Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3120]

Johannes Gast
an Bullinger
Basel,
Mittwoch, 25. Januar 1548 1 Autograph: Zürich StA, E II 366, 190 (ohne Siegelspur) a Ungedruckt

[1]Auf Bullingers Beschwerde über zu seltene Nachrichten erwidert Gast, den mit Arbeit überhäuften Bullinger nicht mit Belanglosem stören zu wollen. -[2]Gast hat Bullingers Brief an Gilbert Cousin [nicht erhalten]dessen Bruder [Antoine][zur weiteren Übermittlung] anvertraut. Das Schreiben sollte [mittlerweile bei Gilbert in Nozeroy]angekommen sein. -[3]Kaiser Karl V plant wohl etwas gegen die Eidgenossenschaft, da er Reiter nach Besancon verlegt hat und ein gewaltiges Heer anwirbt. Darüber aber ist Bullinger besser informiert als Gast. Einige sind der Meinung, dass Karl V die Eidgenossen unterwerfen, andere wiederum, dass er zu seiner Schande von diesem Unterfangen ablassen will. Zweifelsohne wird er dies wagen wollen, auch wenn alle Wahrsager ihm dabei Unheil prophezeien. Gast fürchtet, dass die Eidgenossen eine schwere Strafe verdienen. Möge diese väterlich ausfallen. Die Eidgenossen hätten schon längst bestraft werden sollen, zumal sie des Öfteren zur Buße aufgefordert wurden. Schon die Propheten haben die Menschen nicht nur umsonst auf ihren Irrtum hingewiesen und ihnen Gottes Strafe verkündigt, sondern sie mussten dafür sogar mit ihrem Leben bezahlen! -[4]Der Basler Rat hat wegen der hohen Anzahl neuer Bürger angeordnet, die Waffeninspektion in der kommenden Woche [29. Januar bis 4. Februar]abzuhalten. -[5]Philipp Melanchthon hält niedergeschlagen wieder Vorlesungen in Wittenberg und versucht dabei, die verstreuten Professoren und Studenten wieder zu versammeln. Viele wollen Herzog Moritz von Sachsen nicht dienen und lehnen es ab, den Wiederaufbau der Universität Wittenberg zu unterstützen. -[6]Magdeburg steht unter Reichsacht und bereitet sich auf die Verteidigung vor. Als Heerführer dient ihnen Graf Christoph von Oldenburg, der wegen des Evangeliums sein gesamtes Erbe verloren hat und ins Exil musste. Derweil rüstet Herzog Moritz zusammen mit dem Mord brenner Heinrich d.J. von Braunschweig-Wolfenbüttel ein Heer gegen Magdeburg. Wie gut sich die beiden ergänzen! -[7]Die drei Söhne des gefangenen Johann Friedrichs lyon Sachsen, Johann Friedrich II. der Mittlere, Johann Wilhelm I. und Johann Friedrich III. der Jüngere, befinden sich unweit von Erfurt in Weimar bei ihrer Mutter, Sibylle von Jülich-Kleve-Berg. Nach ihrem erzwungenen Weggang aus ihrer Heimat [dem albertinischen]Sachsen, warten sie bang auf die Freilassung ihres Vaters. Über diese gibt es aber keine verlässlichen Neuigkeiten. -[8]Das Konzil von Trient wird die Saat des Evangeliums gänzlich ersticken, wenn Gott nicht einschreitet. -[9]Grüße. Gast wird schreiben, wenn er weitere verlässliche Neuigkeiten hat. -[10][P.S.:]Martin Bucer wurde vom Kaiser zu einem neuen Religionsgespräch [nach Augsburg]berufen. Auch Philipp Melanchthon wird mit Johannes Brenz kommen. Das wird noch was geben! Bucer hat sich am 24. Januar [1548]auf den Weg [nach Ulm]

a Ohne Schnitt- oder Nadelstichspuren.
1 Gasts Postskriptum muss wegen der dort erwähnten Abreise Bucers aus Straßburg (unten Z. 31f) nach dem 24. Januar - und je nach
Übermittlungsdauer der Nachricht -auch einige Tage später verfasst worden sein.


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gemacht. [11]Gast bittet Bullinger um eine Abschrift des Artikels zur Scheidung von Leprakranken, den das Zürcher Ehegericht befolgt. [12] Was hat sich denn in Steckborn zugetragen? Das sind zweifellos Vorzeichen eines Krieges gegen die Eidgenossen!

S. in domino. Conquereris de mea in scribendo raritate et negligentia. Verum cum argumentum nullum sit dignum tuis studiis ac nostre amicitie, satius duco tacere quam tibi negotiis aliis adobruto facessere negotium.

Gilbertus habet ad me missas literas 2 , quas fratri suo perferendas dedi.

