Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2934]

Bullinger
an Oswald Myconius
Zürich,
29. Juni 1547

Autograph: Zürich StA, E II 342, 172 (Siegelabdruck) Zusammenfassung: Henrich, Myconius BW 970f, Nr. 1086

[1] Es stimmt, Bullinger hat lange geschwiegen. Doch Myconius möge ihm dies nicht übelnehmen. Denn angesichts so vieler unterschiedlicher Gerüchte aus Briefen von sonst vertrauenswürdigen Personen schreibt man lieber gar nichts! -[2] Es heißt, Kaiser Karl V. werde den Krieg von Deutschland in die Eidgenossenschaft verlagern. Das scheint plausibel! Käme es nicht dazu, dann wohl nur deshalb, weil ihm eine passende Gelegenheit dazu gefehlt haben wird, was wiederum als eine von Gott verliehene zusätzliche Gelegenheit, Buße zu tun, zu deuten wäre. Angeblich schmiedet der Kaiser auch Pläne zur Belagerung und Unterwerfung von Konstanz. Nun aber ist in "Belgien"[richtig: Norddeutschland] etwas völlig Unerwartetes passiert, weswegen der Kaiser seine Pläne ändern könnte. -[3] In "Belgien" [Norddeutschland] wurde nämlich die "belgische" [niederländische]Legion des Kaisers besiegt! Zunächst vernichteten die Hansestädte in der Nähe von Bremen das Heer von Herzog Erich von Braunschweig-Calenberg, dem Neffen [richtig: Cousin]des gefangenen Herzogs Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel. Nach dem Zusammenschluss der Streitkräfte der sächsischen Städte mit dein Rest des kurfürstlichen Heeres und den Truppen der Hansestädte bezwang

17 Seit Schertlins Besuch in Zürich; s. dazu Nr. 2929, Anm. 2.
18 Gemeint ist die am 20. Juni begonnene eidgenössische Tagsatzung, deren Akten in EA Wild 824-835 veröffentlicht sind. Sie endete erst am 15. Juli, wie es aus den Aufzeichnungen des kaiserlichen Gesandten Jean Mouchet hervorgeht; s. Wien HHStA, StAbt. Schweiz, K. 11, Konv. 3, f. 28v. - An der Tagsatzung wurde allerdings nicht offiziell über Schertlin verhandelt; zumindest ist davon in den Abschieden nicht die Rede. Doch weiß man, dass vor dem 15. Juni 1547 einige Luzerner, vielleicht aufgehetzt durch den kaiserlichen Gesandten Jean
Mouchet (vgl. Nr. 2924, Anm. 12), versuchten, die Festnahme von Schertlin zu erwirken; s. EA IV/1d 824. Als Grund wurde angegeben, dass er, der "jetzt badet on gleit und anderes zu Baden", die Kirche beraubt, die Ungehorsamen "ufghalten" (erhalten; s. SI 111227), den Boten von Unterwalden in Memmingen überfallen hätte (s. dazu HBBW XVIII Reg. s.v. Schweri, Konrad) und ein Verräter wäre. - Demnach hat er vor seinem Besuch in Zürich einen Aufenthalt in Baden eingelegt, den er vermutlich abbrechen musste.
19 gegen mir: mir gegenüber.


