Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3001]

[Gervasius Schuler]
an Bullinger
[Memmingen],
28. August 1547

Autograph: Zürich StA, E II 361, 339 (Siegelspur) Ungedruckt

[1]Bullinger wird sich wohl fragen, wie es der Kirche in Memmingen in dieser unruhigen Zeit geht. Alles steht noch auf der Kippe. Sollte Gott die Wünsche der Päpstlichen erfüllen, droht den Memminger [Pfarrern]die Todesstrafe! Momentan versucht man, der Stadt eine spanische Garnison aufzuzwingen. Einige Ratsherren wurden zum Reichstag nach Augsburg abgefertigt, um Kaiser Karl V. davon abzubringen. Sollten sie scheitern, ist es um die Religion, die Kinder mind das Vermögen der Memminger geschehen! -[2] Die in Biberach [stationierten Soldaten] fuhren sich völlig unmenschlich auf In Ulm richten sowohl die Besatzer als auch die Pest Schaden an. In Augsburg regiert der Antichrist. Der Spanier tobt und der Landsknecht fletscht die Zähne, während die Kardinäle und Bischöfe sich um ihre Börse kümmern. -[3] Wenn nur

f Textverlust bei der Entfernung des Siegels.
und Zwinglianer darlegt; s. Curione, aaO, S. 183f.
13 Ein solcher Brief Vermiglis ist nicht erhalten.
14 Der 1538-1541 in Straßburg wirkte.
15 Der 1546 Straßburg besuchte; s. HBBW XVII 78f.
16 Anna, geb. Adlischwyler.
17 Zu deren Namen s. Nr. 2885, Anm. 23.
18 Margarita Bianca, geb. Isacchi.
19 Horatio, Augustino und Leo; s. HBBW XV 92, Anm. 32; S. 316, Anm. 15.
20 Der vorliegende Brief wurde von Pietro Perna überbracht; s. oben Z. 8-12.


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Christus mit Posaunenschall den Jüngsten Tag anbrechen lassen würde, denn Schuler sieht nicht, wie sonst den Gottesfürchtigen geholfen werden könnte! -[4] Verschiedene Anzeichen deuten auf einen Feldzug des Kaisers gegen Konstanz hin. Allmählich werden Truppen gerüstet, die stets näher auf Memmingen, Kempten und Isny rücken, von wo dann ein Überraschungsangriff möglich wird. Da es unwahrscheinlich ist, dass jene Truppen beauftragt wurden, [den bereits gefallenen Städten]den Irrglauben der Vorfahren aufzuzwingen, ist mit ihnen wohl die Einstellung der eidgenössischen Freiheiten oder die Vernichtung von Konstanz beabsichtigt. Angeblich soll der Kaiser einen Vertrag mit dem französischen König Heinrich II. geschlossen haben; vielleicht gerade deshalb, um seinem Vorhaben bessere Chancen einzuräumen. - [5] Kürzlich reiste durch Memmingen ein aus Augsburg kommender eidgenössischer Bote [...], der in der Öffentlichkeit mit großer Beredsamkeit behauptete, dass der Kaiser einen gewaltigen Krieg gegen Konstanz plane, und dass die aufseiten des Kaisers stehenden Fünf Orte sich dafür starkmachen werden, um dem Kaiser den Durchzug eines gegen Konstanz gerichteten Heeres durch ihr Gebiet zu gestatten. Stimmt das, dann stünde es auch um die Eidgenossenschaft schlecht! Die Zürcher sollen sich vor Verräterei hüten und aus dem Unglück der Deutschen lernen! Die mit dem Blut der Vorfahren erkaufte eidgenössische Freiheit wird beneidet; sie ist um jeden Preis zu verteidigen! Aus den Niederlanden sollen mit Schusswaffen beladene Wagen in Richtung Straßburg unterwegs sein. -[6]Noch dürfen die Pfarrer in Memmingen ungehindert der Kirche Christi dienen; die Messpfaffen aber versuchen, dies mit allen Mitteln zu verhindern. Bullinger bete für die Kirche in Memmingen, und die Zürcher seien ihrerseits auf Attacken des Teufels und der Welt gefasst! Bullinger spende Schuler Trost, wann [immer]möglich, zumal viele Sorgen ihn bedrücken. Ansonsten geht es ihm und seiner Familie gut. - [7] Größe, auch an Anna [geb. Adlischwyler], an Rudolf Gwalther, Konrad Pellikan und Theodor Bibliander.

Gratiam et pacem a domino per lesum Christum, servatorem nostrum. Miraris forte, ut charitatis ratio poscit, venerande frater, qualis sit status Memmingensis ecclesie in tanta omnium rerum turba. Haeremus adhuc in dubio, quid nobiscum acturus sit dominus. Pontificii extrema minantur, ubi dominus illis pro voto suo concesserit. Dum hec scribo, Hyspanicus miles 1 tentat nostram urbem inhabitare, pro sua libidine grassari in quosvis pios, ut huius gentis mos est. Nostri Augustam abierunt, si deo visum est, apud caesarem 2 propositum hoc mitigare; 3 quod ubi non contigerit, actum est de nobis et religione et liberis et bonis.

