Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2948]

Paul Wala Schuler
an Bullinger
Schwanden (Glarus),
13. Juli 1547

Autograph: Zürich StA, E II 355, 122f (Siegelspur) Ungedruckt

[1] Schuler hat Bullingers letztem Schreiben (das er am vergangenen Sonntag [10. Juli] erhalten hat) entnehmen können, wie es zu einer Versöhnung zwischen Kaiser Karl V. und Landgraf Philipp von Hessen gekommen war, welcher aber sogleich darauf gefangen gesetzt wurde! Aus dieser Begebenheit wie auch aus dein, was sich zuletzt zugetragen hat, wird deutlich, dass der gerechte Gott vorhat, die Menschen für ihre Übeltaten zu bestrafen. -[2] Was nützt es denn, täglich Buße zu predigen und zu einem guten Lebenswandel aufzurufen, wenn man nicht bereit ist, dem Laster zu entsagen, und stattdessen scham- und furchtlos eine Sünde nach der anderen begeht? Hätten die Niniviten auf die Warnung des Propheten Jona hin nicht sogleich Buße getan, wären sie kurz darauf wie die Bewohner von Tyrus und Sidon vernichtet worden. Nun aber soll Gott Menschen, die sein Wort nicht erst seit einigen Tagen, sondern schon seit Jahren hören, verschonen? -[3] Die Heuchelei kann die Bosheit nicht verdecken. Auch wenn die Menschen weder von der Bibel noch von der römischen Geschichte und anderen historischen Niederlagen Kenntnis hätten, sollten sie doch durch die alltägliche Erfahrung gelernt haben, dass sie mit Ungehorsam, Zwietracht, Stolz und Neid auf die Dauer nicht bestehen können. Es gab kaum je eine so sündhafte Zeit wie die heutige. Besonders in der Eidgenossenschaft hat die Habsucht und das Streben nach Bestechungsgeldern und Geschenken überhandgenommen. Nun können reiche geistliche oder weltliche Herren, die früher mit Hunden und Hellebarden vertrieben worden wären, ihre Anliegen vorbringen! Wahrlich, die [Kardinalswürde]für Johann von Weeze, den Bischof von Konstanz, wird der Kirche keinerlei Vorteile verschaffen! - [4] Schuler will damit nicht etwa Verzweiflung oder Hoffnungslosigkeit, sondern seine Sorge um das Wohlergehen des Vaterlands bekunden.

1 Paulus Wala gen. Schuler, 1503/08-1593, entstammte einem alten Glarner Geschlecht, genoss eine ausgezeichnete Schulbildung und wurde bereits 1525 als Nachfolger seines verstorbenen Bruders zum Landschreiber gewählt. 1533 wurde ihm für die Dauer von drei Jahren das Amt des Werdenberger Landvogtes übertragen. 1544-47 war er Landvogt in Sargans, 1556-58 und 1567-74 Glarner Landammann, 1556-1564 Anführer der Protestanten im Glarnerhandel bzw. Tschudikrieg und ab 1558 Pannerherr. Sein diplomatisches Geschick machte ihn zum Vermittler in vielen Streitigkeiten, so dass er bereits 1539 an einer Tagsatzung in Baden teilnahm und von 1549-84 regelmäßig als Tagsatzungsabgeordneter amtierte. Ebenso trat er 1564 als Mittelsmann zwischen der Stadt Bern und dem Herzog von Savoyen auf. Schuler verfasste
verschiedene Aufsätze und Gedichte, darunter einen Regimentsspiegel mit dem Titel "Wyss spruch", in dem er u. a. die Praxis des Amterkaufs anprangerte. Als Verfasser verschiedener theologischer Streitschriften setzte er sich für die Reformierten ein und polemisierte in diesem Zusammenhang gegen Aegidius Tschudis Abhandlung über das Fegefeuer. Mit Bullinger stand Schuler von 1547 bis 1560 in brieflichem Kontakt: Insgesamt sind vier Briefe von Schuler an Bullinger und zwei Briefe von Bullinger an Schuler überliefert. - Lit.: LL XVI 490; Fritz Büsser, Die theologischen Schriften des Glarner Landammanns Paulus Schuler, in: Zwa IX, 1952, 381-414; Gottfried Heer, Landammann Paulus Schuler und seine Zeit, in: Jb. des historischen Vereins des Kantons Glarus XXVIII, 1893, 15-65; HBLS VI 251f; HLS XI 219.


