Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2597]

Bullinger
an Philipp von Hessen
Zürich,
25. September 1546

Autographe Ausfertigung: Marburg Hessisches Staatsarchiv, 3, 1797 (PA 1797), 50r.—51v. (Siegelspur)

Autographer Entwurf: a Zürich StA, E II 337a, 378 Ungedruckt

Am 20. September erhielt Bullinger das im Feldlager in Wechingen ausgestellte Schreiben Philipps von Hessen vom 12. September [Nr. 2581]. Er ist sehr dankbar, dass Heinrich Thomann in der landgräflichen Kanzlei untergebracht wurde. Bullinger war auch am Bericht über die vom 29. August bis 6. September stattgefundenen Kriegshandlungen zwischen den [Schmalkaldenern] und Kaiser [Karl V.] sehr interessiert. Gott möge dem Landgrafen weiterhin beistehen! Bullinger hat dessen Schreiben auch den Zürcher Ratsherren gezeigt. Sie haben sich darüber sehr gefreut. Zwar sind sie den [Schmalkaldenern] nicht offiziell mit Truppen zugezogen, doch helfen sie diesen, zusammen mit den drei anderen [protestantischen] Orten (Bern, Basel und Schaffhausen), auf effizientere Weise. Philipp wird nämlich wissen, wie die Neun Orte, die beim alten Glauben bleiben wollen, vom Kaiser und vom Papst [Paul III.] umworben werden. Wenn nun die [Vier eidgenössischen protestantischen Orte] in den Krieg aufseiten der [Schmalkaldener]zögen, würden die katholischen Orte, die keineswegs schwach sind, aufseiten des Kaisers, ja sogar gegen die Vier Orte ziehen. Demzufolge sind die Verhandlungen und das Stillsitzen der Letzteren Philipp von Hessen und den [Schmalkaldenern] dienlicher [als ein offener Kriegseintritt]. Heute hat Bullinger von einem zuverlässigen Mann [Itelhans Thumysen oder Johannes Haab]erfahren, dass die [katholischen] Gesandten der Fünf Orte auf dem Tag zu Baden dem Gesandten Frankreichs [Antoine Morelet du Museau] deutlich machten, dass sie, falls König Franz I. oder die Vier Orte aufseiten der [Schmalkaldener] in den Krieg zögen und deshalb wegen ihres Glaubens in Bedrängnis gerieten, dem König das [Sold]bündnis [von 1521] und ihren Eidgenossen die Bündnisse aufkündigen und an ihrem Glauben festhalten würden. Man gab ihnen zu verstehen, dass man

a Im Apparat werden nur Abweichungen mit sinnveränderndem Wortlaut verzeichnet.
1546 als Diakon in Augsburg ohne feste Kirche angenommen (s. Pf-Augsburg 29) und kehrte am 5. März 1547 nach Zürich zurück (s. Wolfgang Musculus an Bullinger, 5. März 1547, Zürich StA, E II 360, 83).


Briefe_Vol_17-499arpa

nicht durch sie gebunden sei. Doch kann der Landgraf hieraus entnehmen, wie es der Sache schaden würde, wenn die Vier Orte aufseiten der [Schmalkaldener] offen in den Krieg eintreten würden. Im Notfall werden sie sich bestimmt wegen ihres gemeinsamen Glaubens behilflich zeigen. Grüße von Bürgermeister Hans Rudolf Lavater, der sich gänzlich für die [Schmalkaldener] einsetzt. Auch Bullinger bietet dem Landgrafen seine Dienste an. Der Herr verleihe Geduld, Klugheit und Kraft im Kampf gegen die Feinde, damit die armen Christen von der [päpstlichen]Tyrannei der Endzeit und das bedrängte Deutschland vom Joch der [Italiener und Spanier]befreit werden!

Durchlüchtiger, hochgeborner fürst, gnediger herr, uwern fürstlichen gnaden siend min underthänig, willig dienst alle zyt bevor. Gnediger herr, uwer fürstlichen gnaden gnedigs zuschriben 1 , des datum zu Wachtingen 2 imm feldläger des 12. septembris stadt 3 , hab ich des 20. septembris mitt höhsten fröüden empfangen, dann ich daruß verstanden, das u[wer] f[ürstliche] g[nad] mich kleinfügen 4 miner pitt, Heinrychen Thoman in u. f. g. cantzly ze nemmen, 5 gewäret hat. Dorumb u. f. g. ich zum höchsten dancken mitt erbietung u. f. g. in allem dem, das mir müglich ist, ze willfaren.

