Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3118]

Ambrosius Blarer
an Bullinger
[Konstanz],
Dienstag, 24. Januar 1548

Autograph: Zürich StA, E II 357, 261 (Siegelspur) a ; [Beilage b :] E II 357a, 763 Zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 681, Nr. 1504; [Beilage:] Blarer BW II 680, Nr. 1503

[1]Aus Zeitmangel kann Blarer Bullingers Brief [nicht erhalten] nur in Kürze beantworten. -[2] Zuerst unendlichen Dank für Bullingers Unterstützung im Namen jener [jungen Eheleute, Hans Rutishauser und Dorothea Diethelm], die Blarer ihm so zuversichtlich anvertraut hatte. Sie berichteten freimütig, wie sehr ihnen Bullingers Beistand geholfen hat. Blarer hofft, Bullinger dereinst ebenso unterstützen zu können! -[3]Der Landvogt im Thurgau, [der Zürcher Leonhard Holzhalb], hat das Urteil des Zürcher Rates mit der Erklärung, er sei nicht nur Vogt der Zürcher, sondern auch aller anderen Eidgenossen, noch nicht anerkannt. Bei Gelegenheit wird er jedoch den eidgenössischen Abschied über die Heirat von Blutsverwandten sorgfältig prüfen und [den jungen Brautleuten]dann Bescheid erteilen. Dass Blarer und Bullinger nicht darauf geachtet haben, dass der Zürcher Rat dem Ehepaar eine schriftliche Bestätigung des Urteils ausgestellt hat, war fahrlässig. So wird der Landvogt den [mündlichen]Bericht des Ehepaares möglicherweise nicht [einfach]billigen können. -[4]Genug von der Eidgenössischen Chronik! Wenn sich irgendwo ein Irrtum zugetragen hat, nimmt Blarer die Schuld offenherzig auf sich. -[5]Er macht sich große Sorgen um den kranken Marcell Dietrich von Schankwitz und seine ebenfalls erkrankte Frau [Anna, geb. Zehntmeier], und bittet Bullinger, diese herzlich zu grüßen. Möge Gott sie heilen! Blarer hätte ihnen geschrieben, wenn er mehr Zeit gehabt hätte. -[6]Die [Konstanzer] können angesichts so viel menschlicher Treulosigkeit nicht ermessen, wie ihre Lage steht. König Ferdinand I. und Nicolas de Perrenot sollen ihnen, wie man hört, wohlgesonnen sein. Unterdessen aber bleibt jegliche Antwort von Kaiser Karl V. aus. Das ist höchst verdächtig! Hoffentlich erweisen sich die Konstanzer und ihre Anliegen als gottgefällig! Denn dann kann man davon ausgehen, dass sich bald alles für sie glücklich fügen wird! Die Zürcher sollen für die Konstanzer beten, damit diese weiterhin nichts unternehmen, das zu ihrem Unheil beitragen würde. -[7]Johannes Gisling ist mit seiner Frau [Barbara Sumenberger(in)]ohne

a Ohne Schnitt- oder Nadelstichspuren. -
b Dass die unten beigefügte Beilage dem vorliegenden Brief zuzuordnen ist, geht aus folgenden Beobachtungen hervor: Die unten in Z. 40-49 erwähnte Schlägerei wird von Blarer "uff suntag nechst verschinen "datiert. Da das genaue Datum der Schlägerei von Bullinger auf den 22. Januar angesetzt wird (Nr. 3137), der tatsächlich ein Sonntag war, muss die vorliegende Beilage spätestens am Sonntag, dem 29. Januar, verfasst worden sein. Demnach ist sie entweder Blarers Brief vom 24. Januar (Nr. 3118) oder einem nicht mehr erhaltenen und zwischen dem 23. und den 29. Januar entstandenen Brief Blarers an Bullinger zuzuordnen. Angesichts der Tatsache, dass der Brief vom 24. Januar keine Adresse trägt, obwohl eine leer gebliebene Verso-Seite dazu zur Verfügung gestanden hätte, und in Anbetracht der übereinstimmenden Faltung des Briefes vom 24. Januar und jener Beilage, ist Letztere dem vorliegenden Brief zuzuordnen. -Dem Herausgeber des Blarer BW, Traugott Schieß, war das genaue Datum der Schlägerei unbekannt, weshalb er die Beilage schon dem früheren Brief Nr. 3110 vom 18. Januar 1548 (Blarer BW II 679f Nr. 1503) zuordnete.


