Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2938]

Bürgermeister und Rat der Stadt Konstanz
an Bullinger
[Konstanz],
2. Juli 1547

Entwurf: Konstanz StadtA, B II Missiven Band 40, 211v.-213r. 1 Ungedruckt

[1]In Konstanz wird gegenwärtig zwischen zwei Eheleuten, die das Bürgerrecht besitzen, ein Ehescheidungsprozess ausgetragen. Während der Ehemann [Jakob Kundigmann] seinen Scheidungswunsch damit begründet, dass ihm die Ehefrau [Elsbeth Huber]davongelaufen ist, macht diese geltend, dass ihr Mann in den vergangenen acht Jahren keinerlei geschlechtlichen Verkehr mit ihr gehabt habe und sie deswegen wie zu Beginn ihrer Ehe noch jungfräulich sei. Der Ehemann widersprach dein allerdings und verlangte, dass die Frau im Hinblick auf ihre Jungfräulichkeit von Sachverständigen untersucht werde, wie das in einem Gerichtsverfahren üblich ist. Ebenso betonte er, dass, falls die Wahrheit auf diesem Weg nicht ans Licht gebracht werden könne, er gerne bereit sei, die Wahrheit mit seiner eigenen körperlichen Beschaffenheit zu beweisen. -[2]Die Frau erklärte sich zu einer Untersuchung bereit, verpflichtete aber das Gericht dazu, dass, falls ihre Jungfräulichkeit bewiesen wird, sie keine weiteren Beweise liefern müsse und ihre Ehe rechtmäßig als geschieden anerkannt werde. Daraufhin haben Bürgermeister und Rat der Stadt Konstanz die entsprechende Untersuchung durch die Hebammen angeordnet, was allerdings zutage brachte, dass die Frau keineswegs jungfräulich war. So wurde sie ins Gefängnis gelegt und mit der Frage konfrontiert, wer ihr denn die Jungfräulichkeit genommen hat, zumal sie vor Gericht die Mannesschwäche ihres Gatten behauptet

1548 durch einen Ratsbeschluss der Zürcher nach Bern entsandt. Dort traf er am 8. Mai ein und hielt am 10. Mai seine erste Predigt; s. Bähler, Dekan Haller I 23-27.
26 Anna, geb. Adlischwyler.
27 Laut Rüetschi, Gwalthers BW Ill nicht erhalten. - Vielleicht wurden bei Kilchmeyer Zürcher Knaben untergebracht,
die in Bern zur Schule gingen; vgl. nämlich HBBW XIX 219,43-48.
28 Heinrich Buchter.
29 Johannes Fries.
30 Das Großmünsterstift.
1 Wir danken Frau Silke Schöttle vom Stadtarchiv Konstanz für die Fotoaufnahmen dieser Quelle.


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hatte. Ohne vorausgegangene Folter gestand sie, mit einem anderen Mann [...](dessen Namen sie anführte) unzüchtig geschlafen zu haben. Dieser, und nicht ihr impotenter Mann, habe ihr die Jungfräulichkeit genommen. ihr Gatte habe im Unterschied zu jenem Mann keinen Geschlechtsakt zuwege gebracht, sondern lediglich vergebliche Annäherungsversuche unternommen. - [3] Da sie weiterhin die Impotenz ihres Ehemannes behauptete, wurde auch dieser festgenommen und ohne vorhergehende Folter diesbezüglich befragt. Allerdings beteuerte auch dieser unbeirrt, sexuellen Verkehr mit seiner Frau gehabt zu haben. Gleichwohl gab er zu, ein halbes Jahr lang vor dem Weggang seiner Frau keinen Geschlechtsverkehr mehr mit ihr gehabt zu haben, doch habe dies nicht an ihm gelegen, sondern an ihrem abweisenden und lieblosen Verhalten. -[4] Bei einer erneuten, unter Anwendung leichter Folter vorgenommenen Befragung der Frau beteuerte diese abermals, dass ihr Mann impotent sei und abgesehen von einigen vergeblichen Versuchen, auf die er sogar zwei Jahre lang völlig verzichtet hätte, im Unterschied zum anderen Mann keinen Geschlechtsverkehr haben konnte. -[5] Da keiner der Ehepartner dem anderen irgendwelche Zugeständnisse macht, sondern auf seiner Darstellung beharrt, ziehen einige den Schluss, dass die Frau in Anbetracht der Mannesschwäche ihres Gatten die Ehe nicht gebrochen, sondern lediglich geburt habe. Sie sei deswegen nicht ais Ehebrecherin von ihrem Mann zu scheiden, sondern allein deshalb, weil wegen des Unvermögens ihres Mannes eine Ehe zwischen den beiden nie bestanden habe. - [6] Andere wiederum sind der Auffassung, dass die Ehe wegen des Eheversprechens und des anschließend mit gegenseitigem Einverständnis geführten Ehelebens rechtmäßig sei. Dabei spielen die Fragen, ob der Mann tatsächlich impotent sei oder ob die beiden Eheleute geschlechtlichen Umgang gehabt haben, keine Rolle, zumal die Frau sich lange nicht über die Mannesschwäche ihres Gatten vor der Obrigkeit beklagt hat. Überdies sei es angesichts des begangenen Ehebruchs seiner Frau ungebührlich, der Potenz des Mannes nachzugehen. -[7]Der Rat und die Bürgermeister von Konstanz teilen Bullinger die ganze Angelegenheit deshalb mit, weil es unterschiedliche Meinungen über den bei dieser Scheidung anzuführenden Grund gibt. Bullinger möge den Fall mit seinen Amtskollegen und auch anderen Gelehrten gründlich besprechen und seine Empfehlung in schriftlicher Form durch diesen Boten [...] oder sonst möglichst bald mitteilen, um den Konstanzern ein gerechtes Urteil zu ermöglichen. Dafür werden sie sich Bullinger dankbar erweisen. - [8] [P.S.:] Beide Eheleute sind wieder auf freiem Fuß.

