Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3096]

Bullinger
an Joachim Vadian
[Zürich],
21. Dezember 1547

Autograph: St. Gallen Kantonsbibliothek Vadiana, Ms 35, 286 (Siegelabdruck) Druck: Vadian BW VI 688f, Nr. 1582

[1]Jesus, der Erlöser dieser Welt, gebe, dass für Vadian und dessen Haushalt das neue Jahr gut beginne und noch besser ende! - [2] [Alexius] Knoblauch 2 hat Vadians Brief [nicht erhalten] übermittelt und ist danach drei Mal vorbeigekommen, um sich zu erkundigen, ob Bullinger einen Brief für Vadian hätte. Doch gab es damals nichts mitzuteilen, und Bullinger hätte zudem auch nicht die Zeit dazu gehabt. Vadian möge also sein Schweigen verzeihen. -[3] Der Zürcher Rat ist der Bitte des St. Galler Rats nachgekommen 3 und hat dem Glaubensgenossen

13 Als "doctorum corona" wird von Frölich immer wieder der Zürcher Gelehrtenkreis bezeichnet; s. HBBW XVII 305,37; XVIII 322,58; Nr. 3055,41; Nr. 3070,50f.
14 Siehe dazu oben Anm. 6.
15 Wohl von Andreas Müller; s. oben Anm. 1.
1 Die von Emil Arbenz und Hermann Wartmann in Vadian BW vorgeschlagene Umdatierung des vorliegenden Briefes auf den 31. Dezember ist angesichts der unten in Anm. 2 zusammengetragenen Bemerkungen unverständlich. Wenn ferner die unten im vierten Abschnitt an Vadian gerichtete Bitte, Ägidius Tschudi doch einen Brief zu schreiben, erst vom 31. Dezember 1547 wäre, hätte Bullinger sich nicht schon am 3. Januar 1548 für die Zusendung des von Vadian für Johannes Stumpf konzipierten und für Tschudi bestimmten Briefentwurfes bedanken können (s. Vadian BW VI 692; Nr. 3101, Anm. 11 und Anm. 12), da für eine briefliche Hin- und Hersendung zwischen Zürich und St. Gallen mindestens sieben Tage nötig gewesen wären.
2 Ein Bote zwischen St. Gallen und Zürich. - Vadian schrieb am gleichen Tag wie Bullinger, dass er keinen Brief mehr von Bullinger erhalten hat, seitdem er dem hier erwähnten Boten seinen letzten Brief für Bullinger mitgegeben hatte; s. Nr. 3097,[1]. -Dieser Brief Vadians, der sowohl von Vadian als auch hier von Bullinger bezeugt wird, ist wohl nicht mit Vadians Brief Nr. 3090 vom 7. Dezember identisch, da Bullinger in dem vorliegenden Brief nicht im Geringsten auf Letzteren eingeht. Aus Nr. 3097,[1], geht ferner hervor, dass daraufhin ein weiterer Brief Vadians an Bullinger folgte, der einem Schreiben des St. Galler Rats an den Zürcher Rat beigelegt war und hauptsächlich die im nächsten Abschnitt angesprochene Angelegenheit thematisierte. Aus unten Anm. 3 wird deutlich, dass diese letzte Sendung spätestens vom 17. Dezember datierte.
3 Der St. Galler Rat hatte den Zürcher Rat gebeten, sich mit einem an König Heinrich II. von Frankreich adressierten Brief für den in Lyon wegen seines Glaubens


