Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2456]

Johann Leopold Frey
an Bullinger
Biel,
6. Juni 1546

Autograph: Zürich StA, E II 345, 320 (Siegelspur) Teildruck: CO XII 349, Nr. 801

Wegen Botenmangels kann Frey erst jetzt ein Exemplar [der in Bern erschienenen Schrift Bullingers "Von warer rechtfertigung eins Christen menschen"]senden. Bei der Übersetzung hat er die Bibelzitate meist an den Text älterer [deutscher]Bibelübersetzungen angepasst, um die Papisten nicht vor den Kopf zu stoßen. Leider weist diese Ausgabe sehr viele Druckfehler auf Im beigelegten Exemplar wurden sie sorgfältig verzeichnet, damit [Christoph]Froschauer bei Bedarf die Schrift in Zürich neu auflegen könnte. Der vorliegenden Sendung wurde auch eine Einleitung beigefügt. Sollte es zu einer Neuauflage kommen, kann Bullinger entscheiden, ob Freys Name erwähnt werden soll (wohl wissend, dass die Berner und die Badener daran Anstoß nehmen könnten), und ob Freys Einleitung unverändert oder in einer bearbeiteten Form erscheinen oder gar weggelassen werden soll. Da Frey sich für die vielen Fehler dieser Ausgabe schämt, hat er den Freunden und Familienangehörigen keine Exemplare davon zugesandt. Bullinger soll Frey bei den entsprechenden Personen entschuldigen. Den versprochenen Kalender legt er bei. Bullinger soll diesen Schatz gut aufbewahren. Auch eine Abhandlung Calvins über das Abendmahl [,,Libellus de coena Domini"] lässt er ihm zukommen. Die Bieler erwarten darüber von den Zürchern ein Urteil. [Guillaume]Farel und [Pierre] Viret, die vor kurzem in Straßburg waren, um sich für die verfolgten [Waldenser] einzusetzen, haben sich nun der Meinung der immer zahlreicheren "Fleischfresser"angeschlossen. Auf seiner Rückreise erzählte nämlich Farel [in Biel], dass Bucer Viret zu einem besseren Verständnis verholfen hätte. Vergebens versuchte Michael [Schlatter], mit Farel darüber zu disputieren. Dieser sagte, dass die Bieler die Angelegenheit nicht verstehen würden, dass er aber für sie beten werde. Denn seitdem er zu dieser neuen Einsicht gelangt sei, würde er während der Abendmahlsfeier Gottes Wirken stärker spüren. Er meinte ferner, dass selbst Zwingli (wenn er nicht gestorben wäre), begreifen würde, dass der Leib Christi, auch wenn dieser im Himmel ist, uns auf unfassbare Weise speist; ja dass durch die Wirkung des Heiligen Geistes Christi Gegenwart noch wirklicher sei als die der uns nahestehenden Körper! Möge man dieser List entkommen! Gruße von Freys Gattin [...], die sich für die erwiesenen Dienste herzlich bedankt. Gruße an Theodor [Bibliander] und [Rudolf] Gwalther.

Salutem a deo per lesum Christum. Mitto tandem (pater charissime) libellum hunc a me versum, 1 sed non mitto, sicut volebam, quippe mendis ubique

1 Es handelt sich um Bullingers "Praefatio de vera hominis Christiani iustificatione" (HBBW XIII, Nr. 1774), die als Widmungsepistel an Hans Rudolf Lavater in Bullingers Kommentar zum Johannesevangelium von August 1543 (HBBibl I 153) veröffentlicht worden war und die Frey 1545 übersetzte und ohne Angabe seines Namens, nur mit Erwähnung des Autors, unter dem Titel "Von warer rechtfertigung eins Christen menschen" 1546
in Bern bei Matthias Apiarius drucken ließ (HBBibl I 156). Der Druck wurde Bullinger bereits im August 1545 angekündigt (s. HBBW XV 465), erschienen ist er aber wohl nicht allzu lange vor Abfassung des vorliegenden Briefes, dem ein von Frey handschriftlich korrigiertes Exemplar beigelegt wurde. — Die zwei in Zürich ZB aufbewahrten Exemplare (III N Illb/3 und Gal. Tz 797/7) entsprechen nicht dem hier erwähnten Exemplar.


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scatentem, et nuncius hic 2 mihi serius, quam optarim, optigit. Quae citantur ex scripturis, non verti, sed sicut jam olim versa fuerunt (paucis exceptis) descripsi, ut calumniandi ansam papistis eriperem. Libellum, qua diligentia potui, recognovi, ut, si videatur opere precium, Tiguri tersior exeat. 3 Huius etiam rei gratia brevem hanc praeliminarem 4 epistolam 5 adieci, consilium meum satis explicantem. Earn ostendi fratribus, qui non improbant quidem, sed aiunt Bernatem 6 de me conqueri posse, si vident me instigante Tiguri impressum. Quare melius esse, ut sine mei nominis additione Froschouerus 7 tanquam ex sese pnelis mandet. Tu, quod videbitur, facito. Ego non curo quicquam. Cur enim aliis commandem, facile videbunt, quicunque contulerint exemplaria vetera cum novis. Proinde meam epistolam vel emenda vel muta vel etiam reiice omnino. Scio, quod hoc meo labore oleum fundam in ignem 8 dudum Badene accensum, 9 sed deus mihi murus aheneus 10 , Statueram singulis singula mitte exemplaria, sed non ausus sum tam impura. Quo nomine me excusabis apud amicos atque parentes meos.

Mitto calendarium, 11 quod pollicitus eram. 12 Phaltend 13 den edlen schatz wol.

