Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2967]

Oswald Myconius
an Bullinger
Basel,
25. Juli 1547

Autograph: Zürich StA, E II 336a, 273 (neu: 288)(Siegelspur) Zusammenfassung: Henrich, Myconius BW 976f, Nr. 1092

[1] Den beiliegenden Brief hat Myconius einige Tage bei sich gehabt, weil er keinen Boten nach Zürich fand. Bullinger soll ihn an den Adressaten [...] weiterleiten. Myconius hat sich,

13 Vgl. Nr. 2953,28-33; Nr. 2962,51-53.
14 Nikolaus Müller gen. Maier.
15 Sixt Birck.
16 Georg Frölich.
17 Vermutlich liegt hier eine Anspielung auf den in Nr. 2952,4-8, bezeugten, aber nicht mehr erhaltenen Brief Bullingers an Frölich vom 27. Juni vor.
18 Unbekannt. - Wohl ein Augsburger, der bei Johannes Wolf, dem ehemaligen Studiengefährten Hallers (s. dazu HBBW X und XI Reg), Pensionär war.
19 Rurnan, der Augsburg am 22. Juli verlassen hatte (s. Nr. 2970,19), ist bereits am
28. Juli in Zürich nachgewiesen; s. Nr. 2969,2f.
20 Gemeint ist die kaiserliche Garnison unter Oberst Bernhard von Schaumburg.
21 Unbekannt. - Er wird im Dienste der Stadt- und nicht der kaiserlichen Garnison gestanden haben. In den Briefen HBBW XVII, Nr. 2494, 2548; XVIII, Nr. 2612, 2685, findet man nur einige Namen von Zürchern, die in Augsburg als Söldner dienten, während mehr als 150 Stadtzürcher in den Krieg gezogen waren; s. HBBW XVII 27 und Anm. 104f.


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nachdem er Bullingers Brief [Nr. 2954]empfangen hatte, bei Johannes Gast nach dem Geld [für die Wolle] erkundigt. Gast bestätigte, es vom Engländer [John Burcher] erhalten zu haben. Myconius hatte gedacht, dass Gast diesbezüglich längst an Bullinger geschrieben hätte! - [2] Er hat nichts über die Verhandlungen des französischen Gesandten [Sébastien (le L'Aubespine, abbé de Bassefontaine, auf der Badener Tagsatzung]erfahren. Derzeit quält ihn der schlechte Ruf den die Eidgenossen [in Frankreich]haben. Dieser ist auf ihre unersättliche Habgier zurückzuführen. -[3] Die [vermeintliche] Eintracht zwischen den Eidgenossen bereitet Myconius große Sorgen. Wenn diese Eintracht nur echt wäre, zumal eine solche angesichts des verschlagenen und bösartigen Spaniers [Kaiser Karis V]mehr als je vonnöten ist! Doch der Bibelvers "Gott verabscheut den blutrünstigen und falschen Menschen" [Ps 5, 7] lässt nichts Gutes von dieser Eintracht erwarten. Was für einen Erfolg können denn Verbündete, die sich im Herrn nicht einig sind, [von diesem erhoffen]? Es schmerzt Myconius zutiefst, immer wieder von den Einwohnern der Fünf Orte zu hören, dass, falls der Kaiser angreifen würde, sie die [unter den Eidgenossen bestehenden] Glaubensunterschiede ausklammern würden! Was das für Folgen hat, kann Bullinger sich wohl denken! Es bleibt [den vier protestantischen Städten] nichts anderes übrig, als dem Herrn von ganzem Herzen zu vertrauen. -[4]Hoffentlich waren die in Königsfelden gefundenen Grabstätten für Kaiser und Könige und nicht für das Landvolk bestimmt! -[5]Bullingers Mitteilung über Johann von Weeze, den Erzbischof von Lund, war lustig, jedoch nicht jene über die Basler! Myconius hörte zum ersten Mal davon. Auch die Pfarrkollegen wussten nichts Näheres darüber. Wie Thomas Gyrfalk von einem Ratsherrn [...] erfuhr, soll der Kaiser in diesen Tagen an einige oder gar an alle eidgenössischen Orte geschrieben haben, und zwar, dass er die Acht alten Orte als ewige Freunde ansehen wolle und ihre Freiheit nicht antasten werde, solange sie sich heraushielten, wenn er etwas gegen einen Untertanen des Hauses Österreich unternehmen müsste. Wie listig, um nicht zu sagen, wie dumm! Es sei denn, er versucht auf diese Weise, den Hund zu reizen! Möglicherweise war es [die oben angedeutete Vorladung der Basler durch den Kaiser], die die Eidgenossen dazu veranlasste, dem Kaiser [am 9. Juli] wegen der drei Städte [Basel, Mulhouse und Rottweil] erneut zu schreiben. -[6] Über die Hansestädte hört man gar nichts. Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel wurde wieder als Herzog eingesetzt. Er hat bereits versucht, Bremen zu schikanieren. Da kam aber Johann von Heideck und tötete ihm mehr als 500 Mann. Als derselbe Heideck der Stadt Bremen Proviant zuführen wollte, erfuhren die Feinde davon und postierten einige Soldaten im Tal und andere auf einer Anhöhe. Zwischen den beiden Truppen hätte der Proviantzug ziehen sollen. Heideck erfuhr aber davon, ließ den Proviantzug zurück, um mit einigen Männern in einem Überraschungsangriff die Truppe im Tal anzugreifen und niederzuschlagen. Die Feinde hatten zuvor ein Zeichen vereinbart: Bei einem Kanonenschuss sollte die auf der Anhöhe postierte Truppe herab ins Tal stürmen. Da jedoch das Zeichen ausfiel, wurde von dieser Truppe ein berittener Kundschafter [...]losgeschickt. Dieser sah, dass die untere Truppe geschlagen worden war und meldete dies seinen Leuten, worauf auch diese die Flucht ergriffen. Dies hat vor wenigen Tagen ein Basler Patrizier [...], der im Bad Liebenzell war, auf seiner Heimreise vom Grafen Wilhelm [von Fürstenberg] erfahren. Bullinger soll den Namen nicht weitersagen. -[7]In Venedig ist die Lage der [Protestanten]furchtbar geworden. Auf die Denunziation von Lutheranern wurde eine Belohnung von 50 Dukaten ausgesetzt. Was daraus folgt, kann man sich denken! -[8] Bullinger möge wieder schreiben. Gruße.

