Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3007]

Wigand Happel
an Bullinger
Marburg,
10. September 1547

Autograph: Zürich StA, E II 356a, 944f (Siegelspur) Ungedruckt

[J]Happe! weiß nicht, was er mitteilen soll, da alles unverbürgt ist. Aufrichtige Anstrengungen werden durch die Macht und Ränke des Teufels, ja auch durch eigene Schuld vereitelt. Happel will also nichts über die instabile politische Lage schreiben, die umso schlechter geworden ist, als sie zuvor gut war, und dies oft aus denselben Gründen! - [2] Für die Bewohner Hessens hätte der Krieg nicht besser ausgehen können, da der Feind nicht in ihr Gebiet eingedrungen ist. Gott sei Dank! Doch muss die mit so großem Aufwand verstärkte Festung Gießen wieder abgerissen werden. Man ist allerdings der Meinung, dass solche Bollwerke nur Streit, Unheil und Gefahr herbeiführen, weil man im Vertrauen auf diese dazu neigt, die von anderen ausgehende Gefahr zu unterschätzen. Was mit den übrigen Festungen und mit dem Geschütz geschehen soll, ist noch unklar und auch nicht so wichtig. Es wäre natürlich besser gewesen, wenn solche Bollwerke bzw. Waffen nie errichtet bzw. geschmiedet worden wären. Dann hätte man sie auch nicht zerstören müssen. Hoffentlich wird das den Hessen nicht zum Verhängnis (obwohl Happe! das nicht glaubt). -[3] Die Abgaben, die Kaiser Karl V. von den Hessen verlangt, wurden aus den kirchlichen Einkünften und aus den Beiträgen, die das Volk für die Aufrüstung geleistet hatte, beglichen. Es gibt genügend Getreide, zudem zu

14 Adagia 1, 8, 19 (ASD 11/2 244, Nr. 719).
15 Röm 12, 15.
16 Vgl. z.B. Röm 2, 5.
17 Hochholzer hatte Familienangehörige in Zürich; s. HBBW XVI, Nr. 2410.
18 Agathe, geb. Näf.
19 Subjekt ist der oben erwähnte Milander.
20 Bullinger hatte Hochholzer, als dieser noch studierte, in sein Haus aufgenommen; s. HBBW III 260. Anm. 1.


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günstigen Preisen! Nach wie vor wird viel getrunken. Ständig werden Verlöbnisse und Hochzeiten gefeiert, man tanzt sogar, als ob nichts geschehen wäre und es keine Gefahr mehr gäbe! Happel glaubt, ja er weiß sogar, dass die Reichen viel bezahlen müssen. Und das ist auch in Ordnung, da sie sehr viel (vielleicht sogar ihr Leben) verloren hätten, wäre der Feind ins Land eingefallen. -[4]Die Schule in Marburg besteht und erfreut sich noch stets eines guten Ruft. Wie lange noch, ist fraglich, da keiner weiß, was der gegenwärtige Reichstag mit sich bringen wird. Happe! kann also die Zürcher nicht dazu anhalten, Studenten zu senden, was sie andernfalls hoffentlich zu ihrer größten Zufriedenheit tun würden! -[5]Sie können auch darauf zählen, dass Happe! etwaigen ihm anvertrauten Studenten nicht erlauben wurde, Kleidung, Bücher und Ähnliches ohne sein Wissen zu erwerben oder Schulden zu machen, dass er auch dafür sorgen würde, dass sie am Notwendigen keinen Mangel hätten, aber auch keine unnötigen Ausgaben tätigen würden (Kreditoren, die bereit wären, Zürcher Studenten Geld zu hohen Zinsen zu leihen, findet man leicht). Happel besitzt übrigens ein großes Haus mit geeigneten Wohnräumen. Er würde seinen Pensionären nicht erlauben, heimlich Unfug zu treiben oder die Stadt zu verlassen, um in anderen Regionen herumzuschweifen. Doch dies nicht, weil er wüsste, dass die zuletzt in Marburg studierenden Zürcher irgendetwas Unehrliches getan hätten (dies sei ferne!), sondern weil ihm derartige Wanderungen nicht wirklich gefallen. - [6] Grüße, auch an Bullingers Familie und an seine Lehrer Konrad Pellikan, Theodor Bibliander, Rudolf Gwalther, Konrad Gessner und Otto Werdmüller. Happe! will nicht jedem einzeln schreiben, zumal es nicht so vieles mitzuteilen gibt und er niemanden zu einer Antwort drängen möchte.

