[2884]
Autograph: Zürich StA, E II 359, 2814f (Siegelspur) Ungedruckt
[1]Haller empfing am Tag vor Sonntag Quasimodo Bullingers Brief vom Tag vor Ostern [Nr.
2877], mit dem dieser vier seiner Briefe [HBBW XIX, Nr. 2821. 2837. 2844 und einen nicht
erhaltenen Brief vom 14. März]beantwortet hatte. Da Bullinger Näheres über die Gefangennahme
des Markgrafen Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach erfahren möchte, legtBriefe_Vol_20-141 arpa
Haller die Abschrift eines Briefes bei, den Georg von Reckerode verfasst hat. Auch wenn
Georg Frölich diese Darstellung als ungeordnet beurteilt, so enthält sie doch viele wissenswerte
Informationen. Reckerode ist einer der wichtigsten Befehlshaber des Kurfürsten Johann
Friedrich von Sachsen und fast SO erfahren wie Sebastian Schertlin. Andere ruhmreiche Taten
dieses Mannes wird Haller später mitteilen. Über das Ausmaß dieses Sieges kann Haller nichts
Genaues schreiben, da die Berichte widersprüchlich sind. Feststeht (wie bereits im Brief [vorn
14. März] gemeldet): Herzog Moritz von Sachsen wurden 12 Fähnlein niedergelegt.
-[2]Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen hat neulich etwa 60 gedeckte Proviantwagen voll
mit Hakenschützen besetzt und diese bei Dresden vorbeiziehen lassen. Die Husaren, die Herzog
Moritz von Sachsen in der Stadt zurückgelassen hatte, griffen die vermeintlichen Proviantwagen
an. Da wurde der Proviant plötzlich lebendig! 400 Husaren wurden getötet. Die
Übrigen sind mit Schande geflohen. - [3] Kurfürst Joachim von Brandenburg hat Herzog
Moritz 500 Kavalleristen zugeschickt. Als sie an Wittenberg vorüberritten, wurden sie aile von
der dortigen Besatzung niedergemacht. -[4] Der kaiserliche Truppenführer Martin von Rossem
eroberte die Stadt Minden. Dabei halfen. ihm die dortigen Ratsherren. Als er abgezogen
war, brach ein Aufstand in der Bevölkerung aus. Die bedeutendsten Ratsmitglieder wurden
geköpft, und alle Anhänger Kaiser Karis V. vertrieben. -[5] Ein Augsburger [...] berichtete
aus Hamburg, dass die Augsburger und Ulmer dort verhasst sind. Sein Überleben verdankt er
nur dem Umstand, dass er in der Stadt gut bekannt ist und angesehene Verwandte hat.
-[6] Aus Straßburg wird berichtet, dass sich Jakob Sturm nicht auf die Straße wagen darf
Die Städte, die dem Kaiser gehuldigt haben, müssen diesem viel Geschütz liefern. - [7] In
Frankfurt sollen sich einige Ratsmitglieder verschworen haben, um Landgraf Philipp von
Hessen die Stadt in die Hände zu spielen. Maximilian von Egmont, Graf von Büren, erfuhr
davon und nahm 16 Ratsherren gefangen. Daraufhin haben die Kaiserlichen die Wachtposten
in den von ihnen besetzten Städten (wie z.B. Augsburg) verstärkt. -[8]Bernhard von Schaumburg,
der kaiserliche Oberst der in Augsburg stationierten Garnison, hat den Bürgermeistern
Jakob Herbrot und Hans Welser vorgeworfen, immer noch mit Schertlin unter einer Decke zu
stecken. Der Oberst, der schon zweimal Hallers Predigten besucht hat, bedauerte bislang nur
Hallers schweizerische Herkunft. Sein Beichtvater [...]liest fleißig die Messe. Er hat so großen
Zulauf dass man ihm wohl bald eine Kirche zuweisen wird. -[9]Haller schreibt nicht gern an
den Rat von Zürich, da er fürchtet, dass seine Briefe auf unvorteilhafte Weise ausgelegt werden.
