Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3115]

Oswald Myconius
an Bullinger
Basel,
Freitag, 20. Januar 1548

Autograph: Zürich StA, E II 336, 282 (Siegelabdruck) Zusammenfassung: Henrich, Myconius BW 1012f Nr. 1127

[1]Myconius wünscht sich voller Sorgen eine Antwort Bullingers auf seinen letzten, vom Schiffer Johannes Wedenschwiler überbrachten Brief [HBBW XX, Nr. 3100, vom 28. Dezember 15471, besonders bezüglich der Fünf [Orte]. -[2]Aus Italien kommt die Nachricht, dass Papst Paul III. sein Heer zur Rückeroberung Piacenzas in Bereitschaft versetzt hat. Zudem soll er alle Spanier aus seinem Territorium vertrieben und nun auch zwei spanische Kardinäle weggeschickt haben. Kaiser Karl V. soll seinen Sohn Philipp II. von Spanien zum König über das Herzogtum Mailand machen wollen. Fernando Alvarez de Toledo, Herzog von Alba, werde ihn in Genua empfangen. Der Kaiser strebt nach Großem, sodass man leicht bemerkt, wonach er eigentlich giert: nach mehr ("plus ultra",)! Sollte Bullinger hierzu Neuigkeiten haben, möge er sie bei Gelegenheit übermitteln. -[3]Philipp Melanchthon schreibt bezüglich des Schmalkaldischen Krieges, dass weder die Hansestädte noch die Herzöge von Pommern [Barn im XI. und Philipp 1.1 einen Frieden mit dem Kaiser erreichen konnten. Viele sind der Meinung, dass die benachbarten Fürsten diese bekriegen werden. Und wenn das geschieht, dann kommt es [für die Protestanten] erneut zu Vertreibungen. Was Melanchthon dann über die in Siebenbürgen herrschende Freiheit berichtet, hat Myconius sehr erfreut. Jener berichtet nämlich, dass das von Johannes Honter in Kronstadt eingerichtete Kirchen- und Schulwesen Freiheit genießt. Denn obwohl sie König Ferdinand I. unterstellt sind, bezahlen die Siebenbürger nun Sultan Suleiman I. Steuern, damit er sie nicht angreift. Und so wurde ein Bischof [Bartholomäus Altenberger]einstimmig eingesetzt und mit anständigen Pfründen versehen, damit er Kirchenvisitationen durchführen kann. Als König Ferdinand I. davon erfuhr, schickte er den Siebenbürgern eine Gesandtschaft und

a Mit Schnittspuren.
4 Namentlich nicht bekannt.
5 Anna, geb. Adlischwyler.
6 Von Bullingers Kindern lebten damals Anna (geb. 1530), Margaretha (1531), Elisabeth
(1532), Heinrich (1534), Hans Rudolf (1536), Christoph (1537), Veritas (1543), Dorothea (1545) und Felix (1547).
7 Theodor Bibliander.


