Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2760]

[Peter Medmann]
an Bullinger
[Buschhoven]2
20. Januar 1547

Autograph: Zürich StA, E II 441, 706-709 [Anfang] und E II 355, 124 [Schluss](Siegelspur) Druck: Pollet, Relations II 171-179, Nr. 48 a

[1] Sicherlich wird Bullinger jenen Brief [HBBW XVIII, Nr. 2665, vom 8. November 1546] erhalten haben, den Medmann während seines kurzen Aufenthalts im [schmalkaldischen] Feldlager in Giengen [a.d. Brenz]geschrieben hatte. Zudem wird gewiss der Berner [Gesandte Hartmann von]Hallwyl Medmanns Grüße ausgerichtet haben. 3 Doch erst jetzt ist es Medmann möglich, Bullingers ausführlichen Brief vom 31. Mai 1546 [nicht erhalten](den der aus Bonn stammende Bote [...]4 überbrachte) zu beantworten. Er wurde davon durch Reisen und auch aus Mangel an zuverlässigen Boten abgehalten. [2] Er ist auch weiterhin ziemlich beschäftigt und schreibt daher in großer Eile. [Zunächst möchte er betonen], wie glücklich er ist, dass Bullinger ihn zu seinen Freunden zählt! Er wird sich dessen würdig erweisen und hofft auf eine Fortsetzung ihres Briefwechsels. Bullinger kann seine an ihn gerichteten Briefe an Johannes Sturm in Straßburg zur Weiterbeförderung schicken. Er soll sich aber bewusst sein, dass Medmann keinesfalls ein so herausragender Mensch ist, wie es der Freund Dr. [Gerhard]Westerburg während seines Besuches in Zürich [im Juli 1545]behauptete! Allerdings wird er sich wie schon früher Bullinger und den [Zürchern] als treu und behilflich erweisen. [3] Derzeit kommt er kaum dazu, weiter zu studieren. Nur dem gottgefälligen, bärtigen, betagten [Kölner Erzbischof und Kurfürst Hermann von Wied] und dessen [Reformations]vorhaben zuliebe harrt er weiterhin am [bischöflichen]Hof aus. Dort halten sich nur noch wenige Anhänger der wahren Religion auf und diesen droht nun Kaiser Karl V. mit dem Tod. Ungeachtet der Goldenen Bulle [von 1356]und des dem Erzbischof gegebenen Eids 5 geht der Kaiser mit allen Mitteln gegen Letzteren vor, wobei dieser doch nur vorhat, die Kirchen nach Gottes Wort zu reformieren. Seine Gegner bemühen sich, ihn mit Hilfe des Kaisers abzusetzen. Am 24. Januar wollen sie in Köln über die Wahl eines neuen Bischofs beraten!

a Pollets Vorschlag auf S. 172, Anm. a, reponere mit deponere zu ersetzen, ist falsch. Ferner ist auf S. 177, Z. 96, das Wort iuventus (richtig inventus) einer falschen Lesung Pollets und nicht einem Schreibfehler Medmanns zuzuschreiben.
1 Der Absender hat lediglich mit unlesbaren Initialen unterschrieben. Dass der Brief von Medmanns Hand stammt, ergibt sich aus einem Handschriftenvergleich mit Medmanns Brief vom 10. April 1546 (HBBW XVI, Nr. 2419).
2 Die unten bei Anm. 26 angegebene Entfernung sowie ein Vergleich mit dem oben in Anm. 1 erwähnten Brief Medmanns führen zu diesem Schluss, der auch durch die Angabe bei Hansgeorg Molitor, Das Erzbistum Köln im Zeitalter der Glaubenskämpfe, 1515-1688, Köln 2008, S. 159, über Hermann von Wieds Aufenthaltsorte in seinen letzten Lebensjahren erhärtet wird.
3 Hallwyl reiste am 16. November 1546 aus dem schmalkaldischen Feldlager in die Eidgenossenschaft zurück; s. HBBW XVIII 197, Anm. 44.
3 Medmann hatte diesen Boten mit seinem Brief HBBW XVI, Nr. 2448, vom 18. Mai 1546 nach Zürich gesandt. — Aus vorliegender Stelle geht nun hervor, dass Bullinger am 31. Mai 1546 mit demselben Boten geantwortet hatte.
5 Anspielung auf die Wahlkapitulation Karls V. vom 3. Juli 1519, veröffentlicht in Quellen zur Geschichte Karls V., hg. v. Alfred Kohler, Darmstadt 1990, S. 55.


