Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2815]

Johannes Pistorius
an Bullinger
Marburg,
18. Februar 1547

Autograph: St. Gallen Kantonsbibliothek (Vadiana), Ms 35 (VBS VI), 228 (Siegel) Ungedruckt

[1]Pistorius hat nicht auf den im Mai [empfangenen]Brief Bullingers [HBBW XVI, Nr. 2401, vom 31. März] geantwortet, weil er wegen des Krieges in Deutschland keinen Boten finden konnte. Auch jetzt hat er nicht die Zeit dazu. Er wollte nämlich gerade von Marburg [nach Nidda]aufbrechen, als er hörte, dass die Zürcher [Studenten] heimkehren. So ergreift er die Gelegenheit, Bullinger wenigstens zu grüßen. [2] Die schlimme Uneinigkeit im [evangelischen Lager]stellt eine große Gefahr dar. Der Feind steht vor der Tür! Man rechnet jederzeit damit, dass er von Frankfurt aus angreift. Die Pfarrer in der Landschaft Nidda sind der Gefahr besonders ausgesetzt. Landgraf Philipp von Hessen vertraut auf den Schutz seiner Festungsanlagen, die von der armen Bevölkerung verstärkt wurden. Nun aber soll diese auch noch für deren Unterhalt durch Steuern aufkommen, sodass sie sich kaum mehr zu ernähren vermag. Kann man dann noch auf Gottes Hilfe hoffen? [3] Sollte das Gerücht von einem Abkommen [der Schmalkaldener] mit Frankreich stimmen, dann wäre das gar nicht gut. Man denke doch an das von den Propheten verschrieene Bündnis des jüdischen Volkes mit dem ägyptischen König! Pistorius wäre viel eher dafür, dass die [Protestanten] sich der Ritte des

a Hier und unten Klammern ergänzt.
10 Radolfzell.
11 Allensbach, am nördlichen Ufer des Bodensees, zwischen Radolfzell und Konstanz.
12 Unbekannt. 13 in Italien.
14 Luzern, Schwyz, Unterwalden, Uri und Zug.
15 denn.
16 Ein "Geheimer"; s. Nr. 2800, Anm. 14.
17 des güt wissen tragt: gut darüber informiert (ist).
18 die Eidgenossen.
19 fremdes (hier italienisches).


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Herrn unterwürfen, mit der schon Nebukadnezar gezüchtigt wurde und mit der nun auch ihre Undankbarkeit und Vergehen bestraft werden müssen, als dass sie ein Bündnis mit Ägypten eingingen, indem sie zu ihrem eigenen Verderben im Namen des Herrn behaupten, dass diese Allianz notwendig sei. Egal welcher Gefahr Pistorius wegen seines Glaubens ausgesetzt wird, er weiß, dass es sich dabei um den universalen, richtigen Glauben handelt. Christus verleihe ihm Standhaftigkeit! [4]Bullingers Brief wird er nach den Kriegswirren beantworten. Und sollte Gott die Zerstörung der Kirchen in Hessen zulassen und dabei Pistorius aus diesem Jammertal erlösen, dann wird er sich vielleicht darüber mit Bullinger mündlich unterhalten können. Nur so viel: Bullinger hat die [Abendmahls]auffassung von Pistorius und den Kollegen, die sich diesbezüglich angemessen äußern, nicht wirklich begriffen. Er sollte sie nicht mit jenen verwechseln, die Dinge behaupten und lehren, die unangebracht sind und von denen sie gar nichts verstehen! [5]Bullinger möge über den Stand der Dinge in Zürich berichten und seine Meinung über den Krieg mitteilen. [6]Gruß, auch an die Kollegen, besonders an Rudolf Gwalther, und Bitte um Gebet. In Eile.

Graciam et pacem a deo, patre nostro per lesum Christum, in spiritu sancto. Quod hactenus, Bulingere in domino summopere colende, nihil ad te dederim literarum neque tuis ad me datis in mense Maio 1 responderim, nulla alia causa est, quam quod in tanta rerum omnium per Germaniam perturbatione nullus obvenire potuit commodus nuntius neque etiam modo respondere possum brevitate temporis impeditus. Cum enim iamiam essem abiturus, 2 significatum est mihi vestros 3 patriam velle petere. Non potui igitur non te per literas vel salutare.

Nos propter ecclesiarum Christi dissipationem, ne dicam an oppressionem, sumus constituti in summo et dolore et periculo. Cum enim habemus modo hostes vicinos, quottidie impressionem hostium ex Francofordia 4 expectare cogimur, destituti omni praesidio humano, presertim nos, qui per agrum Niddanum Christum profiteremur. Princeps noster 5 videtur omnem spem collocasse in munitiones. Verum cum he sint sudore pauperum extructe, et iam sanguine egenorum gravissimis exactionibus conservare eas conetur, videre non possum, quem successum deus daturus sit.