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forderte, dass dem Bischof die Vollmacht entzogen würde. Die [siebenbürgischen]Städte erwiderten, dass der König zuerst die stark bevölkerten Bistümer Gran, Fünfkirchen, Alba [lulia]und Kalocsa zurückzuerobern habe, die zum Nachteil des Reiches und zum Schaden des Seelenheils der Bevölkerung von den Türken besetzt seien. Der [neu gewählte]Bischof hingegen, dem die Siebenbürger die Kirchenaufsicht anvertraut haben, schade weder König, noch Reich, noch den Seelen. [So weit Melanchthon.]Man staune über das, was Gott in Mitten der Türken bewirkt, ganz im Gegenteil zu diesem christlichen König Ferdinand! Nicht auszudenken, wenn Letzterer Papst würde! -[4]Ein [für Bucer bestimmter und] am 27. Dezember 1547 verfasster Zettel aus Augsburg, der einem Brief [von Bucer an Enzinas] beilag, besagt, dass dort alles hinter den Kulissen verhandelt werde. Worauf der Reichstag hinauslaufe, sei ungewiss. Man warte auf die Überbringung der "frohen"Botschaft [von Papst Paul III.] durch Bischof Cristoforo Madruzzo von Trient, der noch nicht aus Rom zurückgekehrt sei. Inzwischen seien am Thomastag [21. Dezember]die Prediger aus Ottheinrichs Herzogtum [Pfalz-Neuburg]vertrieben worden und man habe das Papsttum wieder eingeführt. Die Vertriebenen seien am Vortag [26. Dezember]entmutigt in Augsburg eingetroffen. Wenn doch alle so sprechen könnten wie die Engel! [Soweit die Nachricht aus Augsburg]. Man erkennt daran das spanische Gemüt [des Kaisers]: Er setzt das den Reichstag fort, gestattet allen Teilnehmern frei zu reden und wieder [sicher]heimzukehren, lässt aber [die Vertreibung evangelischer Geistlicher]zu! Der Herr öffne [den Eidgenossen] die Augen, damit sie sich zeitig vor der List eines solchen Menschen hüten. -[5]Grüße, auch an Rudolf Gwalther und an die übrigen Pfarrer.

S. Nihil respondisti hactenus ad proximas meas 1 , quas reddidisse puto Iohannem Wedenschwiler 2 nautam. Miror, cum anxie desyderem, praesertim de Quinque.

Scribitur ex Italia pontificem Romanum 3 in procinctu jam esse cum illustri exercitu, ut recuperet Placentiam. 4 Eiecisse ex sua, quantacunque est, ditione Hispanos omnes, et duos cardinales Hispanos nunc ad iter ipsius iussi accingi. Cesorem 5 quoque in hoc esse, ut filium suum, quem dux de Alba Genue sit excepturus, 6 creet

1 Myconius' Brief vom 28. Dezember 1547 (HBBW XX, Nr. 3100).
2 Der Tod des Schiffers Johannes (Hans) Wedenschwiler wurde am 4. November 1546 im Züricher Großmünster verkündet; s. Totenbuch der Stadtkirchen 1549 bis 1574 (StadtA Zürich, VIII C 48), Nr. 2080 (1).
3 Papst Paul III.
4 Zur Eroberung Piacenzas durch die Kaiserlichen s. Nr. 3111, Anm. 12. -Ein falsches Gerücht. Die Soldaten, die Paul III. in Rom sammelte, waren vielmehr zur Verteidigung Roms gedacht, da der Papst Kaiser Karl V. misstraute; s. Pastor 629.
5 Totschläger; s. ML WIT 45. -Zu diesem Wortspiel s. zuletzt HBBW XX, Nr. 3100,42 mit
Anm. d.
6 Philipp II. von Spanien, der Sohn von Kaiser Karl V., sollte erst im Oktober 1548 (zum ersten Mal in seinem Leben) Spanien verlassen, um durch die Territorien seines Vaters zu reisen. In Genua wurde er dann nicht von Fernando Alvarez de Toledo, Herzog von Alba, sondern von Andrea Doria, Admiral von Genua, empfangen; s. Patrick Williams, Philip II, Basingstoke und New York 2001, S. 16f Henry Kamen, Philip of Spain, New Haven und London 1997, S. 37. -An der Tagsatzung in Baden, die am 23. Januar begann, wurde berichtet, dass Alba nach Spanien gereist sei, um Philipp II. von dort nach Italien zu geleiten; s. EA IV/1d 907 1.


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regem Insubrium 7 Tentat magna cesar, ut facile videamus, quo tendat in animo eius illud: "plus ultra"8 Si quid habes, dicito, si liceat per ocium.