Wenn nur der Rat sich wie ein ehrenvoller Vater verhielte und Haller sowie [Thoman
Ruman] bei erstbester Gelegenheit nach Zürich zurückriefe! Denn lieber ehrenhaft in Augsburg
sterben, als beschämt wieder heimzukehren! Spätestens nach Ablauf von Hallers zweijähriger
Dienstpflicht wird der Rat einen, guten Grund zur Rückberufung haben. Viele redliche
Menschen erbarmen sich seiner, zumal er bei einem fremden Volk ausharrt. Sie glauben, dass
er selbst über seinen Weggang entscheiden kann. Alles sei Gott anvertraut! Ein Rückruf wäre
schön. Käme es nicht dazu, möge Gott ihm helfen, sein Amt getreu bis in den Tod auszuüben.
Sollte er also dem Rat erneut schreiben, wäre es ein Zeichen dafür, dass er sich in Not
befindet. -[10]Allen ist bekannt, dass König Franz I. von Frankreich gestorben ist. Seltsam,
dass Bullinger in seinem letzten Brief [Nr. 2877] noch nichts davon wusste! - [11] Martin
Frecht schrieb, dass Papst Paul III. tot und der Augsburger Bischof Otto Truchsess von
Waldburg [nach Rom] zur Abstimmung gerufen sei. Was Bullinger über die 7'000 [nach
Deutschland ziehenden] Italiener berichtet hat, soll ein falsches Gerücht sein, da die Schreiben
aus Venedig, Genua, Mantua, Mailand und Parma nichts Derartiges meiden.
-[12]Einige behaupten, dass der Kaiser noch in Eger sei, andere wiederum, dass er zurück
nach Regensburg ziehe, weil die Böhmen ihm den Proviant verweigern. Dies ist wohl auch
eine Lüge. - [13] Haller hat vor kurzem einen in Venedig erstellten Druck über die sechste
Sitzung des Konzils von Trient gesehen, an der die Rechtfertigung durch den Glauben behandelt
wurde. Seitdem konnte er kein weiteres Exemplar mehr auffinden. Die Publikation wurde
aus Padua gesandt. Frecht berichtete, dass es bereits einen Druck über die siebte, den Sakramenten
gewidmete Sitzung gäbe. Haller hat sie jedoch nicht gesehen. - [14] Thomas
Naogeorg hat ein gelehrtes Gedicht über das neue, von den Lutheranern eingeführte Papsttum
verfasst. Haller wird sobald wie möglich eine Abschrift davon schicken. - [15] WolfgangBriefe_Vol_20-142 arpa
Musculus und Michael Keller waren vom Hilfsangebot der Zürcher sehr berührt. Sie erwidern
es, für den Fall, dass die Zürcher auch einmal darauf angewiesen wären. Gott möge das
verhüten! -[16] Grüße von Sebastian Lepusculus und Ruman. Bullinger möge Neuigkeiten
über die Eidgenossen mitteilen. Man hört, sie rüsteten sich. Alle erkundigen sich bei Haller
danach, der aber nichts Verbürgtes mitteilen kann. Grüße auch von Sixt Birck und Nikolaus
Müller gen. Maier, mit denen Haller nun im Kolleg [St. Anna] wohnt. Grüße an aile Amtskollegen.
Haller würde sich wenigstens über eine Zeile von Konrad Pellikan und Theodor
Bibliander freuen. Es scheint nun wahrscheinlich, dass die Augsburger Bibliothek den Handschriftenband
mit Schriften von Philo von Alexandrien an Konrad Gessner ausleihen wird.
-[17] [P.S.:] Die Überbringer des vorliegenden Briefes [Daniel Moser, Johannes Nisaeus
und Hieronymus Peyer]seien Bullinger empfohlen! Es handelt sich um Stipendiaten der Augsburger
Kirche. Sie hätten eigentlich nach Tübingen gesandt werden sollen, doch konnten
Haller und Birck den Rat dazu bewegen, sie nach Basel zu schicken. Man hätte sie nach Zürich
gesandt, sie bevorzugten aber (wie eben alle jungen Leute) eine Universität. Doch Gott sei
Lob, dass sie allmählich genug von der Wittenberger Schwärmerei haben!