De caesaris 3 consiliis tu melius nosti quam nos. Molitur aliquid contra Helvetiam. Nam misit aliquot equites Bisontium 4 ac conscribit ingentem exercitum, famaque est communis et vulgaris caesarem velle Helvetios sub iugum mittere aut turpiter ab negotio incepto 5 infeliciter desistere. Tentabit fortune aleam absque dubio, etsi omnes arioli extrema mala ei divinent. Peccata nostra flagellum grave, sed paternum speramus. Jam ohm pati debebant, saepe vocati ad resipiscentiam. Sed frustra laborarunt pii prophete, qui etiam sanguine suo effuso testati sunt, nos toto celo errare 6 deumque iram suam effusurum contra impenitentes.

Noster senatus arma civium futura hebdomada inspicere instituit propter novos cives, quorum magnus est numerus. 7

Melanchthon Witeberge iterum praelegit tristi animo colligens scholam dispersam. Multi ex doctis Mauritio inservire nolunt atque operam suam locare in erigenda schola recusant. 8

2 Dieser von Bullinger am 2. November 1547 verfasste, jedoch nicht erhaltene Brief für Gilbert Cousin aus Nozeroy (Bourgogne-Franche-Comté) erreichte diesen am 14. Januar 1548. Der Briefbote, einer von Cousins Brüdern, muss das Schreiben somit spätestens gegen den 10. Januar erhalten haben; s. Nr. 3165,1f. —Als Briefboten kommen Antoine, Hugo d.J. und Jean in Frage. Am wahrscheinlichsten handelt es sich um Antoine; vgl. HBBW XV, Nr. 2139, Anm. 18; AK VII 36, Nr. 3035.
3 Karl V.

4 Besancon (Dép. Doubs, F).

5 Gemeint ist die Absicht des Kaisers, einen Krieg gegen die Eidgenossen anzuzetteln. — Zu den Kriegsgerüchten gegen die Eidgenossenschaft s. Nr. 3107,42-52.
6 Vgl. Adagia 1, 1, 49 (ASD II/I 166, Nr. 49).
7 Die Beschaffung und Instandhaltung der Waffen oblag den Basler Bürgern. An Terminen, die vom Basler Rat festgelegt wurden, mussten die dafür zuständigen Zünfte die Waffen aller Bürger inspizieren. Das Basler Bürgerrecht,
das auch eine Zunftmitgliedschaft voraussetzte, verpflichtete durch Eid zur Bereitschaft, die Stadt in Kriegs- und Friedenszeiten zu bewachen und allenfalls auch für diese in die Schlacht zu ziehen. Bei einem Teil der hier genannten neuen Bürger dürfte es sich um Glaubensflüchtlinge handeln; s. Eduard Achilles Geßler, Basler Wehr- und Waffenwesen im 16. Jahrhundert, Basel 1938, S. 8-19 — 116. Neujahrsblatt hg. y. der Gesellschaft zur Beförderung des Guten und Gemeinnützigen; Guggisberg, Basel 204f.
8 Philipp Melanchthon hatte seine Beteiligung am Aufbau der Universität Jena, die von den Söhnen des ehemaligen sächsischen Kurfürsten Johann Friedrichs I. vorangetrieben wurde (zu den Namen der Söhne s. unten Anm. 13), ausgeschlagen. Am 24. Oktober 1547 nahm er seine Vorlesungstätigkeit in Wittenberg wieder auf das seit dem 19. Mai 1547 im Herrschaftsbereich von Kurfürst Moritz von Sachsen lag; s. Scheible, Wittenberg 273f; Gehrt, Konfessionspolitik 36-38.


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Magdenburgum in excommunicatione caesaris est ac parat se ad resistendum. 9 Ducem habent baronem de Aldenburg 10 , qui exutus omnibus paternis bonis exulat propter evangelium. Mauricius dux, ne quid durius dicam, parat exercitum contra Madenburgenses, cui adiunget se Brunsvicensis incendiarius 11 ; dignum patellum olle. 12

Duces Saxonic 13 , capti ducis filli, in Winmarckt 14 habitant cum matre 15 . Ditio est non procul ab Ertfordia 16 . Saxoniam 17 , natale solum, coacti reliquere sicque expectant anxio corde patris liberationem 18 , de qua certi nihil audimus.

Concilium Tridentinum evangelii sparsum semen omnino suffocabit, si domini potentia non restiterit.

Vale. Brevi plura et certiora. Basilee, 1548, 25. ianuarii.

Tuus Gastius.

||190v. D. Bucerus vocatus a caesare ad novum colloquium in religione. Veniet etiam Melanchthon cum Brentio. 19 Videbimus mira. Bucerus abut die martis 24.

