Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3020]

Bullinger
an Oswald Myconius
[Zürich],
23. September 1547

Autograph: Zürich StA, E II 342, 177 (Siegelabdruck) Zusammenfassung: Henrich, Myconius BW 989f, Nr. 1104

[1]Zunächst einiges zu Myconius' letztem Brief [Nr. 3009 vom 10. September]. Die Basler Ratsherren haben zu Recht die Last [etwaiger Verhandlungen zugunsten eines Bündnisses zwischen Straßburg, Frankreich und den Eidgenossen]auf die Schultern König Heinrichs II. von Frankreich abgeschoben. Denn wollte man in dieser Sache etwas bei den Neun Orten erwirken, könnte dies keiner besser als Heinrich II. Myconius möchte wissen, was von den Zürchern zu erwarten sei. Ihm braucht man ja nicht zu erklären, warum diese nur ungern mit Frankreich verhandeln. Zudem genießen die Straßburger einen ganz schlechten Ruf Sie haben es vorgezogen, auf Wolfgang Rehlinger zu hören und diesem, statt auf Gott, zu vertrauen, wo sie doch eine so gut befestigte und vermögende Stadt haben! Sie sollen viele Adlige begünstigen, die den Kaiser wie Gott verehren, während die Bevölkerung sich nicht einig ist. Kein

b In der Vorlage lange. -
c In der Vorlage aperturum.
6 Vgl. HBBW XIX 470,68f.
7 Vgl. Nr. 3010,[3].
8 Vgl. Nr. 2994,8-10.
9 Vermutlich eine Anspielung auf Mt 20, 20-22; Lk 9, 54f.
10 Der schon in Nr. 3014,9-12, erwähnte, unbekannte Spanier. - Siehe dazu auch Nr. 3023,32-39.
11 Mit Brief Nr. 3014 vom 16. September.
12 Das südwestliche Kreuzlinger Tor in
Richtung Winterthur. Vermutlich drang der Spanier durch das Schnetztor oder Emmishofer Tor in die Stadt ein und galoppierte dann bis zum Kreuzlinger Tor.
13 = bipennis, Hellebarde. - Diese Waffe steht hier für den Hellebardenträger.
14 Vorliegendem Brief waren vermutlich noch Auszüge eines Pasquills beigelegt; vgl. Nr. 3023,40f.


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umsichtiger Mensch würde also den Straßburgern je vertrauen, zumal diese ja schon die von Frankreich angebotene Hilfe ausgeschlagen und fragwürdig gehandelt haben. Wenn aber Heinrich II. allen eidgenössischen Orten diesbezüglich etwas vorschlagen würde, werden die Zürcher SO handeln, wie es von anständigen Menschen zu erwarten ist. -[2]Bullinger möchte Genaueres über Maximilian von Egmont, Graf von Büren, erfahren. -[3]Beiliegend Hallers ausführlicher Brief [Nr. 3005] vom 9. September zur Lage in Augsburg. Myconius soll den Brief mit dein nächsten zuverlässigen Boten zurücksenden. -[4]Bullinger konnte nicht früher schreiben. Erfand keinen Boten. Auch vorliegenden Brief sendet er an Hartmann von Hallwyl [in Brugg]mit der Bitte um Übermittlung. -[5]Aus einem am 14. September verfassten Brief eines Abgeordneten [Hieronymus Pappus]einer schwäbischen Stadt [Lindau]auf dem Reichstag in Augsburg geht hervor, dass die Reichsstädte und die Fürsten untereinander zerstritten sind, während die katholische Geistlichkeit zusammenhält. Kaiser Karl V. ist todkrank. Auch König Ferdinand soll schwer erkrankt sein. In Böhmen sei es zu einem neuen Aufstand gekommen. Memmingen muss 3'000 und Kempten 2'000 Gulden bezahlen, um der Stationierung von kaiserlichen Garnisonen zu entgehen. -[6] Nun zu Myconius' früherem Brief vom 23. [August - Nr. 2997]. Bullinger weiß nicht mehr, ob er darauf geantwortet hat. Übrigens wüsste er nicht, was darin zu beantworten wäre. -[7] Er wartet immer noch ungeduldig auf Johannes Murmellius' Ausgabe von Persius' Satiren, die ihm Johannes Gast beschafft. -[8] Heute erhielt er einen Brief aus Chur [Nr. 3016 vom 20. September]. Daraus erfährt man, dass die von Ferrante Gonzaga, Statthalter von Mailand, angeführten kaiserlichen Truppen Panna und Piacenza mit List überfallen und eingenommen, Herzog Pier Luigi Farnese getötet und dessen Leiche aus seinem Schloss [in Piacenza]geworfen haben. Dieser Sodomit hat das völlig verdient, genauso wie die Fünf Städte [am Toten Meer] zu Recht vom Feuer vernichtet wurden! Die Hilfe [von Farneses Verbündetem], dem Grafen Galeotto II. Pico della Mirandola, kam circa zwei Stunden zu spät und musste wieder nach Mirandola zurück Vermutlich wird nun Gonzaga den Grafen ebenfalls angreifen, und wahrscheinlich wird es erneut zu einem Gefecht zwischen dein Adler [Kaiser] und dem Hahn [König von Frankreich]kommen! -[9]Grüße, auch an Gast, Francisco de Enzinas und Celio Secondo Curione. In Eile.

