Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2858]

Johannes Haller
an Bullinger
[Augsburg],
[2]3. März 1547

Autograph: Zürich StA, E II 370, 60 (Siegelspur) Ungedruckt

[1]Haller hat vor vier oder fünf Tagen an Bullinger geschrieben [nicht erhalten]. Eigentlich wollte der Stadtschreiber Georg Frölich [mit dem Brief]bis nach Zürich reisen, doch gelangte er nur bis Konstanz, wo er Hans Wilpert Zoller antraf und mit diesem nach Augsburg zurückkehrte. Zoller ist jetzt schon seit sechs Tagen da, hat aber Haller noch immer nicht besucht! Frölich bereitet derzeit die Hochzeit seiner Tochter [Anna]mit einem Bannerträger [Christoph Wilbrecht] vor. [2] Die Bürgermeister Jakob Herbrot und Hans Welser zeigen den Augsburger Pfarrern ein ganz anderes Gesicht als den Kaiserlichen. Sie verstellen sich und wollen es beiden Seiten recht machen. Damit schaden sie dem Ruhm Christi und der Kirche. Herbrot hat Leonhard Beck von Beckenstein aus Gewinnsucht (das sehen alle so!) um sein prächtiges Haus gebracht und ihn fast zum Auswandern gezwungen. Dadurch hat er sich allen verhasst gemacht. Sein Schwiegersohn [...] beging bald darauf Suizid, sodass die ganze Familie in Verruf geraten ist. Würde doch Herbrot seine Hoffnung nicht auf unsichere Reichtümer setzen, sondern auf Gott! Zu Recht hat Paulus die Habgier als Ursprung allen Übels bezeichnet. [3]Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen will Erfurt mit drei Regimentern einnehmen, uni sich die Getreideversorgung zu sichern. Herzog Moritz von Sachsen soll Frieden mit ihm

Klosters, Diethelm Blarer von Wartensee, und der Stadt von St. Gallen auszubrechen drohte (s. dazu Nr. 2846), geht aus der Beobachtung hervor, dass Vadian erst sieben Tage später in seinem Brief vom 30. März (Nr. 2868) darauf eingeht. Die Nachricht vom Sieg des Kurfürsten Johann Friedrich I. von Sachsen bei Rochlitz wird es auch nicht gewesen sein, da Vadian selbst darüber in seinem Brief Nr. 2851 vom 19. März berichtet hatte. Aus Nr. 2864 vom 28. März ergibt sich aber, dass die Angelegenheit irgendeinen Zusammenhang mit dem Krieg in Deutschland hatte. Vermutlich übermittelte der Zürcher Bote die von Bullinger auch an Myconius in Nr. 2850,22f, mitgeteilte Nachricht von einem großen Bündnis gegen den Kaiser, zu dem es angeblich in Hamburg gekommen war.
1 Das unten Z. 47 angeführte Datum kann nicht stimmen, da Haller, der am 12. März mit Nr. 2844 geschrieben hatte. am Tag darauf nicht hätte schreiben können (s. unten Z. 1), dass er zuletzt vor vier oder fünf Tagen geschrieben habe. Es ist ferner nicht möglich, dass Hans Wilpert
Zoller, der am 5. März Rudolf Schwyzer d.Ä. und Lorenz Meyer (Agricola) nach Zürich zurückbegleitet hatte (s. Nr. 2844,1f, schon sechs Tage vor dem 13. März wieder in Augsburg angelangt war, wie dies unten in Z. 3f mitgeteilt wird. Hier muss also ein späteres Datum vorausgesetzt werden, allerdings ein solches, das Hallers Verschreibung erklären mag. Zu denken wäre an den 23. oder 31. März oder auch an den 13. April. Aus unten Z. 30f. 34f wird aber deutlich, dass der 4. April noch bevorstand. Damit ist der 13. April auszuschließen. Da ferner mit Nr. 2867 ein Brief Hallers vom 30. März vorliegt, kommt das Datum des 31. März auch nicht in Frage, da Haller an diesem Tag auch nicht hätte schreiben können, dass er zuletzt vor vier oder fünf Tagen geschrieben hatte. Demzufolge muss vorliegender Brief am 23. März verfasst worden sein, auch wenn unten in Z. 38f. 44 der Tod des französischen und des polnischen Königs gemeldet wird. Dies ist jedoch nicht störend, da bereits vor Mitte März solche Gerüchte im Umlauf waren; vgl. Nr. 2841,73f.