9 Über Magdeburg war bereits am 27. Juli 1547 die Reichsacht verhängt worden; s. Nr. 3102,26f und Anm. 16.
10 Graf Christoph von Oldenburg. - Das Gerücht, Graf Christoph fungiere als Heerführer, beruht wohl darauf, dass er zu der Zeit mit Hilfe des Grafen Albrecht VII. von Mansfeld Truppen sammelte, über deren Einsatz im Erzstift Magdeburg offen spekuliert wurde; s. Storkebaum, Oldenburg 117f. - Die Belagerung Magdeburgs durch Kurfürst Moritz von Sachsen und Herzog Georg von Mecklenburg erfolgte erst vom 4. Oktober 1550 bis zum 5. November 1551. Davor gab es immer wieder kleinere Scharmützel, ohne dass die Reichsacht militärisch durchgesetzt worden wäre. Bei der oben genannten Belagerung übte Ebeling Alemán den Oberbefehl aus. Christoph von Oldenburg und Albrecht VII. von Mansfeld hatten ausschließlich beratende Funktion; s. Asmus, Magdeburg 486-493.
11 Herzog Heinrich d.J. von Braunschweig-Wolfenbüttel. - Ihm wurde eine Reihe von Brandkatastrophen angelastet, die sich im Jahr 1540 ereignet hatten; s. HBBW XI, Nr. 1494, Anm. 17; Nr. 1532,130-133; Nr. 1534,51-52; Nr. 1535;XVI,Nr.2321,8-10; Demandt, Schmalk. 50f -Von Luther wurde
er als "Mordbrenner"bezeichnet; s. HBBW XI, Nr. 1472,10-13. - Zur späteren Belagerung Magdeburgs s. oben Anm. 10.
12 Vgl. Adagia 1, 10, 72 (ASD 11/2 468, Nr. 972) und TPMA IV 267, Nr. 35-39.
13 Gemeint sind die drei Söhne des gefangenen Johann Friedrichs I.: Johann Friedrich II. der Mittlere (geb. 1529), Johann Wilhelm I. (geb. 1530) und Johann Friedrich III. der Jüngere (geb. 1538); s. HBBW XX, Nr. 2911, Anm. 24.
14 Weimar (im ernestinischen Teil Sachsens).
15 Sibylle von Jülich-Kleve-Berg.
16 Erfurt.
17 Gemeint ist der Teil des ernestischen Sachsens, der nach dem Schmalkaldischen Krieg dem albertinischen Sachsens einverleibt wurde; s. dazu die in Territorien des Reichs II 8 veröffentlichte Karte.
18 Die ersehnte Befreiung Johann Friedrichs I. erfolgte erst 1552; s. HBBW XX, Nr. 2917, Anm. 12.
19 Philipp Melanchthon folgte der kaiserlichen Einladung nicht; s. Nr. 3123,14f. —Johannes Brenz' Teilnahme an den Gesprächen lässt sich ebenfalls ausschließen. Er war nach seiner Flucht aus Schwäbisch Hall aufgrund seiner Ächtung untergetaucht. Seit Ende 1546 hielt er sich wieder in Schwäbisch Hall auf;


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ianuarii. 20

Rogo etiam te, ut articulum hunc de leprosis dirimendis, 21 quem in consistorio matrimoniali observatis, ad me descriptam mittas b .

Quid actum obsecro in Steckboren 22 cum adolescentibus? Hec erunt initia belli Helvetici absque dubio!

[Adresse darunter:] An meyster Heynrich Bullinger zu Zürich, mynem lieben gunner. Zurich.

b In der Vorlage mittam.
s. Julius Hartmann, Johannes Brenz. Leben und ausgewählte Schriften, Elberfeld 1862, S. 201f ADB III 315; Anecdota Brentiana. Ungedruckte Briefe und Bedenken von Johannes Brenz, hg. y. Thomas Pressel, Tübingen 1868, S. 258. -Auch Kurfürst Moritz von Sachsen bestellte Melanchthon vergeblich als Gutachter nach Augsburg ein, um sich über die Religionsangelegenheiten beraten zu lassen; s. MBW-T XVIII, Nr. 5037 und 5096.
20 Die Abreise Bucers am 24. Januar 1548 von Straßburg nach Ulm erfolgte ohne Wissen des Straßburger Rates. Nach einem längeren dortigen Aufenthalt begab er sich auf Drängen von Kurfürst Joachim II. von Brandenburg (ebenfalls ohne Kenntnis des Straßburger
Rates) nach Augsburg, wo er am 30. März 1548 ankam; s. Nr. 3122,12f mit Anm. 3; Nr. 3163,4-6 mit Anm. 4; BucerDS XVII 11f; 357, Nr. 3.
21 Vermutlich handelt es sich dabei um den in AZürcherRef 630, Nr. 1445, erwähnten Ratsbeschluss vom 15. Juli 1528. - Gast hatte in seiner Funktion als Eherichter Anfang des Jahres 1548 den Scheidungsfall des Hans Jakob Wild von seiner vom Aussatz befallenen Frau Madlen Hertenstein vorliegen; s. Staehelin, Ehescheidung 141-143 und Anm. 283.
22 Steckborn (Kt. Thurgau). -Zu der Schlägerei unter den Jugendlichen der Dörfer Steckborn und Hemmenhofen (Baden-Württemberg) s. Nr. 3118,40-49; Nr. 3137,74-95.