Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3048]

Bullinger
an Matthias Erb
Zürich,
21. Oktober 1547

Autograph: Basel UB, Ms. Ki. Ar. 25c, Nr. 90 (alt: 88) (Siegelspur) Ungedruckt

[1]Bullinger konnte lange nicht schreiben, weil die viele Arbeit ihn dazu zwang, seine Freunde zu vernachlässigen. Erb wird aber wissen, dass er ihn kein bisschen weniger als früher schätzt. [2] Um die Zürcher Kirche steht es gilt. Möge es noch lange so bleiben! Vor einem Jahr hätte sich niemand träumen lassen, dass es in den Kirchen Deutschlands zu derartigen Veränderungen kommen würde! Der Herr prüft die Seinen und stachelt sie an. Er will ihnen beibringen, nicht mehr auf Irdisches, auf Bündnisse und Fürsten, zu vertrauen, da die Kirche durch die Verkündigung des Wortes gedeiht und nur Gott sie in Schutz nehmen kann. Bald wird ailes noch viel schlimmer kommen, wenn nämlich alien verordnet wird, Vor den Beschlüssen der Beratung [von Trient] auf die Knie zu fallen. Doch auch dann wird Gott seine Kirche beschützen und ihre Verfolger gegeneinanderhetzen und diese für immer verderben. Dies zeichnet sich schon ab: Kaiser Karl V. und Papst Paul III., die einst mit vereinten Kräften Deutschland angegriffen haben, sind nun wegen der Ermordung des Papstsohnes Pier Luigi Farnese zu Todfeinden geworden. Man lasse nur den gerechten Gott seine Strafe ausführen, während wir (stets betend) uns bemühen, unseren Aufgaben gerecht zu werden! Gott schenke uns die Kraft dazu! [3]Dank der Freundlichkeit und Umgänglichkeit des Grafen Georg von Württemberg-Mömpelgard durfte Bullinger ein Vertrauter desselben werden. Auf dessen Frage, ob Judas beim ersten Abendmahl des Leibes und Blutes Christi teilhaftig wurde, hat Bullinger nun mit einer Schrift [,,Bedencken ob der verräther Judas auch an dem Tisch deß Herren gesessen"] geantwortet. Wenn Erb es wünscht, kann er beim Grafen oder bei dessen Schreibern um diese bitten. [4] Gruße von allen, auch an die Kollegen. [5] [P.S.:] Bullinger hat diesen Brief nicht durchgelesen.

13 Bullinger hatte also dem Grafen dieses Dokument mit seinem oben in Z. 2-4 erwähnten Brief zugesandt. Zu den hier angesprochenen Antworten der Fürsten und Kurfürsten vom 20. September und 8.
Oktober 1547 s. Nr. 3017, Anm. 10. In Nr. 3050,[4], äußert sich Bullinger dazu.
14 Versehen unß: Wir hoffen.
15 Brief Nr. 3045 vom 17. Oktober.
16 Siehe dazu Nr. 3045, Anm. 20.


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S. D. Diu nullas ad te dedi, 1 Erbi charissime frater, quod negotiis oppressus cogar saepius negligere amicos. Sed nosti haud dubie me nihilo segnius amare te.

Res ecclesiae nostrae habent satis recte. Domino sit gratia! Utinam diu ita habeant! Vidimus enim in Germanicis ecclesiis eam mutationem, quam nemo credidisset, si huius vel somnium audisset ante annum. Verum dominus ita probat suos et suis excutit veternum. Eripit arundineum baculum 2 ex manibus nostris. Eripit spem in carnem, 3 in foedera, in principes, 4 in sotios 5 . ecclesia praedicatione grandescit; divino auxilio defenditur. Arbitror ego longe atrociora sequutura, ubi consilii 6 decreta omnibus nobis adoranda proponentur! 7 At nihilominus servabit ecclesiam suam dominus, licet per tribulationes. 8 Rursus hostes suos et persequutores ecclesiae committet inter se et perdet in aeternum, cuius quidem specimen hodie cernimus in caesare 9 et papa 10 , qui coniunctis copiis Germaniam invaserunt, iam vero propter caesum pontificis filium, Petrum Aloysium 11 , ita committuntur, ut non sine sanguine putetur simultas terminanda. Permittamus ergo iudicium domino, qui faciet iustitiam. Nos interim faciamus nostrum officium, orantes. Gratiam nobis concedat, quo id possimus.

Principi 12 tuo per eius benevolentiam et humanitatem plane familiaris sum factus. Scripto 13 iam illi respondi ad quaestionem, num Judas in coena domini vero corpore et sanguine domini participant. Poteris ab illo, si videbitur, commode postulare tractatum illum aut a scribis 14 illius. 15

1 Bullinger hatte zuletzt am 25. Oktober 1546 an Erb geschrieben (HBBW XVIII, Nr. 2642).
2 Vgl. 2Kön 18, 21; Jes 36, 6; Ez 29, 6.
3 Vgl. Jer 17, 5.
4 Vgl. Ps 118 (Vuig. 117), 9; 146 (Vuig. 145), 3.
5 = socios.
6 = concilii. Vgl. schon Nr. 2960,24, wo Bullinger "consilium" statt "concilium" schreibt und dadurch deutlich macht, dass er nicht gewillt ist, die Beratung in Trient als Konzil anzuerkennen.
7 Vgl. Apk 13.
8 Vgl. Mt 5, 10-12; Apg 14, 22; Apk 12, 13-18.
9 Karl V.
10 Paul III.
11 Pier Luigi Farnese, der am 10. September ermordet wurde; s. Nr. 2964, Anm. 5.
12 Graf Georg von Württemberg-Mömpelgard. Er war kurz vor Mitte September 1547 zu Besuch in Zürich gewesen; s. Nr. 3014, Anm. 2.
13 Eine handschriftliche Abhandlung, die
anlässlich des Besuchs von Graf Georg in Zürich über die Frage, ob denn Judas am ersten Abendmahl Christi Leib und Blut empfing oder nicht, verfasst wurde (s. HBD 35,12-15). In Anbetracht des in der vorliegenden Stelle gebrauchten iam wird Bullinger die Schrift gerade fertiggestellt haben. In Zürich ist davon keine Handschrift mehr erhalten. Nach Bullingers Tod wurde sie in Lich (Hessen) von Nikolaus Erben im Jahr 1596 unter dem Titel "Bedencken ob der verräther Judas auch an dem Tisch deß Herren gesessen" erstmals gedruckt (s. HBBib1 I 714; VD16 B9558). Vielleicht vermittelte Rudolf Goclenius (1547-1628), Professor für Physik und Logik in Marburg, diesen Druck; vgl. Luca Baschera, Tugend und Rechtfertigung. Peter Martyr Vermiglis Kommentar zur Nikomachischen Ethik im Spannungsfeld von Philosophie und Theologie, Zürich 2008, 5. 35.
14 Darunter Oswald Fürstenlob; s. HBBW XIV 357, Anm. 23.
15 Erb erkundigte sich bald darauf nach der


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Vale et sis fortis semper in domino. 21. octobris, Tiguri, 1547. Salutant te fratres omnes. Salutabis tu nobis vicissim vestrates.

Bullingerus.

Non relegi.

[Adresse auf der Rückseite:] Praestantissimo viro d. Matthiae Erbio, Richevillanae ecclesiae apud Alsates fideli ministro, domino et fratri suo semper venerando. Rychenwyler.