Neque placet foedus Gallicum, 6 si modo rumor vera spargit. Quem enim finem foedus Judeorum cum rege Egyptio 7 sortitum sit, ex scripturis prophetorum

1 Damit ist Bullingers Brief zum Abendmahlsstreit vom 31. März 1546 (HBBW XVI, Nr. 2401) gemeint (vgl. unten Z. 27-33), den Pistorius offensichtlich erst im Mai erhalten hatte.
2 Pistorius wohnte nämlich in Nidda, etwa 50 km südlich von Marburg.
3 Johannes Fabricius (Schmid) Montanus, Hans Rudolf Funk, Heinrich Hindermann (Opisander), Karl Schweninger und vielleicht auch Wilhelm Meyer; s. HBBW XV 542f, Anm. 2; XVI 137. Sie kamen im März 1547 zurück nach Zürich; s. HBBW XVII 428f, Anm. 59.
4 50 km südlich von Nidda. — Frankfurt war von den Truppen Maximilians von Egmont, Graf von Büren, besetzt; s. Nr. 2743, Anm. 40; Nr. 2810, Anm. 5.
5 Philipp von Hessen.
6 Anspielung auf das Bündnis, das die Schmalkaldener damals mit König Franz I. gegen Karl V. zu schließen versuchten; s. dazu HBBW XVIII 92; 236,32-34 und Anm. 27; 249f; 321f; 336,22-24; 348f; 393f.
7 Gemeint ist Franz I.; vgl. etwa HBBW XVIII 336,24.


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facile liquet! Ego potius, si adhiberer in consilium, consulerem, ut Nebucadnezari virge 8 domini punientis et nostram ingratitudinem et iminania scelera nos subiiceremus salva vera religione, quam, si et apud nos persequi conaretur 9 , quisque suo periculo 10 in nomine domini profiteretur, necessum foret. Certe quicunque casus me oppressurus sit in professione confessionis nostre, quam et catholicam et orthodoxam ecclesiæ Christi esse non dubito! Fortiter persistam per Christum, qui me corroborabit, 11 in quo omnia, 12 sine quo nihil et sumus et possumus. 13

Respondebo autem tuis literis peramice, quamprimum bellici tumultus vel paululum quieverint, 14 aut, si ita visum est domino, ut ecclesias nostras hosti devastandas permiserit, meque ex hisce malis in hac vita liberaverit, forte coram hisce de rebus loquemur. Te enim non plane mentem meam intellexisse video nostrorumque sententiam 15 percepisse, eorum maxime, qui dextre hac de re loquuntur. Nolo enim me iungere iis, qui adfirmant ea, que ignorant, et docent, que non oporteat.

SI potes, oro, ut quo in statu res vestre sint, mihi quoque significes, quidve tu de hoc bellico tumultu sentias.

Hisce vale in domino Iesu, Bulingere charissime, atque symmistas tuos omnes ac singulos, communes nostros dominos ac amicos, presertim Rudolphum 16 nostrum, saluta ineo nomine quam offitiosissime, nostrasque ecclesias deo, patri domini nostri Iesu Christi, precibus vestris commendate. Raptim, ex Martispurgo 17 , 18. februarii anno domini 1547.

Joannes Pistorius, ex animo tuus totus.

[Adresse auf der Rückseite:] Viro et pietate et eruditione claro d. Henrycho Bulingero, ecclesiaste Tigurino, domino suo summopere colendo. a18

a Darunter von einer späteren Hand: Joannes Pistorius.
8 Anspielung auf Dan 4.
9 persequi conaretur [foedus cum rege Egyptio].
10 Indem einer behauptet, dass diese Allianz mit Ägypten notwendig sei, und so Gottes Zorn auf sich zieht; vgl. z.B. Jes 30, 1-7; Jer 2, 36.
11 Vgl. 1Tim 1, 12.
12 Vgl. Kol 2, 10.
13 Vgl. Joh 15, 5; Apg 17, 28; Phil 4, 13.
14 Siehe oben Anm. 1. — Dies ist der letzte bekannte Brief an Bullinger von dem damals 45 Jahre alten Pistorius (gest. 1580).
15 über das Abendmahl.
16 Rudolf Gwalther.
17 Hier liegt ein Wortspiel vor, welches auf den damaligen Kriegszustand in Hessen anspielt.
18 Dieser Brief wurde genauso wie Brief Nr. 2818 vom 20. Februar den nach Zürich zurückreisenden, oben in Anm. 3 genannten Studenten anvertraut: vgl. Nr. 2818, Anm. 22.