Briefe_Vol_20-300arpa

Ebenso wenig will er trösten oder verschrecken, zumal er gut weiß, wie sehr Bullinger, besonders seit Zwinglis Tod, diesen Zuständen mit seinen Schriften und Predigten entgegenwirkt. Schuler wollte hier vielmehr seine Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass Christus demnächst die Seinen durch einen Gideon oder sonst wie von der Macht des Antichristen befreien wird. Gemeinsam mit anderen, die vor Balam [richtig: Baal]noch nicht in die Knie gegangen sind, ist er bereit, sein ganzes Hab und Gut, ja sogar sein eigenes Leben zu opfern. Er weiß nämlich, dass Christus, der Hauptmann, diese Balamspriester [richtig: Baalpriester]bestrafen wird! -[5]Bullinger möge die Überlegungen eines unbedeutsamen Menschen wie Schuler gutmütig aufnehmen und ihm wie auch anderen sein Wohlwollen bewahren.

Min ganntz willig diennst mitt erpietung aller eren bevor, erwirdiger, sonnders lieber herr unnd frundt. Uß jungst uwerm schriben 2 , mir nechst verganngens sonntags 3 zukomen, han ich, wie der lanndtgraff' mit dem keyser 5 bericht 6 unnd demnach erst 7 im gefencklich überantwurt, sampt fererem 8 innhallt verstannden, 9 usß dysem unnd andern vorergangnen henndlen 10 ich nut anders dann die ware unbetruglich gerechtigkheyt gottes unnd unnserer sündena verdiente straaf erkhennen und abnemen mag. Dann 11 so gott gerecht

a Am Rande nachgetragen.
2 Nicht erhalten. - Lorenz Meyer (Agricola), der um diese Zeit Pfarrer in Schwanden an Valentin Boltz' Stelle wurde (s. HBBW XII 105, Anm. 1; XVI 236, Anm. 1), könnte der Überbringer dieses Briefes gewesen sein.
3 10. Juli 1547.
4 Philipp von Hessen.
5 Karl V.
6 ausgesöhnt (wurde); s. FNHDW III 1495.
7 sogleich.
8 weiterem.
9 Der Fußfall des Landgrafen vor Karl V. fand am 19. Juni 1547 im Langen Saal der neuen Residenz in Halle statt. Er war von Anbeginn nicht als Versöhnungszeremonie, sondern als eine öffentliche Demütigung mit anschließender Gefangennahme des Landgrafen inszeniert. Denn der Kaiser. der Philipp seit Beginn der Friedensverhandlungen im November 1546 wiederholt aufgefordert hatte, sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben, ließ diesen sowie die in dieser Angelegenheit als Vermittler auftretenden Kurfürsten, namentlich Herzog Moritz von Sachsen und Kurfürst Joachim II. von Brandenburg, im Unklaren darüber, was er mit der ominösen Formel eigentlich meinte. Dass diese nichts Gutes erahnen ließ, zeigte sich während der Zeremonie: der Kaiser ließ zwar nach dem Fußfall und
geleisteter Abbitte des Landgrafen seine Antwort verlesen, die besagte, dass der Landgraf aus der Acht erlöst, ihm die lebenslange Haft erspart und er bei seiner Herrschaft belassen werden sollte. Das Unterwerfungsritual wurde jedoch zu keinem formgemäßen Abschluss gebracht, da der Kaiser es unterließ, Philipp die Versöhnungshand zu reichen. Kurz darauf (s. dazu Nr. 2953,17-20) wurde stattdessen der Landgraf in der erzbischöflichen Moritzburg gefangen genommen, blieb fortan in kaiserlichem Gewahrsam und war bis zu seiner Befreiung am 4. September 1552 schweren physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt; s. Rommel I 539-542; Simon Ißleib, Die Gefangennahme des Landgrafen Philipp von Hessen 1547, in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte und Altertumskunde XI, 1890, 177-244; Fritz Wolff Der gefangene Landgraf. Der Weg in die Gefangenschaft, in: Landgraf Philipp der Großmütige 1504-1567. Hessen im Zentrum der Reform, hg. y. Ursula Braasch-Schwersmann, Hans Schneider und Wilhelm Ernst Winterhager in Zusammenarbeit mit der Historischen Kommission für Hessen, Marburg/Neustadt an der Aisch 2004, S. 123-137.
10 Vorgängen; s. SI 111397.
11 Denn.