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dieses vereinigte Heer das restliche kaiserliche Heer, welches unter der Führung von Martin von Rossem bis jetzt Bremen belagert hatte, und schlug es in die Flucht. Der sächsische Oberst Wilhelm von Thumshirn fing die 1'500 Kavalleristen und 16 Fähnlein Fußsoldaten ab, die der Kaiser den Belagerern von Bremen schickte, und tötete sie frist alle. Als der Kaiser davon erfuhr, gab er die Belagerung Magdeburgs auf (die er nach seinem Abgang aus Wittenberg unternommen hatte) und zog nach Halle, weil alle Truppenteile der [Protestanten] nach Magdeburg strebten. Vielleicht werden diese nun den von seinem Bruder König Ferdinand (der nach Böhmen eilen musste) allein gelassenen Kaiser bis nach Halle verfolgen. All dies gilt als verbürgt. - [4] Ganz Neapel soll in Waffen stehen und sich gegen Pedro Alvarez de Toledo, den Vizekönig des Kaisers, auflehnen, weil er dort die spanische Inquisition einführen wollte. - [5] Also ist die Sache [der Protestanten] noch keineswegs verloren, denn Gott schickt unverhoffte Hilfe! Nun muss man alle zu Buße und Glauben ermahnen. Setzen die Gottlosen ihr sündiges Leben fort, dann erwartet sie Gottes Strafe! Aber welch ein Glück für die Frommen! Man denke an Lot, den der Herr aus dem Feuer rettete. - [6] Bisher kommen die Eidgenossen auf der [am 20. Juni begonnenen Tagsatzung] zu Baden ziemlich gut miteinander aus. Bullinger wird baldmöglichst Genaueres darüber berichten. Aus Zurich wurden Hans Rudolf Lavater und Itelhans Thumysen dorthin abgeordnet. - [7] Der Herr gewähre seinen Beistand. Größe, auch an Johannes Gast. Hat er das durch John Burcher übermittelte Geld [für die Wolle] erhalten? Grüße an Francisco de Enzinas.

S. D. Tacui sane ita, ut dicis, 1 observande frater, sed quid in tanta diversitate nedum rumorum sed literarum, earum etiam, quae scribuntur ab hominibus fide dignis, scribas certi? 2 Malui ergo tacere quam cum mendatio coniunctum dicere tantillum. Boni ergo consulas meum silentium.

Dicitur sane caesar 3 bellum ex Germania translaturus in Helvetiam, 4 qua de re adeo non dubito, ut, si non fecerit, quod facturus dicitur, nihil ei nisi commodam occasionem deesse putem. Quodsi a aliquid ei a obstiterit, dedit nobis dominus b haud dubie tempus ad poenitentiam. 5 Iam quidem dicitur fuisse in consultatione, quomodo potuerit obsidione premere Constantiam. Sed evenit in Belgico 6 , quod minime speravit, unde mutatum arbitror consilium.

In Belgico caesa est caesaris legio Belgica 7 . Primum enim urbes maritimae exercitum ducis c Erychi 8 ex fratre nepotis c Heinrychi Brunsvicensis capti 9 , non procul a Brema ceciderunt. Ubi vero Saxonicae urbes et reliquiae 10 suas quoque copias iunxissent maritimis 11 , reliquum quoque exercitum,

a-a Am Rande nachgetragen. -
b Über der Zeile nachgetragen. -
c-c Am Rande nachgetragen.
1 Anspielung auf Nr. 2901,1.
2 Anspielung auf Nr. 2911,5-7.
4 Karl V.
4 Vgl. dazu die in Nr. 2920, Anm. 12, angegebenen Stellen.
5 Vgl. 2Petr 3, 9.
6 Hier im Sinne von Norddeutschland!
7 Das niederländische Heer des kaiserlichen Feldhauptmanns Martin von Rossem; s. dazu Nr. 2882 und Anm. 14.
8 Der auf kaiserlicher Seite stehende Erich II. d.J. von Braunschweig-Calenberg. - Zu der hier angesprochenen Niederlage
der Kaiserlichen bei Drakenburg am 23. Mai s. Nr. 2911, Anm. 29.
9 Der kaiserliche Herzog Heinrich d.J. von Braunschweig-Wolfenbüttel, der seit dem 21. Oktober 1545 vom protestantischen Landgrafen Philipp von Hessen gefangen gehalten wurde. - Die von Bullinger angegebene Verwandtschaft stimmt allerdings nicht: Der Vater von Erich II., Herzog Erich I. von Braunschweig-Lüneburg (1470-1540), war nicht der Bruder des gefangenen Heinrich d.J.. sondern der Bruder vom Vater des Letzteren, Heinrich


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12 Bremam adhuc obsidentem sub Martino Roßheimio, fugarunt et dade affecerunt. Dunshyrnius vero Saxo 13 intercepit illos, quos caesar subsidium Bremam obsidentibus miserat, electissimos equites 1'500, peditum 16 vexilla, et omnes prope extinxit. 14 Caesar ubi intellexit, quod infeliciter sui pugnassent, relicto Magdeburgo, 15 quod Wittenberga discedens obsedit, 16 Halam Saxonum 17 contendit. Nam Magdeburgum festinarunt omnes nostrorum cunei. Fortassis Halam usque caesarem persequentur, praesertim cum Ferdinandus 18 fratre relicto contendat in Bohemiam. Haec omnia multis scribuntur ad me pro verissimis.