So b hatt mich c nitt minder c erfröwt die flyssige verzeichnung der kriegshandlung zwüschen u. f. g. an einem und dem keyser 6 am anderen teyl glücklich von dem 29. augusti biß uff den 6. septembris vollfürt 7 welche u. f. g. mir unverdienten gnädiklich mittgeteylt und zugestellt hatt. Gott wolle fürohin u. f. g. d wyßheit gunst d , stercke, gedult und syg wider unsere find verlihen. Dorumb wir inn dann ouch ernstlich bittend und umb das gut und umb die gnad, so er u. f. g. bißhar verlihen, danckend.

U. f. g. thun ich ouch ze wüssen, das u. f. g. gnädigs zuschryben ich minen gnedigen herren 8 angezeigt und fürbracht hab, welche grosse fröüd darab empfangen habend, alls 9 sy dann u. f. g. wolfart von hertzen begirig sind, söliche ouch irem besten vermugen nach fürderend. Dann ob sy glich wol u. f. g. mitt irem offnen zeychen 10 nochmals nitt 11 e zuzogen sind e , thund

b Im Entwurf über gestrichenem Insonderheit aber. —
c-c Im Entwurf über gestrichenem vil mee. —
d-d Im Entwurf gnad, wyßheit. —
e-e Im Entwurf zogen sind über gestrichenem ziehend.
1 Brief Nr. 2581.
2 Wechingen (Lkr. Donau-Ries, Bayern).
3 steht.
4 geringen Menschen.
5 Vgl. Nr. 2581,4-6. Den Grund dafür erfährt man aus den im Herbst 1546 verfassten Briefen Heinrich Thomanns: die Zürcher wollten nämlich nicht, dass die katholischen Fünf Orte etwas über diese Gesandtschaft erfahren; s. EA IV/1d 736 (4. September); 737 (16. September: "Würden die Eidgenossen der päpstlichen Religion das innewerden, so würde es heißen, die von Zürich hätten ihre Botschaft bei den Fürsten"); 738 (22. September: "Es sei das Erwähnte [nämlich das Geheimhalten von Thomanns Gesandtschaft] nicht aus Furcht, sondern
zum Besten der Eidgenossenschaft geschehen [...]. Würden indeß die V Orte von dieser Botschaft Kenntniß erhalten, so würde hierüber Unwillen entstehen und sie würden ihre Botschaft sofort auch zum Papst oder Kaiser senden"). Diese vorsichtige Haltung wurde von dem Berner Gesandten Hartmann [III.] von Hallwyl kritisiert; s. aaO, 738 (22. September) und 739 (25. September).
6 Karl V.
7 Die in den Beilagen zu Nr. 2581 verzeichneten Kriegshandlungen.
8 Den Zürcher Ratsherren.
9 genauso wie.
10 Banner.
11 nochmals nitt: bisher noch nicht.


Briefe_Vol_17-500arpa

sy doch sampt den andren 3 orten (Bernn, Basel und Schaffhusen) f das u. f. g. und deren verwandten nützer und besser ist. ||50v. Diewyl u. f. g. wol wüssen mag, was träffenlichen wärbens von keyser und bapst 12 täglich an die anderen eydgnossen der 9 orten 13 beschicht, ouch weß gemüts gedachte g Eydgnossen gewesen und noch sind, namlich by dem bäpstischen glouben ze verharren, etc., so nun die unsern söltend mitt iren offnen zeychen uß dem land zyechen, wurde ungezwifflet die widerparth h , deren macht nitt klein noch ze verachten ist, uff die anderen syten, ja wol so bald uff uns selbs ziehen. i Derhalben durch der unsern underhandlung und stillsitzen (damitt 14 die widerparth ouch j still gestellt j ) ki nitt ein kleine behilff und fürdernuß u. f. g. und iren verwandten 15 bewisen wirt. 1

U. f. g. mag ich ouch das nitt bergen, das mir dises tags ein eerlicher, fürträfflicher mann 16 guter meynung vertruwt hat, das der fünff Orten botten 17 uff diser wuchen gehalltnem tag zu Baden 18 gägen der französischen bottschafft 19 sich heyter m20 mercken lassen, so ferr sich könglich maiestat ze Franckrych 21 , oder ire Eydgnossen von den 4 orten sich in disen krieg mischen und dahin trachten und hälffen wöltind, damitt sy von irem glouben 22 getrengt, etc., wurdent n sy der k[önglichen] m[aiestat] o ze Franckrych o die vereinigung 23 , und iren Eydgnossen die pündt heruß gäben 24 und wyter besähen, wie sy irem glouben ouch bystand und hilff thättend. 25 Und wiewol sy hierüber gebürliche 26 antwort empfangen, das p sy wol verstanden habend, daß man an sy nitt wil gebunden sin, etc., yedoch sicht und erlernt u. f. g. hieruß, wie es u. f. g. nitt geradten noch der gantzen sach gut und ||51r. fürstendig 27 sin wurde, wenn min gn[edig] herren sampt den anderen 3 orten 28 dem evangelio anhängig u. f. g. mitt iren offnen zeychen zu veld ze

