Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2958]

Bullinger
an Johannes Haller
Zürich,
20. Juli 1547

Abschrift von unbekannter Hand (17. Jh.): Zürich ZB, Ms F 46, 595f Ungedruckt

[J] Es liegt nicht an Bullinger, dass Haller nicht zurückberufen wurde! Er bemühte sich sehr darum, doch ohne Erfolg. - [2] Am 27. Juni hat Kaiser Karl V. aus Saalfeld wegen des geplanten Reichstags an die Eidgenossen geschrieben. Zur Abfassungszeit seines Briefes war der Reichstag auf den 20. September in Ulm angesetzt (seitdem wurde er wegen der in Ulm grassierenden Pest nach Augsburg verlegt). Im Brief machte der Kaiser viele schöne Versprechungen. Da aber unterdessen auch Basel und Mulhouse zum Reichstag bestellt wurden, baten die Eidgenossen [in ihrer Antwort vom 9. Juli], ihre Verbündeten nicht zu ausländischen Tagungen einzuberufen, sondern sie bei ihren Gewohnheiten zu lassen. -[3]Bullinger ist sich im Klaren über die Gefahr, in der Haller schwebt. Doch braucht dieser nicht zu verzweifeln. Sofern die Predigt des Evangeliums in Augsburg noch erlaubt ist, soll er die Wahrheit verkündigen! Zweifelsohne ist es Gottes Vorsehung zu verdanken, dass er in Augsburg Zeugnis für Christus vor dein Kaiser und ganz Deutschland ablegen darf -[4] Er soll sich an die Worte des Herrn erinnern, vor allein an die Bibelstellen über Paulus am Ende der Apostelgeschichte. Der Herr verlässt diejenigen nicht, die ihn aufrichtig suchen. Haller soll standhaft, treu und vorsichtig sein. Was er über das Geschehen in Augsburg berichtet, erinnert sehr an die Zeit, als Paulus als Gefangener nach Rom gebracht wurde und seine Schüler dort das Evangelium verkündigten. Haller soll sich nicht entmutigen lassen! Was immer er für die Zürcher und für Gottes Kirche tut, dient der Erbauung. Wie viele Menschen hat doch der Herr erbaut, indem er den Juden predigte! Und dem Propheten Ezechiel wurde gesagt: Ob sie gehorchen oder nicht, verkündige ihnen meine Wege! -[5]Auch in der Eidgenossenschaft geht nicht alles richtig zu! Dennoch muss die Wahrheit verkündigt werden. Haller soll Gott um Beistand bitten. Falls Lebensgefahr oder keine Möglichkeit mehr für die Verkündigung der Wahrheit bestünde, darf er nach dein Beispiel des Herrn und der Apostel die Flucht ergreifen. Doch nur bei unausweichlicher Gefahr! Anderenfalls würde er Schande über die Seinen bringen und sich dadurch undankbar erweisen! Er soll sich also klug aufführen. -[6]Am 14. August organisiert Zürich ein Schützenfest, zu dem alle Eidgenossen eingeladen sind. Die Aufregung über Rudolf Gwalthers "Antichrist" scheint sich zu legen. Doch auch wenn die Eidgenossen zusammen hielten, wird es stets Leute gehen, die ihren Dissens mit den [protestantischen Orten] kundtun. Auf der Tagsatzung in Baden war man sich so einig wie schon seit 20 Jahren nicht mehr. -[7]Gruß.

S. D. Ego vero non sum in culpa, quod non fueris revocatus. 2 Imo quantum potui, anxius sum, ut revocareris, sed nihil efficere potui. 3

a Mit Randbemerkungen und Unterstreichungen von Johann Heinrich Hottinger.
1 Datum, Unterschrift und Adresse wurden vom Abschreiber durch einen Vermerk am Briefanfang ersetzt: Idem [= Bullinger] eidem [= Haller]. Tiguro Augustam, 20. iulii 1547.
2 Bullinger bezieht sich hier auf Hallers Brief Nr. 2950,1, vom 14. Juli.
3 Vgl. Nr. 2917,1-17.


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De comitiis celebrandis 4 ipse caesar 5 Helvetiis scripsit literis Salveldiae 6 datis 27. iunii, 7 7 sed 20. septembre putavit se Ulmae celebraturum, iam vero propter pestem ibi grassantem 8 deflexit Augustam. Helvetiis ille omnia felicia pollicetur. Interea, cum et Basileenses et Mülhusenses vocavit ad comitia, 9 petunt Helvetii, 10 ne quem ex confoederatis ad extera illa evocet comitia, sed sciat nos frui nostra consuetudine.