De novo bello Saxonico scribit d. Philippus 9 his verbis: "Civitates Saxonice 10 et Pomeranici duces 11 nondum pacem impetrarunt ac multe coniecture sunt vicinos principes bellum eis illaturos esse. 12 Quod si fiat, in nova exilia distrahemur." Scribit et que sequuntur, apud me valde iucunda, quod adtinet ad Sylvanorum 13 parrhisiam 14 : "In ea", inquit, "Pannonie parte, quam Trinsylvaniam vocant, in qua Corone 15 primum ecclesia instaurata est et postea Honteri 16 diligentia literarum studia instituta sunt, nunc dei beneflcio tranquillitas est. Nam etsi parent regi Ferdinand& , tamen Turcico tyranno 18 tributum pendunt, ne ipsis bellum inferat. 19 Florent igitur ibi studia literarum, et ecclesiæ recte docentur, et episcopus 20 constitutus

7 Herzogtum Mailand.
8 Der Wahlspruch von Karl V.; s. Brandi, Karl V I 48€
9 Philipp Melanchthon. -Der am 12. Dezember 1547 verfasste und heute nicht mehr gänzlich erhaltene Brief war an Martin Bucer gerichtet (MBW-T XVII 312f Nr. 4988a). -Bucer wiederum legte Melanchthons Brief seinem Schreiben an Francisco de Enzinas von Anfang Januar 1548 bei (Enzinas BW 343, Nr. 38k). Enzinas gab diesen Brief Myconius zur Lektüre, der auf dem von Bucer an ihn gerichteten Brief von Anfang Januar 1548 (Henrich, Myconius BW Nr. 1126) Auszüge aus dem heute verlorenen Brief Melanchthons abschrieb. Dieser Brief mit den nachgetragenen Auszügen wird heute in Zürich ZB, Ms F 80, aufbewahrt. -Die hier für Bullinger abgeschriebenen Stellen entsprechen nur einem Teil der von Myconius auf Bucers Brief verfassten Auszüge. Dabei sind keine wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Fassungen zu vermerken.
10 Civitates Saxonice: Gemeint sind die Hansestädte und ganz besonders jene, die mit dem Kaiser noch nicht versöhnt waren, darunter Bremen und Magdeburg; s. HBBW XX, Nr. 2985, Anm. 10; Nr. 3060, Anm. 18.
11 Die Herzöge Barnim IX. von Pommern-Stettin und Philipp I. von Pommern-Wolgast hatten sich mit kleineren Kontingenten von Hilfstruppen am Schmalkaldischen Bund beteiligt. Da sie die Ächtung fürchteten, schickten sie Abgesandte zum Kaiser nach Augsburg,
um einen Sühnevertrag zu erwirken. Dieser sollte erst im Juli 1548 zustande kommen; s. Konrad Schröder, Pommern und das Interim, in: Baltische Studien, NF XV, Stettin 1911, S. 121; Hans Branig, Geschichte Pommerns T: Vom Werden des neuzeitlichen Staates bis zum Verlust der staatlichen Selbständigkeit 1300-1648, Köln u.a. 1997, S. 1081.
12 Zu den Berichten und Gerüchten über kaiserliche Kriegsvorbereitungen s. zuletzt Nr. 3107, 42-52.
13 Siebenbürgen (heute im Zentrum Rumäniens).
14 griech. grec -Redefreiheit.
15 Kronstadt (heute: Brasov).
16 Johannes Honter.
17 Ferdinand I.
18 Sultan Suleiman I.
19 Die drei siebenbürgischen Stände (ungarischer Adel, Szekler und Sachsen) hatten auf dem Landtag von Thorenburg 1542 Siebenbürgen zu einem autonomen Fürstentum unter osmanischer Oberhoheit erklärt; s. Maja Philippi, Von der Schlacht bei Mohács bis zum großen Brand (1526-1689), in: Kronstadt. Fine siebenbürgische Stadtgeschichte, hg. y. Harald Roth, München 1999, S. 44.
20 Sehr wahrscheinlich Bartholomäus Altenberger (gest. 1552), der im März 1547 zum Pfarrer von Hermannstadt ernannt wurde und vermutlich damals schon bischöfliche Befugnisse erhalten hatte; s. MBW-Reg TX, Nr. 4988a (Online-Fassung). - Zu Altenberger s. MBW-Reg XI 60.


