Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2959]

[Bullinger]
an Joachim Vadian
[Zürich,
kurz nach dem
20. Juli 1547]

Autograph: Zürich ZB, Ms A 43, 441_444a (Siegelabdruck) b Ungedruckt

[1]Ein spöttisches deutsch-lateinisches Gedicht eines Deutschen zum schmalkaldischen Bad. Heiz ein, Landgraf [Philipp von Hessen]! Gieß ein, [Johann Friedrich von]Sachsen! Rasiere

a Seite 443 blieb unbeschrieben. -
b Mit Nadelstichspuren.
21 Vgl. z.B. Joh 8, 59; 12, 36; Apg 8, 1. 4; 11, 19; 12, 17; 13, 501; 17, 10. 14.
22 Schützenfest (Freischießen); s. SI VIII 1426. - Siehe dazu Bullingers Brief an Vadian vom 15. August (Nr. 2992) und den Brief von Hans Konrad Escher vom Luchs an Vadian vom 24. August (Vadian BW VI 6451, Nr. 1557). Die Veranstaltung fand vom Sonntag 14. August bis Mittwoch oder Donnerstag 24.125. August statt; s. Nr. 2996,27.
23 span mit: Streit um.
24 Die Rede ist von Gwalthers "Endtchrist"; s. Nr. 2879, Anm. 3 und Anm. 5.
25 auslaufen; vergehen; s. SI IX 1920.
26 Man vermeints: Man ist der Ansicht.
27 wann schon: auch wenn.
28 Die Tagsatzung, die am 20. Juni 1547 begonnen hatte; s. Nr. 2933, Anm. 18.
29 besser. -Vgl. Nr. 2958,9-11.
30 Den vorliegenden Brief schickte Bullinger an Vadian mit der Bitte um Weiterbeförderung; s. Nr. 2969,8f.
1 Bullingers Sendung an Vadian umfasst zwei Blätter: Das innere Blatt der Briefsendung und das äußere, auf dem die Adresse angebracht wurde. Auf der Rectoseite des inneren Blattes findet sich ein kaiserfreundliches, laut Martin Frechts Brief an Vadian vom 13. Juni 1547 (Vadian BW VI 628) "zu Nurenberg gemacht[es]") makkaronisches Gedicht in Distichen; auf der Versoseite eine ebenfalls in makkaronischen Versen verfasste, protestantische Entgegnung darauf. Vom ersten Gedicht erfuhr Bullinger kurz vor dem 19. Juli durch einen unbekannten Zürcher. Zwischen dem 19. und 22. Juli machte er sich, wie auch von Teilen einiger Briefe, die nicht an ihn gerichtet waren, eine Abschrift davon (heute in Zürich ZB, Ms A 43, 417-420); s. Nr. 2960, Anm. 17; Nr. 2968,44-46. Da die vorliegende Sendung ein in protestantischen Kreisen entstandenes, ebenfalls in Distichen abgefasstes makkaronisches


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tüchtig, [Sebastian] Schertlin! Säubere, Vater (bzw. Bader) Karl! Bezahlt, Reichsstädter, ihr dummen Reichsstädter, welche ihr vom Triefäugigen [vom Landgrafen] und von der sächsischen Amphore ins Schwitzbad geführt wurdet, damit ihr erduldet, was sie nicht ertragen konnten. Euch haben bald die Franzosen, bald die Eidgenossen, die Venezianer, der unschlüssige Dänenkönig [Christian III.] wie auch die Engländer große Versprechungen gemacht! Auch euer Wort Gottes vermochte nicht, euch zu beschirmen. Auch der Türke wird sich, o je, als ein arglistiger Geselle erweisen! ihr habt gehofft, dass die Bauern Aufruhr gegen die Gelehrten stiften würden! Doch zog diese ländliche Rotte ihre (Heu)gabeln den Spießen vor! Nürnberg war aber klug genug, um auf zwei Hochzeiten zu tanzen, da es merkte, dass ihr völlig berauscht wart. Wohlan! Werdet klug, indem ihr dem Kaiser die Treue haltet, damit es nicht notwendig wird, euch Räder [wie jenes]des Seneca aufzuwärmen! -[2][Gedicht]eines Unbekannten: Heiz ein, [Hans]Baumgartner! Gieß ein, [Anton]Fugger! Rasiere tüchtig, du Kaufmann! Säubere, Vater (bzw. Bader) Karl! Bezahlt, Reichsstädter, ihr dummen Reichsstädter, welche ihr von der Rotte der Kaufleute ins spanische Schwitzbad geführt wurdet, damit ihr erduldet, was sie nicht ertragen konnten. Während ihr die starken Schweizer verachtet habt und untreu wurdet, seid ihr an eurer Hinterlist zugrunde gegangen. Ihr habt auch Christus, der die Schwachen beschirmen könnte, keinen Platz gemacht, um die arglistigen Gesellschaften der Kaufleute am Leben erhalten zu können. Eure Hoffnung habt ihr auf die unseligen Lumpen, Fetzen und Waren gesetzt, und so wird das Volk schließlich mit den Lumpen zugrunde gehen. Nürnberg hat es an Weisheit gefehlt, es tanzte auf zwei Hochzeiten, täuschte beide Lager und blieb nicht treu. Wohlan! Werdet klug, indem ihr Christus den Gütern vorzieht, damit es nicht Freude macht mitanzusehen, wie ihr in die Bäder des Teufels fallt.