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geschlossen und seinen Bruder August als Pfand eingesetzt haben. Dies ist allerdings kaum glaubhaft. In Leipzig herrscht schwere Hungersnot. Viele Menschen sterben. Herzog Wilhelm von Jülich-Kleve und König Christian III. von Dänemark versuchen, einen Frieden zwischen dem Kurfürsten und Kaiser Karl V. auszuhandeln. [4]Landgraf Philipp von Hessen stellt ein Heer zusammen und hat ernsthaft vor, den Krieg wieder aufzunehmen. Angeblich hat er in einer gedruckten Schrift seine bisherige Untätigkeit erklärt. Man sagt, dass er vorhabe, in die Niederlande einzufallen, während die Böhmen und der Kurfürst mit dem Kaiser kämpfen. [5] Dieser ist [auf dem Weg nach] Weiden. Es fehlt ihm an Proviant. Wie Haller letztens schrieb, wurden dem Herzog Moritz bis zu zwölf Fähnlein vernichtet. [6] Überall im Königreich Böhmen wurden Truppen gemustert. Diese sollen bis zum 4. April in Rüstung stehen. Der Wald wurde durch gefällte Bäume versperrt, damit es nicht zu einem Anschluss des kaiserlichen Heeres mit dem des Königs Ferdinand kommen mag. Der Oberst [der Böhmen] heißt Kaspar Pflug [von Rabenstein]. Die Kinder des Königs sollen zudem in Prag festgehalten werden. Aus Nürnberg wird berichtet, dass bis zum 4. April 50'000 Mann in Prag zusammenkommen sollen. Der Kurfürst habe bereits einen Vertrag mit den Böhmen abgeschlossen. Das wird dem Kaiser noch zu schaffen machen! [7] Ob König Franz I. von Frankreich wirklich tot ist, wie Kaufleute aus Lyon melden, werden die Zürcher besser wissen als Haller. Fest steht, dass König Heinrich Viii. von England gestorben ist. Das Parlament, das stellvertretend für den jungen König Eduard VI. regiert, lässt nun das Evangelium auf süddeutsche Art predigen. In Venedig sollen der Doge [Francesco Dona] und der Rat zwei Predigern die Verkündigung des Evangeliums gestatten. Es heißt auch, dass der alte König von Neapel [sic] dem Kaiser in das Königreich einfalle. König Sigismund von Polen ist auch tot. Es kommt zu so vielen Veränderungen! [8] Der Herr schütze seine Kirche. In Eile. Grüße, auch von Sixt Birck, Sebastian Lepusculus und Thoman Ruman.

S. D. Scripsi ante quatuor aut quinque dies. 2 Putavi ad vos profecturum (sicut proposuerat certe) archigrammataeum 3 ; sed tantum ad Constantiam usque venit. 4 Reduxit etiam secum Zollerum 5 , qui sextum iam hic agit diem et nondum me convenit! Quid causae sit, ignoro. Parat nunc Laetus nuptias filiae suae, quam cuidam despondit signifero. 6

Consules 7 longe alii sunt erga nos quam erga caesareanos. Dum utrisque satisfacere volunt, minime ea faciunt, quae in gloriam Christi et rem ecclesiae essent. Simulant et dissimulant omnia. Herbrottus Beccium a Beckenstein aedibus (quas ille aedificavit) a sumptuosissimis et splendidissimis

a Klammern ergänzt.
2 Ein nicht erhaltener Brief, der etwa um den 18. März verfasst worden sein muss.
3 Georg Frölich (Laetus).
4 Blarer BW enthält keine Angaben zu diesem kurzen Besuch Frölichs in Konstanz. — Frölichs Sohn Jonas lebte dort beim Pfarrer Jakob Funcklin, der dessen Studium beaufsichtigte; s. HBBW XV 546 und Anm. 3f; Blarer BW II 391, Nr. 1220; 507, Nr. 1345. Frölichs Besuch könnte durch eine Krankheit dieses Sohnes veranlasst worden sein. Zumindest ist eine solche für April 1547 belegt; s. Max Radlkofer, Leben und Schriften des Georg Frölich, Stadtschreibers zu Augsburg
von 1537-48, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg 27, 1900, 61 und Anm. 2.
5 Hans Wilpert Zoller, der am 5. März aus Augsburg abgereist war; s. oben Anm. 1.
6 Die Hochzeit von Frölichs Tochter Anna mit dem Augsburger Christoph Wilbrecht (Wildbrecht), der laut Augsburger Ratsprotokoll vom 12. März 1547 als Augsburger "Kriegsmann" bestellt und angenommen worden war, fand vermutlich in der Osterzeit (der Ostersonntag fiel im Jahr 1547 auf den 10. April) statt; s. Radlkofer, aaO, S. 61f.
7 Jakob Herbrot und Hans Welser.


