Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2939]

[Nikolaus Pfister]'
an Bullinger
Bern,
2. Juli [1547]

Autograph: Zürich StA, E II 441, 557f (Siegelspur) Ungedruckt

[1]Bullinger soll nicht glauben, dass Pfister so lange nicht schrieb, weil er ihre Freundschaft und seinen herzlichen Empfang beim [letzten] Besuch in Zürich vergessen hätte. Im Gegenteil! Er wird sich stets an diese Freundlichkeit erinnern, die er übrigens nicht zum ersten Mal erfuhr. Da aber der gemeinsame Freund Jodocus Kilchmeyer regelmäßig über den Stand der Dinge in Bern berichtet, will er den mit wichtigen Angelegenheiten beschäftigten Bullinger nicht mit Bagatellen aufhalten. Doch diesmal muss er eine Ausnahme machen. -[2] Über die vom Berner Rat nach Zürich geschickten Jugendlichen [Ismael Buchser und Samuel Schneuwlin] braucht er nicht zu schreiben, denn das wird bereits sein Amtskollege Eberhard von Rümlang getan haben. Dieser ist allerdings genauso wie er darüber beunruhigt, dass die schon früher [im Januar 1547]nach Zürich gesandten Berner sich dort unanständig aufführen und in Verruf geraten. Bullinger möge diesem Zustand ein Ende bereiten, um die Berner Kirche zu beruhigen und dein Ruf der Zürcher Schule nicht zu schaden. Er weiß ja, was hier auf dem Spiel steht! - [3] Schneuwlin ist ein vielversprechender Schüler. Auch bei Buchser besteht Hoffnung, sofern man darauf achtet, dass er nicht vom rechten Weg abkommt. Würden aber seine Lehrer die Zügel nur etwas lockern, wäre er schon verloren! Dass dies zutrifft, wird Bullinger nach einem oder zwei Gesprächen mit Schneuwlin feststellen können. -[4] Er mag sich wundern, dass die Berner [Zwinglianer] nicht einen anderen geschickt haben. Doch muss man wissen, dass diese das tun, was ihnen möglich ist, und nicht, was sie gerne möchten. Buchser hat seine Entsendung nach Zürich zwei Umständen zu verdanken: zum einen der Unbeständigkeit und der Verschlagenheit besserer und geeigneterer Berner Studenten, deren Zahl nicht gering ist, die jedoch vom Luthertum injiziert sind; zum anderen der von Kilchmeyer getroffenen Wahl. Pfister wollte eigentlich nicht darüber schreiben. -[5] Schon öfters hat er Johannes Wäber gebeten, ihm die noch ungedruckte, von Bullinger gegen das Gift der lutherischen Lehre verfasste Schrift ["De sacramentis"]wenigstens für einen Tag auszuborgen, dies jedoch vergeblich, auch wenn Wäber genau weiß, dass Pfister ebenso jeden Tag mit dein [lutherischen] Ungeheuer zu kämpfen hat. Wäber erwidert stets, er habe Bullinger versprechen müssen, die Schrift keinem anderen auszuleihen. Bullinger möge also diesem schreiben, damit er Pfister erlaubt, die Schrift ebenfalls einzusehen. Pfister wäre im siebten Himmel, zumal er weiß, dass mit dieser all die verrückten Ansichten der Lutheraner solid widerlegt werden können! Bullinger möge ihm doch diesen Wunsch erfüllen. - [6] Gruß an Johann

1 Pfister wurde von den Bernern aus Brugg berufen, und seine Anwesenheit in Bern ist am 19. November 1546 belegt. Ihm wurde anstelle des abgesetzten (s. dazu s. HBBW XIX 77, Anm. 12) Thomas Grynäus (der in Basel bei Oswald Myconius Zuflucht gefunden hatte; s. Vadian BW VI 673. 724) zunächst der Latein- und Griechischunterricht am Barfüßerkollegium in Bern anvertraut; s. Bernhard Samuel Friedrich Schärer, Geschichte der öffentlichen Unterrichts-Anstalten des
deutschen Theils des ehemaligen Kantons Bern, Bern 1829, S. 99; Adolf Fluri, Die bernische Schulordnung von 1548, in: Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte XI, 1901, S. 192-195. - Pfisters voriger Brief an Bullinger datiert vom 4. Dezember [1546] (HBBW XVIII, Nr. 2703).
2 Das Jahr geht u.a. aus der Erwähnung des damals in Zürich studierenden Samuel Schneuwlin hervor.


