Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2667]

[Gervasius Schulen
an Bullinger
Memmingen,
10. November 1546

Autograph: Zürich StA, E II 361, 337 (Siegelspur) Ungedruckt

[1]Schuler schrieb vor etwa drei Wochen [mit Nr. 2646], hielt sich aber bei seiner Nachrichtenübermittlung sehr zurück, um die Briefboten nicht in Gefahr zu bringen. Leider war er säumig, als das Briefeschreiben noch problemlos möglich war. Jetzt würde er gerne schreiben, darf es aber nicht mehr ... — [2] Der Überbringer [...] dessen Glaubwürdigkeit Bullinger bekannt ist, wird über den Stand des Krieges berichten. Er ist ein frommer Patrizier, der als Fähnrich ein Fähnlein von Memminger Bürgern anführt. Es befinden sich etliche eidgenössische Söldner aus Zürich in der Garnison. Sie halten sich tapfer und wohl. Wenn alle Söldner so wären, könnte man vieles ausrichten! [3] Die [Schmalkaldener] kämpfen auf viel zu rücksichtsvolle Weise, was sich die Papisten mit unverschämter Frechheit zunutze machen. [Kardinal Otto Truchsess von Waldburg], der wütende fleischliche (carnalis) [Bischof] von Augsburg, führt sich wie ein Vaterlandsverräter auf Beim Abzug [der Truppen] wird er wohl sein Land wieder einnehmen, wenn Gott dies nicht verhindert. [4]Ansonsten ist in diesem Jahr kein feindlicher Angriff mehr zu befürchten. Was der Frühling bringt, wird sich zeigen. Bestimmt wird der schon gewesene Kaiser [Karl V.] noch alles gegen die [Schmalkaldener] unternehmen und sich eher mit [Suleiman L] verbünden, [als aufzugeben]. Das vermag das Motto "Plus ultra" dieses wahrheitsfeindlichen Tieres! [5] Halten wir uns daher an Gott, damit wir mit seiner Gunst als fromme Deutsche einander treu bleiben, um das Evangelium und die Freiheit des Vaterlands zu bewahren! Schuler und andere spüren ganz deutlich, dass Bullinger seine frommen Zürcher auch dahingehend ermahnt. [6] Gruße an [Anna, geb. Adlischwyler], an die Kinder, an [Konrad]Pellikan, Theodor [Bibliander] und an alle Kollegen. Grüße von Bürgermeister [Balthasar]Funk, vom Arzt Ulrich [Wolfhart]sowie von allen Kollegen, besonders Johannes Schmid. Der Herr möge [Bullinger und die Seinen] bewahren! [7] P.S.: Die Memminger sind wohlauf und erwarten das Kommen des Herrn.

S. Fruntlicher, lieber herr und pruder. Ich hab üch vor trey wochen ungefärlich 1 1 geschryben, 2 gleychwol nitt noch 3 meyns hertzen lust in ansehen der gefarlichen leuff, dorinnen gut und noth ist, der potten zu verschonen. 4

47 Schlacht, Attacke; s. FNHDW IX/1 1006.
48 So auch in den in oben Anm. 43 erwähnten Briefen Thomanns und Konstanz'. — In Nr. 2643,21f mit Anm. 11, werden ebenfalls Beschlagnahmungen von Pferden und Eseln gemeldet, die aber vermutlich mit anderen Scharmützeln (vom
21. bzw. 22. Oktober?) in Verbindung zu bringen sind.
1 ungefähr.
2 Mit Brief Nr. 2646 vom 28. Oktober.
3 nach.
4 Vgl. Nr. 2646,4f. 17f. — Gleichfalls aus


Briefe_Vol_18-257arpa

Dorumb welt mir meyn schreyben zu gut halten. Do 5 ich wol dorfft, was ich hinlesig 6 . Yetzund, so ich gern wolt, darff ich nitt. Ist ein rechts deckely über daß häffelin 7 .

Wie eß der kriegßleüff halb a bey unß stande, werden ir auß zeygern dißes brieffs wol und gnugßam erfaaren, dem ir hierinnen alles vertrawen 8 dörffen, wie ir wol wyßt. Er ist fendrych uber ein fendlin burger in unßer statt und haltet sich in dißer unßer trübsal treffenlich wol wie ein frommen patritio 9 wol anstaht und gepurt. 10 Wir habend ettlich Eydgnoßen von Zurch under eynem fendlin in unßerem zusatz 11 , treffendlich, redlich leut, die sich seer wol halten. Wie wolten wir, wo 12 wir solcher leuten ettlich taußend hetten, so vyl gutz außrichten! Sy frewenn mich in meynem hertzen.

Dorneben dunck mich, wir kriegen mitt zu vyl barmhertzigkayt, deren sich die ellenden papisten zu vyler frechhayt und mutwyll geprauchend. Der carnalis 13 von Ougspurg ist gar unsinnig wietend und roßen 14 . Er halt sich, wie ein veräther synes eygnen vatterlands wol ansteht b . Wir versehend unß eynes streüffs yetzund im abzug 15 : der Otto werd sein land wider einemen, wo es nitt gott mitt seinem myttel c underlaufft 16 .