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est communi ecclesiarum consensu, et constitutum ei honestum stipendium necessarium ad inspectionem ecclesiarum. Id postquam rescivit rex Ferdinandus, misit eo legatos, qui mandarunt, ut authoritatem illi episcopo adtributam rursum adnuant. Responderunt civitates: Prius regem debere alias locupletissimas dioceses Strigoniensem 21 , Quinquecclesiensem 22 , Albensem 23 et Colossensem 24 recuperare, quas nunc tenent Turce magno regni et multarum animarum detrimento. Hune vero episcopum, cui ipsi commendarint inspectionem ecclesiarum, nec regi adversari nec regno nec animarum saluti nocere", etc. Videmus, quid dominus agat in medio Turcarum, quid item Ferdinandus rex, christianus scilicet. Quid putas, is, si fieret papa? 25

Preterea venit scheda ex Augusta in literas ad nos iniecta, que sic habet: 26 "Crede mihi, sic obscure, tecte et incerto geruntur hic omnia, ut, si de vita periclitandum sit, nescio prorsus, quid ista comitia parturiant, quemque rerum finem constituant. Adhuc expectatur grec b Romanum 27 per grec grec, qui nondum Roma rediit. Interea ministri verbi (id quod in diem Thome 29 proxime praeterito factum est) c ex ducatu Ottonis Henrici profligantur et papatus restituitur. 30 Boni vin hue ad nos venerunt heri consternati et deiecti. Utinam scirent omnes grec grec. 31 . 27. decembris."Vides, mi Bullingere, quid agat Hispanicum ingenium: Concilium 32 continuat, facit libertatem dicendi quibuscunque accessuris ad concilium, imo redeundi domum, et nunc ita 33 permittit. Aperiat oculos nobis dominus, ut astu vin dolisque intellectis caveamus nobis per ipsum in tempore.

b In der Vorlage grec -
c Klammern ergänzt.
21 Gran (heute: Esztergom, Ungarn).
22 Fünfkirchen (heute: Pécs, Ungarn).
23 Alba Julia (Rumänien).
24 Kalocsa (Ungarn).
25 Das Gerücht, dass Ferdinand I. der nächste Papst werden könnte, ist schon seit September 1547 belegt und von Myconius überliefert worden; s. HBBW XX, Nr. 3020, Anm. e; Nr. 3035,14-17.
26 Der Brief aus Augsburg wurde am 27. Dezember 1547 verfasst und war für Martin Bucer bestimmt. Dieser legte jenes Schreiben auch seinem oben in Anm. 9 erwähnten Brief an Enzinas bei und bat darum, alles ebenfalls Myconius zur Verfügung zu stellen.
27 grec Romanum: die aus Rom kommende, gute Nachricht. -Ironisch gemeint.
28 per grec grec durch den Bischof von Trient, Cristoforo Madruzzo. -
Zu dessen diplomatischer Mission s. Nr. 3108, Anm. 4.
29 21. Dezember 1547.
30 Nach der Niederlage und Ächtung des Pfalzgrafen Ottheinrich von Pfalz-Neuburg und dessen Flucht nach Heidelberg wurde Pfalz-Neuburg von den kaiserlichen Truppen eingenommen und von dem altgläubigen Statthalter Otto Truchseß von Waldburg-Trauchburg verwaltet. Die Rekatholisierung wurde mit harter Hand durchgeführt; s. Franz Anton Förch, Neuburg und seine Fürsten. Ein historischer Versuch zur Geschichte des Fürstenthums Pfalz-Neuburg, Neuburg 1860, S. 54.
31 grec grec wie die Engel zu reden.
32 Gemeint ist der Augsburger Reichstag.
33 solches. - Gemeint ist die Vertreibung von evangelischen Predigern; s. oben Z. 32-34


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Vale in Christo cum Gvalthero et reliquis fratribus. Basilee, 20. ianuarii anno 1548. Tuus O. M.

[Adresse auf der Rückseite:] D. Heinricho Bullingero, viro praestantissimo doctissimoque, Tigurinorum episcopo, fratri ac domino in Christo venerando suo.