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Daraus wird wohl nichts werden, obwohl der Kaiser in dieser Sache den Herzog von Kleve [Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg], den Herrn von Corney und von Gelderland [Philip de Lalaing] sowie Viglius von Zwichem als Anwälte ernannt hat. Bullinger wird vielleicht schon über Zwichem durch Erasmus' Schriften 6 oder durch Zwichems Kommentar zu den "Institutionen" des Zivilrechts 7 gehört haben. Viele, die mit ihm gesprochen haben, sagen, dass er nicht sehr bibelfest sei. Ach, könnte sich doch Medmann persönlich darüber mit Bullinger unterhalten oder ihm alle entsprechenden Schriften zukommen lassen, damit die Eidgenossen die Absichten des Kaisers klar durchschauen! Medmann denkt oft über die Gründe nach, die die so angesehenen Helvetier davon abhalten, sich stärker für die Verteidigung der Religion und der Freiheit des [deutschen] Vaterlandes einzusetzen. Warum merken sie denn nicht, dass Karl eine Monarchie und die Unterdrückung der Religion anstrebt? In "Belgien"8 hat er eine neue Verfolgung angeordnet, lässt aber weiterhin schriftlich und durch Abgeordnete verkünden, dass er nicht vorhabe, die Religion anzugreifen! Was für eine Heuchelei! Und welche Blindheit aufseiten der Protestanten, die noch immer nicht jenen Spruch Davids begriffen haben: "Sie lieben die Lüge. Sie segnen mit ihrem Mund, in ihrem Herzen aber fluchen sie"9 ! — [4] Medmann will sich bemühen, seinen vorliegenden Brief nicht zu kurz zu halten. Gott möge die von Bullinger selbst erwähnten und zugunsten der Kirche unternommenen Arbeiten segnen! Viele Geistliche im Bistum Köln benutzen heutzutage seine [Bibel]kommentare. [5] Der schmähsüchtige Johannes Campanus wurde vom Herzog von Kleve gefangen genommen und in die Burg Wassenberg 10 im Jülicher Land gesteckt. 11 [Sein Verständnis des] Heiligen Geistes 12 entspricht genau den Äußerungen, die Bullinger darüber [in seinem Brief] gemacht hat! Medmann besitzt Campanus' geschwätzige Schrift über das Fegefeuer. 13 Sie gefällt den Kölner Theologen ganz gut, obwohl diese einst den Autor für einen Ketzer hielten. Doch polemisiert dieser in seiner Schrift gegen Luther, Bucer; Melanchthon und Zwingli. Er verhält sich dabei so, als besäße er allein das richtige Verständnis der Schrift seit der Zeit der Apostel! Im zweiten Buch [seiner Schrift] erkennt er den römischen Bischof als Kirchenoberhaupt an. Diejenigen, die diesen dem Antichrist gleichstellen, bezeichnet er als Schismatiker. Er billigt sogar die Messe! Ja, er will das ganze Papsttum erneut aufrichten. Er scheint den Protestanten allein das Abendmahl unter beiderlei Gestalt zuzugestehen. Im dritten Buch, das er Hermann von Wied, dem Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen und dem Landgrafen Philipp von Hessen gewidmet hat, vertritt er viele Ansichten, die weder von der Kirche noch von anderen Leitungsgremien geduldet werden können. Sollte Bullinger Campanus' Schriften jemals zu Gesicht bekommen, wird er sich gewiss über diesen schwindelhaften Geist verwundern! [6]Medmann hätte diese Schriften gerne mit dem gegenwärtigen Boten [...]geschickt, doch lauern derzeit überall Gefahren wegen des Krieges. Sollte aber die Frankfurter [Frühjahrs]buchmesse stattfinden, 14 wird Medmann Bullinger diese Schriften zusammen mit einigen anderen über das Reformationsvorhaben im Bistum Köln (die die Verschlagenheit des Kaisers zutage bringen) zukommen lassen. Von seinen Kölnern kann Medmann nichts Gutes erhoffen; sie werden täglich durch Briefe des Kaisers und des römischen "Aposcopus" [Papst Pauls III.] bestärkt. Wenn doch nur die tapferen Helvetier diese Briefe an einer ihrer Tagsatzungen zu lesen bekämen! Sie würden sogleich die Tücken des Kaisers erkennen. [7] In Köln wusste
6 Siehe Contemporaries III 393-395.
7 In Basel 1534 gedruckt (VD16 A4525).
8 Damit ist ein Gebiet gemeint, das sich vom nördlichen Teil Frankreichs über das heutige Belgien bis hin zum südlichen Teil der Niederlande erstreckt.
9 Ps 62 (Vulg. 61), 5.
10 Wassenberg (Kreis Heinsberg, Nordrhein-Westfalen), damals zum Herzogtum Jülich gehörend.
11 Diese Stelle liefert, wie Pollet, Relations
II 175, Anm. 1, es bereits hervorhebt, einen wichtigen Hinweis für die Datierung von Campanus' Festnahme, die sonst auf 1553/54 oder "zwischen 1547 und 1555" (so Bucer BW VII 429) angesetzt wird.
12 Zu Campanus' Ansicht s. George Huntston Williams, The Radical Reformation, Kirksville (Missouri) 1992, S. 469.
13 Siehe dazu HBBW XVI 410, Anm. 2.
14 Im Jahr 1547 fiel diese aus.


