Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[263]

Bullinger an
Joachim Vadian
Zürich,
21. September 1533

Autograph: Zürich StA, E II 342, 22r.-v. Leicht beschädigt, Siegel Gedruckt: Vadian BW V 132f

Weist in St. Gallen kursierende Gerüchte zurück, wonach in Zürich bald wieder Messe gehalten werde, und hofft auf Vadians richtige Einschätzung der Entstehung solchen Irrglaubens. Die V Orte schlagen ein Reislaufverbot in den Gemeinen Herrschaften vor, worüber eine Tagsatzung in Baden abgehalten werden wird. Dort wollen die Zürcher von einem Bündnis der V Orte mit dem Papst und anderen Mächten abraten. Zürichs Forderungen nach den längst fälligen päpstlichen Soldgeldern sind bisher unerfüllt geblieben, sollen aber allenfalls mit Hilfe der übrigen Orte konzessionslos wiederholt werden. Drängt auf Vollendung von Vadians «Epitome».

Gnad und frid vonn gott.

Günstiger lieber herr, ich verston 1 vonn Niclaussen 2 , wie ettliche seltzeme geschrey 3 by üch ganggind, wie man bald werde Zürych mäß haben und dem bapst gehällenn 4 , und der dingen vil, deß ich mich gar nitt verwundernn, dann man dise red nun ettlich jar har ouch do gebrucht, do unser stand minder uffsatzes 5 und verfolgens hatt. Das aber ützid 6 under unß der glychen fürgenommen oder einigs wägs daruff zickke 7 , ist nitt. Die ye und ye me hertzens zu der superstition dann zu der religion gehept, mögend derglychen wol hoffenn, glich wie ouch die Juden uff iro Messiah hoffend. Es sind aber noch so vil frommer und redlicher lüten, die ein lust und gefallen an der warheyt habend, daß ich gott und allen frommen bessers vertruw, die sich denocht dermaß noch erzeygend, das dero gheiner sich also herfürlassen 8 gedar 9 . Doch hoff ich, ir verstandint selbs den handel und iro ytel rümen, das by üch, unß und allenthalb ein sömlich whonvolck 10 ist.

Des pundts 11 halb kan ich schlecht 12 noch nitt eigentlich 13 vernemmen, daß er gemachet sye, sunder ich vernimm ymmerdar, es hange noch also. Was die unseren darzuo wöllen, will ich üch vertruwter meinung nitt verhallten. Die 5 ort habend hargeschryben 14 und begärt ann min herrenn, daß sy wöllind ein verbott anlegen inn vogthyen, daß niemand ze krieg louffe (observa versutiam et veteratores), dann sy

1 erfahre (SI XI 655).
2 Niklaus Guldi, der sich zu jener Zeit offenbar über Zürich nach Bern, Unterwalden und Solothurn begeben hatte, s. Guldi an Vadian, (5. November ?) 1533 (Vadian BW V 136).
3 Gerüchte (SI IX 1448f).
4 zustimmen (SI II 1141).
5 Nachstellung, Anfeindung (SI VII 1533-1538).
6 irgendetwas.
7 (in diese Richtung) neige, ausschlage (Grimm XV 885f).
8 es sich öffentlich anmerken lassen (vgl. SI II
1345).
9 wagt, sich getraut (SI XIII 1519. 1523).
10 ein Volk, das im Wahn, im Irrglauben lebt.
11 Gemeint ist offenbar das geplante Bündnis der V Orte und Freiburgs mit Papst und Kaiser sowie dem Herzog von Mailand, s. unten Z. 23-25, sowie noch oben S. 37, Anm. 5.
12 schlechterdings, einfach (SI IX 62-64).
13 genau (SI I 146f).
14 Der Brief der V Orte an Zürich, datiert aus Luzern vom 13. September 1533, befindet sich in Zürich StA, A 250.


