[2899]
Autograph: Zürich StA, E II 359, 2812 (Siegelspur) Ungedruckt
[J]Haller schreibt diesmal nicht viel, da er vor kurzem [mit Nr. 2894]ausführlich über die klägliche Niederlage des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen und über die bedrohliche Lage der [Protestanten] berichtet hat. -[2] Mit zunehmender Gefahr schrumpft die Kirche zusammen. Diese Feuerprobe zeigt nämlich, was die Arbeit eines jeden taugt! Der Prophet [David]sagte zu Recht, dass man das Heil nicht von den Menschen erwarten darf Wie viel Neid, Hass und Verschlagenheit gibt es unter ihnen! Haller hat noch nie so etwas gesehen! Er kann sich auf niemanden mehr verlassen! Männer, die wie unbezwingbare, eherne Mauern erschienen, sind in der Hitze der Trübsal wie Wachs dahingeschmolzen. Doch hat dies Christus vorausgesagt. - [3] Haller ist weniger über die Unverschämtheit der Feinde als über den Wankelmut der Augsburger Behörden entsetzt. Nun neigen sie zur Lehre der Wiedertäufer und behaupten, man dürfe das Evangelium nicht mit dem Schwert verteidigen! Gewiss, Gott ist allein dessen Verteidiger, doch bedient er sich dabei nicht nur seines Geistes, sondern auch des Schwertes. Wozu sonst hätte er der Obrigkeit die Macht des Schwertes verliehen, wenn nicht zum Schutz des Guten und der Gerechtigkeit? Die Ratsherren sind allerdings nicht fähig, sich die wahre Ursache für die ganze Misere einzugestehen, nämlich Missetaten und mangelnde Reue. Haller sagte ihnen unverblümt: "Ihr wollt nicht die Wahrheit mit dem Euch von Gott anvertrauten Schwert verteidigen; das sei, so meint Ihr, verhängnisvoll. Ihr denkt aber, durch Schmeichelei und nachgiebiges Verhalten in Angelegenheiten, die Gottes Missfallen erregen, das Evangelium erhalten zu können, und dies ohne Gewissensqual! Doch so werdet ihr Gottes Reich verlieren!" Sie tragen dem aber überhaupt keine Rechnung. Sogar unter den Pfarrern gibt es nicht wenige, die alles billigen, ja sogar bereit sind, die Kirchengewänder wieder anzulegen! Was soll man da tun? -[4] Bei den übrigen Gefahren (u.a denjenigen, die von Oberst Bernhard von Schaumburg ausgehen) will Haller sich hier gar nicht aufhalten. Immer, wenn er den Behörden verdeutlicht, was angesichts der schlimmen Entwicklung getan werden müsste, bekommt er als Antwort, dass die üblen Menschen mit Geduld und Sanftmut zu ertragen und zu überwinden seien. Sie wollen auch nicht, dass die Gegner des Evangeliums eines Besseren belehrt werden! Wenn die Prediger die papistischen Missbräuche vorsichtig kritisieren, wird ihnen Anstiftung zum Aufruhr vorgeworfen! Schweigen sie aber (wie viele unter ihnen), dann werden sie vom Volk mit Recht als "stumme Hunde" bezeichnet. Deshalb ist es klar, dass diese Regierung zugrunde gehen muss. Unterdessen herrscht der Teufel mit Zinswucher, Gotteslästerungen, Trinkgelagen, usw. Jedem ist alles erlaubt! Das schmerzt am meisten. Alles andere nimmt Haller weniger schwer, zumal den Gottesfürchtigen nur das widerfahren kann, was Gott zulässt. Unterdessen bleibt ihm nichts anderes übrig, als an den Flussufern Babylons [zu weinen]! -[5] Grüße an Konrad Pellikan, Theodor Bibliander, Rudolf Gwalther, Anna [geb. Adlischwyler] und an alle Kinder. Gruß von Wolfgang Musculus, Sixt Birck und Thoman Ruman, der auch schreiben wird. - [6] Seit Hallers letztem Brief kam nichts Neues aus Sachsen. Es heißt, dass die Domherren die Räumung der Häuser [in denen sie vor Einführung der Reformation in Augsburg lebten] veranlassen. Der Teufel kommt also zurück, und zwar noch mächtiger ais zuvor!