Briefe_Vol_20-301arpa

(wie er dann inn der warheyt ist), khan ye die schuld nut 12 syn 13 , sonnder müß unnser allein sein; dann gott thut nyemant unrecht!

Was hilfftts, das man täglich von der buß unnd verzichung der sunden predigott unnd wir nut allein begangner lastern nut abstand, sonder erst sund uff sund one schaam unnd vorcht gottes ladend? Hättennd die Niniviter des propheten 14 warnung allein (wie ir dann sechend, das wir thünd) b ghörtt, unnd nut die buß schnell hernach gfolgt, hatte ir verderben khum 15 ettlich wenig tag verzohen 16 ; ja die warnung unnd predig wäre inen wie denen zu Tiro, Sidon, etc., zu statten komen 17 . Sol dann gott unnß, die sin wort nut nu 18 ettlich tag, sonnder vil jar ghört, ymmer verschonen?

Bsorg warlich, das kleyd der glichßnery 19 möge unnsern schallck 20 in die harr 21 nutt vertecken. Dann so wir schon hierumb biblischer schrifftten dheyne 22 hättend, gab unnß doch die erfarung täglicher gschichten (one der Römern unnd anderer communen 23 nyderlag unnd verderben) zu erkhennen, das unnser unghorsam, zweyträchtig, stoltz, nydig und verachtlich wesen inn die harr nut c bstan unnd blyben möchte. Dann zu weilchen zyten (ich geschwyg yetz andrer sunden unnd lastern, als 24 do sind eebruch, hury, füllery, gottslesterer, glißner 25 , schmeichler, wucherer, etc.) hatt man so ||122v. unverschamptt, besonnder inn unnser eydtgnoschafftt, alle ding durch den unnersettlichen gytt 26 unnd begird der myet unnd gaaben 27 furgnomen unnd angericht 28 ? Welcher herr (er sye geistlich oder welltlich) d , ob er schon unnser erbfind, kumpt nut, so ers vorhin durch usteylen des gehts anricht, zu verhör 29 (die 30 man sonst unnd noch vor wenig jarn mitt hunden oder zum minsten mitt hallenbarten zum land uß gyagt 31 hätte)? Ich bsorg furwar, dyse andere wyche 32 des byschoffs von Costentz 33 werde unnsern kilchen wenig nutz schaffen!

b Dieses und das nächste Klammerpaar ergänzt. -
c Am Rande nachgetragen. -
d Dieses und die vier nächsten Klammerpaare ergänzt.
12 ye nut: niemals.
13 die seine (sein).
14 Jona. -Vgl. Jon 3, 4-10. 15 kaum.
16 sich verzögert; s. Grimm XXV 2596.
17 wäre inen zß statten komen: hätten sie die Erfüllung (der Warnung) zu spüren bekommen. -Vgl. Jer 25, 22-30; Mt 11, 21f par.
18 nur.
19 Heuchelei.
20 Bosheit; s. SI VIII 676.
21 in die han: auf die Dauer.
22 keine.
23 Staaten.
24 wie.
25 Heuchler.
26 Habsucht.
27 myet unnd gaaben: Bestechungsgelder (s. SI IV 565) und Geschenken (s. Si II 55).
28 furgnomen unnd angericht: unternommen und arrangiert.
29 Darlegung seines Anliegens (vor den politischen Behörden).
30 Gemeint sind die Herren.
31 weggejagt.
32 Weihe.
33 Johann von Weeze, der von 1538-1548 Bischof von Konstanz war und viele Jahre als Generalorator Karis V. bei dessen Bruder Ferdinand fungierte. Schuler bezieht sich hier auf den vergeblichen, auf der Tagsatzung vom 22. Juni 1546 in Luzern beschlossenen Antrag der Inner-schweiz,