S. per servatorem nostrum lesum Christum. Literas tuas pridie ipsius paschae
datas 1 accepi octiduo post, pridie scilicet Quasimodo 2 . Respondes iis
ad quatuor 3 meas. Petis inter caetera, ut historiam capti marchionis Alberti 4
plenius describam. 5 Ut ergo certam habeas, mitto hic exemplar epistolae,
quam quidam ex summis ipsius electoris 6 capitaneis, Georgius a Reckenrodt,
vir post Schertlium rei militaris peritissimus et maximi nominis, scripsit,
qui ipse huic conflictui interfuit, aliaque quaedam interim praeclara
gessit, ut significabo postea. 8 Scripsit autem sine ordine, ut ait Laetus 9 , at
interim scitu maxime memorabilia. Tam varii apud nos sunt rumores, ut
verum victoriae modum scribere non possim, ex quo autem isthaec gesta:
Adhuc 10 12 signa Mauritianorum 11 caesa sunt, ut in proximis scripsi 12 .Briefe_Vol_20-143 arpa
Nüws, so ich sidhar vernommen, ist dises:
Es hatt hertzog Moritz etlich hußern 13 (licet 14 levis armaturae equites ex Hungaria) ghept zu Tresen 15 . Do hatt der churfürst bis in 60 profanntwegen wol deckt laßen rüsten und voll hackenschützen setzen, und nitt wyt von Tresen laßen hinziehen, welches die Hußeren gewar worden. Und als si hinus gfallen 16 und die profant wellen rauben, ist die profant läbendig worden, und habend ir bis inn 400 erlegt, die übrigen schandtlich darvon gflohen.
Der churfürst, marggraff Jochim von Brandenburg 17 , hatt hertzog Montzen zugschickt 500 pferdt. Und als si litt wyt von Wittenberg zogen, ist der zusatz 18 zu Wittenberg herus gfallen und si all erlegt.
Martin von Roßow 19 , so ein eignen huffen 20 furt dem keiser 21 , hatt die statt Minden durch hilff deß radts zu Minden ingnom. Als er aber, wyters zu handlen, mitt allem volk dannen zogen, ist die gmein in der statt ufgsin 22 und die fürnempsten deß radts köpft und als 23 , was keiserisch ist gsin, uß der statt gschlagen.
Ein Augspurger 24 , so zu Hamburg ist, hatt har gschriben, wann er dinnen 25 nitt so wol bekant und verwant wer, wurd er zdodt gschlagen, so find 26 sye jederman den Augspurgeren und Ulmeren!
Von Straßpurg schript man, das herr Jacob Sturm vor der gmein nitt dörff uff die gaß gan. 27 Die stett mußend jetz dem keiser vil gschütz gen 28 .
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||2814v. Zu Franckfurt habend etlich deß radts etwas verretery angricht, man sagt, dem landtgrafen 29 die statt zu übergeben. Deß ist der von Büren 30 , so darinn ligt, gewar worden und bis inn 16 deß radts gfangen. Was gehandlet werd, ist ungwüß. Man hatt daruff hie und in anderen stetten die wachten gesterckt.
Es hatt auch der oberst 31 , so hie ligt, den burgermeisteren 32 ins angsicht gsagt, es thüy nitt güt: der Schertli und si liggend noch under einer decki! Er ist jetz zweimal an miner predig gsin. Klagt nüt, dann 33 das ich ein Schwytzer bin. 34 Sin pfaff 35 darnebend 36 halt dapfer mäß. Gat vil volks zu imm. Ich sorg, man werd imm in kurtzem ein kilch ingen 37 .