f Klammern ergänzt.
g Im Entwurf bißhar gedachte. —
h Im Entwurf widerparth, so dem bapsthumb noch anhangt über gestrichenem Lucern, Un, Schwytz, Underwalden, Zug, Glaris, Fryburg, Solothurn, Appenzell und das land Wallis. —
i-i Im Entwurf über gestrichenem Da aber ir macht nit klein und deßhalb, das sy bißhar guetlich uffgehallten. —
j-j Im Entwurf amheimschen behallten. —
k Klammern ergänzt.
1 Im Entwurf folgt Und so vil mee, das u. f. g. one unß mitt redlichen lüten gnugsam von den gnaden Gottes gefasset ist [gefasset mitt = versehen] über gestrichenem Dann wie häfftig insonders die V Ort fiend, mag u. f. g. uß dem ermässen. —
m Fehlt im Entwurf.
-n Im Entwuif wöltend. —
o-o Fehlt im Entwurf -
p Im Entwurf nach gestrichenem das sich k. m.
12 Paul III.
13 Appenzell, Freiburg, Glarus, Luzern, Schwyz, Solothurn, Unterwalden, Un und Zug.
14 womit.
15 den schmalkaldischen Verbündeten.
16 Itelhans Thumysen oder Johannes Haab, die am Abend des 25. September gerade von der Badener Tagsatzung zurückgekommen waren; s. Nr. 2598,1.
17 Die Namen dieser Boten sind in EA IV/1d 680 aufgezählt.
18 Die Tagsatzung zu Baden, die am 20.
September begonnen hatte; s. EA IV/1d 680-688, Nr. 314.
19 Antoine Morelet du Museau; s. Nr. 2598, Anm. 9.
20 deutlich.
21 Franz I.
22 dem katholischen.
23 Siehe dazu Nr. 2598, Anm. 21.
24 heruß gäben: aufkündigen. 25 Vgl. Nr. 2598,2-12.
26 angemessene.
27 dienlich.
28 Basel, Bern und Schaffhausen.


Briefe_Vol_17-501arpa

ziehen undernämind. Imm faal aber der nodt, bin ich gar guter hoffnung q , die unsern 29 werdint sich gar trostlich 30 erzeigen, r wie dann eins gloubens und glychförmiger religions pflicht' erforderet. Und mag deßhalb u. f. g. sich alles guten und aller trüw zu s minen gn. h[erren]s versähen 31 .

Es last u. f. g. gar früntlichen grüssen herr Johan Rodolff Lavatar, Burgermeister, welcher u. f. g. wolfart, heyl und syg zum höhsten begärt, und die zu fürdern mitt allem sinem vermugen gantz willig ist. 32

Was u. f. g. ich aber mitt allem minem dienst, und sunders in diser nodt und gfaar, zu gefallen und fürdernuß ze thun vermöchte, wölte ich ungespart mitt trüwen und gutem willen thun.

Gott Sabaoth 33 wölle u. f. g. sampt iren mittverwandten gedullt in der grossen arbeit, verstandt in disen geschwinden löüffen, ouch krafft t wider der finden macht verlihen, uff das u. f. g. das armm Christen volck uß der endtchristischen tyranny 34 , und das getrengt tütsche land, unser aller liebs vatterland, von dem joch der dückischen Walchen 35 erledigen möge. Der herr lesus Christus sye u. f. g. hertz und krafft, verlihe syg zu pryß sines heiligen namens.

Datum Zürych, des 25. septembris anno 1546.

U. f. g. gantz williger diener

Heinrych Bullinger. u

[Adresse auf f. 51v.:]v Dem durchlüchtigen, hochgebornen christenlichen fürsten und herren, herren Philipsen Lantgraven zu Hessen, graven zu Catzenelnbogen, etc., sinem gnedigen fürsten und herren.

q Im Entwurf folgt gestrichenes alle frommen. —
r-r Im Entwurf wie dann die religion und einmüigen gloubens pflicht. —
s-s Im Entwurf den unsern. —
t 'Im Entwurf folgt gestrichenes und macht. —
U Entwurf ohne Unterschrift.
V Entwurf ohne Adresse.
29 Die vier protestantischen Stadtkantone der Eidgenossenschaft.
30 behilflich. 31 sich versähen: erwarten.
32 Vgl. Nr. 2585,27.
Siehe dazu Nr. 2505, Anm. 41.
34 endtchristischen tyranny: päpstlichen Macht der Endzeit.
35 Hier: Italiener und Spanier.