[2962]
Autograph: Zürich StA, E II 370, 63 (Siegelspur) Ungedruckt
[1]Haller schrieb kürzlich [mit Nr. 2953]und wollte den Brie einem zuverlässigen Boten [...]
anvertrauen, doch ist dieser bis jetzt noch in Augsburg beschäftigt. Deshalb vertraut Hailer
nun jenen Brief zusammen mit dem vorliegenden Schreiben Thoman Ruman an. Dieser wird
über die Augsburger Lage berichten. Er konnte seine Beurlaubung bewirken. Haller hielt ihn
dazu an. Er selbst hätte auch seine Entlassung beantragt, wenn Aussicht auf Erfolg bestanden
hätte. Nun hofft er, dass Ruman sich ihm behilflich erweisen kann, indem er Bullinger und den
Zürcher Rat über die Augsburger Lage informiert. -[2]Der Beschluss [des Zürcher Rates],
Haller und Ruman in Augsburg zu lassen, war vielleicht nicht böse gemeint. Was jedoch
schmerzt, ist die Feststellung, wie wenig Hallers und Rumans Mahnungen ernst genommen
wurden. Falls also die Zürcher sich noch Gedanken um Haller machen, soll Bullinger dafür
sorgen, dass dieser sobald wie möglich zurückberufen wird, denn es ist nichts Gutes mehr von
Augsburg zu erwarten. -[3]Die Kirche ist sozusagen aufgelöst. Es gibt so viele Italiener und
Spanier in der Stadt, dass die Eltern sich kaum mehr trauen, ihre Wohnung zu verlassen. Viele
[Augsburger] besuchen unterdessen die Messe. Für diesen Gräuel werden zwei Kirchen vorbereitet!
Bürgermeister Hans Welser und Jakob Herbrot wissen nicht, was tun, geschweige,
dass sie sich um [die Pfarrer] kümmern würden! Sie wollen, dass die Predigten und Gebete
niemanden verletzen und geben dazu beinahe Vorschriften. Nur schon deshalb will Haller
nicht mehr in Augsburg bleiben, egal, ob er nun von den Zürchern abgerufen wird oder nicht.
Eine Rückberufung wäre allerdings nicht nur für sein eigenes Ansehen, sondern auch für
dasjenige von Zürich besser. Er hatte zwar vor, alles in Augsburg zu erdulden, zumal er sich
vom bevorstehenden Reichstag interessante Erfahrungen erhoffte. Doch angesichts des Verhaltens
[der Augsburger Behörden] und der Tatsache, dass man alle Schuld [den Pfarrern]
zuschiebt, ja sogar alles im Namen Christi verdreht, hält er es in Augsburg nicht mehr aus!
-[4]Auch ist offenbar, dass die Augsburger [Behörden] den versprochenen Schutz nicht nur
nicht mehr leisten können, sondern auch nicht mehr gewähren wollen. Als Hallers Kollege
Johann Heinrich Held von Tiefenau sich bei den Bürgermeistern darüber beklagte, Ausländer
bei sich aufnehmen zu müssen, haben sie ihn an die [kaiserlichen]Quartiermeister verwiesen.
Diese sagten, dass sie daran nichts ändern können; dass andere das Gleiche dulden müssen.
Ein spanischer Herr [...] kam zu Sebastian Lepusculus und befahl diesem frech, auf den
Dachboden zu ziehen, weil er sich im Wohnzimmer und in den Schlafzimmnern einrichten
werde. Als Lepusculus protestierte, erwiderte dieser: "So will ich es! Ihr müsst uns, die wir so
viel für den Kaiser ausgehalten haben, Platz machen!"So etwas kommt täglich vor. Und wenn
man sich beschwert, muss man mit noch größeren Schwierigkeiten rechnen. Gewiss würden
die [Augsburger Ratsherren] den [Pfarrern] gerne helfen, doch sie können oder wagen es
nicht! -[5]Haller sieht deshalb keine andere Lösung, als Augsburg zu verlassen. Und dass er
nicht schon jetzt mit Ruman zurückkommt, geschieht nur deshalb nicht, weil es angezeigter ist,
die [offizielle]Rückberufung abzuwarten. Bei Ruman ist das nicht so wichtig, da er in Augsburg
kaum bekannt ist. Aber Haller kennt jeder! -[6] Zudem staunen alle Kollegen, dass
Haller und Ruman bleiben (die derart triftige Gründe hätten wegzugehen), während sie selbst
viel darum geben würden, um weggehen zu dürfen. Sie sagen sogar, dass der Zürcher Rat sie
wohl verraten habe! Bullinger soll also dafür sorgen, dass Haller baldmöglichst zurückberufen
wird. -[7]Dieser hat vieles mit der Augsburger Kirche durchgemacht. Und auch künftig ist er
bereit, für sein Vaterland standhaft zu sein und Leid zu erdulden. Alle (auch seine Gattin
[Elsbeth, geb. Kambli]und sein ganzer Haushalt) können bezeugen, dass er gerne in Augsburg
war und nur schweren Herzens von dort weggeht (was übrigens oft Anlass zu UnstimmigkeitenBriefe_Vol_20-334 arpa
mit seiner Frau gab). Da aber die Lage aussichtslos ist und man nun zudem unter den Feinden
leben. und ihnen zustimmen muss, hält er es nicht mehr aus! Schon sind Fernando Alvarez de
Toledo, Herzog von Alba, Otto Truchsess von Waldburg, Bischof von Augsburg, Kardinal
Francesco Sfondrato, Gesandter des Papstes Paul III., und viele andere Fürsten (deren Namen
Haller sich nicht gemerkt hat) in der Stadt! Alles Weitere hoffentlich bald mündlich.