S. Quas vides hisce adiunctas, ad eum 1 mittas, quaeso, cuius nomen praeferunt. Aliquot diebus mecum habui, quod non occurrit, qui petiturus esset Tigurum. Quamprimum igitur dimittas. Gastius pecuniam accepit ab Anglo 2 ;

1 Unbekannt.
2 John Burcher; s. Nr. 2934,37f. - Damit
antwortete Myconius auf Bullingers Frage in Nr. 2954,31.


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id enim interroganti mihi respondit mox, ubi tuas 3 acceperam. Putaram iam pridem rescripsisse. 4

Quid Gallus 5 egerit, prorsus ignoro, etiam postquam diligenter inquisivi. Nam quos adii, se ipsos quoque nescire confirmabant, et quidem sancte. Ego vero vix alia de re magis hac tempestate fui sollicitus, quod illud nondum excidit: male Helvetium hactenus fuisse ob inexplebilem nostrorum avariciam, qua longo iam tempore Galliam satis divexarunt. Adhuc igitur scire cupio, quidnam egerit.

De nostrorum 6 concordia valde sum sollicitus. Utinam ea posset esse integra! Tempus enim est, si unquam fuit, quo illa opus est inprimis ad occurrendum Hispanico ingenio versipelli et maligno 7 . Et si illud nobis non succurret: "Virum sanguinum 8 et dolosum 9 abominatur dominus", nescio, quomodo feliciter agamus cum ipso 10 , nisi melius in domino conveniret inter nos. Dolet enim mihi supra modum, quod subinde audio a Quinque Pagicis iactari: "Wenn es darzu kumpt, 11 so werden wir den glouben nebetzich a setzen 12 ", etc. Nam quale sit verbum istud, tu potes expendere! 13 Age vero, quid faciemus, nisi ut a domino pendeamus et in eo fidamus ex corde, etc.!

Dominus Jesus efficiat, ut sepulchra, de quibus scripsisti, 14 Campi Regii 15 sint imperatoribus et regibus, non rusticis extructa.