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Jean Merveilleux [in Neuchatel]geschrieben. 4 Dieser wird dafür sorgen, dass beide Briefe, jener des St. Galler und jener des Zürcher Rats, so schnell wie möglich König Heinrich II. von Frankreich zukommen. Die Welt ist voller Spione und Verräter! 5 Der gute Kaufmann [Octavien Blondel] tut Bullinger leid. Hoffentlich kommt er frei! - [4] Johannes Stumpf hat seine "Eidgenössische Chronik"6 den Ratsherren der Fünf Orte zukommen lassen. Die dazu abgefertigten Boten wurden ganz freundlich empfangen und verabschiedet. Überall zeigte man sich erkenntlich. Die Luzerner und die Schwyzer schenkten dein Autor 10 Kronen. Die Urner 12. Die Unterwaldner 7 und die Zuger stellten eine beachtliche Belohnung in Aussicht. Sie wollen also jemanden abordnen, der den noch zu bestimmenden Betrag mitbringen soll. Bullinger wüsste nicht, dass irgendjemand sich im Geringsten beschwert hätte. 8 Nur Ägidius Tschudi (das sei aber allein Vadian anvertraut) hat sich über die Abschnitte beschwert, die er ais Auszüge aus Vadians Schrift "Zum Ursprung der Klöster"9 erkannt hat. 10 Er glaubt,
festgenommenen Handelsmann Octavien Blondel einzusetzen; s. Nr. 3097,[1]. Dieser Stelle zufolge kann angesichts der zwischen St. Gallen und Zürich liegenden Distanz die hier erwähnte Sendung des St. Galler Rats nicht nach dem 17. Dezember anzusetzen sein.
4 Tatsächlich aber sollte es dazu erst zwei Tage später (am 23. Dezember) kommen. Die Entwürfe des Briefs an Merveilleux und des ihm beigelegten. für König Heinrich II. bestimmten und weiter unten erwähnten Briefs vom gleichen Tag befinden sich in Zürich StA, B IV 16, 167r./v. Der Zürcher Bote Meinrat Oggenfuß wurde mit den Briefen nach Neuchatel abgefertigt; s. Zürich StA, F III 32, Seckelamtsrechnungen 1547/48, S. 54 der Abteilung "Laufende Boten". - Merveilleux stand im diplomatischen Dienste Frankreichs und hatte z.B. auf der kurzen, am 19. Dezember in Baden begonnenen eidgenössischen Tagsatzung den damals kranken, abwesenden französischen Gesandten Frankreichs, Louis Daugerant, Seigneur de Boisrigaut, vertreten und in dessen Auftrag auf die "baldige Abfertigung der Boten zur Gevatterschaft" (s. dazu weiter unten) sowie auch auf eine "Antwort betreffend die Erneuerung der Vereinung" (s. dazu s. Nr. 2881, Anm. 42) gedrängt; s. EA IV/1d 899 f.
5 In der Vorlage Corvcaeis et ludis omnia plena. - Jadis ist hier die Ablativ-Pluralform des Verräters Judas.
6 Sie war kurz vor Mitte Dezember fertiggedruckt worden; s. Nr. 3092,6-10; Nr. 3094, Anm. 4. -Am 24. Dezember sollte
zudem Christoph Froschauer auf Geheiß des Autors drei Exemplare der Chronik an Vadian senden: eines für den St. Gal- 1er Abt Dietheim Blarer von Wartensee, eines für den St. Galler Rat und eines für die Obrigkeit des Appenzeller Landes (Vadian BW VI, Nr. 1584).
7 Zunächst wurde nur an Ob- oder Nidwalden ein Exemplar der Chronik gesandt. Doch etwas später erhielt auch der andere Ortsteil sein eigenes Exemplar; s. Vadian BW VI 692.
8 Auf den am 23. Januar und am 12. Juni 1548 in Baden beginnenden Tagsatzungen kam es vonseiten der Innerschweizer zu einigen Beschwerden, allerdings nicht, wie weiter unten befürchtet, im Zusammenhang mit dem Mönchstum. Die Klagen scheinen aber bald im Sand verlaufen zu sein; s. EA IV/1d 918 zu ff; 959 y.
9 Gemeint ist Vadians Schrift "Von dein Mönchsstand", die z.T. Stumpfs Chronik einverleibt worden war; s. dazu HBBW XV 563f, Nr. 2257; 621, Nr. 2280; XVI 62, Nr. 2318; 125 und Anm. 8; Nr. 2342.
10 Tschudi hatte seinem Unmut in einem am 11. Dezember 1547 verfassten und an Johannes Fries gerichteten Brief Luft gemacht (deutsche Ubersetzung in Jakob Vogler, Egidius Tschudi als Staatsmann und Geschichtschreiber, Zürich 1856, S. 202-204). - Siehe ferner dazu Aegidius Tschudi. Chronicon Helveticum, 2. Teil, bearb. y. Bernhard Stettler, Basel 1974, S. 77*, Anm. 1; Christian Sicher, Begegnung auf Distanz. Tschudi und Vadian, in: Aegidius Tschudi und seine Zeit, hg. y. Katharina Koller-Weiss und Christian Sieber, Basel 2002, S. 130.