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per usuram (aliter nemo iudicat) privavit et tantumnon exulari cogit; unde apud cives omnes audit 9 pessime. Mox hoc facto gener 10 , quem habuit ex familia praediviti, se ipsum trucidavit miserabiliter; unde omnis familia ipsius infamatur valde. Det ei dominus gratiam, ne nimium speret in divitiis incertis, sed in deo vivente, qui affatim praebet, 11 etc.; nam non frustra Paulus avaritiam vocat radicem omnium malorum. 12

Nüwe zytung habend wir, das der churfürst 13 3 regimennt uff Erdfurt schick, dasselb inzünemmen, damitt er ein kornkasten hinder imm hab. 14 Es ist auch ein gmeine sag, h[ertzog] Moritz hab sich mitt imm vertragen und imm sin brüder Augustum 15 zum pfandschillig gen 16 . Ich glaubs aber nitt. Liptzig lidet große not an hunger und sterben. H. von Jülch 17 und künig uß Dennmarck 18 handlend umb ein friden zwüschen dem churfürsten und keiser 19 .

Landtgraff 20 nimpt knecht an. Wil erst recht dran. Er soll auch ein büchlin haben laßen trucken, darinn er sich purgiert, worumb er bishar still gseßen. 21 Man sagt, er well die Behem 22 und den churfürsten mitt dem keiser laßen machen 23 und er diewyl ins Niderland fallen. Ist aber ungwüß.

Keiser ist zü der Weiden. 24 Hatt mangel an proviandt. Hertzog Moritzen sind bis in 12 fenli nüwlich (wie ich nehermals 25 vom gschrei 26 gschriben) b erlegt.

b Klammern ergänzt.
8 Leonhard Beck von Beckenstein (Böck von Böckenstein), kaiserlicher Rat und Mehrer in Augsburg; s. Augsburger Eliten 32f; Conradin Bonorand, Hieronymus Sailer aus St. Gallen, Schwiegersohn des Augsburger Großkaufherrn Bartholomäus Welser, und seine Tätigkeit im Lichte des Briefwechsels mit Vadian, in: Zwa XX, 1993, 116-118. — Zu dieser sich noch jahrelang hinziehenden Angelegenheit s. Paul Hector Mairs I. Chronik von 1547-1565, in: Die Chroniken der schwäbischen Städte. Augsburg. Bd. 7, Leipzig 1917, S. 429-436 (Beilage IV.C).
9 Subjekt ist Herbrot.
10 In Frage käme damals nur Christoph Tiefstetter. der allerdings erst 1587 starb; s. Augsburger Eliten 266. 838.
11 Vgl. 1Tim 6, 17.
12 1Tim 6, 10.
13 Johann Friedrich I. von Sachsen.
14 Ein falsches Gerücht.
15 Herzog August von Sachsen.
16 zum pfandschillig gen: als Pfand gegeben; s. SI VIII 588. — Ein falsches Gerücht.
17 Herzog Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg.
18 Christian III.
19 Karl V. — Ähnliches meldet Christoph von Carlowitz an Herzog Moritz unter dem 24. März 1547; s. Moritz von Sachsen PK 324, Nr. 444.
20 Philipp von Hessen.
21 Sollte solch ein Druck existiert haben, ist er nicht mehr bekannt. — Der Landgraf hatte im Januar 1547 eine Verteidigungsschrift an den Sekretär des Schmalkaldischen Bundes in Augsburg. Sebastian Aitinger, geschickt (Text in: Rommel III 174-185, Nr. 43). Ein Druck dieser Schrift hätte den Landgrafen eher kompromittiert; s. ebd., S. 183 (mit Anm.).
22 Böhmen.
23 Zu verstehen: er wolle den Böhmen und dem Kurfürsten den Kampf mit dem Kaiser überlassen.
24 "Zu der Weiden" ist ein alter Name der Stadt Weiden in der Oberpfalz (Bayern). Der Kaiser kam erst am 1. April dorthin; s. Stälin 580. Mindestens seit dem 21. März wurde vermutet, dass er sich dorthin begeben würde, falls seine Krankheit


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Die Behem habend ufbotten 27 im gantzen künckrych. Soll uff den 4. april jederman grüst 28 sin, ins fäld zü ziehen. Habend auch den wald dermaß verhowen 29 , das weder keiser noch küng 30 mitt ir macht zemmen könnend 31 . Jr oberster hauptman heißt Caspar Pflug. 32 || v Deß Ferdinandi ettliche kinder verwarend si 33 zü Prag. Wellends nitt herus laßen. Uff 4. april, schript man uß Nurenberg, sollend 50'000 zü Prag sin. 34 Man sagt auch, si habind den churfürsten in jr pündtnüß gnommen und schon versiglet 35 . Jn summa: Der keiser wirt gnüg zü thün haben!