a In der Vorlage folgt ein redundantes sich.
3 Vom 16. Juli (Nr. 2954).
4 Gast hatte mit Nr. 2949 vom 14. Juli den Erhalt des Geldes bestätigt, doch war sein Brief noch nicht in Zürich eingetroffen, als Bullinger mit Nr. 2954 an Myconius schrieb; s. Nr. 2954, Anm. 19.
5 Hier ist vermutlich Sébastien de L'Aubespine, abbé de Bassefontaine, gemeint; s. Nr. 2954, Anm. 17.
6 Gemeint sind die eidgenössischen Orte.
7 Anspielung auf Kaiser Karl V.
8 Ps 5, 7. - Zu diesem Hebraismus s. Stotz 1129, Nr. 50.4.
9 Dabei denkt Myconius an die Fünf Orte; vgl. z.B. Nr. 2985,11.
10 Gemeint ist der Kaiser.
11 D.h.: wenn der Kaiser angriffe.
12 nebetzich setzen: nicht in Betracht ziehen.
13 Für Myconius konnte eine Einstellung, die die Religionsangelegenheit als nebensächlich betrachtete, nur Gottes Missbilligung bzw. Strafe auf die Eidgenossen heraufbeschwören, falls diese gegen den Kaiser kämpfen müssten. Dabei denkt er etwa an biblische Begebenheiten wie jene in 2Chr 18, 1 bis 19, 4. -Zu Bullingers Antwort s. Nr. 2984,12-25.
14 Vermutlich auf einem zusätzlichen Zettel, der Bullingers Brief Nr. 2954 beigelegt war und heute nicht mehr erhalten ist.
15 Königsfelden (Aargau). -Wahrscheinlich stieß man damals hei Umbauarbeiten im Bereich des Konventsgebäudes und des Kreuzganges des Klosters Königsfelden. wo seit 1530/32 allmählich ein Spital eingerichtet wurde, auf menschliche Überreste (wir danken Reto Bucher, Bereichsleiter Untersuchungen Mittelalter der Kantonsarchäologie des Aargaus, uns auf diese mögliche Erklärung aufmerksam gemacht zu haben -ein Grabmal von Juli 1547 lässt sich nämlich nicht nachweisen, so dass Bullingers Mitteilung kaum in Verbindung mit einer Bestattung steht). Bullinger wird den Fund Myconius mitgeteilt haben, was Letzteren wiederum zu der hier geäußerten Hoffnung veranlasst haben wird. - Myconius' Wunsch erklärt sich insofern, als in Bauerngräbern keine Funde von wertvollen Beigaben zu erwarten waren. - Bullinger wird die Nachricht aus dem bei Königsfelden gelegenen Ort Brugg erfahren haben. Dort hatte er Familienangehörige (s. Bernhard Stettler, Bullingers


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De Lundensi 16 placet, quod significasti; 17 de Basiliensibus meis ne tantillum quidem! 18 Tu primus me admones, nec fratres plura quam ego norunt. Ex senatore quodam 19 Gyrfalconius 20 meus dixit his diebus caesarem scripsisse, nescio an ad Pagos omnes an ad aliquos. 21 Octo se, quos Veteres 22 adpellamus, pro amicis perpetuis habiturum et libertatem eorum haudquaquam laesurum, si de reliquis, ad domum Austriae pertinentibus, se non, si quid contra eos tentant, intromisceant. Magnum hoc, et fraudulentum, interim tamen et stultum, nisi fraudem suam ita voluerit detectam et quaerere baculum, quo canem feriat 23 . Forsitan id est, quod rescripserunt caesari de tribus, quas b nominasti, civitatibus 24 Pagi omnes. 25

De civitatibus maritimis 26 ne verbum quidem audio. Brunsvicensis 27 de novo factus est dux. Conatus est divexare Bremam. Venit Heideckius 28 et fudit ultra 500 occisis. Idem commeatum Bremensibus voluit adduccere. Senserunt id hostes feceruntque duas partes suarum copiarum, in imum 29