Dem ersam und wolgelerten Hainrice Bullinger, vorsteer 2 im wort gottes zu Zurich, unserm besunder lieben und guten frund, unser fruntlich dienst voran! Ersam, wolgelerter besunder lieber und guter frund, es haltet sich zwuschen zwayen emenschen, die unser burgere sind, ettwas rechtvertigunng 3 vor uns von wegen der eschaidung, die sy baid begerent: Der 4 nun namlich, umb das 5 die frow von im geloffen ist; sy 6 , umb das der man in acht joren, die sy im bywonunng gethan, elicher wercken 7 mit ir nie gepflogen hab und sy noch derzyt ain jungkfrow syg, wie sy im anfang irer vorheisunng 8 gwesen. Dises der frowen furtrags 9 welt der man, a wie die rechtvertigung angieng

a-a Am Rande nachgetragen.
2 Antistes.
3 Prozess: s. Fischer V 218.
4 Jakob Kundigmann, Wirt des Gasthauses Zum Hecht in Konstanz, der dem alten Glauben zuneigte. Die Angelegenheit wird in Dobras, Ratsregiment 272-274 dargestellt.
5 umb das: weil.
6 Elsbeth Huber, die mit dem Konstanzer Zunftmeister Jos Huber verwandt war.
7 elicher wercken: sexuellen Verkehr.
8 "Vorheisunng" (Verheißung) im Sinne von "Versprechen" ist bei Adelung IV 1063 belegt. Gemeint ist die Verlobung bzw. das Eheversprechen.
9 Aussage.


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a , a . nit gestendig sin und begeret zu erkundigung der worhait, das die frow durch verstendig lut (wie im rechten 10 zugelassen und gebrüchlich) b , ob sy ain jungkfrow were oder nit, besichtiget werden sollte. Und so die worhait durch disen weg nit erston 11 werden mocht, so erbutte er sich ander mer die gezeugknissen, so er die erlangen mochte, furzebringen, oder die worhait mit sinem lib 12 , wie sich dem rechten nach gepure, ze bezeugen.

Ob nun sy (die frow) beschowet werden sollte, hatt sy zu unser erkantniss gßetzt 13 , doch dorby vermanet 14 , so sy ain jungkfrow an der schow 15 212r. || befunden, das dann anderer gezeugniß 16 von unnoten sin, sunder sy billicher der ee von im geschaiden werden sollte, etc. Uff disen furtrag haben wir, die frowen irer jungkfrowschafft halb beschowt ze werden, mit urtail erkant. Daruff die hebammen sy beschowt. Und haben befunden, das sy kain jungkfrow ist, sunder ain frow wie ain andere frow. Uß dem wir verursacht sind, sy in fangkniß ze legen und ze fragen, wer ir den magthumb 17 genomen hatte, dwil sy im rechten furgewendt, das ir eman nit ain man syge. Allso hatt sy fryg'8, 18 , one vorgende marter, bekannt, das sy in werender ee mit ainem andern 19 (den ouch sy mit nammen genennt) die werck der unkeuschait gepflogen. Derselbig hab ir den magthumb genommen und nit iren eman, dann 20 derselbig kam man syg. Er habe die elichen werck nie recht, wie der ander, mit ir vollbracht, aber wol offternmals mit ir ze handlen furgenommen, nie aber ettwas ußrichen oder schaffen mogen.

