suchte; s. HBBW XV, Nr. 2243. Nach der harschen Reaktion Bullingers auf Schwenckfelds Angebot (aaO, Nr. 2255) beteuerte Myconius nämlich stets, er hätte nie ein solches Gespräch befürwortet (aaO, Nr. 2259). Da sich nach Myconius' Bemühungen Borrhaus für dieses Gespräch einsetzte (s. aaO, Nr. 2254), könnte er der Gastgeber gewesen sein, in dessen Haus Myconius den Gesandten Schwenckfelds (Jakob Held)
kennenlernte (aaO, S. 567,1—4). Demzufolge ist möglicherweise Held der hier erwähnte Freund, der sowohl Schwenckfeld als auch den Zürchern
4 zugetan war. 4 Publilius Syrus, 1. Jh. v. Chr., dessen "Mimen" verloren sind. Publilius' Nachwirkung geht aber auf eine Spruchsammlung, die "Sententiae", zurück, welche Erasmus bereits 1514 in Löwen veröffentlichte (s. Vanautgaerden 503), und die seitdem eine große Anzahl von Auflagen erlebte.
5 Publilius Syrus, Sententiae, N, 40.


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sacris de rebus contendere volent, ut animum ab ambitione, odio, invidia, vindictae studio et vincendi cupiditate, quae in maxima quaeque fere ingenia cadit, liberum in pugnam afferant. Nam nisi hac in re nobis caveamus, ut veritas, quam tuendam suscepimus, pure defendatur, id b fieri c nullo modo potest, sed inde greek 6 || 312ar. et obscurae disceptationes 7 , quas ego alicubi in Swencfeldio reprehendo, nascuntur.

Quod vero scribis 8 te meis literis a[d]moneri eius compositionis, cuius inter Lutherum et vos auspex Bucerus operam luserit et oleum, 9 nonnihil, ut verum fatear, gravate tuli. Neque enim ego, ut vos componerem, mihi unquam sumpsi, qui, ut id tentarem, a nemine rogatus sim. Et ego, meae tenuitatis mihi conscius, ab huiusmodi negotiis lubens abstineam; in quibus certum periculum labefactandae gratiae propositum sit, lucrum nullum. Sed hoc solum in meis literis spectavi: quomodo te admonerem, ut tu pro prudentia tua prospiceres, qua ratione recens motus in tempore sedaretur, ne is latius serpens maior ev[a]deret, quam id commodum foret ecclesiis et vestris d et exteris. Ad eam rem, si ita videretur e , me quoque operam et studium pro v[i]rili adhibiturum, quod audissem Swencfeldium nihil peraeq[ue] cupere atque locum sibi dari, in qua de universa doctrina s[ua] placide et tranquille rationem reddere posset. Quod si is hominis animus est, ut scripsi, 10 satis iustam occasionem mihi fuisse puto hac de re admonendi te, praesertim amicum meum et episcopum ecclesiae tuae, cuius praecipue inters[it] his de rebus cognoscere et iudicare. Sin vero minus is animus hominis illius, ut praedicabatur, fuit, malo dolo liberat me studium pacis et glorificandi concordi animo Christi 11 ; cuius pacis 12 omnes boni viri quam maxime debent esse stu[dio]si, 13 ad quam comparandam viam quidem me praemu[nire] voluisse non nego.

Sed penes vos quum reliquerim co[ncordiae] ||312a,v. constituendae sub arbitro verbo omnem rationem et consilium, nullius iniquioris compositionis, quam animo praesumpserim, accusari debeo. Si operam et impensam perdidit Bucerus apud vos tanquam inauspicatus sarciendae concordiae sequester, is suum inveniet iudicem, apud quem suorum studiorum rationem reddet. Quod ad me attinet, gaudeo eorum consiliorum me mihi conscium esse, qui domino probentur; et nec vobis displicere possint, si vere de meo animo iudicare velitis.

Hoc enim laboro, ut humanae naturae Christi, ad thronum dextrae dei evectae, par gloria sapientie et potentie patris tribuatur, ut hec 1 ipsa sibi iam

b id fehlt in der Vorlage.
c fieri über der Zeile nachgetragen.
d vestris et über der Zeile nachgetragen.
e In der Vorlage videreretur. —
f heac über der Zeile nachgetragen.
6 Wortstreitereien. —Anspielung auf 1Tim 6, 4 (s. auch 2Tim 2, 14).
7 Vgl. 1Tim 6, 4. 20f.
8 Vgl. HBBW XV 605,38—40.
9 Vgl. Adagia 1, 4, 62 (ASD II/1 452—454, Nr. 362).
10 Vgl. HBBW XV 605f.
11 Mk 9, 50, und passim.
12 Vgl. Kol 3, 15.
13 Hebr 12, 14.


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excitata a mortuis tribuit his verbis: "Data est mihi omnis potestas in coelo et in terra"14 , nihilque sit bonorum in regno illo augusto, quod natura humana in Christo ex unctione regia et sacerdotali 15 sacri spiritus non possideat.

Tum meum studium est, ut diligantur syncere, quos spiritus dei patris in Christo capite 16 universae perfectionis spiritualis ornatos divinis dotibus commendat. Inter quos, cum te et tuos numerandos agnosco, Bullingere charissime, vos tanquam evangelii ministros veneror et ut fratres diligo. Swencfeldius autem, si bene sentit, dominum in eo praedicandum existimo; sin minus, ut in viam redeat et bonis viris reconcilietur, Christus orandus a g me erit. Haec hominis huius et vitandi 17 et amplectendi 18 , quam Christum docet, ratio h erit.

Vale, vir clarissime cum omnibus istic fratribus, quos meo nomine amanter salutes.

Anno 46., altero Epiphaniae.

M[ar]tinus Bo[rr]h[aus].

[Ohne Adresse.]