Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3022]

Pierre Viret und Guillaume Farel
an Bullinger
Genf,
28. September 1547

Autograph Virets mit Nachschrift von Farel: Zürich StA, E II 368, 233 (Siegelspur) Druck: CO XII 591-593, Nr. 947; Französische Ubersetzung: Pierre Viret d'après lui-meme, hg. y. Charles Schnetzler, Henri Vuilleumier und Alfred Schroeder, Lausanne 1911, S. 76-79, Nr. 15

[1] Viret wurde vom Genfer Ratsherrn [Claude]Roset um eine Empfehlung für dessen Sohn [Michel]gebeten, der zur Ausbildung nach Zurich kommt 1 und beim Seckelmeister [Jakob Werdmüller] wohnt. Viret kann diese Bitte nicht abschlagen, weil er schon seit Langem mit Roset befreundet ist und weil ihm die Kirche, seine Heimat 2 , die Studien und die Frömmigkeit am Herzen liegen. Diese kann erfordern, indem er sich für Knaben einsetzt, die aufgrund ihrer Ausbildung eines Tages der Kirche und dem Vaterland behilflich sein werden. Der junge [Michel] lässt das Beste erhoffen. Es wäre wünschenswert, dass junge Leute wie er Fortschritte

h Hier und unten Textverlust bei der Entfernung des Siegels.
-Heinrich war am 14. November 1546 gestorben; s. HBBW XVIII 2751. 288.
98 Gemeint sind die Kinder des verstorbenen Heinrich von Ulm, dessen Vormund Gregor war; s. HBBW XVIII 405, Anm. 5. - Einer dieser Jungen, die Gregor bei Wolf unterbringen wollte, war Walter; s. z.B. Blarer BW II 695f, Nr. 1521f. - Sollte hier ein Bruder Walters gemeint sein, käme Heinrich oder Achior in Frage; vgl. HBBW XVIII 405, Anm. 7.
99 Josua und Joseph Boschar.
100 Er war schon abgereist; s. Nr. 3014,1-3.
101 Vielleicht Barbara Winzürn (Winzer); vgl. HBBW XVII 81. 106. 112.
102 Dieser Brief wurde einer nach Zürich reisenden Frau zur Übermittlung anvertraut: s. oben Z. 107f.
1 Siehe schon Nr. 3015,[4].
2 Gemeint ist die heutige Westschweiz.


Briefe_Vol_20-500arpa

machen und die in sie gesetzten Erwartungen nicht enttäuschen, zumal die Gefahr besteht, dass Virets Heimat wieder in die alte Barbarei, von der sie sich gerade erst befreit hat, gestürzt wird. 3 Denn in dieser Gegend werden die sprachlichen Disziplinen sehr verachtet. -[2]Die Kirchen und Schulen seiner Heimat haben weder Pfarrer noch Lehrer und würden zugrunde gehen, wenn Gott ihnen nicht aus dem Ausland, besonders aus Frankreich, gelehrte, gottesfürchtige Männer für den Kirchen- und Schuldienst zuführen würde. Dass jeden Tag so viele Gelehrte dahin strömen, liegt an den Verfolgungen, von denen ganz Frankreich schon seit Beginn der Verbreitung der evangelischen Lehre heimgesucht wird (hoffentlich kommen bessere Zeiten und andere Verhältnisse!). Sofern und solange es möglich ist, sollte man also von der Gelegenheit, die Studien zu fördern, Gebrauch machen. -[3]Man muss für die Wissenschaften, den Unterricht und die Erziehung der jungen Leute sorgen, denn Letztere sind die Hoffnungsträger und werden einst das Steuer der Kirche übernehmen, wenn die jetzige Generation vom Herrn heimgerufen wird. Dank sei Gott, dass der angesehene Berner Rat die Studien nicht geringschätzt, sondern sich darum kümmert! Demnach erhofft sich Viret viel Gutes für die Schule in Lausanne, die bereits mit ausgezeichneten Gelehrten versehen ist, zu denen täglich noch weitere dazu kommen. 4 Was unter so guten Vorzeichen begonnen hat, möge mit Gottes Hilfe noch weiter gedeihen! Bullinger soll dazu beitragen, indem er durch seinen Einfluss und sein Ansehen den Bernern die Schule von Lausanne ans Herz legt. Wurden doch die Anstrengungen aller guten Männer dazu führen, endlich einmal die für die Kirche und die Studien so schädlichen Abendmahlsstreitigkeiten beizulegen, und zwar nicht nur in Bern, sondern auch in der Berner Landschaft und in dem von ihnen besetzten Gebiet 5 Bullinger und seine Gleichgesinnten sollen nach Kräften zur Eintracht beitragen, damit die ganze Kirche nicht noch zugrunde geht. Dies ist Virets Bitte. 6_[4]Bullinger möge den jungen [Michel]den Lehrern, die für seine Erziehung und Ausbildung verantwortlich sind, ganz besonders ans Herz legen, damit Claude Roset (auf dessen Wunsch vorliegender Brief verfasst ist) feststellen kann, wie wirkungsvoll Virets Empfehlung bei Bullinger ist! - [5] Alle lassen grüßen. Auch die Kollegen und vor allein Konrad Pellikan, Theodor Bibliander, Rudolf Gwalther und Konrad Gessner seien gegrüßt. -[6][Eigenhändige Nachschrift Farels:] Fare! wünscht Bullinger und seinen Kollegen alles Gute. Mögen die ihnen anvertrauten Kirchen gute Fortschritte im Herrn
3 Siehe dazu Nr. 2925, Anm. 1; Nr. 2952.32-34; Nr. 2970,144f; Nr. 2993, Anm. 4.
4 Zur Lausanner Schule, die seit 1537 bestand und an der Viret als Professor wirkte, s. Kanne Crousaz, L'Académie de Lausanne entre humanisme et Réforme (ca. 1537-1560), Leiden/Boston 2012.
Nicht lange vor der Abfassung dieses Briefes, am 25. August 1547, hatte der Berner Rat die erste Ordnung dieser Schule bestätigt; s. ebd., S. 61. Zu den dort tätigen Professoren s. ebd., S. 233f.
5 Die Waadt war 1536 an Bern gefallen.
6 Eine Bitte, die in Zusammenhang mit Nr. 3015,[1], zu verstehen ist.