Wie nun sy uff solchen iren furgeben beharret ist, haben wir den man ouch in fangkniß gelegt und (doch one marter) gefragt, ob er ain man syg; deßglichen, ob er die elichen werck mit siner efrowen hab gehandelt. Daruff hatt er gsagt, ja, er syg ain man und habe die elichen werck mit ir, wie ain man mit amer frowen thun soll, gepflogen. Wol sagt er daby, das er by ainem halben jor lang vor dem, als sy von im geloffen syg, solcher wercken mit ir nit gehandelt. Da syge aber der mangel an ime nit gwesen, sunder an ir, dann sy sinen kam arbait 21 haben, noch liebe an ime legen wellen.

|| 212v. Dogegen aber sagt die frow und betheurete daruff, wiewol 22 sy mit marter (doch nit sunder grosser martery) c uff solches gefraget ist, das der man kam man syg, deren wercken ouch nit, wie der ander mit ir gepflogen, aber wol (wie vor ermeldet) mermals ze handlen versucht, doch nie ichtzit 23

b Klammern ergänzt. -
c Dieses und die drei nächsten Klammerpaare ergänzt.
10 Prozessverfahren; s. Fischer V 211. 213.
11 erlangt; s. SI XI 634.
12 körperliche Beschaffenheit; s. SI III 977.
13 hatt sy zu unser erkantniss gßetzt: hat sie uns anheim gestellt.
14 (das Gericht) verpflichtet; vgl. SI IV 294.
15 Untersuchung; s. SI VIII 1585.
16 angemessener, s. FNHDW IV 412. - Siehe dazu den unten in Anm. 29 angeführten Verweis.
17 Jungfräulichkeit; s. Fischer IV 1387.
18 freiwillig; s. SI 11257.
19 Unbekannt.
20 denn.
21 Mühe; s. Grimm I 422.
22 obwohl.
23 etwas.


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usrichten mogen. Zudem syge er d wol zway jor lang ouch deß versuchens, wie jetz ermeldet, gegen ir still gestanden.

Diewil nun baid parthyen kaine der andern furgebens geston wil, sunder jedes sin sag wor sin beharret, und dann by ettlichen geachtet wirt, so der man nit ain man were, das dann die frow nit geebrechet, aber wol sunst gehuret hatte, das sie derhalb e nit als ain ebrecherin oder von wegen deß ebruchs von im geschaiden werden sollte, sunder von deßwegen, das er nit ain man und derhalben kam ee je zwuschen inen gwesen were.

Ettliche vermainent, das von wegen der eebeziehung und doran behach 1 zitlichung 24 zwuschen den baiden ain ee syg, der man syge ain man oder nit, habe ouch die elichen werck mit ir gepflogen oder nit; zudem, das die frow so lange jor sich der unmoglichait 25 irs mans vor der oberkait nie beclaget hab. Darzu syge on not ouch ungepurlich, das der man siner manhait halb soll beschouwet, sundere von h der frowen 27 von h deß ebruchs wegen, daß begongen i .

||213r. So nun allso der ursach halben j . worumb dise egemacht 28 sollend gschaiden werden, ain ungliche mainung ist, 29 so haben wir uch den handel zuschriben wollen. Und bittent uch, ir wellent sampt andern uwern mittdienern im wort gottes, ouch andern gelerten, disen handel gruntlicher erwegen, wie hierinn ze handlen und was urtail ze geben sin werde, und unns desselbigen üwers ratschlags by disen unser botten 30 oder (so das jeze nit gut mochte) hienach, doch uffs furderlichest 31 , schrifftlichen berichten, damit wir dester bas 32 dorinn, wie recht, urtailen mogent, wie wir dann, k des umb uch beschulden 33 und uch freundschafftk bewysen koennen, wellend 1 willig sin. Datum 2. july anno 47.

etc.

Wir haben die haide emenschen der fangknins widerumb erlassen 34 .

[Ohne Adresse.]

d Über der Zeile nachgetragen. -
e In der Vorlage und derhalb (die Stelle wurde nämlich nachträglich, aber unvollständig vom Briefschreiber umformuliert). -
f Die Lesung behacht wäre auch möglich, lin Original ist dieses Wort mit dem darauffolgenden zusammengeschrieben. -
g Am Rande nachgetragen. -
h-h Am Rande nachgetragen. -
i In der Vorlage wurde der Satzteil beginnend mit siner manhait halb soll umgeschrieben. Nach gegongen folgt, durchgestrichen, von ir, daraufhin ein (wohl aus Versehen) nicht gestrichenes hab, und, nach einem gestrichenen geschaiden, die aus Versehen nicht gestrichenen Wörter gschaiden werden. - J Über der Zeile nachgetragen. -
k-k Am Rande nachgetragen -
1 In der Vorlage folgt wir.
24 und doran behach zitlichung: und dann (s. SI I 258) die willige (vgl. SI II 969) Dauer (der ehelichen Beziehung).
25 Impotenz.
26 insbesondere.
27 Elsbeth Huber.
28 Eheleute.
29 Zu verstehen: Da man nun unterschiedlicher Meinung in Bezug auf den Scheidungsgrund ist. - Was auf dem Spiel
stand, wird in Nr. 2940,77-81, genauer erläutert.
30 Derselbe unbekannte Bote wie auch in Nr. 2940,56-58. 88-92.
31 uffs furderlichest: bald. -Bullinger antwortete mit Nr. 2941.
32 besser.
33 des uch beschulden: das euch vergelten.
34 der fangknis widerumb erlassen: aus der Gefangenschaft wieder entlassen.