Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2896]

Johannes Vulteius
an Bullinger
[Zürich,
zwischen
7. Mai 1547 und Winter 1547/48]2

Autograph: Zürich StA, E II 367, 197 (ohne Siegelspur) Ungedruckt

[1] Dem göttlichsten und frömmsten Mann Heinrich Bullinger entbietet Johannes Vulteius (Ethelontés) seinen Gruß. -[2] Als Du, mein von alien am meisten geliebter Lehrer, gestern unsere Kameraden rufen ließest und, wie es recht und billig ist, dann über irgendwelche Verfehlungen zu ihnen gesprochen hast, wäre ich überaus gern als Zuhörer dabei gewesen. Ich staune sehr über die Armseligkeit und Schlechtigkeit derjenigen, die sich stets am Unglück der anderen laben und erfreuen! Ich für meine Person halte es wahrhaftig so, dass ich jemanden, auf den ich zornig bin, nicht einfach böswillig verleumde, sondern, wenn ich sehe, dass er gesetzwidrig handelt, ihn beiseite nehme und ihm meine Kritik ins Gesicht sage. Das hättest besser auch Du getan, wenn Du Dich nicht aus diesen Dingen heraushalten willst; ein Rat oder ein Lehrer muss klare Ansagen machen. Ich erwarte und erbitte von Dir eine wohlwollende

1 Der Text und die Kommentierung des vorliegenden Briefs wurde mit Hilfe von Matthias Dall'Asta (Heidelberger Akademie der Wissenschaften - Melanchthon-Edition) erstellt. Die Ubersetzung verdanken wir ihm.
2 Johannes Vulteius und sein Bruder Justus brachen frühestens am 27. April 1547 in Marburg auf. Denn von diesem Tag datiert ein Empfehlungsschreiben an Bullinger (Nr. 2889), das Theobald Thamer in Marburg für zwei aus Wetter in Hessen stammende "adolescentes" ausstellte. Dass es sich bei diesen um die Vulteius-Brüder gehandelt hat, wird deutlich durch ein wenige Tage früher, am 24. April, ausgestelltes Empfehlungsschreiben von Johannes Pincier aus Wetter in Hessen an Bullinger (Nr. 2887), in dem Pincier die beiden mit Namen nennt: "consobrini mei, bannes et lustus Vultei". Da Marburg ca. 430 km von Zürich entfernt ist, werden sie für ihre Reise mindestens zehn Tage benötigt haben und wohl frühestens um den 7. Mai 1547 in Zürich eingetroffen sein. Wie lange sie in Zürich blieben, lässt sich nicht genau feststellen. Justus Vulteius immatrikulierte sich in dem im Mai beginnenden Studienjahr 1547/48 in Basel (s. M-Basel II 53, Nr. 35), und zwar an 35. Stelle von insgesamt 55 Einschreibungen. Demzufolge
könnte er in Basel schon Ende Herbst 1547, vielleicht aber auch erst zu Beginn des Winters 1547/48 eingetroffen sein, kaum aber später, auch wenn der Aufenthalt in Zürich ursprünglich für ein ganzes Jahr geplant war; s. Nr. 2887,24. Sein Bruder Johannes zog von Zürich aus zu einem unbekannten Zeitpunkt nach Hall am Inn ("Halam in convallibus Oeni"); s. Johannes Antrecht, De vita et obitu Iusti Vulteii commentatio, S. 14 des Anhangs lin: Johann Philipp Kuchenbecker, Vita Hermanni Vulteii, Gießen 1731. Ende Oktober, Anfang November sind beide Brüder von Wigand Happel noch in Zürich vorausgesetzt; vgl. Nr. 3061,52- 58. - Die beiden Briefe von Justus und Johannes, die sich auf dieselbe Angelegenheit beziehen, sind gewiss zwischen Mai und Ende Herbst oder Anfang Winter 1547/48 anzusetzen. Auch wenn es eher unwahrscheinlich ist, dass vorliegender Brief und Brief Nr. 2897 zu Beginn des Zürcher Aufenthaltes der beiden Brüder anzusetzen sind, werden sie in diesem Band unter dem frühestmöglichen Datum veröffentlicht. Nicht auszuschließen ist, dass die Brüder Vulteius in Zusammenhang mit den im Juni von den Berner Studenten in Zürich gestifteten Unruhen (s. dazu die Briefe Nr. 2931. Nr. 2937 und Nr. 2939) getadelt wurden.