Quid nunc tibi, vir ornatissime, certi perscribam, incertus omnino sum, cum tanta sit rerum nostrarum incertitudo et vicissitudo, cum, inquam, totus in hoc incumbat et invigilet sathan, ut conatus nostros quamvis honestissimos eludat et evertat, non tam virtute sua, quam vel potentia, vel perfidia, vel etiam nostra aliqua culpa, ut nosti scilicet. Quamobrem de publicis rebus nihil exarabo, utpute 1 incertis et instabilibus, 2 quae videlicet, quo assurgunt et extolluntur altius, hoc denique cadunt et deprimuntur durius et horribilius, et saepe quidem iisdem artibus, quibus fuerunt elatae.

De privatis hoc in praesentiarum habeo scribere, quod gratias agamus deo optimo maximo, quando melius cadere non debuit bellum illud, quod a finibus patrie nostrae hostem prohibuit. 3 Quam magnis sumptibus nostris 4 extruximus, munitionem oppidi Giessenn, firmissimam sane, nunc rursum

1 =utpote.
2 Happel spielt hier u.a. auf den Sieg Kaiser Karis V. und auf die Gefangennahme Landgraf Philipps von Hessen an; s. dazu Nr. 2948, Anm. 9.
3 Die Landgrafschaft Hessen war während des Schmalkaldischen Krieges von den eigentlichen Kampfhandlungen und Einfällen kaiserlicher Söldner aus Franken, vom Rhein und aus Westfalen weitgehend unberührt geblieben; s. Karl Ebel, Kleine Beiträge zur Geschichte Hessens im Schmalkaldischen Krieg, in: Philipp der Großmütige. Beiträge zur Geschichte
seines Lebens und seiner Zeit, Marburg 1904, S. 589. Allerdings war die zu Hessen gehörende Obergrafschaft Katzenelnbogen (um Darmstadt) durch die von Maximilian von Egmont, Graf von Büren, vollzogene Einnahme Darmstadts und durch das Winterquartier von dessen Truppen in Frankfurt heimgesucht worden; s. Hessische Landtagsabschiede 1526-1603, hg. y. Günter Hollenberg, Marburg 1994, S. 176, Anm. 10; HBBW XVIII 375, Anm. 21; XIX 317,9-13.
4 Siehe dazu unten Anm. 10.


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ipsimet destruimus 5 (de reliquis munitionibus et tormentis ac similibus praesidiis quid futurum sit, nondum usque pro certo scire possumus neque admodum sumus solliciti 6 ) a , opinantes fortasse talia nobis magnorum dissidiorum, damnorum ac periculorum causam et materiam esse, dum fiducia eorum non dubitamus alios prae nobis contemnere 7 (quamquam quis non potius mallet, illa antea nunquam vel extructa vel fabricata seu fusa esse, quam nunc dirui aut abripi cum aliqua nostra ignominia et dolore? -quod non spero futurum tamen b .

Quem a nobis censum exegit caesar 8 , persolvimus alimentis 9 nostris et subsidiis ex munitionibus receptis 10 . Frumentorum apud nos magna est copia et vilitas. 11 Bibimus ut antea strenue, celebramus in dies vel sponsalia vel nuptias, ac saltamus etiam, quasi damni nihil simus passi ac periculis omnibus liberati. 12 Credo, quia vidimus, qui multas opes possident, multa quoque pendere coactos (et pluribus damnis et incommodis periculisque vitae obnoxios futuros fuisse, si hostis ingruisset, ideo scilicet est satius eas 13 abligurire).

Schola nostra 14 adhuc pendet et haeret, sed quam firmiter ignoro. Nam, quid nobis comitia haec 15 detrimenti adferant, metuo. Quare nunc non posa a Klammern ergänzt. - b Dieses und die zwei nächsten Klammerpaare ergänzt.