Eß ist sich sunst bey unß diß jars einches einfols 17 nitt d zu besorgen. Was sich auff den fruyling zutragen, wirt die zeyt in erfarung bringen. Des versehen sich alle verstendigen, der Karle, geweßener kayßer, 18 werd auß geytz, neyd, hass und hochfertigem 19 , tyranneschem gemut all sein macht an unß

a Am Rande nachgetragen.
b wol ansteht am Rande nachgetragen.
C In der Vorlage wyttel. —
d Über der Zeile nachRetraRen.
Vorsicht hatte Schuler im vorhergehenden Brief nur mit seinen Initialen (s. Nr. 2646,26-28) und im vorliegenden überhaupt nicht mit seinem Namen unterschrieben.
5 Als.
6 nachlässig; s. SI III 1415.
7 Topf. — Zu diesem Sprichwort (hier ironisch) vgl. Wander I 566f s.v. Deckel; IV 1266-1275 (passim) s.v. Topf.
8 glauben.
9 Dativ von patricius (Patrizier).
10 Unbekannt. —Dafür, dass es sich bei dem Reisenden eher um einen Zürcher als um einen Memminger Patrizier handelt, spricht die Beobachtung, dass Bullinger ihn gut kannte. Ob damit der Wundarzt Fridli (Friedrich) Wirth (Hospinian) gemeint ist, dem Bullinger einige Wochen später einen Brief zukommen ließ (s. Nr. 2707,21f), muss offen bleiben, da nicht
bekannt ist, ob er ein Zürcher Großrat war. — Zu den Namen zweier Fähnleinführer aus Memmingen s. Christoph Schorer, Memminger Chronik, Memmingen 1660, S. 84.
11 Hilfstruppe, Garnison; s. SI VII 1569. 1571.
12 wenn.
13 Wortspiel mit "cardinalis", hier Kardinal Otto Truchsess von Waldburg, Bischof von Augsburg.
14 zornig; s. SI VI 1438.
15 Zu verstehen: Wir erwarten einen Angriff (s. SI XI 2133) beim Abzug (der Truppen aus Süddeutschland).
16 verhindert.
17 einches einfols: eines Angriffs.
18 Karl V. — Offenbar erwartete Schuler dessen unmittelbare Absetzung oder Niederlage.
19 stolzem, anmaßendem.


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legen 20 und ee den Turcken 21 an sich zuhencken 22 . Das vermag das "plus ultra"23 ! Dorzu ist kein pößer 24 thier auff erden dann ein gottloßer feind der worhayt.

Dorumb, freuntlicher, lieber pruder, es von nöthen sein wirt, das wir unß rechtgeschaffen zu gott schicken 25 dormitt wir sein huld 26 habind und dornach die köpff all in ain koppen stoßind und als fromme Tütschen einanderen mitt truwen meynend 28 , das wir bey seinen heyligen wort und freyhayt unßers vatterlands pleyben mögen. Do hin welt ouch uwere frommen Zurcher vermanen, wie mir nitt zweyfflet, das ir thundt, und wir es hie ußen 29 wol endpfinden. So wellen wir sonder 30 zweyffel gott[s]e gewaltige hand mitt frewden erfaren.

Grüßen mir zu tauß[end] malen uwer lieb hausfrow 31 und kinder 32 , herren Pellicanum, dominum Theodorum 33 und alle lieben pruder. Eß grüßt uch consul Funckius 34 d. d. Huldrichus medicus 35 und alle lieben pruder, Joannes Schmyd 36 sonderlich. Der herr erhalte üch zu fruchtseliger arbayt in seinem weyngarten 37 in langem leben!

Geben zu M[emmingen], 10. novembers anno 1546.

Uwer alter lieber frund und pruder manu propria.

Wir sind alle frisch und gesund und warten mitt dult 38 des herren stünd.

[Adresse auf der Rückseite:] Dem frommen gottsgelerten herren m. Heinrich Bullinger, prediger des evangeliums Christi zu Zurich, meynem fruntlichen, lieben herrenn unnd pruder.

e Textverlust hier und unten durch Papierverlust.
20 ausüben; s. Fischer IV 1099. — In Anbetracht von unten Z. 45 verbirgt sich hier vermutlich eine Anspielung auf Dan 11, 29-45.
21 Suleiman I.
22 anhängen, binden; s. Grimm XXXII 454.
23 Das Motto Karls V.
24 böseres.
25 zu gott schicken: in Gott fügen; s. SI VIII 507.
26 Gunst, Gewogenheit.
27 Wie "Koppel" bzw. "Kuppel": ein Gespann für mehrere Tiere; s. Fischer IV 857.
28 mitt truwen meynend: einander Treue erweisen.
29 hie ußen: hier draußen (in Memmingen). 30 ohne.
31 Anna, geb. Adlischwyler.
32 Zu deren Namen s. Nr. 2604, Anm. 25.
33 Theodor Bibliander.
34 Balthasar Funk, Altbürgermeister; s. Nr. 2646, Anm. 1.
35 Der Arzt Ulrich Wolfhart (gest. am 26. April 1558 im Alter von 62 Jahren; s. Schorer, aaO, S. 92).
36 Johannes Schmid, Helfer Schulers an der Hauptkirche St. Martin in Memmingen; s. HBBW Xa 71; Culmann, Schuler 92.
37 Vgl. Mt 20, 1-16.
38 Geduld.