De Schmalkaldiensi balineo cuiusdam Germani iocosum Carmen Germanicolatinum. c2

c Bullingers Vorlage wird seine zwischen dem 19. und 22. Juli enstandene Abschrift (Zürich ZB, Ms A 43, 5. 418) gewesen sein; s. Nr. 2960, Anm. 17. Diese Abschrift ist hier als Bi abgekürzt. Da sie etwas mehr den orthographischen Gepflogenheiten des süddeutschen Raums entspricht als die vorliegende an Vadian gesandte Abschrift, werden im Apparat alle Lesarten (inklusive die orthographischen) verzeichnet. - Voit dem (und zwar nur von diesem) ersten makkaronischen Gedicht gibt es noch weitere zeitgenössische Abschriften; s. dazu Reinhard Bodenmann und Judith Steiniger Makkaronische Gedichte gegen Ende des Schmalkaldischen Krieges (1547).
Gegen-Gedicht enthält, welches nicht Teil der zuvor erwähnten und von Bullinger angefertigten Abschriften ist, wird sie erst nach dem 20. Juli anzusetzen sein, und da zudem die ganze Rectoseite des Blattes, auf dem die Adresse angebracht wurde, leer blieb, ist es eher unwahrscheinlich, dass Bullinger ihr ein weiteres Schreiben oder Brieflein beilegte. - Verschiedene Indizien sprechen dafür, dass hinter dem Gegen-Gedicht eine zürcherische Produktion, ja vielleicht sogar Bullinger selbst steckt, zumal es nicht in Gwalthers eigener Gedichtsammlung, Zürich ZB, Ms D 152, zu finden ist: Erstens ist das Gegen-Gedicht nicht Teil der oben erwähnten Abschrift; zweitens sprechen die unten in Z. 20 und 22 enthaltenen Aussagen eindeutig für eine eidgenössische Urheberschaft des Gedichtes; drittens hielt Bullinger es offensichtlich für wichtig, das Gedicht Vadian (der ihm ebenfalls bei Gelegenheit eigene Gedichte zukommen ließ; s. z.B. HBBW XVI 360 und Anm. 5) mitzuteilen; viertens darf die Sendung des Gegen-Gedichtes nicht als bloße Spielerei, sondern als Zeugnis des Glaubens gedeutet werden (Schmähungen durften nicht unbeantwortet gelassen werden), was die Vermutung nahelegt, dass Bullinger selbst hinter dieser "Antwort" steht. - Im nur sehr fragmentarisch erhaltenen Briefaustausch zwischen Bullinger und Vadian werden diese Gedichte nicht mehr thematisiert.
2 Das erste hier veröffentlichte Gedicht ist als Gegenangriff auf die anonym erschienenen, ausschließlich auf Deutsch verfassten


