Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2873]

Oswald Myconius
an Bullinger
Basel,
4. April 1547

Autograph: Zürich ZB, Ms F 62, 390 (Siegelspur) Zusammenfassung: Henrich, Myconius BW 954, Nr. 1069

[1] Hier sorgt ein Mann [Hans Wylie, gen. Bapst]für Anstoß in unserer Kirche! Er betrog seine Frau [...] mit der Magd [Anna Bippe], die schwanger wurde. Seine Gattin ließ er hilflos zurück und gab all das, was er verdiente, der Dirne, so dass die Gattin für ihren Lebensunterhalt auf andere angewiesen war! Markus [Bertschi]gab ihr ein Basler Pfund, das ihm vom Oberzunftmeister [Blasius Schölli oder Marx Heidelin]zurückerstattet wurde. Der Basler Rat erlaubte [Wylie], das eheliche Haus zu verlassen, weil man einen Racheakt des [Stief]sohnes [...]befürchten musste. Und SO erwies [Wylie] sein Wohlwollen [nur noch] der Dirne! Krankheit, Kummer und weiteres Unglück brachten die Frau ums Leben. Der Ehebrecher nahm die Dirne bei sich auf da er ihr die Heirat versprochen hatte. Er bat sowohl Myconius als auch das Ehegericht und den Rat, seine neue Ehe anzuerkennen, doch wurde ihm dies abgeschlagen. Der Rat teilte ihm schließlich mit, dass er ihm nicht ein Zusammenleben mit [Bippe] verbieten werde, er aber dafür die Stadt verlassen müsse. So begab sich [Wylie] nach Mulhouse, wo der Offizial [Philipp Blunder]des Basler Bischofs Philipp von Gundelsheim die Ehe anerkannte. Nach einigen Monaten bereute [Wylie] seine Auswanderung und bat den Basler Rat um Wiederaufnahme. Das wurde ihm gewährt, nicht aber die Ausübung seines früheren öffentlichen Amtes. Die Angelegenheit wurde dem Ehegericht vorgetragen, das sich darüber beriet und beschloss, die Ehe nicht anzuerkennen und [Wylie]die Teilnahme am Abendmahl zu verbieten. Dieses Urteil erzürnte sowohl den Rat als auch das Volk, so dass Schlimmes zu befürchten ist. Dies vertraulich. Bullinger soll so schnell wie möglich seine Meinung zum Fall und zum Beschluss des Ehegerichts mitteilen! -[2] Warum hat denn Bullinger nichts über die Neuigkeit geschrieben, die Vadian nach Basel übermittelte? Die Nachricht scheint doch glaubwürdig. Der Herr stehe dem Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen wie bis anhin zur Seite! Philipp von Hessen ist noch unschlüssig. Es mangelt ihm an Geld, und sein Adel soll vorhaben, ihn fallen zu lassen. Doch ist er eher bereit zu sterben, als den Glauben und seine Verbündeten im Stich zu lassen. - [3] Die Bevölkerung von Straßburg hat noch immer nichts über die Bedingungen eines Friedens [zwischen dem Straßburger Rat und Kaiser Karl V] erfahren. Doch fürchtet man bereits, dass es um das Evangelium geschehen sei. -[4]Johannes Gast ist vom Fieber befallen. Es ist wohl nichts Schlimmes. Gruß.

S. Vir 1 est hic, qui in ecclesia nostra turbas movet hoc modo: Vivente uxore 2 stupravit ancillam 3 fecitque gravidam. Uxorem reliquit sine solatio et auxilio. Quicquid laboribus quotidianis acquisivit, dedit scorto, donec uxor coacta est aliunde accipere, ut vitam posset sustinere. Marcus 4 largitus est hibram unam Basiliensem, quam postea tribunus 5 reddidit. Discessit ille quoque

1 Hans Wylie, gen. Bapst, aus Luzern; s. Henrich, Myconius BW 954, Nr. 1069.
2 Unbekannt.
3 Anna Bippe; s. Henrich, aaO.
4 Markus Bertschi, Pfarrer zu St. Leonhard in Basel, der sich gerne für die sozial Benachteiligten einsetzte; s. HBBW I 219, Anm. 1.
5 Da das Todesdatum der verstoßenen. nicht ermittelten Gattin unbekannt ist, könnte hier sowohl der seit dem 24. Juni 1545 für ein Jahr amtierende Oberzunftmeister Blasius Schölli als auch dessen Nachfolger Marx Heidelin gemeint sein; s. HBBW XVII 220, Anm. 16.