S. D. Ad postremas tuas 1 primo respondeo. Recte tui 2 a suis humeris in Galli 3 humeros onus illud 4 reiecerunt. Quod, si quid impetrari potest a Pagis 5 , nemo citius quam rex impetraverit. Quid apud nostros 6 sperem, rogas. Cum Gallo non libenter agunt. Nosti causas, ut nihil sit opus recensere a . Sed et Argentoratenses pessime audiunt apud optimos quosque, quod munitissimam et opulentissimam in Germania urbem dei beneficio possident, interim Rhelingero 7 plus fidei et aurium praebuerunt quam deo. Dicunt[ur]b fovere nobiles quamplurimos, qui caesarem 8 pro deo colunt. Plebs scissa est in multas sectas, ita ut prudentissimus et optimus quisque non fidat iis qui Galli auxilia prius respuerunt et satis lubrice egerunt. 9 Caeterum si Gallus omnibus Helvetiae ordinibus illa de re proposuerit quicquam, nihil est, quod de Tigurinis dubites. Facient haud dubie, quod a bonis vins requiras.

a In der Vorlage recencere. -
b Textverlust am rechten Briefrand.
1 Myconius' Brief Nr. 3009 vom 10. September.
2 Die Basler Ratsherren.
3 König Heinrich II.
4 Nämlich die Bürde, zwischen Straßburg, Frankreich und den Eidgenossen zu verhandeln, um ein Abkommen zu erzielen, durch das Straßburg Schutz gewährt würde,
falls es zu einem etwaigen Angriff Kaiser Karis V. käme.
5 Die Fünf bzw. Neun Orte.
6 Die Zürcher; vgl. Nr. 3009,8-11.
7 Wolfgang Rehlinger. -Vgl. nämlich Nr. 2998,5-7.
8 Karl V.
9 Siehe dazu Nr. 3009, Anm. 2.


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De Burensi 10 quid tandem verum sit, modis omnibus scire desidero. Quid Hallerus ex Augusta ad me dederit 11 , habes hic copiose descriptum c ([H]alleri [d]atae sunt [9.] Septembris) c . Caeterum bona fide et per proximum quemque nuncium fidum remittes.

Non potui citius. Non enim ad manum fuerunt tabelliones. Imo has Hart[manno] a Halwyl 12 mitto, ut tibi curet tradi.

Septembris 14. datae sunt literae Augustae a legato 13 cuiusdam civitatis suevicae ad comitia, quae inter alia habent: "Es gadt hie übel zu Der fürsten rät und der stetten stimmend übel zamen. 14 Die pfaffen sind eins. Der keyser ist todtkranck. Der könig Ferdinand sol ouch seer kranck sin. 15 Es ist ouch die sag, es habe sich ein nüwe uffrür in Behem 16 erhept. Memmingen zallt 3'000 gl. 17 , Kempten 2'000 gl., 18 alein, das 19 man kein knächt dahin lege", etc.

Ad priores 23. 20 dubito an responderim, sed in iis nihil invenio, ad quod magnopere necessarium sit respondere. 21

Persium cum scholiis Murmellii 22 paratum a Gastio meo nondum vidi; at cupio videre!

CC Am inneren Rand auf drei Zeilen von Bullingers Hand nachgetragen. Das erste Schriftzeichen der jeweiligen Zeilen ist heute verdeckt, da vorliegender Brief im gebundenen Konvolut an einen Makulaturstreifen angeklebt wurde. Zum Zeitpunkt dieser Anklebung wird auch die Zahl 9 auf dem Makulaturfalz von einem der Buchbinder angebracht worden sein. Dieses Datum wird ferner von der noch zuvor angefertigten Abschrift des vorliegenden Briefes durch Johann Jakob Simler (Zürich ZB, Ms S 65, 23) bestätigt. Die Klammern wurden ergänzt.
10 Maximilian von Egmont, Graf von Büren. - Siehe dazu Nr. 2995,12-16; Nr. 2996,14f; Nr. 3009,17f.
11 Gemeint ist Hallers Brief Nr. 3005 vom 9. September, wie es aus der darauffolgenden Randbemerkung Bullingers sowie auch aus Myconius' Antwort vom 9. Oktober auf vorliegenden Brief hervorgeht; s. Nr. 3035,3-5.
12 Der in Brugg wohnende Hartmann von Hallwyl; s. HBBW XVII 317, Anm. 1.
13 Bullinger stützt sich in diesem Abschnitt auf die Aussagen des Briefes aus Lindau, den Joachim Vadian ihm mit Nr. 3018 übermittelt hatte und von dem er sich ebenfalls eine in Nr. 3018, Anm. 3, erwähnte Abschrift anfertigte und mit dem Datum von Vadians Brief versah. Der Brief aus Lindau beruft sich wiederum auf ein in Augsburg abgefertigtes Schreiben eines Lindauer Abgeordneten zum Reichstag. Dieser Gesandte war Hieronymus Pappus (Bappus); s. RTA-JR XVIII/3 2650. 2693. 2739 (s.v. Lindau).
14 Vgl. Nr. 3005,57-61; Nr. 3021, Anm. 89; Nr. 3069,16-21.
15 Vgl. Nr. 3019,4f.
16 Böhmen. -Ein falsches Gereicht; s. schon Nr. 3019, Anm. 5.
17 Vgl. aber Nr. Anm. 3.
18 Johann Baptist Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Bd. 2: Von Beendigung des Bauernkriegs bis zur Einverleibung in den baierischen Staat, Kempten 1847, S. 38, spricht von 18'000 Gulden.
19 damit.
20 Gemeint ist Myconius' Brief Nr. 2997 vom 23. August, den Bullinger allerdings mit Nr. 3003 vom 30. August bereits verdankt und teilweise beantwortet hatte.
21 Bullinger weigert sich also, über die ihm von Myconius in Nr. 2997,35-38, mitgeteilte, teilweise in Hebräisch verfasste Prophezeiung noch mehr zu schreiben als das, was er bereits in Nr. 3003.17-20, mitgeteilt hatte.
22 Johannes Murmellius' Ausgabe von Persius' Satiren. - Siehe Nr. 2984, Anm. 8.