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Jakob Ammann. Bullinger wird alles Weitere von Kilchmeyer hören. Er soll möglichst wieder schreiben.

Nicolaus Artopoeus Heinrycho Bullingero, viro pietate et eruditione apprime ornato, S. D. Putas fortasse, vir praeclare, me oblivione nostrae amicitiae, imo humanitatis tug, qua me et excepisti et tractasti, cum isthic essem, 3 iam diu nihil ad te scripsisse. 4 Fallens profecto, istud si cogitas! Ita tu perpetuo me ames, in memoria habeo animi tui erga me bonitatem. Novi integritatem, novi denique benignitatem, quam non semel iam expertus sum. Haec, crede mihi, nunquam intermonentur apud me! Verum cum non ignorarem dominum Jodocum 5 , communem nostrum amicum, non raro de omni rerum nostrarum statu te certiorem reddere, 6 nolui ego quoque indoctis meis literis tibi obstrepere, atque neniis 7 meis interturbare longe severioribus occupatum, idque praeter rem. 8 Nunc autem res omnino postulare videtur, ut institutum meum mutem. Quare meliorem in partem haec omnia rapias, vehementer velim.

De pueris 9 [Iau]tem a , quos isthuc misit magistratus noster, non multa scribam. Causa est, quod reor id egisse collegam meum Aeberhardum a Rumlang, 10 quem nonnihil movit quoque, quod ii, qui prius 11 ad vos missi sunt, indulgentius 12 sese gessere, quam eos decet, ob idque male audiunt hic. De te magnam spem concepimus; quam ut ad finem usque perducas, etiam atque etiam rogamus. Quod si feceris, ecclesiae nostrae multum consolueris; et huius negligentie nullus fructus vestram in scholam redundabit. Intelligis pro tua solertia omnem rem.

a Am Rande nachgetragen und teils im engen Einband verdeckt.
3 Pfisters Reise nach Zürich ist in HBBW nicht belegt. Vielleicht begab er sich dahin im Zusammenhang mit dem in Aarburg ausgebrochenen Streit; s. dazu HBBW XIX, Nr. 2747. 2756. Vielleicht aber spielt Pfister auf das Treffen mit Bullinger an, an das er sich im zweiten seiner im Anhang des vorliegen Bandes veröffentlichten Brief erinnert.
4 Siehe oben Anm. 1.
5 Jodocus Kilchmeyer.
6 Vgl. HBBW XVII 370,11f.
7 Hier im Sinne von Belanglosigkeiten; s. Horaz, Epistulae, 1, 1, 62.
8 Vgl. HBBW XVIII 17f; 370,12.
9 Ismael Buchser und Samuel Schneuwlin; s. Nr. 2931,4f und Nr. 2937,1-8.
10 Ein Brief des am 10. Dezember 1546 am Barfüßerkollegium (anstelle des am 24. November 1546 verstorbenen lutherisch gesinnten Lehrers Johann Heinrich Meyer;
s. dazu Mathias Sulser, Der Stadtschreiber Peter Cyro und die bernische Kanzlei zur Zeit der Reformation, Bern 1922, S. 119; Fluri, aaO, S. 194) neu ernannten Schullehrers Eberhard von Rümlang ist nicht erhalten. - Pfister wusste offensichtlich noch nicht, dass noch am gleichen Tag wie er Kilchmeyer anstelle von Rümlang schreiben würde, zumal er glaubte, dass Kilchmeyer sich mit seinem und mit Rümlangs Brief nach Zürich begeben würde; s. unten Z. 44f.
11 Ende Januar 1547. - Gemeint sind Jonas Danmatter, Johannes Fädminger, Johann Knechtenhofer und Abel Mühlhofer, von denen aber Fädminger bereits abgereist war; s. Nr. 2931, Anm. 14.
12 Hier im Sinne von "zu nachlässig" oder "zu unseriös" zu verstehen. - Zur Angelegenheit s. auch Nr. 2931,10-12; Nr. 2937,9-21.