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ab uxore senatus permissu propter filium 6 uxoris, cuius ira timebatur. Adhaesit beneficentia scorto. Interea morbo, dolore et multis accidentibus aliis uxor absumpta est. Duxit adulter, cui coniugium ante promiserat. Petiit, ut admitteretur (et a consistorio 7 et a nobis et a senatu) a , quod egerat; verum petiit frustra. Tandem senatus huiusmodi sententiam tulit: Si istam vis habere pro uxore, non contradicimus. Verum nolumus, ut inter nos habites. Migravit itaque ad Mulhusenses et ab officiali 8 nostri episcopi 9 obtinuit, ut pro legitima uxore scortum habere queat, 10 atque ita benedictionem accepit in ecclesia papistica. Post menses aliquot migrationis ipsum poenituit. Quamobrem supplicavit senatui nostro, ut liceat redire in urbem. Permissum est, ita tamen, ne publico labori, quo prius erat usus, restituatur. Venit res ad nos. Consultavimus et conclusimus: eum (cuius matrimonium hactenus adprobare nequimus, nec adhuc adprobamus) a mensa domini prohibendum esse! Qua re intellecta senatum movimus et plebem, ut horror sit cogitare. Hoc in sinum tibi. Quaerimus ex te, de isto coniugio quid sentias deque nostro consilio, et cum primum poteris, 11 responsum mittas, obsecramus.

Praeter hoc miror, cur nova, quae scripsit Vadianus, non miseris etiam ad nos, cum sint tam plausibilia? 13 Dominus adsit ut hactenus electori! grec 14 adhuc haeret. Non habet pecuniam, et nobiles eius dicuntur meditari defectionem. Tamen et ipse mori vult, quam ea contra religionem et socios recipere, que ipsi offeruntur. 15

a Dieses und das nächste Klammerpaar ergänzt.
6 Unbekannt. - Wohl ein Sohn der Verstoßenen aus einer früheren Ehe.
7 Gemeint ist im Fall von Basel das sogenannte Ehegericht. - Dieses Gremium, das aus Ratsherren und Pfarrern bestand, war nicht nur für Vergehen in Eheangelegenheiten, sondern auch für andere sittliche Delikte zuständig.
8 Philipp Blunder; s. Helvetia Sacra I/I 259.
9 Philipp von Gundelsheim.
10 Eine Abschrift dieser Urkunde, die vom 12. Januar 1546 datiert, wird in Basel StA, Gerichtsarchiv U 5, 46, aufbewahrt; s. Henrich, aaO.
11 Myconius fürchtete vermutlich eine unmittelbar bevorstehende Einbürgerung Wylles durch den Rat. Dazu kam es auch, und zwar schon am 6. April; s. Basel StA, Protokolle, Öffnungsbuch 8, 118r. - Wir danken Rainer Henrich für die entsprechende Angabe.
12 Dieser Brief Joachim Vadians, der vielleicht an Myconius gerichtet war, ist nicht mehr erhalten. Darin wird Vadian
etwa das Gleiche berichtet haben wie in seinen Briefen vom 28. März an Bullinger (HBBW XIX, Nr. 2864): s. nämlich unten Anm. 13.
13 Bei dieser Nachfrage wird Myconius an Bullingers Ermahnung vom 20. Dezember 1546 gedacht haben, doch nicht so gutgläubig zu sein: s. HBBW XVIII 421,[6]. - Am Tag selbst, als Myconius Vorliegendes schrieb, übermittelte Bullinger (ohne recht daran glauben zu können) die ihm ebenfalls von Vadian mitgeteilte Nachricht über einen erneuten Sieg des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen, die aber im Gegensatz zur Nachricht von dem am 2. März in Rochlitz errungenen Sieg erdichtet war; s. Nr. 2872,28-33.
14 Landgraf Philipp von Hessen.
15 Die Nachricht über den Landgrafen wie auch die danach geäußerte pessimistische Einschätzung der Lage in Straßburg gehen auf Martin Bucers Brief an Myconius vom 30. März zurück (Henrich, Myconius BW 953, Nr. 1068). - Die von den


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Argentinenses nondum sciunt articulos suos et tamen queri incipiunt actum esse de evangelio.

Gastius febri putatur infectus. Revalebit, arbitror, brevi.

Vale cum piis fratribus. Basileae raptim 4. aprilis anno 1547. Os. M. tuus.

[Adresse auf der Rückseite:] D. Heinricho Bullingero doctissimo, domino in Christo venerando suo. Z[uric]h b .