Briefe_Vol_20-302arpa

Dyß, lieber her und frund, schrib ich nut, als ob ich noch an unnserm heyl verzwyfellt oder damit mich, sampt allen guttwilligen, grad dem anticrist ergeben und dheynes trosts me 34 hoffent sye, sonnder das ir hieby miner fursorg unnd gutten willen zum vatterland (wie man das vor schaden verhütten unnd vor kunfftigem ubel bewaren und erhallten möchte) sechend e . Schribs ouch nut, das ich uch, der dysen dingen mitt so groser sorg und arbeyt (yetz lange zyt 35 unnd sonnder nach des türen helden und diener Cristi, her Zwinglis säliger gedächtnus, abscheyden), wie das uwer schriften unnd predigen gnugsam anzöigen, obglegen 36 , ettwas trosts oder schreckens inbillden 37 wölle. Dann ich güter und ungezwyfellter hoffnung bin, das Cristus unnß yetz, diewyl wir unnß kheyner mentschlichen hilf me frolich getrösten 38 , am allernächsten 39 , unnd uß der gwallt und macht des anticrists, durch ettwann 40 ein Gedionem 41 oder inn ander weg eretten werde. Darzu ich min lib, güt unnd blutt, ja, so es der will gottes ist, gern mit andren, die, ob 42 gott wyl, ire knuw 43 dem Balam 44 noch nut gebuckt, wagen unnd darstrecken wil. Dann minß verhoffens müssend ||123r. dyse Balamspfaffen den dapffern hoptman Jesu noch (nut one ir gros verderben) finden 45 unnd sechen! Amen.

Dyß wöllen bester meynig 46 von mir kleinfügen 47 , als es warlich beschicht 48 , vermercken unnd uch further wie bißhar gegen mir und andren bewysen. Hiemit gott bevolchen! Datum mittwochen vor Margarethe 50 anno 1547.

Uwer gantz williger Pauli Schüler zu Schwanden inn Glarus.

e Fehlt in der Vorlage.
Weeze zum Kardinal zu befördern, da dieser sich durch diplomatisches Geschick in den politischen Verwicklungen der Jahre 1545/46 hervorgetan hatte. Bereits im Februar 1547 ging das Gerücht um, dass Weeze den Kardinalshut bekommen habe; s. HBBW XIX 239 und Anm. 20. Dabei handelte sich um eine Falschmeldung, da Weeze, der am 14. Juni 1548 überraschend in Augsburg verstarb, aufgrund seiner starken Bindung an den kaiserlichen Hof für dieses Amt ohnehin nicht geeignet gewesen wäre; s. Rudolf Reinhardt, Ein Kardinalshut für den Konstanzer Bischof Johannes von Weeze? In: Rottenburger Jb. für Kirchengeschichte IV, 1985, 239-241.
34 mehr.
35 yetz lange zyt: seit langer Zeit.
36 der dysen dingen obglegen (ist): der sich dieser Aufgabe angenommen hat.
37 einflößen; s. SI IV 1199.
38 Zu verstehen: wir uns auf keine menschliche Hilfe mehr zuversichtlich verlassen.
39 sehr bald.
40 etwa.
41 Gideon. -Vgl. Ri 6-8.
42 42- wenn.
43 Knie.
44 Hier und unten liegt eine Verschreibung vor. Gemeint war der Gott Baal, und nicht der Prophet Bileam, alias Bala(a)m. -Vgl. 1Kön 19, 18; Röm 11, 4.
45 strafend erleben.
46 bester meynig: gutwillig.
47 kleinfügen: (einem) unbedeutenden (Menschen).
48 zutrifft.
49 weiterhin.
50 Der Margaretentag wurde in der Konstanzer Diözese am 15. Juli gefeiert.


Briefe_Vol_20-303arpa

[Adresse auf der Rückseite:]f Dem erwirdigen, wolgelerttenn hem Heinrichen Bullinger, predicannt der stadt Zürich, mynem insonnders lieben hem unnd guttenn frundt.