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Medmann noch nichts von Bullinger, zumal er dorthin erst 1522 von Emmerich zurückkehrte. 15 In Emmerich ließ er sich unter dem Rektor Caspar [von Glogau] aus Schlesien 16 immatrikulieren. Sein Hauslehrer war Heinrich [Uranius] aus Rees 17 der immer noch dort unterrichtet. Als öffentlichen Lehrer hatte er Johannes von Elen [d.J.]18 (der jetzt in Münster in Westfalen wohnt) wie auch Peter Homphäus aus Cochem 19 einen heftigen Gegner des Evangeliums. [8] In Köln studierte er in der Laurentianerburse 20 unter Johannes von Kampen 21 und Nikolaus [Blockhoven]22 aus Utrecht. Später wurde er von Johannes Caesarius in die Schriften des Plinius 23 und Persius 24 eingeführt und besuchte eine Vorlesung des Caesarius über dessen "Dialektik"25 (der schwer erkrankte Caesarius befindet sich derzeit im 14 Meilen entfernten Moers; 26 sein Zustand soll hoffnungslos sein). 1523 besuchte Medmann zudem den Unterricht von [Johann Matthias] Phrissemius über Rudolf [Agricola]27 (allerdings entwickelte sich Phrissemius zu einem Verächter jeglicher Religion, wandte sich den Zivilprozessen zu und scheute sich nicht, seine Sprachkenntnisse zugunsten schändlichster Rechtshändel einzusetzen; man fand ihn tot in seinem Schlafzimmer). In demselben Jahr begann Jakob Sob, die Heilige Schrift richtig auszulegen. [9] Medmann hat mit Arnold von Wesel nur ein paarmal gesprochen, dessen Unterricht aber nie besucht. Dieser blieb dem päpstlichen Glauben treu. Er wurde tot 28 vor seinem Bett aufgefunden. Zu Lebzeiten rühmte er sich, Kommentare gegen die Lutheraner verfasst zu haben. Als Medmann von dessen unerwartetem Tod hörte, verschaffte er sich Zutritt zu dessen Arbeitszimmer, fand aber lediglich ein paar Briefe von Johannes Cochläus und einige Blätter mit Übersetzungen aus dem Griechischen von Texten des Johannes Chrysostomus (Wesels Schrift über die Zehn Gebote 29 wird Bullinger bestimmt schon gesehen haben). Seltsam ist auch die Tatsache, dass, mit Ausnahme von Horaz, die in Wesels Bibliothek gefundenen Ausgaben griechischer und lateinischer Autoren keinerlei Randnotizen aufwiesen.
15 Bullinger hatte Köln im Februar oder März 1522 verlassen; s. HBD 6, 18f.
16 Siehe zu diesem Krafft, HBKöln 9.
17 Siehe Pollet, Relations II 176, Anm. 3.
18 Siehe ebd., Anm. 4.
19 Nicht klar ist, ob damit (wie Pollet, aaO, S. 176f, Anm. 5, es annimmt) Peter Homphäus Ernestensis (aus Ernst bei Cochem an der Mosel) gemeint ist, der Studienkamerad Bullingers in Köln (s. HBD 4), später Lehrer an der Stiftsschule in Emmerich, der 1534 starb und der Reformation feindlich gegenüberstand (Bullingers Brief an diesen aus dem Jahr 1526 — HBBW I, Nr. 17 — blieb offenbar unbeantwortet), oder ob vielmehr dessen Onkel Peter Homphäus d.Ä. (,,Cochemensis", aus Cochem an der Mosel) gemeint ist, der 1534 noch als Rektor der Emmericher Stiftschule bezeugt ist und am 28. August 1556 starb. Die Tatsache, dass Medmann die hier erwähnte Person nicht als verstorben bezeichnet, lässt eher auf Homphäus d.Ä. schließen. Zu diesem s. Krafft, HBKöln 13f. 70. 150-152.
20 Medmanns Immatrikulation an der Kölner Universität erfolgte erst am 20. Dezember 1527; s. M-Köln II 893, Nr. 556/13.
21 Siehe Pollet, Relations II 177, Anm. 2.
22 Siehe ebd., Anm. 3.
23 Vermutlich die Auslegungen der "Naturalis historia" von Plinius d.Ä., die Caesarius in Köln 1524 drucken ließ (VD16 P3531f).
24 Aulus Persius Flaccus, römischer Dichter des 1. Jhs. n. Chr.
25 Caesarius' Schrift "Dialectica" erschien seit 1529 (VD16 Cl 00) in zahlreichen Ausgaben.
26 Die vorliegende Angabe über Caesarius' Gesundheit bestätigt unsere Datierung von dessen zuletzt veröffentlichtem Brief (HBBW XVI, Nr. 2417) und erklärt auch, warum dieser den Winter 1546/47 in Moers (und nicht wie geplant in Köln) verbrachte.
27 Phrissemius (gest. Ende 1532) veröffentlichte 1523 eine kommentierte Ausgabe von Agricolas De inventione dialectica libris tres (VD]6 A1098), die des Öfteren nachgedruckt wurde.
28 Am 30. Oktober 1534; s. Krafft, HBKöln 30f.
29 Arnold von Wesel, Libellus de Decalogi praeceptis, Köln 1535 (VD16 H306).


