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Autograph: Zürich StA, E II 355, 122f (Siegelspur) Ungedruckt
[1] Schuler hat Bullingers letztem Schreiben (das er am vergangenen Sonntag [10. Juli]
erhalten hat) entnehmen können, wie es zu einer Versöhnung zwischen Kaiser Karl V. und
Landgraf Philipp von Hessen gekommen war, welcher aber sogleich darauf gefangen gesetzt
wurde! Aus dieser Begebenheit wie auch aus dein, was sich zuletzt zugetragen hat, wird
deutlich, dass der gerechte Gott vorhat, die Menschen für ihre Übeltaten zu bestrafen.
-[2] Was nützt es denn, täglich Buße zu predigen und zu einem guten Lebenswandel aufzurufen,
wenn man nicht bereit ist, dem Laster zu entsagen, und stattdessen scham- und furchtlos
eine Sünde nach der anderen begeht? Hätten die Niniviten auf die Warnung des Propheten
Jona hin nicht sogleich Buße getan, wären sie kurz darauf wie die Bewohner von Tyrus und
Sidon vernichtet worden. Nun aber soll Gott Menschen, die sein Wort nicht erst seit einigen
Tagen, sondern schon seit Jahren hören, verschonen? -[3] Die Heuchelei kann die Bosheit
nicht verdecken. Auch wenn die Menschen weder von der Bibel noch von der römischen
Geschichte und anderen historischen Niederlagen Kenntnis hätten, sollten sie doch durch die
alltägliche Erfahrung gelernt haben, dass sie mit Ungehorsam, Zwietracht, Stolz und Neid auf
die Dauer nicht bestehen können. Es gab kaum je eine so sündhafte Zeit wie die heutige.
Besonders in der Eidgenossenschaft hat die Habsucht und das Streben nach Bestechungsgeldern
und Geschenken überhandgenommen. Nun können reiche geistliche oder weltliche Herren,
die früher mit Hunden und Hellebarden vertrieben worden wären, ihre Anliegen vorbringen!
Wahrlich, die [Kardinalswürde]für Johann von Weeze, den Bischof von Konstanz, wird
der Kirche keinerlei Vorteile verschaffen! - [4] Schuler will damit nicht etwa Verzweiflung
oder Hoffnungslosigkeit, sondern seine Sorge um das Wohlergehen des Vaterlands bekunden.Briefe_Vol_20-300 arpa
Ebenso wenig will er trösten oder verschrecken, zumal er gut weiß, wie sehr Bullinger, besonders
seit Zwinglis Tod, diesen Zuständen mit seinen Schriften und Predigten entgegenwirkt.
Schuler wollte hier vielmehr seine Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass Christus demnächst
die Seinen durch einen Gideon oder sonst wie von der Macht des Antichristen befreien wird.
Gemeinsam mit anderen, die vor Balam [richtig: Baal]noch nicht in die Knie gegangen sind,
ist er bereit, sein ganzes Hab und Gut, ja sogar sein eigenes Leben zu opfern. Er weiß nämlich,
dass Christus, der Hauptmann, diese Balamspriester [richtig: Baalpriester]bestrafen wird!
-[5]Bullinger möge die Überlegungen eines unbedeutsamen Menschen wie Schuler gutmütig
aufnehmen und ihm wie auch anderen sein Wohlwollen bewahren.
Min ganntz willig diennst mitt erpietung aller eren bevor, erwirdiger, sonnders
lieber herr unnd frundt. Uß jungst uwerm schriben 2 , mir nechst verganngens
sonntags 3 zukomen, han ich, wie der lanndtgraff' mit dem keyser 5
bericht 6 unnd demnach erst 7 im gefencklich überantwurt, sampt fererem 8
innhallt verstannden, 9 usß dysem unnd andern vorergangnen henndlen 10 ich
nut anders dann die ware unbetruglich gerechtigkheyt gottes unnd unnserer
sündena verdiente straaf erkhennen und abnemen mag. Dann 11 so gott gerechtBriefe_Vol_20-301 arpa
(wie er dann inn der warheyt ist), khan ye die schuld nut 12 syn 13 ,
sonnder müß unnser allein sein; dann gott thut nyemant unrecht!
Was hilfftts, das man täglich von der buß unnd verzichung der sunden predigott unnd wir nut allein begangner lastern nut abstand, sonder erst sund uff sund one schaam unnd vorcht gottes ladend? Hättennd die Niniviter des propheten 14 warnung allein (wie ir dann sechend, das wir thünd) b ghörtt, unnd nut die buß schnell hernach gfolgt, hatte ir verderben khum 15 ettlich wenig tag verzohen 16 ; ja die warnung unnd predig wäre inen wie denen zu Tiro, Sidon, etc., zu statten komen 17 . Sol dann gott unnß, die sin wort nut nu 18 ettlich tag, sonnder vil jar ghört, ymmer verschonen?