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Haytz eine d , Lantgravi 3 ! Geuse4 an, Sax 5 Schertli 6 bescherrs f7 wol! g Raib aus g8 Kale h9 pater 10 ! solvite, Reichstetides, Reichstetides narri, quos Lippus et Amphora 11 duxit Saxonica ins Schwaißbad, ferre quod hi 12 nequeunt! Gallia nunc vobis, kumaul i13 , nunc Marcus 14 et aeger Consiliis Danus 15 Anglia verba dedit.
d Bi: ain e Bl: Geuß. -
f Bi: beschirrs. -
g-g Bi: Rayb auß. -
h Bi: Karli. -
i Bullinger unterstrich das Wort und schrieb Taurus am Rande. / In Bi: kümul, ein Wort, das dort Bullinger am Rande wie folgt kommentiert: Glareanus pro kümul reposuit Taurus.
Verse zu verstehen, die 1546, als die Protestanten sich eines Sieges noch sicher waren, in der anonymen protestantischen Schmähschrift "Des Bapsts und der Pfaffenn Badstub" (VD16 P350-P352) öfters nachgedruckt wurden; s. dazu HBBW XVIII Wf, Anm. 5; XIX 353, Anm. 22.
3 Philipp von Hessen, gefangen seit dem 19. Juni.
4 Gieß.
5 Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen, gefangen seit dem 24. April.
6 Hauptmann Sebastian Schertlin, der nach Konstanz geflüchtet war.
7 Schere (rasiere) es. - Angespielt wird hier auf Schertlins Namen (von Scharte) und auf folgende Begebenheit: Während des Schmalkaldischen Krieges befahl dieser seinen Söldnern, sich den Bart zur Hälfte zu rasieren; s. Viglius van Zwichem 109, Anm. 36 (wo ein Brief vom 13. September 1546 zitiert wird); Ein hundert deutsche historische Volkslieder, hg. y. Friedrich Leonhard von Soltau, S. 368, Strophe 27; Deutsche historische Volkslieder. Zweites Hundert, hg. y. Rudolf Hildebrand aus Soltau' s Nachlass, Leipzig 1856, S. 214, Strophe 23. Beide Lieder sind vom Jahre 1547. Das erste ist: Ein schönes newes Lied von Carob, [Augsburg, Heinrich Steiner] (VD16 S3658 - dort f. Aiv,v.); das zweite: Ein schön new gemacht Lied zil Lob unnd Eer Gott auffgesetzter Obrigkait, [Augsburg, Steiner] (VD16 S3583 - dort f. Aiv,v.).
8 Raib aus: Reinige durch Reiben, scheuere aus.
9 Gemeint ist der siegreiche Kaiser. - Dass Bullinger in seiner Abschrift für Vadian "Kale" statt "Karli" schrieb, ist nicht unbedingt auf einen Schreibfehler zurückzuführen, sondern könnte ein gewolltes Wortspiel mit "Challi" (ein stumpfsinniger, einfältiger, unbarmherziger Mensch; s. SI III 194f) enthalten.
10 Hier liegt ein Wortspiel zwischen "Bader" und "pater" vor, das auf die im süddeutschen Raum ähnliche Aussprache der Buchstaben "b"und "p"bzw. "d"und "t" zurückzuführen ist (einige der zeitgenössischen Abschriften haben anstelle von "pater" das Wort "bader").
11 Lippus et Amphora saxonica: Der Triefäugige und die sächsische Amphore. - "Lippus"verbirgt ein Wortspiel mit Philippus und deutet also auf Philipp von Hessen, während die "Amphora saxonica" für den korpulenten und dem Wein ergebenen Kurfürsten von Sachsen steht.
12 Der Landgraf und der Kurfürst, die sich im November 1546 aus dem Donaugebiet zurückzogen und so die Reichsstädte im Stich ließen.
13 Aus der von Bullinger in Bi (s. dazu oben Anm. c) verzeichneten Erklärung (s. oben Anm. i) geht hervor, dass er diesen Spottnamen mit dem Worte "Taurus" in Verbindung brachte, welches in der von ihm angeführten Quelle der "Helvetiae descriptio" von Heinrich Glarean mit Un assoziiert wird. Seit dein Schwabenkrieg (1499) waren schlechthin alle Eidgenossen damit gemeint; s. SI IV 180.
14 Steht für Venedig.
15 aeger consiliis Danus: Der unschlüssige Christian III. von Dänemark.