Expectamus vestrum [iudi]cium a de Calvini, quam misi, dissertatione super eucharistie negocio. 14 Pergunt scilicet greck 15 nostri, suumque in dies numerum augent. Farellus totus illorum, qui nunc in reditu de Vireto dixit (nam cum ipso propter Gallicam persequutionem Argentoratum missus

a iudicium am linken Rande nachgetragen, wobei später der Beginn des Wortes durch Zuschneiden des Randes verloren ging.
2 Unbekannt.
3 Dazu kam es nicht.
4 vorangestellten.
5 In Bern war die Schrift ohne Einleitung oder Widmungsepistel erschienen.
6 Gemeint ist: senatum Bernatem.
7 Der Zürcher Drucker Christoph Froschauer. — Diese Übersetzung wurde in Zürich nicht nachgedruckt.
8 Vgl. Lk 12, 49.
9 Frey stammte aus Baden: s. HBBW XII 65, Anm. 4. — Auf welche in Zusammenhang mit der Verbreitung des Evangeliums stehende Begebenheit hier angespielt wird, ist unbekannt. Man weiß nur, dass Freys Beziehung zu einigen seiner Verwandten angespannt war; s. HBBW XV 241 und Anm. 21.
10 Adagia 2, 10, 25 (ASD 11/4 2921, Nr. 1925). Vgl. Sach 2, 5.
11 Vielleicht Giglio Gregorio Giraldi, De
annis et mensibus, caeterisque temporum partibus ... Eiusdem Calendarium et Romanum et Graecum. gentis utriusque solennia, ac rerum insigniter gestarum tempora complectens, magno tum historiis, tum caeteris autoribus cognoscendis usui futurum, Basel 1541 (VD16 02100). Bullinger besaß andere Schriften Giraldis (gest. 1552); s. HBBibl III 115f.
12 Mit einem nicht erhaltenen Brief.
13 "Behaltet" im Sinne von bewahrt.
14 Wohl Calvins "Libellus de coena Domini", der im März 1545 in Genf gedruckt wurde. Es handelt sich dabei um eine von Nicolas Des Gallars angefertigte lateinische Übersetzung von Calvins "Petit traicté de la Cène" (Genf 1541); s. Bibliotheca Calviniana I, Nr. 41/4 und 45/7.
15 Die Fleischfresser.


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sine illo per nos transiit)16 quod is hactenus in b ea qua nos sententia fuerit, sed audito Bucero deo summas egisse gratias, quod rem antea sibi absurdissimam visam nunc tam clare videat. Multa cum illo contulit Michael noster 17 , sed frustra. Ait nos non capere negocium et orandum esse, ut deus illud nobis aperiat; sese enim, quoties celebrat coenam, plus alimenti sentire, quam olim fide infirmior senserit; item si Zvinglius viveret, nos in hoc omnes consensuros esse quidem corpus domini localiter in coelo, sed tamen supra omnem humanae rationis captum nos praesenti sua carne et sanguine alere, sicut dixerit Ioann. 6. 18 et verba coenae 19 habeant. Et quoniam non ludificatur nos dominus, efficiente spiritu sancto Christi corpus sibi magis esse praesens quam nostra licet iunctissima corpora. 20 Det nobis deus, ut in vera fide persistentes omnes omnium imponentium strophas effugiamus! Amen.

Salutant te nostri, praesertim uxor mea 21 te tuosque omnes, quibus etiam omnibus pro exhibitis beneficiis summas gratias agit. Salutabis meo nomine tuos, item dominum Theodorum 22 , Gvaltherum, etc. Vale. Biellnis, 6. iunii 1546.

Tuus ex animo

Io. Leop. Fry.

[Adresse auf der Rückseite:] Piissimo doctissimoque viro d. Heinrycho Bullingero, patri suo charissimo. Tiguri.

b in fehlt in der Vorlage.
16 Guillaume Farel und Pierre Viret begaben sich Anfang Mai 1546 nach Basel und Straßburg, um die deutschsprachigen protestantischen Kantone der Eidgenossenschaft und die schmalkaldischen Verbündeten Deutschlands zu bewegen, sich bei König Franz I. für die verfolgten Waldenser in Südfrankreich einzusetzen. Spätestens Ende Mai befanden sich beide Gesandte wieder in Neuenburg bzw. Lausanne; s. CO XII 342f, Nr. 795; 3461, Nr. 799.
17 Michael Schlatter, der seit 1541/42 als Pfarrer in Biel wirkte.
18 Joh 6,26-71.
19 Mt 26, 26-28 par.
20 Der hier bezeugte Meinungswandel und wohl auch der Wunsch, zwischen den streitenden Parteien in Bern zu vermitteln, wird Pierre Viret veranlasst haben,
im März 1548 sein umfangreiches und dem Berner Rat gewidmetes Werk "De la vertu et usage du ministere de la parolle de Dieu, et des sacrements, dependans d'icelle, et des differens qui sont en la chrestienté, à cause d'iceux" in Genf drucken zu lassen (GLN 1468). Die hier geäußerten theologischen Behauptungen entsprechen tatsächlich dem Inhalt dieser Schrift (s. bes. f. c3v.-c5v., S. 113-116. 123. 264-289. 304-313. 518-544), ohne dass Viret darin auf das hier erwähnte Erlebnis in Straßburg je angespielt hätte. Desgleichen findet man in dieser Schrift (S. 132-136) eine klare Würdigung der Einheitsbemühungen Bucers im Abendmahlsstreit, doch wiederum ohne jegliche Erwähnung Bucers.
21 Unbekannt.
22 Theodor Bibliander.