Ich schrib minen herren 38 litt gern, damitt man mirs nitt aber 39 rechne wie vor 40 . Welt gern, si thetind sonst als vätter, bewartind ir und unser eer, und so sich gelegenheit zutrüg, uns beschicktind 41 . Ich wil lieber hie eerlich sterben, dann mitt schanden heimkommen. Mine jar 42 sind bald us. Dann könnend si mitt güten fügen 43 mir und men helffen. Ich weiß vil redlicher lüten, die do turet das ich mich also under disem volk lyden 45 . Meinend, ich hab meer fryheit hinzuziehen, dann ich hab. Ich befilchs glich dem herren. Bschickend mich mine herren, so fröwts mich; wo nitt, so geb mir nun gott gnad, min ampt mitt allen trüwen zu verrichten bis ins end. Wenn ich mee 46 minen herren schrib, so sol es ein gwüß zeichen sin, das es ubel umb mich stat.
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Das der künig von Franckrych 47 tod sye, ist gar gmein 48 . Wundert mich, das ir nüt darvon gwüßt hand, als ir den nechsten 49 brieff gschriben. 50
Frechtus 51 schript uns, das die sag sye, der papst 52 sye dodt und werde unser bischoff von Augspurg 53 geforderen zur wellung 54 . An dem sol nüt sin, wie ir mir schribend 55 , von den 7'000 Italieneren. Man hatt hie schriben von Venedig, Genua, Mantaw, Mailand und Parma: Wirt sin 56 aber in keinem gedacht.
Den keiser sagend etlich, noch zu Eger sin, 57 etlich, das er profannt halb, diewyl imm die Behem 58 nüt lassend zugan, hinder sich ruck wider uff Regenspurg. Ich glaubs aber nitt, dann 59 die keiserschen gebend unerhört lugen uß, ir sach ettlichermaß zu schönen.
Das decretum sextae sessionis concilii Tridentini "De iustificatione"ist zu Venedig truckt. 60 Hab ein exemplar gsehen, mag mir aber sonst keins werden. Ist eben eins von Padua ||2815r. hargschickt. Frechtus schribt, das sibend
"De sacramentis" sye auch verhanden. 61 Ich habs aber nitt gsehen.
Naogeorgus 62 scripsit eruditissimum carmen de novo papatu, Lutheranorum videlicet. Quamprimum mihi data fuerit describendi facultas, mittam. 63
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Non memini praeterea me quicquam habere novi, nisi quod Musculus 64 et Cellarius 65 maximas vobis habent et agunt gratias, quod ita offertis vestra ipsis officia, 66 idem vobis, si ita contingeret (quod deus avertat!) praestaturi.
Salutant vos fratres omnes, maxime Lepusculus 67 et Romanus 68 . Si vos quid novi habueritis, facite me certiorem; varia ehm de Helvetiorum apparatu dicuntur. Omnes ex me certa audire cupiunt. Rogo ergo, ut ex vobis habeam, quae aliis dicere possim. Salvos etiam omnes vos cupit d. Xystus 69 et d. Nicolaus Maior 70 , quibus nunc in eodem cohabito collegio. 71 Saluta meo nomine fratres et patres una omnes. Cuperem a d. Pellicano et d. Theodoro 72 etiam aliquando vel unam saltem habere literam, si literas scribere non vacet. D. Gessnero dicas, quaeso, mihi magnam esse spem impetrandi Philonem Graecum ex bibliotheca. 73
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Vale. 19. aprilis 1547 Augustae Vindelicorum.
Tuus ex animo b. H. |
Iuvenes illos, per quos has tibi mitto, commendo tibi. Sunt ecclesiae nostrae alumni et stipendiatae. Tubingam eos erant missuri, sed impetravi una cum Xysto apud scholarchas, ut Basileam mittantur. 74 Tigurum misissent, nisi illi, ut iuvenes solent, libentius primo in academia publica versarentur. Es facht 75 inen an, die wittenbergisch schwermery redlich erleiden 76 . Gott sy glopt, wiewol wir nitt gar rein sind.
[Adresse auf der Rückseite:] Clarissimo praestantissimoque viro d. Heinrycho Bullingero, Tigurinae ecclesiae summo antistiti, domino et patri suo observando. Zürich an m. Heinrych Bullinger. 77