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De Schneuvlio omnia bona mihi polliceor. De Buchsero non despondi animum, si in via retineatur. Verum si data fuerit ei liberior vivendi potestas per praeceptores, actum est de eo omnino! Tu haec omnia ita se habere uno alteroque in b colloquio deprehendes.

"Cur non misistis alium?"inquies. Faciamus oportet, ut possumus, non ut volumus. 13 Habemus adhuc non paucos et doctiores et tractabiliores eo 14 , sed Luteranismo corruptos, quorum inconstantia et malignitas Ismaelo profuit, qui domino lodoco acceptum ferre debet hoc totum. Sed aliter 15 ago, quam volui.

Caeterum habes hic, vir doctissime, [libe]llum c nondum typis excusum, quem antidotum pararas contra Luterana venena. Eum habet d. bannes ||558 Waeberus 16 , quem semel iterumque rogavi, ut eo mihi quoque uti liceret in diem solum unum, si res meae id exigerent - quod ab eo impetrare non potui, etsi non ignoret, quot cum cancris atque hydris 17 cotidie mihi congrediendum sit, persancte affirmans ea lege a te eum recepisse, ne cum altero communicet. 18 Rogo te plurimum, vir humanissime, si ullo pacto fieri potest, ne mihi id beneficii deneges atque per literas ei significes, ut et mihi eius copiam faciat. Si feceris, sublimi feriam sydera vertice, ut Horatii verbis utar; 19 nam quantum ego iudicare possum, nihil est nugarum Luteranarum, quod non ex eo bene, vere et solide refelli possit. Fac itaque, quod rogaris, vir charissime.

Dominus te servet ecclesiae suae diu incolumem. Dominum Ammianum 20 meis verbis plurimum salutabis. De caeteris rebus audies 21 sine dubio quoque a d. Iodoco. Berne, postridie calendas iulias. Rescribe, quaeso, si vacat.

[Ohne Unterschrift.]

[Adresse darunter:] D. Heinrycho Bullingero, viro et pio et docto et sincerioris doctrinae evangelicae assertori ferventissimo.

b Über der Zeile nachgetragen. -
c Am Rande nachgetragen und teils im engen Einband verdeckt.
13 Vgl. Adagio 1, 8. 43 (ASD 11/2 262-264). 14 Gemeint ist Ismael Buchser.
15 Gegenüber der Äußerung oben in Z. 14f.
16 Johannes Wäber, der Helfer am Berner Münster war.
17 Anspielung auf die bucerisch-lutherische Partei in Bern; s. HBBW XV 71, Anm. 3.
18 Aus dem Vorhergehenden ergibt sich, dass hier ein handschriftliches Exemplar von Bullingers "De sacramentis"gemeint ist. Dass Wäber ein solches besaß, geht aus HBBW XVI 135f hervor. - Zu dieser
Abhandlung Bullingers s. HBBW XVI 100, Anm. 29.
19 Horaz, Carmina, 1, 1, 36.
20 Johann Jakob Ammann.
21 Der Gebrauch des Verbs audio weist darauf hin, dass Kilchmeyer vorhatte, sich nach Zürich zu begeben und aus unbekannten Gründen seinen Plan änderte und stattdessen noch am gleichen Tag wie Pfister mit Nr. 2937 schrieb. - Zu Kilchmeyers Reise nach Zürich kam es schließlich Mitte August; s. Nr. 2986,4f.