Bibraci inmaniter saeviunt 4 ; Ulme et miles et pestis grassantur; 5 Auguste antichristus fere regnat. Furit Hispanus. Dentibus frendit Germanicus miles. 6

1 Kollektiver Singular.
2 Karl V.
3 Zum Augsburger Reichstag entsandten die Memminger u.a. die Ratsherren Christoph Zwicker und Wilhelm Besserer; s. Peer Frieß, Die Außenpolitik der Reichsstadt Memmingen in der Reformationszeit (1517-1555), Memmingen 1993, S. 207-209. - Die Einquartierung des spanischen Kriegsvolks konnte durch Freikauf abgewendet werden; s. Frieß, aaO, 5. 208 mit Anm. 36; PC IV/2 763, Nr. 667. Die Aufwendungen dafür beliefen
sich laut Christoph Schorer, Memminger Chronik, Memmingen 1660, S. 85. 87, auf 30'000 Gulden. Auch wenn dieser Betrag fragwürdig erscheinen mag, da Memmingen gerade damals versuchte, seine Buße von 80'000 auf 50'000 Gulden zu verringern (s. Nr. 2885, Anm. 5) und Bullinger in Nr. 3020,25-27, den wohl zu geringen Betrag von nur 3'000 Gulden anführt, wird Schorers Angabe vermutlich richtig sein; vgl. nämlich Nr. 3020, Anm. 18.
4 Als Subjekt sind die in Biberach stationierten


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Interim cardinales et episcopi egregie, si dus placet, pro oplendo marsupio laborant. 7

Utinam adesset dies ille ultimus domini, quo classicum cantaturus est Christus per gloriosum adventum eius! ! 8 Ego non video, qua via piis consuli possit rebus tarn undique deploratissimis.

Varus ex coniecturis licet divinari futurum bellum adversus Constantienses; 9 nam sic sensim caesar militem parare videtur, ut qui indiern propius accedat Memmingam, Kampidunum 10 et Isnen versus. Illuc enima locaturus estb militem, cut tandem velocius irruat et velut ex inprovisoc . Quid enim opus haberet adversus nos ullo bellico apparatu (nisi vi aliqua ad veterum errorem nos cogere velit), quam ut vel Helveticam libertatem labefactare contendat aut sanctam Constantiensem ecclesiam paenitus excindat? Aiunt adhaec Gallum 11 ex foedere convenire cum imperatore, forte ad hoc, ut felicius in proposito pergat imperator. 12

Fuit hisce diebus apud nos Memminge nunctius quidam Helveticus ab Augusta veniens, 13 qui ore rotundo in publica platea haec verba effutivit: "Caesar atrox bellum movebit Constantiensibus. Quinque Pagi partes cesaris iuvabunt atque illi viam parabunt permittentque illum libere in suam terram exercitum ducere, ut Constantienses expugnet" et similia; quae certe, si vera sunt, iam res vestrae (dolens loquor) in ancipiti rerum statu positae sunt. Cavete, optimi vin, proditionem, si fieri potest, nostro inenarrabili malo prudentiores facti! Sunt, qui invideant vestrae libertati, maiorum sanguine partae, 14 quam tamen bono cuique viro usque ad mortem tueri licebit. Rumor est sclopeta d15 ex Inferiori Germania versus Argentinam vehi curribus, etc.

a Am Rande nachgetragen. -
b Über der Zeile nachgetragen. -
c-c Am Rande nachgetragen. -
d Schuler brachte vor der Zeile ein Zeigehändchen an, um die Wichtigkeit der Stelle zu unterstreichen.
kaiserlichen Soldaten vorauszusetzen; s. dazu Nr. 2995,17-20. - Etwas später konnte die Stadt diese gegen Zahlungen loswerden; s. PC IV/2 763, Nr. 667 (vom 18. September).
5 Zur Besatzung in Ulm s. etwa HBBW XIX 433; Nr. 2885,15-19. - Zum dortigen Pestausbruch s. Nr. 2958, Anm. 8; Nr. 2968,12-14.
6 Siehe dazu Nr. 3005,98-118.
7 Zu den Entschädigungsforderungen des Augsburger Bischofs Kardinal Otto Truchsess von Waldburg s. z.B. Roth, Augsburg IV 16-21.
8 Vgl. Mt 24, 31; 1Kor 15, 52; Apok 10, 7; 11, 15.
9 Vgl. Nr. 2918,19-26, Nr. 3005,157-160: und unten Z. 26-30.
10 Kempten.
11 König Heinrich II.
12 Ein falsches Gerücht. - Es erklärt sich durch die Anwesenheit einer französischen Gesandtschaft beim Kaiser in Augsburg, die erst am 8. September vom Kaiser empfangen wurde; s. Nr. 3023, Anm. 2.
13 Vielleicht der unbekannte eidgenössische Bote, der das Antwortschreiben des Kaisers vom 28. Juli nach Zürich befördert hatte (s. Nr. 2984, Anm. 25) oder, noch wahrscheinlicher, der in Nr. 2983,[1], erwähnte Zuger Bote.
14 Vgl. Cicero, De lege agraria orationes, 2, 16 ("sanguine vestrorum maiorum partam libertatem").
15 Schusswaffen; s. Kirsch 2552.


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Nos adhuc apud nostros in vinea domini 16 ininpediti laboramus. Missatores 17 tamen omnem lapidem movent, ut nos infestent. Ora dominum pro rne et ecclesia nostra, ne dominus nos a veritate divelli ullo pacto permittat. Plura scribere non vacat. Tantum admonitos vos volo, ut corda vestra preparetis ad insultus et sathane et mundi. 18 Dominus Jesus Christus misereatur nostri et avertat iram suam a nobis, quam non indigne ferimus. e Consolare me, si fieri potest, multis nominibus adflictum. e Alias corpore bene valeo una cum tota familia.

Vale, charissime frater, et uxorem tuam 19 meo nomine saluta plurimum, 20 dominum Gvalterum, Pellicanum et Theodorum etc. Datae 28. augusti anno 1547.

Tuus vetus ille amicus.

[Adresse auf der Rückseite:] Ornatissimo viro Heinricho Bullingero, Tigurinae ecclesiæ antistiti vigilantissimo, domino et fratri charissimo, amico veteri, etc. Zurch.