5 In den Kapitulationsbedingungen ("Hallesche Kapitulation"), die dem Landgrafen am 19. Juni 1547 auferlegt wurden, war u.a. festgelegt, dass dieser alle Festungen seines Landes, mit der Ausnahme von Ziegenhain und Kassel, schleifen und dem Kaiser sein gesamtes Geschütz, Munition, usw., überantworten müsse; s. Hessische Landtagsabschiede ..., S. 166, § 13. 15; PA I 600f, Nr. 957f. Schon am 12. Juli berichtete Bucer in einem an Oswald Myconius gerichteten Brief, dass die Festungen in Hessen geschleift werden, s. Henrich, Myconius BW 974. - Zum Schicksal von Kassel s. Nr. 3081, Anm. 11.
6 Siehe dazu Nr. 3081, Anm. 11.
7 Vgl. z.B. 2Sam 22, 3. 33; Jer 48, 7; Hab 1, 10; Ps 18 (VuIg. 17), 3; 2Kor 10, 4.
8 Karl V. - In der "Halleschen Kapitulation" hatte er vom Landgrafen 150'000 Gulden Strafe und die Rückgabe unrechtmäßig errungenen Gutes gefordert; s. Hessische Landtagsabschiede ..., S. 166f, § 12. 17. 20. - In Folge des Schmalkaldischen Krieges wurde 1547 in Hessen erstmals eine Vermögenssteuer eingeführt (Abdruck der Steuerordnung ebd., S. 156-163), derzufolge alles bewegliche
und unbewegliche Vermögen besteuert sowie auch eine Fruchttaxe (Korn, Hafer, usw.) auf das Fruchteinkommen erhoben werden musste. Zudem wurden Maßnahmen zu einer besseren Steuereintreibung beschlossen; s. Die Vermögenssteuer und die Steuerverfassung in Althessen während des 16. und 17. Jahrhunderts und die aus der Vermögenssteuer Hessens hervorgegangene Grundsteuer, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 25, 1875. S. 300; Hessische Landtagsabschiede ..., S. 172-178.
9 Gemeint sind wohl die von den kirchlichen Gütern generierten Einkommen; s. Niermeyer I 45.
10 Die Hilfsgelder, die das Volk zugunsten der Festungen einbezahlt hatte; s. HBBW XIX 317,13-16.
11 Im Gegensatz zum Jahr 1546; s. HBBW XVI 144f.
12 Vgl. Mt 24, 37-39.
13 opes.
14 Die Universität Marburg. -Sie war durch den Schmalkaldischen Krieg in erhebliche Unruhe versetzt worden, hatte aber den Lehrbetrieb weitgehend aufrechterhalten; vgl. Nr. 2921, Anm. 7; M-Marburg II 30. 32f; III 1.


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sum consulere, ut ad nos aliquos iuvenes vestros mittatis, quod alioquin sperarem vos maiori voluptate vestra facturos esse.

Si enim mihi illi ea conditione commendarentur, ne quas vestes et libros, nisi me conscio et permittente, et similia sibi compararent neque alibi aes alienum contraherent, efficerem profecto, et ne quid ipsis deesset rerum necessariarum, atque ut non necessarias et utiles negligerent atque hac ratione multo minus insumerent. In proclivi quidem est reperire creditores, qui libros, vestes et similia alia facile, sed magno suo foenore et lucro, concredant iuvenibus vestris; verum autem non est ex c eorum re et usu, et interdum neque ex honore eorum. Praeterea habeo aedes satis amplas et habitationes in eis non incommodas pro iis; quos, si inhabitarent, non utique pa[itiar]d 945 || clam me quicquam perpetrare, quod dedecori ipsis esset, nedum hinc aliquandiu discedere, ac evagari longius ad visendas alias regiones. 16 Quae non ideo scribo, quod sciam, eos 17 qui antea apud nos egerunt, quicquam et se et vobis indignum commisisse (absit!), sed quia mihi illae peregrinationes tales aliquo modo displicuerunt.

Bene vale cum tota familia tua. Salutabis meis verbis quam officiosissime caeteros dominos et praeceptores meos 18 Chunradum Pellicanum, Theodorum Bibliandrum, Gwalterum, Gesnerum et Otthonem 19 . e Singulis scribere nolui, cum propter materiae et argumenti inopiam, tum etiam ne viderer velle iis aliquam rescribendi necessitatem imponere. e Datae Marpurgi, 10. septembris anno 1547.

Tuae celsitudini addictissimus Wigandus Happelius.

[Adresse darunter:] Clarissimo viro domino Heinricho Bullingero, ecclesiae Tygurinae antistiti vigilantissimo et dignissimo praeceptori meo reverendo.

c Über der Zeile nachgetragen. -
d Textverlust durch Beschädigung des unteren Randes. -
e-e Am Rande nachgetragen.
15 Der kurz zuvor eröffnete Augsburger Reichstag; s. Nr. 2952, Anm. 6.
16 Anspielung auf die schlechte Erfahrung, die die Zürcher Behörden mit ihren zuletzt nach Marburg entsandten Studenten machten, die ohne ihr Wissen im ausbrechenden Schmalkaldischen Krieg eine Reise durch Deutschland unternahmen und zudem Schulden machten; s. HBBW XVII 428f, Anm. 59; XIX 317, Anm. 3.
17 Die Rede ist von Johannes Fabricius (Schmid) Montanus, Hans Rudolf Funk, Heinrich Hindermann (Opisander), Karl Schweninger und vielleicht auch Wilhelm Meyer.
18 Happel hatte sich von Mai bis Oktober 1543 in Zürich aufgehalten und bei Pellikan gewohnt; s. HBBW XIII 155, Anm. 2; XIV 180, Anm. 2.
19 Otto Werdmüller.