K[ünig] uß Franckrych sol tod sin. 36 Das werdend jr bas 37 wüßen. Unser kaufflüt habend schriben von Lyon. Engelland ist gwüß tod. 38 Die regimentsherren vom parlament, so für den jungen künig 39 regierend, laßend das evangelium nach unser oberlendischen kirchenform predigen. Zu Venedig söllend auch zwen 40 das evangelium luter uß vergunst 41 deß hertzogen 42 und gantzen radts predgen. Man sagt auch, das der alt künig von Neapels 43 dem keiser wider inn das künckrych fall. Künig uß Polen ist auch todt 44 . Jn summa: Es erschinend vil verenderung aller rychen. 45

ihn unterwegs erneut befallen würde; s. den Brief von Christoph von Carlowitz an Herzog Moritz von Sachsen vom 21. März 1547 (Moritz von Sachsen PK III 306, Nr. 432). — Haller dachte offenbar, dass der Kaiser bereits in Weiden eingetroffen war; vielleicht aber wollte er auch nur sagen, dass er sich auf dem Weg dahin befand.
25 letzthin (in Hallers Brief vom 12. März; s. Nr. 2844,51-53). — Vgl. auch Nr. 2841,118-124.
26 Gerücht.
27 aufgeboten; ausgehoben.
28 gerüstet. —Diese Nachricht war auch Gegenstand eines Briefes des Kurfürsten an die Verordneten des Königreiches Böhmen in Prag vom 1. April 1547 (Moritz von Sachsen PK III 334, Nr. 471).
29 (durch einen Verhau) unzugänglich gemacht; s. SI ll 1810.
30 Ferdinand I.
31 zemmen könnend: zusamrnen(kommen) können.
32 Kaspar Pflug von Rabenstein, oberster Feldhauptmann der evangelischen Böhmen im Schmalkaldischen Krieg; s. ADB XXV 691.
33 die Böhmen.
34 Hier liegt eine andere Form der gleichen Nachricht wie oben Z. 30f vor.
35 (das Bündnis) durch einen Vertrag besiegelt; s. SI VII 503f. —Vgl. Nr. 2848,38— 40; Nr. 2856, Anm. 5.
36 Franz I. starb erst am 31. März 1547. Siehe aber dazu oben Anm. 1.
37 besser.
38 Heinrich VIII. war am 28. Januar 1547 gestorben.
39 Eduard VI.
40 zwei. — Zu dieser Zeit hielten verschiedene Geistliche in Venedig evangelische Predigten ab; s. Nr. 2765; HBBW XVIII 271,15-19; John Martin, Venice's Hidden Enemies. Italian Heretics in a Renaissance City, Berkeley, Los Angeles, London 1993, S. 87-89.
41 uß vergunst: mit Erlaubnis; s. SI II 377.
42 Francesco Dona (Donato).
43 Es handelt sich hier um ein falsches Gerücht, zumal der alte König von Neapel der Vater von Karl V. und längst gestorben war und zudem damals Karl V. selbst König von Neapel war. — In einem Brief aus Straßburg von März 1547 wurde hingegen von kaiserlichen Rüstungen in Neapel berichtet; s. PC IV/1 644, Nr. 579.
44 Sigismund I. starb erst am 1. April 1548. Siehe aber dazu oben Anm. 1. -
45 Zu verstehen: Es kommt zu vielen Veränderungen in allen Königreichen.


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Gott behüt sin kilch! Amen. Haec omnia raptim. Vale et boni consulito! 13. c martii 1547. Ubi sim, nosti. Salutant te Xystus 46 et Lepusculus cum Romano 47 .

Ioannes Hallerus tuus.

[Adresse auf f. 56v.:] Clarissimo praestantissimoque viro d. Heinrycho Bullingero, vigilanto Tigurinae ecclesiae pastori, domino suo observando. An m. Heinrych Bullinger zü Zürich.