-[8]Bullinger möge Rücksicht auf Hallers Gewissen nehmen. Dieser wartet gespannt auf eine
Antwort. Er schrieb nur ganz kurz an den Zürcher Rat. Bullinger soll den Bürgermeistern
Johannes Haab und Hans Rudolf Lavater alles mitteilen. Ruman wird sich bei diesen auch
einsetzen. Gruß.
S. P. Scripsi superioribus diebus 1 de singulis ad te rebus, cum putarem me certum habere nuncium 2 . Tile vero propter sua negocia usque dum hic haesit. Ilias ergo prius scriptas nunc etiam una cum his per Romanum 3 ad te mitto. Is te de rebus nostris faciet certiorem. Petiit is veniam et impetravit idque non sine meo consilio. Petiissem ipse, si impetrare potuissem ego, sed spero hac ratione etiam mihi consuli posse per illum si ipse et tibi et senatui Tigurino exposuerit, quomodo se res nostrae habeant.
Agnosco non malo forte animo factum, quod nuper iussi simus manere. 4 Interim tamen doluit mihi, quod non invenerimus fidem, cum tam diligenter praemoneremus. Proinde, si adhuc salus nostra vobis curae est, da operam, ut quam primum revocer. Non enim est, ut aliquid hic boni speretis.
Nullam habemus fere ecclesiam Tanta enim iam adest Italorum et Hispanorum turba, ut nemo vel pater aut mater familias veut abesse aedibus. Plurimi etiam sectantur missam. Duo iam templa 5 huic abominationi parantur. Consules 6 , quid ipsi agant (nedum quod nobis consulant) a , ignorant! Volunt, ut sic praedicemus et oremus, ne quem offendamus, 7 et tantumnon
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certas praedicandi praescribunt leges, quae una causa me movet, ut manere nolim, sive vocer sive minus! Sed velim me vocari, non propter meam tantum, sed et propter omnium vestrum conservandam authoritatem. 8 Statueram profecto manere et experiri quidvis, cum considerarem non mediocris experientiae haec comitia fore occasionem. Sed cum video nostrorum animos omnemque in nobis tandem cudendam fabam 9 et in Christum omnia detorqueri, abhorret animus prorsus!
Accedit et illud: quod eam, quam promiserant, defensionem 10 ita negligunt, ut non modo non posse, sed nec velle etiam defendere appareat. Heldio 11 , symmistae nostro, hatt man ettlich wältsch ingfuriert 12 , und als er sichs 13 beklagt gegen 14 den burgermeisteren, habend si imm kein bscheid 15 gen, dann 16 zu den furierherren 17 gwisen. Als er zu inn kommen, habend si gsagt, si könnend imm nitt thun 18 18 ; es müßinds 19 ander lüt auch han 20 . Lepusculo 21 ist ein spanischer herr 22 ins hus kon 23 und inn frävenlich 24 gheißen, uff die hüne 25 ufen ziehen; die stuben 26 und kameren 27 werd er innhann 28 . Cumque diceret Lepusculus: "Satis haec, domine, pro imperio!", respondit: "Sic volo, sic iubeo! 29 Oportet vos cedere nobis, qui tanta pro caesare 30 sustinuimus!" ||v Huiusmodi nobis contingunt quotidie multa. Cum quaerimur, nihil aliud efficimus, quam quod nobis facimus negocium. Non dubito interim ipsos libenter nobis consulturos, si possent aut auderent.
Proinde non video, quid agam aliud, quam me hinc recipiam. Et quod non cum Romano hoc facio, haec una causa est, quod expecto vocationem, ut commodius divelli queam. Romanus paucis fuit notus, cum me tota novit urbs!
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Accedit et illud, quod omnes symmistae mirantur nos manere, qui tales, quales nos habemus, occasiones magno redimerent, et nihil aliud agerent, quam ut eas captent. In faciem nobis dicunt nos a senatu prodi Tigurino. Rogo ergo, ut, quam primum has acceperis, cures, ut revocer.
Sustinui hactenus cum hac ecclesia non pauca. Sustinebo et sufferam in posterum tanto audentius pro patria, quicquid dominus ferendum dederit! Hoc certo scito (et testabuntur hoc, qui mecum sunt, omnes, imo uxor 31 et familia mea) b , quod aegre divellor ab Augusta, neque unquam fui hic invitus (unde saepius mihi cum uxore fuit contentio). Sed quandoquidem res ita rediit ad restim, 32 ut in medio hostium sit versandum et connivendum ad omnem impietatem, haec animus meus ferre nequit. 33 Sunt iam hic duca 34 de Alba 35 , episcopus Augustanus 36 , legatus cardinalis pontificis 37 et principes alu, quorum nomina non teneo. Piura spero me coram tecum collocuturum.
Nunc vale et salutem atque conscientiam meam 38 habe tibi commendatam. Anxius expectabo responsum. Scripsi etiam senatui, 39 sed paucissimis. Tu Vens consulibus 40 haec omnia communicare. Aget meam apud eos causam Romanus. Vale cum familia et fratribus omnibus. Augustae Vindelicorum, 22. iulii 1547.
Manum nosti. |
[Adresse darunter:] D. Bullingero suo tanquam patri venerando. 41