Scio te iam versaturum in extremo periculo, sed nolim te desperare aut metuere. Si datur libertas et locus libere praedicandi evangelium, confitere veritatem! 11 Ego plane mihi persuadeo 596 || divina ordinatione et benevolentia factum, ut Augustam delatus ibi coram caesare et Germania universa Christo feras testimonium. 12

Memento verborum domini! 13 Memento eorum, quae de Paulo commemorant Acta apostolorum, maxime in postremis capitibus! 14 Si syncere egeris et deum et veritatem quaesieris ex animo, non deerit tibi dominus. 15 Tantum sis constans, fidelis et providens 16 . Fiebant Romae, cum illuc captivus duceretur Paulus 17 et cum ibi discipuli domini praedicarent evangelium, eadem illa, quae Augustae fieri dicis. Ne igitur subieceris! Tantum nobis et ecclesiae consulitur, tam multum aedificamus! 18 Quid, oro, et quantum aedificabat ipse dominus Iudaeis praedicans? Audiit Ezechiel: Sive audiant, sive minus, tu annuncia illis vias meas! 19

Etiam domi nostrae 20 fiunt quae non conveniunt, nihilominus praedicanda est veritas. Tu ora dominum, ne unquam tibi desit. Si periclitabitur autem vita neque locus datur veritati, nosti et dominum et apostolos sibi consuluisse fuga. 21 Nolim tamen, illam capessas, nisi adactus causis maximis et

4 Zum geplanten Reichstag s. Nr. 2952, Anm. 6.
5 Karl V.
6 Saalfeld a.d. Saale (Thüringen), wo der Kaiser am 27. Juni durchreiste; s. Stälin 580.
7 Dieser Brief des Kaisers vom 27. Juni wurde den in Baden versammelten Eidgenossen am 8. Juli übergeben; s. EA IV/1d 834 zu o. Laut dieser Quelle war der Briefüberbringer Guyon Mouchet (zu diesem s. Paul Delsalle, Charles Quint et la Franche-Comté. Portraits et lieux de mémoires, Besançon 2008, 145f), der Schwiegersohn von Nicolas de Perrenot, Herrn von Granvelle. Zu einer Abschrift dieses Briefes s. Nr. 2963, Anm. 15. - Der Brief wurde schon am Tag darauf beantwortet; s. Nr. 2954, Anm. li.
8 Zur Pest in Ulm 1547 s. Fischer. Chronik 135f; vgl. auch HBBW XIX 307. Anm. 28. Jedoch fand der Reichstag weniger
wegen des Ulmer Pestausbruchs, sondern vielmehr aufgrund der politischen Interessen des Kaisers in Augsburg statt, denn dieser glaubte, von dort aus besser auf die Entwicklungen in Frankreich und Italien reagieren zu können; s. Rabe, Reichsbund I 180f; RTA-JR XVIII/1 58.
9 Siehe Nr. 2945, Anm. 31.
10 In ihrer Antwort an den Kaiser vom 9. Juli; s. Nr. 2954, Anm. 11.
11 Vgl. Nr. 2950,14-16.
12 Vgl. Apg 23, 11.
13 Vgl. Lk 21, 15.
14 Vgl. Apg 24 bis 28.
15 Vgl. Jer 29, 13f.
16 Vgl. Mt 10, 16.
17 Vgl. Apg 28, 14-30.
18 Bezugnahme auf Hallers Äußerung in Nr. 2950,24f.
19 Vgl. Ez 2, 5. 7.
20 Gemeint ist bei den Eidgenossen (u.a. in Zürich).


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inevitabilibus, ne scilicet turpiter te geras apud exteros et domi probrum, et ingratus sis omnibus! Prudentiam ergo requiro in omnibus et per omnia.

Den 14. augusti wirt ein schiessen 22 Zürich. Daruf sind geladen alle Eidgnossen. Der span mit 23 dem büchlin vom Antichrist 24 wil verschwinen 25 . Man vermeints 26 , wann wir schon 27 wol eins seyen, werden wir doch wol leüt finden, die mit uns uneins sein werden. Zu Baden auf dem Tag 28 sind die Eidgnossen baß 29 eins gsin dann in 20 jahren nie!

Vale.

[Ohne Unterschrift.]

[Ohne Adresse.]30