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Abschied und ohne seine Schulden zu begleichen aus Konstanz geflohen. Die Konstanzer werden ihm wohl ein schlechtes Zeugnis ausstellen müssen. Als die Stadtwache sie verhaften wollte, waren sie schon verschwunden! Gott erbarme sich dieser ehrlosen Eheleute und bessere sie! -[8]Grüße und Bitte um Gebet. -[9][Beilage:]Es gibt keine Nachrichten aus Konstanz, nur kursierende Gerüchte, mit denen Bullinger nicht belästigt werden soll. -[10] Gestern Abend hörte Blarer von jemandem [NN] aus Gottlieben, dass letzten Sonntag [schwäbische]Burschen aus Hemmenhofen unter soldatischem Trommelspiel nach der Art der Landsknechte über das Eis [des zugefrorenen Rheinsees]Richtung Steckborn [im Thurgau]gezogen sind. Die Steckborner Burschen kamen ihnen entgegen und schrien ihnen zu, sie sollen auf ihrem Territorium die Trommel nicht auf diese Weise schlagen. Daraufhin beleidigten die Hemmenhofer die anderen und forderten sie zur Prügelei auf Die Steckborner gingen sodann über das Eis zu ihnen hinüber und schlugen sie so brutal in die Flucht, dass sogar ein Bursche umgekommen sein soll. Sie waren nur mit Stöcken bewaffnet. Das sind seltsame Vorzeichen. -[11]Durch ein Schreiben eines zuverlässigen und vornehmen Mannes [NN] ist bekannt, dass Papst Paul III. alle Forderungen von Kaiser Karl V. abgelehnt hat. Diese waren: 1. die persönliche Anwesenheit des Papstes in Trient oder Bologna, 2. die Unterwerfung des Papstes unter das Konzil, 3. die Zustimmung des Papstes zu einer [vorzeitigen]Papstwahl für den Fall seines Todes während des Konzils, 4. die sofortige Entsendung von Abgesandten nach Augsburg zu Beratungen [über das Interim]. -[12]Der Kaiser wirbt immer wieder Soldaten an. Was er damit bezweckt, ist aufgrund der widersprüchlichen Gerüchte ungewiss. Bald wird es sich zeigen.

S. Accepi tandem tuas 1 , ad quas ista temporis angustia pauca respondeo.

Primo officiositati tue magnas habeo adeoque maximas gratias istorum nomine, quos tibi tanta diligentia commendaveram, qui tuo beneficio valde se adiutos ingenue fatentur. 2 Utinam aliquando paria tecum facere liceat.

Turgoie praefectus 3 nondum vestri senatus sententie subscripsit 4 affirmans se non Tigurinorum, sed aliorum quoque Helvetiorum 5 praefectum esse, tamen se, ubi vacabit, mandatum illud aut decretum, si mavis, quo declaratur c ab Helvetiis, quatenus ad matrimonium admittendi sint consanguinei, diligentius inspecturum deinde, quid illis factu licitum sit, indicaturum. 6 Nos negligentia quadam (nisi

c Am Rande nachgetragen.
1 Nicht erhalten.
2 Dank Bullingers Unterstützung hatten Hans Rutishauser und Dorothea Dietheim vom Zürcher Rat eine Erlaubnis zur Heirat bekommen; s. HBBW XX, Nr. 3088, Anm. 25.
3 Landvogt im Thurgau war von Juni 1546 bis Juni 1548 der Zürcher Leonhard Holzhalb (1503-1553), s. HBBW XVII, Nr. 2577, Anm. 85.
4 nondum vestri senatus sententie subscripsit: stimmte dem Zürcher Rat noch nicht zu.
5 Gemeint sind hiermit neben Zürich die Orte Luzern, Un, Schwyz, Unterwalden, Zug und Glarus, die den Thurgau gemeinsam beherrschten; s. HLS V 200.
6 Bei dem Abschied, den der Landvogt gemäß Blarer zu konsultieren gedachte, handelt es sich vermutlich um Zürich StA, A 6.1, Nr. 7. -Am 15. Juli 1533 (EA IV/1c 124-126, Nr. 75) hatten die evangelischen Städte über eine Angleichung ihrer jeweiligen Ehesatzungen beraten, wurden sich aber dabei nicht in


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fallor) peccavimus, quod boni hommes 7 nullas literas huius rei testes a vestro senatu petierunt. Hinc enim fieri potest, ut vanum esse existimet praefectus, quod synceri isti et integri hommes istinc a vestris retulerunt. Verum res ipsa propediem docebit, quid facto sit opus.