b In der Vorlage quos.
Familiengeschichte. Edition und Kommentar, in: Zwa XLII, 2015, 13. 26-28. 45f) und kannte zudem die damals dort wirkenden Kollegen Leonhard Hospinian und Johannes Fädminger (s. Nr. 2937, Anm. 8 und Anm. 22).
16 Johann von Weeze, Bischof von Konstanz, und nominell seit 1522 Erzbischof von Lund (Schweden).
17 Bezug auf Nr. 2954,12f.
18 Nämlich die Nachricht, dass die Basler nach Sélestat vorgeladen wurden, um Anweisungen vom Kaiser erhalten zu können; s. Nr. 2945, Anm. 31. —Myconius bezieht sich hier auf Nr. 2954,14-17.
19 Unbekannt.
20 Thomas Gyrfalk, Archidiakon am Basler Münster und Gehilfe von Myconius.
21 Hier ist schon die Rede vom damals noch nicht verfassten Brief des Kaisers an die Eidgenossen vom 28. Juli 1547, zumal aus dem weiteren Verlauf des Textes klar wird, dass hier nicht der Brief des Kaisers vom 27. Juni (s. dazu Nr. 2958, Anm. 7), sondern dessen Antwort auf den Brief der Eidgenossen vom 9. Juli (s. dazu Nr. 2954, Anm. 11) gemeint ist. Anders als hier dargestellt, sollte aber der Kaiser mit seinem Brief den Eidgenossen versichern, dass sie nicht zur Teilnahme an ausländischen Reichs- und Tagsatzungen genötigt würden. Der Wortlaut seines Briefes vom 28. Juli ist gedruckt in Ludwig Friedrich von Jan, Staatsrechtliches
Verhältnis der Schweiz zu dem deutschen Reiche von dem Ursprung der Eidgenossenschaft bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts, Teil 3, Nürnberg und Altdorf 1803, S. 178f, Nr. 98. Zwei zeitgenössische Kopien davon sind in Zürich StA, A 176.2, Nr. 169f, erhalten. Der an die Eidgenossen gerichtete Brief wurde am 10. August dem Vorort Zürich übermittelt; s. Nr. 2984,32-42.
22 Die Acht alten Orte: Freiburg, Glarus, Luzern, Schwyz. Solothurn, Unterwalden, Un und Zug.
23 Zu verstehen: es sein denn, der Kaiser versuche auf diese Weise, die Eidgenossen zu reizen (damit er einen Vorwand hat, sie anzugreifen).
24 Basel, Mulhouse und Rottweil.
25 Zu verstehen: Vielleicht war es dies (nämlich die oben angedeutete Vorladung der Basler durch den Kaiser), das die Eidgenossen dazu veranlasste, dem Kaiser bezüglich der drei Städte erneut zu schreiben.
26 die Hansestädte.
27 Herzog Heinrich d.J. von Braunschweig-Wolfenbüttel. Zu seiner Freilassung s. Nr. 2920, Anm. 20.
28 Johann Freiherr von Heideck, ein württembergischer protestantischer Truppenführer, der damals im Dienste der niedersächsischen Städte stand; s. HBBW XIX 324, Anm. 2.
29 Hier als Tal zu verstehen.


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alteram, in collem alteram collocantes. Inter has commeatus transire cogebatur. Heydeckius re intellecta commeatu relicto invadit tacitus, qui erant in imo, et fudit. Convenerat 30 , ut signo per boardas 31 dato, qui collem occupabant, decurrerent. Verum eo dilato missus est 32 eques speculator 33 , qui exploraret, quid rei esset. Is strage et fuga cognita redit ad suos et hoc nuncio ipsos in fugam propulit. 34 hec nobilis civis noster 35 ante paucos dies a comite Gulielmo 36 domum ex Thermis Cellanis 37 rediens. Nomen 38 tibi dico, non etiam aliis.

Veneti pessima quaeque agunt contra dominum: Ducatos 50 promiserunt accusatori Lutherani. 39 Ex hoc metire reliqua!

Rescribe. Vale in domino cum fratribus omnibus. Basileae, 25. iulii anno 1547.

Os. Myco. tuus.

[Adresse auf der Rückseite:] D. Heinricho Bullingero, viro doctissimo, ministro Christi fidelissimo, fratri ac domino in Christo venerando suo. Zü[rich] c

c Textverlust bei der Entfernung des Siegels.
30 Nämlich unter den Feinden.
31 Kanonen; s. HBBW XVII 290, Anm. 15.
32 Nämlich von den Feinden, die auf dem Hügel lauerten.
33 Unbekannt.
34 Zu diesen fragwürdigen Nachrichten konnte nichts Näheres ermittelt werden.
35 Unbekannt.
36 Der protestantische Graf Wilhelm von Fürstenberg, dessen Gesundheit damals angeschlagen war; s. Wagner, Fürstenberg 272.
37 Bad Liebenzell.
38 Und zwar der Name des ursprünglichen Informanten Wilhelm von Fürstenberg.
38 Vgl. Nr. 2970,152f. - Tatsächlich verschlimmerte
sich 1547 die Lage der Protestanten ("Lutherani") in Venedig. Der Doge Francesco Donato ordnete am 22. April 1547 an, dass die drei von der Regierung bestimmten Beisitzer der kirchlichen Inquisition die "Ketzer" in der Stadt verfolgen, Denunziationen entgegennehmen, an den Sitzungen des Gerichts teilnehmen und für die entsprechende Urteilsfällung sorgen sollen; s. Theodor Elze, Geschichte der protestantischen Bewegungen und der deutschen evangelischen Gemeinde in Venedig, Bielefeld 1883, S. 16f; Karl Benrath, Geschichte der Reformation in Venedig, Halle 1887, S. 28.