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Auch die übrigen Bücher, sei es zu religiösen oder zu profanen Themen, waren wie neu. [10] Matthias [Kremer] von Aachen lebt noch. Er schrieb sogar einmal

an Hermann von Wied, dass zwanzig Konkubinen besser seien als eine legitime Ehefrau! Er ist derzeit der oberste Kölner Theologe ... Der von Bullinger erwähnte Chrysanthus [Boess]30 lebt in Münstereifel und hat beim Jülicher [Herzog Wilhelm V.] irgendein Amt inne. Medmann besuchte ihn vor anderthalb Jahren. Leider interessiert sich dieser nicht mehr für das Studium; er will auch nichts mehr mit der christlichen Religion zu tun haben. [1]] Der von Bullinger erwähnte wähnte Petrus [Pherndorphius]31 , der bei St. Mariengraden 32 als Lehrer wirkte, war ein hervorragender Mann und Gelehrter, der vielen in Köln und in der Landschaft Jülich die Augen Öffnete. Er war Medmanns bester Freund (seine 600 Briefe an Medmann bezeugen dies noch immer). Er wurde an den Lothringer Hof berufen, dort jedoch von einem Franzosen [...] erstochen. [12] Soviel in großer Eile zu Bullingers Brief Der friesische Doktor 33 zeigt sich sehr eifrig in seinem Amt! Medmann empfiehlt sich den Zürchern. Diese sollen für Hermann von Wied beten. [13] [P.S..] Medmann bedankt sich für die Zusendung von Theodorets Schrift 34