Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2988]

Oswald Myconius
an Bullinger
Basel,
12. August 1547

Autograph: Zürich ZB, Ms F 62, 385 (Siegelspur) Zusammenfassung: Henrich, Myconius BW 983f, Nr. 1098

[1]Myconius dankt für Bullingers Antwort [Nr. 2984]. Johannes Gast wird die [Ausgabe von Persius' Satiren]beschaffen. Bullingers Ausführungen liber die Fünf Orte (der Herr segne sie!) sind zufriedenstellend, auch wenn Myconius immerzu vorsichtig bleibt. -[2] Zunächst freute er sich über den Brief Kaiser Karls V. [an die Eidgenossen vom 28. Juli]. Doch als er ihn wiederholt las, schien er ihm viel weniger freundlich. Dass man dieser spanischen Giftnatter nicht trauen kann, ergibt sich schon aus den Erfahrungen der letzten 20 Jahre! Mit schönen Worten versucht er, die Eidgenossen zu beruhigen, um sich dann die unvorsichtig Gewordenen zu unterjochen. Vielleicht aber hat Gott vor, den Hochmut der Eidgenossen zu bestrafen. Sein Wille geschehe, und er verleihe auch Ausdauer! - [3]Myconius hätte viel lieber erfahren, wie Bullinger die Erscheinung [in Glarus]deutet. Als er noch in der Heimat [Luzern] lebte, hörte er dergleichen Märchen bis zum Überdruss. Er wejß schon, dass Gott manchmal auf diese Weise Unglück ankündigt, doch möchte er seine Auslegung des Zeichens nicht der göttlichen Strafe voranstellen. Erst wenn der eine Löwe den anderen verschlungen hat, wird er sich dazu äußern. -[4]Sollte das Guajakholz den "Nebukadnezar Deutschlands" [Karl V.] nicht gar umbringen, wird es wohl keine heilbringende Wirkung haben ... Dieser Spanier spaltet die Eidgenossen mit schönen Worten, bis er dank des [neuen Schwäbischen] Bundes und anderer Mittel bereit ist, gegen sie vorzugehen. -[5]Gut, dass Johannes Haller endlich zurückkommt! -[6]Sollte der Kaiser versuchen, die Religion zu deformieren, wird ihn Gott bestimmt dafür strafen. -[7]Grüße, auch an Theodor Bibliander und Rudolf Gwalther. Sie könnten auch einmal schreiben oder wenigstens grüßen lassen.

S. Recte, id est quemadmodum volui, respondisti. 1 Ago tibi gratias. Cum Gastio egi, quicquid petisti. 2 Promisit se obtemperaturum. De 5 Pagicorum interpretatione 3 contentus sum, quamvis semper timeam anguem latentem. 4 Dominus eis benedicat! Amen.

Caesaris 5 verba lubens audio. Verum dum repeto, subinde fiunt insuaviora. Hispanicae fraudi fidere nequeo! Non est vipera magis referta veneno, quam vir ille multis et varus dolis; id quod per annos iam 20 satis experti sumus. Bonis verbis conatur nos facere securos, quales postquam reddidit, tunc tandem obprimet imprudentes. Age, vult deus forsitan ita frangere nostram

1 Auf die in Myconius' Brief Nr. 2967 vom 25. Juli gestellten Fragen, die Bullinger mit seinem Schreiben Nr. 2984 vom 11. August beantwortete. - Der um sechs Uhr morgens verfasste Brief Bullingers (s. Nr. 2984,64) war umgehend durch den Boten Andreas Müller (s. Nr. 2984, Anm. 28) nach Basel befördert worden.
2 Nämlich eine bestimmte Ausgabe von Persius' Satiren; s. Nr. 2984,7-10.
3 Bezug auf Nr. 2984,12-25, wo Bullinger auf die von Myconius in Nr. 2967,12-20, geäußerten Bedenken reagierte.
4 Myconius bezieht sich hier auf Bullingers Worte in Nr. 2984,41f. - Zur Redewendung s. Nr. 2879, Anm. 8.
5 Karl V. -Bezug auf Nr. 2984,32-42.


Briefe_Vol_20-416arpa

insolentiam, qua satis diu sumus usi. Fiat voluntas eius 6 largiaturque in omnibus patientiam nobis!

De visione 7 maluissem audire tuam interpretationem quam meam a inter. ponere sententiam a . Dum viverem in patria 8 , sic satur eram factus eiusmodi fabularum, ut tandem contemnerem, et hic contemptus etiamnum me comitatur. Scio, quod dominus nonnunquam signis praenunciat futuras calamitates, at ego (quoties ita fit)" non libenter iudicia dei mea interpretatione praevenio. Postquam leo devorarit leonem, tum et ego dicam, quid sentiam.

Lignum Guaiacum 9 , nisi aliquando perdat Nabuchodonosorem Germanic'°, 10 . non videtur salubre. Differt Hispanus Helvetios bonis verbis, donec et foedere 11 et aliis rebus obportunis paravent se contra illos.

De Halero gaudeo, quod tandem redibit ad vos c 12

Deformationem religionis 13 postquam tentaturus est, dominus nimirum exurget et vindicabit eam. 14

Vale in Christo cum Theodoro 15 et Gvalthero. Quid si et illi aliquando scriberent ad me vel saltem salutarent? Basileae, raptim 12. augusti anno 1547.

Os. My. tuus.

[Adresse auf der Rückseite:] D. Heinricho Bullingero doctissimo, fratri et domino in Christo suo. Zü[ri]ch d .

a-a Nach gestrichenem interpretationem. —
b Klammern ergänzt.
c Die Lesung nos wäre auch möglich.
d Textverlust bei der Entfernung des Siegels.
6 Vgl. Mt 6, 10.
7 Die in Nr. 2984,44-50, beschriebene Erscheinung. — Bullinger hatte, wohl halb scherzend, Myconius gebeten, sie zu deuten.
8 Myconius stammte aus Luzern und hatte dort von 1519 bis 1522 als Schullehrer gewirkt; s. HBBW I 226, Anm. 15.
9 Sowohl wörtlich als auch im übertragenen Sinn zu verstehen, wie schon bei Vadian in Nr. 2983,[2], wo vom spanischen Lügen-Holz die Rede ist. Einige Protestanten hielten nämlich dem Kaiser ein Doppelspiel vor. —Myconius bezieht sich hier auf Nr. 2984,54.
10 Der babylonische König Nebukadnezar II. steht hier für Karl V.
11 Der vom Kaiser geplante neue Schwäbische Bund; s. dazu die Verweise in Nr. 2989, Anm. 1. — Myconius bezieht sich hier auf Nr. 2984,55.
12 Vgl. Nr. 2984,61.
13 Die von Karl V. geplante Kirchenreformation; s. RTA-JR XVIII/1 59 mit Anm. 32; 83f. —Bezug auf Nr. 2984,55-57.
14 Vgl. z.B. Ps 7, 7; 34 (Vulg. 33), 23.
15 Theodor Bibliander.