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dass Vadians Aussagen über das Verdienst [des Mönchswesens] einen neuen Streit unter den Eidgenossen auslösen werden. Bullinger bat Stumpf er wolle doch versuchen, Tschudi geschickt zu besänftigen. Stumpf wird Vadian dazu zu Rate ziehen. Bullinger weiß sehr wohl, dass, wenn Tschudi seine Vorbehalte niemandem einredete, kein Innerschweizer irgendetwas merken würde. Ach, wenn nur Vadian Tschudi schriebe, 11 falls dieser seinem engeren Bekanntenkreis angehört! -[5]Auf der Badener Tagsatzung 12 wurde beschlossen, nur vier Gesandte zur Taufe der Prinzessin Claude von Frankreich abzuordnen: einen Zürcher, einen Solothurner, einen Schwyzer und einen Unterwaldner. Jakob Stumpfer soll drei Goldmedaillen im Wert von 400 Kronen schlagen. 13 Schade, dass sich diesen vier Abgeordneten kein St. Galler anschließen darf! 14 Die Zürcher hätten dies begrüßt, zumal dadurch den Geschäften der Eidgenossen ein größerer Erfolg beschieden wäre. a -[6] Es gibt nichts Neues zu melden, außer dass man behauptet, Kaiser Karl V. werde in Straßburg erwartet. Bullinger weiß nicht, ob das stimmt. 15 [7]Gruß! -[8]Falls Vadian es nicht weiß: Anstelle des [zweiten Archidiakons des Großmünsters] Erasmus Schmid 16 wurde Otto Werdmüller, und anstelle des [ersten Archidiakons] Heinrich Buchter 17 Johannes Haller ernannt. Die beiden frommen und gelehrten Kollegen stehen nun Bullinger bei. - [9] Alle Pfarrkollegen lassen grüßen. - [10] [P.S.:] Von, beigelegten deutschen Büchlein 18 sind vier Exemplare fur Vadian und drei für Hans Widenhuber bestimmt.
a Der Inhalt dieses Abschnittes wurde von Bullinger am Rande nachgetragen.
11 Siehe dazu oben Anm. 1.
12 Die kurze, am 19. Dezember begonnene Tagsatzung, deren Hauptanliegen es war, die Einzelheiten betreffend der schon in Nr. 3085, Anm. 29, und Nr. 3092, Anm. 1, angesprochenen Patenschaft der Eidgenossen an der geplanten Taufe von Claude, der Tochter des französischen Königs Heinrich II., zu besprechen. - St. Gallen (ein Zugewandter Ort der Eidgenossenschaft) sandte diesbezüglich einen Brief an die Tagsatzung und wollte (wie auch noch andere Zugewandte Orte) ebenfalls einen Abgeordneten zur Tauffeier senden. Beschlossen wurde aber, wie Bulliger hier mitteilt, dass nur Zürich, Schwyz, Unterwalden und Solothurn Gesandte ernennen würden, "die in aller Namen die junge Fürstin aus der Taufe heben sollen. [..] Die Gesandten der Vier Orte sollen am Sonntag nach dem Dreikönigsfest (8. Januar) zu Solothurn eintreffen und von da gemeinsam abreisen."(EA IV 899 t).
13 Auf der Badener Tagsatzung wurde tatsächlich beschlossen, dass nicht nur eine große Medaille im Wert von 300 Kronen (s. dazu schon Nr. 3085, Anm. 29), sondern auch noch zwei kleinere Medaillen je im Wert von 50 Kronen geschlagen werden sollen. Letztere waren nämlich für die zwei Taufpatinnen, Marguerite de
Navarre (1492-1549) und Antoinette de Bourbon, Herzogin von Guise (1494- 1583), bestimmt; s. Leo Mildenberg, Zürcher Münzen und Medaillen, Zürich 1969, S. 25, Nr. 126; EA IV/1d 909 u. - Schließlich sollte das Unterfangen 39 Kronen teurer als vorgesehen werden; s. aaO, S. 909 u.
14 Dies bedauerte auch der Zürcher Rat; s. Vadian BW VI 693, Nr. 1586.
15 Dieses schon seit der zweiten Novemberhälfte umlaufende Gerücht (s. Zürich StA, E 227.1, Nr. 91; PC IV/2 801 und Anm. 1) konnte auch während der Tagsatzung vom 19. Dezember nicht verifiziert werden; s. EA IV/1d 899 g.
16 Gest. am 23. Februar 1546; s. HBBW XVI 170, Anm. 43.
17 Gest. am 15. Oktober 1547; s. Nr. 3041, Anm. 13. - Zu Hallers Ernennung s. Nr. 3094, Anm. 21.
18 Die merkwürdige Konstruktion Libellum hunc Germanicum exemplum 4 tibi misi weist vielleicht auf Auszüge aus einem umfangreicheren Werk hin, wie etwa die der Stadt St. Gallen gewidmeten Seiten von Stumpfs Chronik.
19 Ein mit Vadian verwandter St. Galler Kleinrat. - Er hatte sich ebenfalls an der Erstellung von Stumpfs Chronik beteiligt; s. HBBW XV, Nr. 2159. 2161. 2174.