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Prüfung, denn ich sage dies nicht, um Dich zu tadeln. Den Lehrern zu gehorchen und - uni es kurz und knapp auszudrücken -einfach seine Pflichten zu erfüllen, das ist es meiner Einschätzung nach, was einem edlen Menschen gut zu Gesichte steht; Euch Lügen über uns zu schreiben und Dir unnötige Arbeit zu bereiten gehört nicht dazu. Es gibt aber einige Leute, die sich gerade dieser gegenteiligen Handlungsweise befleißigen: Wie die Kinder bringen sie im Verborgenen heimlich Anschuldigungen gegen uns vor und bezichtigen uns dabei wegen Nichtigkeiten sogar der Lüge. So etwas ist nach meinem Urteil wahrhaftig das Werk eines schamlosen und verfluchten Mannes, und ich fuhre als Zeugen das bekannte Sprichwort an: Der Dieb meidet das Sonnenlicht und liebt die Nacht. Aus diesen Dingen geht klar hervor, dass es zwei Arten von Menschen gibt: Die eine Art erfreut sich am Unglück und am Missgeschick ihrer Mitmenschen und berauscht sich insbesondere daran, unter Freunden gegenseitigen Hass zu stiften. Das ist nun gerade das Werk solcher Menschen, die ich von Natur aus schon immer verabscheut habe und die von fast alien abschätzig behandelt werden, und zwar mit Recht. Denn sie sind wie ein Keil: Als Ränkeschmiede richten sie ganze Städte zugrunde; sie werden zu Verrätern ihrer Heimat, lassen sich bestechen und verleugnen Gott. Die andere Art von Menschen tut dagegen aus eigenem Antrieb das jeweils Nötige und vermeidet es von Natur aus, schlecht zu handeln. Derartige Menschen lobe und preise ich. "Wähle nun von beiden diejenigen Menschen zum Muster, deren Taten erfahrungsgemäß am förderlichsten sind, und Du durftest damit gut beraten sein." - [3] Ich räume ganz offen ein, viele Dinge getan zu haben, die sich nicht gehören. Wir alle machen Fehler, und niemand ist ohne Schuld. Vielleicht meint nun aber einer bei sich, dass sie sich nur der Mahnung und des Beispiels der Fremden bedienen und wir jene dann anfeinden, wenn sie sich vielleicht einmal in fremde Dinge einmischen. Darauf antworte ich folgendermaßen: Noch nie haben wir solche Gedanken gehegt, und dazu bin ich nicht gekommen; vielmehr möchte ich zusammen mit den anderen so leben, wie Eure Gesetze es befehlen. Wenn nicht, dann werde ich Buße tun. Am Ende möchte ich Dich nachdrücklich bitten, uns jenen Denunzianten vorzuführen. Du wirst dann feststellen, dass er vieles erlogen hat und es nicht wagen wird, in unserer Gegenwart zu sprechen. Vieles hätte ich noch zu sagen, werde Dir aber alles später noch ausführlich darlegen. Ich erwarte, dass Du diese Dinge mit Wohlwollen prüfst. Leb wohl und bleib gesund. -[4] Johannes Vulteius aus Hessen.
a Ala fehlt in der Vorlage.
3 Wollender. - Gräzisierung von Vulteius'

Namen, der ursprünglich Will (bzw. Wöll oder Wöhl) lautete.


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bannes Vulteius Hessus.

[Adresse auf der Rückseite:] Doctissimo atque pientissimo viro Henrico Bullingero, praeceptori suo.

b In der Vorlage grec. -
c Über der Zeile nachgetragen. -
d In der Vorlage grec - e In der Vorlage grec. -
f Vor grec gestrichenes grec. - g In der Vorlage grec. - h der Vorlage grec. -
i In der Vorlage grec. -
j In der Vorlage grec. -
k In der Vorlage grec. -
1 In der Vorlage grec'.
4 Xenophon, Cyri institutio, 8, 7, 24.