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Nec non Gottswortumj vestrum, qui bschirmere debet! Turcus erit, o ho, perfida gselleytask ! Spes erat in pauris 1 , 16 aufrüres machere 17 doctis! Praetulit at spiessis rustica turba gablas. Witz 18 habuit Nürnberg, achßla 19 tragavit 20 utraque 21 ; Ratschlegis vestris sensit 22 m inesse merum 23m , Eia! Agite in Witzis haltando caesari glouben 11 . Ne Senecceo bados 24 wermerep25 conveniat. ||442 grec 26 Heytz yn, Baumgartner 27 ! Wäsch, Fucker 28 ! Krämere, 29 bschirs du! Rib uß, Kane pater! Solvite, Richstetides, Richstettides narri, 30 quos duxit krämera turba Hispana ins Schweißbad, ferre quod hi nequeunt! Dum fortes spernunt Svitzeros 31 et male gloubum Haltend, insidiis hi 32 periere suis.
j Bi: Gotswortum. -
k B1: gselleitas. -
1 BL: bauris. -
m-m In B1 von Bullinger unterstrichen und
n am Rande mit folgendem Kommentar versehen: Die Truncknen Tütschen. - BI: glauben. -
o Bi: Senece. -
p Bi: wärmere.
16 Sie (die Reichsstädter) hatten ihre Hoffnung auf die Bauern (das Landvolk) gesetzt.
17 Als Infinitiv (machen) mit lateinischer Endung zu verstehen.
18 Verstand, Klugheit.
19 Mit der Achsel (Schulter). -"Achsel" ist lateinisch dekliniert.
20 trugen (das Verb "tragen" ist lateinisch gebeugt).
21 Das deutsche Sprichwort "Auf beiden Achseln tragen" bedeutet "Auf zwei Hochzeiten tanzen". - Zur zwiespältigen Haltung Nürnbergs während des Schmalkaldischen Krieges s. HBBW XVIII 286 und Anm. 97.
22 Subjekt ist noch Nürnberg.
23 merum: purer Wein (hier für Rausch).
24 Das Bad des Seneca. - Dieser wurde gezwungen, sich das Leben zu nehmen, und tat es in einem Dampfbad (s. Tacitus, Annalen, 15, 64), was bereits in der damals weit verbreiteten Weltchronik des Hartmann Schedel (1440-1514) bildlich dargestellt wurde.
25 Als Infinitiv vom Verb "aufwärmen" zu verstehen.
26 Eines Unbekannten. - Diese lakonische Information spricht nicht gegen, sondern vielmehr für die oben in Anm. 1 geäußerte Vermutung. - Hier werden die Wörter oder Ausdrücke, die bereits im oberen Gedicht erklärt wurden, nicht erneut erläutert.
27 Hans Baumgartner; vgl. HBBW XVII 322 und Anm. 94.
28 Anton Fugger, der wie Baumgartner dem Kaiser viel Geld vorgeschossen hatte.
29 Kaufmann. -Die hier bekundete negative Einstellung gegenüber den Kaufleuten findet sich auch in Nr. 2872,18 und Anm. 15: Nr. 2875,[2]; Nr. 2882,16f: Nr. 2886,27-29; Nr. 2903,12-14; Nr. 2909, Anm. 10.
30 Dass die protestantischen Reichsstädter hier nicht in Schutz genommen werden, deutet auf eine schweizerische Urheberschaft hin.
31 Diese Aussage setzt ebenfalls deutlich eine schweizerische Autorschaft voraus.
32 Die Reichsstädter.


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Nec Christum admittunt, miseros qui bschirmere posset, Ut stet krämorum perfida gselleitas. Spes erat in lumpis, fätzis et mercibus aegris 33 . Tandem cum lumpis 34 turba peribit mers. Wytz caruit Nürnberg, 35 achßla dum tragat utraque; Fallit utrumque 36 simul, glouben habere nequit. Eia! Agite in Wytzis, lumpos postponite Christo, Daemonis in bados ne cecidisse iuvet. [Adresse auf S. 444:] Praestantissimo viro d. d. loachimo Vadiano, Sangallensi consuli, domino suo observandissimo. Sangallen.