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Hodie, hoc est 23. septembris, literas accipio datas Curiae Rhetorum, 23 quae inter alia haec habebant: "Uß Italia ist gewüsse post hie 24 für dem 25 keyser zukumen. Die bringt, das Petrus Aloysius 26 von den keiserischen mitt wunderbaren 27 listen und verräteryen in Parma und Plesentz 28 überfallen und undertruck 29 sye, er zu todt gestochen 30 und zum schloß ußgeworfen sye" d (meruerat 31 foedissimus sodomita incendium Pentapoleos 32 ) d . Ferdinandus Gonzaga 33 , statthallter in Meyland, hatt heid platz inn. "Graff von Mirandula 34 ist ||v umb 2 stund zu spaadt kummen. Hat müssen wider uff Mirandula entrunnen." Acht man, der statthalter werde inn besuchen 35 . Da acht man, wird der adler 36 und han 37 wider über einandren kummen, etc.

Vale, colendissime mi Myconi. Tiguri festinantissime. Salutabis diligenter Gastium, Dryandrum 38 , Coelium 39 , etc. 23. septembris 1547.

Bullinger.

[Adresse darunter:] Praestantissimo viro d. Osvaldo Myconio, Basiliensis ecclesiae ministro, domino et fratri colendo et dilecto. Basel. e

d-d Von Bullingers Hand am Rande nachgetragen. Die Klammern wurden ergänzt. -
e Nach Bullingers Unterschrift schrieb Myconius aus einem fremden, in Straßburg am 29. September verfassten Brief folgenden Auszug ab: In Anglia gratia domino res Christi magnos progressus facit, indeque benedicit illis deus etiam in externis, ut nec a Gallo helium eis inferatur, et Scoti pacem optatam ipsis Angus recepturi videantur. 29. septembris anno 1547, Argentinae. Mussitant nunc apertius de pontificatu grec; Grec [gemeint ist König Ferdinand] traducendum; ita de imperatoris ab Augusta discessu, quem alu huc, alu in Italiam iturum divinant.
23 Die Rede ist von Johannes Blasius' Brief Nr. 3016 vom 20. September. -Bullinger nimmt gegenüber dem ursprünglichen Text einige stilistische Änderungen vor, führt bei den erwähnten Personen ausführlichere Namensangaben an und fügt dem Zitat einige persönliche Kommentare hinzu. Die vorliegende von ihm erstellte Fassung ist sehr ähnlich, auch wenn nicht identisch, mit einer anderen, ebenfalls von ihm erstellten Fassung, die bereits in Nr. 3016, Anm. 11, erwähnt wurde.
24 In Chur.
25 für dem: wegen des; s. SI I 957.
26 Pier Luigi Farnese. - Zur angesprochenen Angelegenheit s. Nr. 3016, Anm. 7.
27 seltsamen; s. SI XVI 628.
28 Piacenza.
29 unterlegen; s. SI XIV 810.
30 Am 10. September.
31 Subjekt ist Pier Luigi Farnese. - Zu seiner homosexuellen Neigung s. z.B. Franz X. Eder, Eros, Wollust, Sünde. Sexualität in Europa von der Antike bis in die Frühe Neuzeit, Frankfurt a.M./New York 2018, S. 432.
32 Die fünf in Gen 14, 2. 8f, erwähnten und untereinander verbündeten Städte, darunter Sodom, die der abendländischen exegetischen Tradition zufolge (wohl in Anlehnung an Weish 10, 6) zusammen mit Sodom vom Feuer vernichtet wurden (s. dazu Gen 19, 15-25).
33 Ferrante Gonzaga.
34 Galeotto II. Pico della Mirandola.
35 angreifen; s. SI VII 229.
36 Gemeint ist der Kaiser.
37 Frankreich.
38 Francisco de Enzinas.
39 Celio Secondo Curione.