S. a deo patre per servatorem nostrum lesum Christum. Scripsi ante paucos
dies 1 copiosius de electoris miserabili dade rerumque nostrarum periculoso
statu; ideo nunc parcius scribo.Briefe_Vol_20-193 arpa
Crescunt pericula; decrescit ecclesia Apparet per hune ignem 2 , quid quisque hactenus aedificarit. In summa: Bene dixit propheta 3 : Non esse salutem in filiis hominum. Nunquam vidi tantas simultates, odia, practicas, technas! Nusquam tuta fides! 4 Quos putaram aheneos muros esse, cera fiunt molliores illo nos tribulationis soie urente. Quid ergo quaerar aut quo me vertam, nisi ad eum, qui dixit: "Mundus gaudebit, vos autem moerore afficiemini; sed moeror vester in gaudium convertetur"5 , et "Beati tristes, quoniam ipsi consolationem accipient. 116
Non tam hostium offendor insolentia quam nostrorum capitum 7 inconstantia. Iam declinant ad dogma illud anabaptisticum, evangelium non esse defendendum gladio. Verum solus deus defendit, sed per ministerium non modo sui spiritus sed et gladii externi. Ad quid enim habent gladium a domino, 8 quam ut tueantur id, quod bonum et iustum est? Sed mavolunt 9 miseri illi hommes fingere tana contra deum quam fateri veram nostri infortunii causam, scelera et impoenitentiam. Ego aperte eis dixi: "Vos non vultis veritatem defendere gladio a deo vobis commisso, et hoc nephas esse putatis; at interim adulando, connivendo in impietatem omnem, quod deus nobis interdixit graviter, putatis vos evangelium conservaturos nec propter illa vestra facta conscientiam pungitis 10. Ideo metuo, ne a vobis auferatur regnum dei!" Sed quid curant illi nostra? Et, quod pessimum est, habent et ex nostro numero 12 non paucos, qui connivere possunt ad omnia, induituri denuo, si iubeantur, kappas 13 . Hoc mihi multum negocii facit! Sed quid agam?
Pericula alia (quae propter capitanei summi 14 insidias non sunt parva) dissimulo. Si nostris indico, quid flat, contra, quid factum oporteat, iubent
Briefe_Vol_20-194 | arpa |
---|
patientia omnia vincere, cum mansuetudine tolerandos esse malos. Interim tamen nolunt, ut erudiantur etiam hii, qui 15 obsistunt. Si rnodestissime carpamus abusus papisticos, vocant nos seditiosos! Si tacemus, ut multi faciunt, vocamur a vulgo, et merito, muti ||v. canes 16 ! Unde non video posse consistere regnum hoc. Interim regnat satan potenter usuris, blasphemiis, ebrietate, aliisque carnis operibus, 17 sine timore, sine conscientiarum compunctione. Licet cuivis quidvis! Haec sunt potissima, quae animum meum excruciant. Reliqua parvi facio: Si in nos debachentur, non possunt vel unum pilum torquere invito eo, cui nos servimus. 18 Ita sedemus ad flumina Babylonis. 19 Dominus liberet nos et servet in regnum suum coeleste! Ipsi gloria soli.
Saluta d. Pellicanum, Bibliandrum, Gvaltherum uxorem 20 et liberos omnes 21 . Salutat vos Musculus 22 et Xystus 23 atque Romanus 24 , qui et ipse tibi scribit. Augustae Vindelicorum, 11. mau anno 1547.
[Ohne Unterschrift.] |
Nüws ist noch nüt sidhar 25 uß Saxen kommen. Man sagt hie, die thumherren laßend ire hüser 26 rumen. Ist ein zeichen, das der tüfel mitt siben böseren geisteren wider herin wil. 27 Got sys klagt! a
[Adresse darunter:] Clarissimo viro d. rn. Heinrycho Bullingero, Tigurinae ecclesiae fidelissimo pastori, domino suo et patri venerando. M. Heinrych Bullinger.