De chronicorum negocio plus satis iam inter nos! Si quid hic peccatum est, a me peccatum esse ingenue fateor. 8

Marcelli et uxoris illius vicem unice doleo, 9 quos, valde te rogo, ut ex me plurimum et amanter salutes. Dominus medica sua manu illos nobis corpore et animo sanos d pro sua benignitate quamprimum restituat. Scripturus illis fueram, ni temporis spacio exciusus fuissem.

Nostra caussa quo loco sit, nemo nostrum liquido coniicere potest in tanta hominum perfidia. Scribitur regem 10 et Granvelam 11 bene nobis velle, etc. Interim nihil prorsus a c [aesare] 12 respondetur, que comperendinatio haud vacat gravi suspitione. Sed utinam domino nos nostraque omnia recte probaremus. Tum enim omnia nobis mox feliciter confecta ab illo darentur. 13 Rogabis igitur cum omnibus bonis pro nobis, ut ne quid praepostere ac proinde absque successu (quod hactenus fieri videmus) magno etiam malo nostro tentemus.

d Über der Zeile nachgetragen.
allen Punkten einig. Der Umstand, dass dabei festgesetzt wurde, dass jede Stadt nur noch je zwei Exemplar zuhanden ihres Rates und Ehegerichts besitzen sollte und die Satzungen nicht mehr gedruckt und vervielfältigt werden durften, erklärt, weshalb Holzhalb zur Einsicht in die Bestimmungen nach Zürich reisen musste; s. Kilchenmann, Ehegericht 18. - Holzhalb wird die Reise nach Zürich vermutlich zwischen Ende Januar und dem 11. Februar 1548 unternommen haben: Während Blarer in seinem Brief vom 1. Februar noch von dem Reisevorhaben des Landvogts spricht, konnte Bullinger in seinem Schreiben vom 11. Februar an Oswald Myconius bereits Informationen weitergeben, die er wohl von Holzhalb erfahren hatte; s. Nr. 3127,4f; Nr. 3137, Anm. 116.
7 Aus unten Z. 11f geht hervor, dass damit das junge Ehepaar gemeint ist.
8 Auf Blarers Angabe hin hatte Bullinger dem Zürcher Drucker Christoph Froschauer d.Ä. den Preis mitgeteilt, den der Konstanzer Buchhändler Gregor Mangolt für die von Froschauer gedruckte "Eidgenössische Chronik" von Johannes Stumpf (VD16 S9864 ; BZD
C396) verlangte. Daraufhin wies Froschauer den Buchhändler Mangolt harsch zurecht, so dass Blarer es bereute, Bullinger über diese Angelegenheit benachrichtigt zu haben; s. HBBW XX, Nr. 3099,73f; Nr. 3110,4-10.
9 Marcell Dietrich von Schankwitz war wohl bereits im Dezember 1547 schwer erkrankt. Da Bullinger diesem Grüße ausrichten sollte, müssen sich Schankwitz und seine ebenfalls erkrankte Frau Anna, geb. Zehntmeier, zu dieser Zeit in Zürich aufgehalten haben; s. Nr. 3110, Anm. 37; HBBW XX, Nr. 3099,69€ - Er überlebte die Krankheit und starb erst 1565; s. HBBW XIX, Nr. 2762, Anm. 98.
10 König Ferdinand I.
11 Nicolas de Perrenot, Herr von Granvelle.
12 Karl V.
13 Zum Bericht über die positive Einstellung Ferdinands I. und Granvelles, vgl. HBBW XX, Nr. 3088, Anm. 10. - Zur Hinhaltetaktik des Kaisers gegenüber den Konstanzern und den unterdessen auferlegten wirtschaftlichen Sanktionen, s. HBBW XX, Nr. 3092,27-34; Nr. 3110,21-23 und Anm. 30.


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Gyslingerus insalutato hospite cum sua festinabundus hinc discessit nondum dissoluto ere alieno, quod hic conflaverat. 14 Ich sorgen, man werd im noch schelmenbrieff 15 nachschriben mussen. Die stattknecht habend sy baide im huß gesucht, woltends gehefft 16 haben, aber sy warend davon! Gott erbarm sich der eilenden leut und verbesser sy mitt gnaden.