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wölle beduncken, es wölle ein uffbruch gäben, wie der jaren, da ein teyl zum Frantzosen, der ander zum bapst lüff 15 etc. Daruff min herren nitt zefryden, dann sy ye 16 vermeynend, die 5 ort, die ymmerdar frömbd herren ann sich zyehend, syend ursächig ann dem und anderem etc. Dorumb ouch jetzund ein tag Michaelis 17 ze Baden 18 gehallten wirt. Daruff min herren willens sind, die 5 ort ze ermanen, deß bapsts und anderer herren müssig ze gon 19 , ansähen, was die pündt vermögen 20 , und daß der pundt mitt dem bapst unß nachteylig 21 etc. Das habend mir nitt die unngewalltigisten anzöygt, daß sy das schwert nach notdurfft wider alle die bruchen wöllind, [d]ie a uffweybiend 22 oder sust erfunden, daß sy stur und h[ilf]b 23 wider den geschwornen brieff 24 gethon etc. Wie da[nn]c jar und tag umb den bapstsold geworben 25 und [zu]letzt d geschryben e , wenn man sich römscher kylchen begä[be]26 wie ich vor geschryben etc., habend min herren m[eister][Hans]g Haben verordnet, schlecht ze häuschen 27 , man wölle im 28 [nü]tzid wyter antwurt gäben, dann by iro glouben, i[n nüw]i und allt testament begrünt, ze blyben. Der sold sye [inen?]k ||22v. schuld, so hab er sy jetzund mitt guten worten ob 10 jaren usszogen 29 ; sy wöllind inn 30 ein mol haben etc. Wo er nitt wöllt, sind sy inn willen, gägen den übergen orten ze handlen, daß man inn vertryb oder zu bezalung hallte 31 etc. Und diewyl man sich versicht 32 , er werde nützid gäben, hofft man doch, man möge inn durch das mittel vertrybenn. Dann wie sich Lutz[ern] mitt dem hallt 33 , also werdent sich min herren ouch gen inen 34 hallten, wo yemands under uns were, an den sy ansprach 35 hättend.

Inn summa: Es stat umb unß gloubens halb nitt übel, dann 36 daß wir, wie allenthalb sind, lüt habend. Doch erhallt noch immerdar gott sin eer und gipt vil stercke

a-d rechter Rand abgerissen.
e geschryben am Rande nachgetragen für ein im Text gestrichenes begärt.
f-k rechter Rand abgerissen.
15 Dieser Fall war vor allem in den oberitalienischen Feldzügen anfangs der 1510er Jahre und nach dem Soldvertrag mit Frankreich von 1521 eingetreten.
16 immer (SI I 20f).
17 29. September.
18 Die Tagsatzung fand am 30. September in Baden statt. In deren Abschied figuriert das oben Z. 16-18 erwähnte Reislaufverbot als eines der Haupttraktanden (EA IV/1c 160b.).
19 sich nicht einzulassen; hier direkt: keine fremden Kriegsdienste zu bewilligen (SI IV 498).
20 besagen, wie sie lauten (SI IV 111).
21 Siehe Zürichs Beschwerde gegen die Bündnisabsichten der V Orte an der erwähnten Badener Tagsatzung (EA IV/1c 160f f.).
22 agitieren, aufwiegeln (Grimm XIV/I I 379).
23 Unterstützung, Hilfeleistung (SI XI 1277; zur stehenden Wendung besonders 1279f).
24 Die auf das Jahr 1336 zurückgehende Zürcher Verfassungsurkunde, auf welche die Bürgerschaft halbjährlich vereidigt wurde, s. HBLS III 497.
25 Die Zürcher hatten sich seit über zehn Jahren um die Auszahlung der fälligen päpstlichen Soldgelder bemüht. Die letzten diesbezüglichen Vorstöße datieren von Ende Mai 1531 (AZürcherRef 1765), vom 17. August 1532 (ASchweizerRef IV 1839a; vgl. AZürcherRef 1877) und von Anfang Juni 1533 (vgl. AZürcherRef 1952).
26 sich füge, unterwerfe (SI II 92). - Der päpstliche Nuntius Ennio Filonardi hatte am 8. Juni 1533 auf Zürichs erneutes Soldbegehren geantwortet, eine Zahlung der Gelder könne nur erfolgen, wenn Zürich sich der päpstlichen Kirche wieder unterziehe (AZürcherRef 1952).
27 fordern (SI II 1754f).
28 dem Nuntius Ennio Filonardi.
29 hingehalten (Grimm I 784f).
30 den Sold.
31 anhalte. -Tatsächlich bat Zürich an der Badener Tagsatzung vom 30. September die V Orte, wegen seiner Soldforderungen bei Filonardi vorstellig zu werden, s. EA IV/1c 160 e.
32 erwartet (SI VII 566-568).
33 mit diesem verhält.
34 ihnen (den Luzernern, bzw. den übrigen Orten) gegenüber.
35 eine Forderungsklage (SI X 722-724).
36 außer (SI XIII 30-32).


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den sinen 37 . «Virtus in infirmitate perficitur» [2Kor 12, 9]. Gott sye mitt üch. Und lassend üch das Epitome 38 angelägenn sin, dann groß verlangen und vrag darnach ist.

Zürich, 21. septembris 1533.

Hein. B. tuus.

[Adresse darunter:] Clarissimo viro D. loachimo Vadiano, consuli Sangallensi prudentissimo, suo domino plurimum observando.