Additur totam Neapolim esse in armis contra caesaris vicarium 19 , qui voluerit instituere et exercere inquisitionem Hispanam.

Dum igitur arbitramur rem esse conclamatam, alicubi, et ubi minime putaveramus, excitat dominus auxilium. 20 Fidamus ergo illi, qui potest nos eripere e maus omnibus. 21 Faciamus nos nostrum officium omnes adhortantes ad poenitentiam et fidem. Quod si perrexerint hommes in vita impia, et venerit iudicium dei: Vae impio! 22 Bene vero ||v. rursus pio! Novit dominus Loth ex incendio liberare, 23 impios autem et huius et futuri seculi ignibus terrere. 24

Audio Badenae hactenus non male convenire Helvetiis. 25 Sed ubi certiora habuero, communicabo. 26 Ex nostris legati sunt d. Lavaterus et Dumysius 27 .

I. von Braunschweig-Wolfenbüttel (1463-1514).
10 Johann Friedrich I. von Sachsen. - Mit reliquiae sind die noch ungeschlagenen Truppen des Kurfürsten gemeint; s. dazu die Mitteilung von Myconius in Nr. 2911,50f.
11 Mit den oben schon erwähnten protestantischen Truppen der Hansestädte.
12 Gemeint ist erneut das oben bei Anm. 7 erwähnte kaiserliche Heer unter Martin von Rossem.
13 Der sächsische Oberst Wilhelm von Thumshirn, der an der Schlacht bei Drakenburg teilgenommen hatte; s. Nr. 2918, Anm. 18.
14 Vgl. Nr. 2927,1-6.
15 Vgl. Nr. 2929,2-4.
16 Der Kaiser hatte Magdeburg nicht belagert, sondern sich damals vergeblich bemüht, die Stadt zur Unterwerfung aufzufordern. Schließlich verhängte er am 27. Juli 1547 die Acht über sie; s. Friedrich Hülße, Die Stadt Magdeburg im Kampfe für den Protestantismus während der Jahre 1547-1551, Halle a. d. Saale 1892, S.
20f (mit dem falschen Datum vom 26. Juli); und die in VD16 D843f angeführten Drucke zu dieser Angelegenheit.
17 Halle (Saale); s. Nr. 2929. Anm. 3. - Zur Abfassungszeit des vorliegenden Briefes hatte der Kaiser Halle bereits verlassen (s. Stälin 580) und war der Landgraf am 19. Juni schon verhaftet worden (s. Nr. 2948, Anm. 9). All dies aber wusste Bullinger noch nicht.
18 König Ferdinand I., Bruder Karls V. - Vgl. Nr. 2929,5.
19 Pedro Alvarez de Toledo. - Zur Angelegenheit s. zuletzt Nr. 2915; Nr. 2929,6.
20 Vgl. Klgl 3, 18-26. 54-58; Ez 37. 11-14.
21 Ps 121 (VuIg. 120), 7; Mt 6, 13.
22 Jes 3, 11.
23 Gen 19, 1-29.
24 Mt 3, 12 par.; Apk 14, 11; 20, 10.
25 Die in Baden am 20. Juni begonnene und damals noch nicht beendete eidgenössische Tagsatzung; s. Nr. 2933, Anm. 18.
26 Vgl. Nr. 2945, Anm. 13.
27 Dass Hans Rudolf Lavater und Itelhans Thumysen an der Tagsatzung waren, ergibt sich auch aus EA IV/1d 824.


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Oremus dominum sedulo, ut adsit nobis. Vale aeternum cum omnibus fratribus. Salutabis d. Gastium, a quo scire desidero, num acceperit pecunias per Burckherum 28 missas. Salutabis d. Dryandrum 29 et omnes amicos. Tiguri, 29. iunii anno 1547.

Bullingerus tuus.

[Adresse darunter:] Praestantissimo viro d. Osvaldo Myconio, Basiliensis eclesiae ministro primo, domino suo observando et fratri dilectissimo. Basel.