Bsorg warlich, das kleyd der glichßnery 19 möge unnsern schallck 20 in die harr 21 nutt vertecken. Dann so wir schon hierumb biblischer schrifftten dheyne 22 hättend, gab unnß doch die erfarung täglicher gschichten (one der Römern unnd anderer communen 23 nyderlag unnd verderben) zu erkhennen, das unnser unghorsam, zweyträchtig, stoltz, nydig und verachtlich wesen inn die harr nut c bstan unnd blyben möchte. Dann zu weilchen zyten (ich geschwyg yetz andrer sunden unnd lastern, als 24 do sind eebruch, hury, füllery, gottslesterer, glißner 25 , schmeichler, wucherer, etc.) hatt man so ||122v. unverschamptt, besonnder inn unnser eydtgnoschafftt, alle ding durch den unnersettlichen gytt 26 unnd begird der myet unnd gaaben 27 furgnomen unnd angericht 28 ? Welcher herr (er sye geistlich oder welltlich) d , ob er schon unnser erbfind, kumpt nut, so ers vorhin durch usteylen des gehts anricht, zu verhör 29 (die 30 man sonst unnd noch vor wenig jarn mitt hunden oder zum minsten mitt hallenbarten zum land uß gyagt 31 hätte)? Ich bsorg furwar, dyse andere wyche 32 des byschoffs von Costentz 33 werde unnsern kilchen wenig nutz schaffen!
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Dyß, lieber her und frund, schrib ich nut, als ob ich noch an unnserm heyl verzwyfellt oder damit mich, sampt allen guttwilligen, grad dem anticrist ergeben und dheynes trosts me 34 hoffent sye, sonnder das ir hieby miner fursorg unnd gutten willen zum vatterland (wie man das vor schaden verhütten unnd vor kunfftigem ubel bewaren und erhallten möchte) sechend e . Schribs ouch nut, das ich uch, der dysen dingen mitt so groser sorg und arbeyt (yetz lange zyt 35 unnd sonnder nach des türen helden und diener Cristi, her Zwinglis säliger gedächtnus, abscheyden), wie das uwer schriften unnd predigen gnugsam anzöigen, obglegen 36 , ettwas trosts oder schreckens inbillden 37 wölle. Dann ich güter und ungezwyfellter hoffnung bin, das Cristus unnß yetz, diewyl wir unnß kheyner mentschlichen hilf me frolich getrösten 38 , am allernächsten 39 , unnd uß der gwallt und macht des anticrists, durch ettwann 40 ein Gedionem 41 oder inn ander weg eretten werde. Darzu ich min lib, güt unnd blutt, ja, so es der will gottes ist, gern mit andren, die, ob 42 gott wyl, ire knuw 43 dem Balam 44 noch nut gebuckt, wagen unnd darstrecken wil. Dann minß verhoffens müssend ||123r. dyse Balamspfaffen den dapffern hoptman Jesu noch (nut one ir gros verderben) finden 45 unnd sechen! Amen.
Dyß wöllen bester meynig 46 von mir kleinfügen 47 , als es warlich beschicht 48 , vermercken unnd uch further wie bißhar gegen mir und andren bewysen. Hiemit gott bevolchen! Datum mittwochen vor Margarethe 50 anno 1547.
Uwer gantz williger Pauli Schüler zu Schwanden inn Glarus. e Fehlt in der Vorlage. Weeze zum Kardinal zu befördern,
da dieser sich durch diplomatisches
Geschick in den politischen Verwicklungen
der Jahre 1545/46 hervorgetan hatte.
Bereits im Februar 1547 ging das Gerücht
um, dass Weeze den Kardinalshut
bekommen habe; s. HBBW XIX 239 und
Anm. 20. Dabei handelte sich um eine
Falschmeldung, da Weeze, der am 14.
Juni 1548 überraschend in Augsburg verstarb,
aufgrund seiner starken Bindung an
den kaiserlichen Hof für dieses Amt ohnehin
nicht geeignet gewesen wäre; s.
Rudolf Reinhardt, Ein Kardinalshut für
den Konstanzer Bischof Johannes von
Weeze? In: Rottenburger Jb. für Kirchengeschichte
IV, 1985, 239-241. 34 mehr. 35 yetz lange zyt: seit langer Zeit. 36 der dysen dingen obglegen (ist): der sich
dieser Aufgabe angenommen hat. 37 einflößen; s. SI IV 1199. 38 Zu verstehen: wir uns auf keine menschliche
Hilfe mehr zuversichtlich verlassen. 39 sehr bald. 40 etwa. 41 Gideon. -Vgl. Ri 6-8. 42 42- wenn. 43 Knie. 44 Hier und unten liegt eine Verschreibung
vor. Gemeint war der Gott Baal, und
nicht der Prophet Bileam, alias Bala(a)m.
-Vgl. 1Kön 19, 18; Röm 11, 4. 45 strafend erleben. 46 bester meynig: gutwillig. 47 kleinfügen: (einem) unbedeutenden
(Menschen). 48 zutrifft. 49 weiterhin. 50 Der Margaretentag wurde in der Konstanzer
Diözese am 15. Juli gefeiert.
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[Adresse auf der Rückseite:]f Dem erwirdigen, wolgelerttenn hem Heinrichen Bullinger, predicannt der stadt Zürich, mynem insonnders lieben hem unnd guttenn frundt.