Salutant te nostri quam possunt reverenter et officiose sacris tuis apud dominum interpellationibus diligentissime se commendantes. Salveat tua domus cum omnibus fratribus et amicis, quorum fidelibus votis iuvari apud Christum valde cupimus et speramus. Iterum iterumque vale. 24. ianuarii 1548. [Ohne Unterschrift.]

||E lI 357,763 [Beilage:]

Es ist kam zeytung bey unß dann vyl flyegender gassenmär, von denen ich aber nichts schreiben oder euch damitt heiligen mag.

Nächt 17 sagt mir amer 18 von Gottlieben 19 , das uff suntag nechst verschinen 20 die buben 21 von Hemmahofen uff Steckboren gezogen uff dem yß übern see 22 und die böcken 23 oder trummen 24 uff lantzknechtisch geschlagen habind. Wellichs, alls es die buben zu Stäckboren gehört, seyen sy ouch gegen men zogen. Habind in 25 zugeschrien, sy sollind uff irem boden 26 die trummen nitt dermassen 27 schlachen. Daran men aber die andern böse wort geben, sy gefordert habind, zu men ze kommen und mitt inn ze schlachen, etc. Allso habinds die buben von Steckboren zuletst uber den gefrornen furt gewagt 28 und an die andern gesetzt 29 , sy ubel und in die flucht geschlagen, allso 30 , das ain bub da tod uff dem platz belyben seye. Habend all nichts dann stäcken gehapt, etc. Sind wunderbarliche ding und seltzame omina, etc.

14 Johannes Gisling(er) und seine Braut Barbara Sumenberger(in) hatten bei ihrer Hochzeit in Konstanz mit Tanz gegen die Sittenordnung verstoßen; s. Nr. 3110,14-18 und Anm. 23.
15 ein schlechtes Zeugnis; s. DRW XII 24.
16 verhaftet.
17 Gestern Abend.
18 Unbekannt.
19 Eine Gemeinde im Thurgau.
20 vergangenen. -Sonntag, der 22. Januar 1548; s. den ausführlicheren Bericht Bullingers an Oswald Myconius vom 11. Februar 1548 über die Schlägerei auf dem Eis (Nr. 3137,74-95).
21 Burschen.
22 Das schwäbische Dorf Hemmenhofen und das Thurgauer Dorf Steckborn liegen an den sich gegenüberliegenden Ufern des Rheinsees,
des südlichen Teils des Untersees. -Hemmenhofen gehörte zur Steckborner Abtei Feldbach. Steckborn selbst war konfessionell gespalten, was des Öfteren zu Auseinandersetzungen führte; s. HLS XI 840.
23 Hiermit ist wohl eine Art Trommelersatz gemeint; vgl. SI IY 1138.
24 Trommeln.
25 ihnen.
26 Gemeint ist eidgenössisches Gebiet.
27 auf diese Weise.
28 Der See war nicht gänzlich zugefroren, weshalb die Knaben Bretter verlegten, um über diese ans andere Ufer zu gelangen; s. Nr. 3137, 74-95.
29 an ... gesetzt: angegriffen; s. SI VII 1612.
30 so heftig.


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Es schreibt gar ain guter redlicher und fürnämer mann 31 her, der papst hab dem kaiser all artickel abgeschlagen, 32 so er an inn gemutet habe 33 . Namlich das er:

1. aigner person selbs gen Trient oder Bononi 34 kommen sollt,

2. sich dem concilio underwurfflich machen,

3. amen andern papst ze wellen 35 , bewilligen sollt, damitt, ob er durante concilio sturbe, das mann dann gleich ain newen pontificem hette,

4. seine glerten yetzung gleich [g]ene Augspurg schicken sollt, damitt sy sich vor [d]em concilio mitt den anderen glerten 36 underreden möchten.

Der kaiser nympt für und für 37 vyl volcks an 38 . Was er im synn habe, mag man grundtlich 39 nitt wissen, so gar mancherlay und ungleych sagt man von den sachen. 40 Es wirt sich aber nitt lang mehr bergen.

[Adresse auf Rückseite:] Praestantissimo viro d. Heinricho Bullingero, amico tanquam fratri suo incomparabili. Tiguri.