Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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Wigand Happel
an Bullinger
[Marburg,
zwischen Ende Januar und dem 8. Februar 15481 1

Autograph: Zürich StA, E II 348, 367 (Siegelabdruck) a Ungedruckt

[1]Happel hofft, dass Bullinger sein vor etwa vier Monaten abgeschicktes Schreiben [HBBW XX, Nr. 3061]erhalten hat. Martin Frecht, der Vorsteher der Ulmer Kirche, sollte es nach Zürich weiterleiten. [2]In dem Brief hatte er Bullinger darum gebeten, dass man ihm den [geschuldeten]Betrag ausbezahle, den er den Zürcher Studenten in Marburg geliehen hatte. Wenn man den Betrag aber stattdessen den [in Zürich studierenden]jungen Leuten aus Wetter [Johannes und Justus Vulteius]aushändigt, möge Bullinger dies der Familie der Wetteraner mit einem Bri ef quittieren. So könnte Happel von dieser sein Geld bald zurückerhalten. Denn bisher hat er nur 40 Gulden erhalten. Die ausstehenden 34 Gulden sowie weitere viereinhalb Batzen und vier Weißpfennige kann er [ohne die Quittung]aber kaum von der zahlungsunwilligen [Vulteius-Familie]verlangen, weil die Auszahlung an die jungen Leute aus Wetter bisher nicht bestätigt wurde. Wie Happel aus einem nur an ihm gerichteten Brief von [Johannes]Fabricius [Montanus]weiß, wurde den Studenten aus Wetter schon ein Teil des ihm geschuldeten Geldes ausbezahlt, einen weiteren sollen sie in Kürze bekommen. Um wie viel es sich aber handelt, vermerkte Fabricius nicht. Weil sich die Angehörigen der Vulteius-Brüder auf das Schreiben von Fabricius jedoch nicht verlassen können, weigern sie sich, Happel den restlichen Betrag auszubezahlen. Für den Fall, dass Happels letzter Brief mit seinem Anliegen Bullinger nie erreicht haben sollte, ist Bullinger entschuldigt, und auch dann, wenn Happel an der anstehenden Frühjahrsmesse [in Frankfurt]nicht ausbezahlt werden sollte. Allerdings könnte es ja auch sein (was Happel den Zürcher Studenten jedoch nicht unterstellen möchte), dass diese ihre Schuld aufgrund ihrer Armut nicht sofort begleichen können, Bullinger gegenüber aber trotzdem vorgeben, Happel ausbezahlt zu haben. [3]Happels letztem Brief lagen die gedruckten antipaulinischen Thesen von Theobald Thamer bei, die dieser immer noch ausdauernd und bissig verteidigt. Thamer hat ein ganzes Buch über die Angelegenheit verfasst und will es nun veröffentlichen, sofern die Marburger Kirchenleitung dies gestattet. Letztendlich ist er ein Heuchler und Schwärmer, dessen Absetzung und Ausschluss aus der Marburger Kirche jeder vernünftige

a Ohne Schnitt- oder Nadelstichspuren.
1 Davon ausgehend, dass es sich bei dem unten in Z. 1 erwähnten Brief um HBBW XX, Nr. 3061 handelt, kann der vorliegende Brief auf den Zeitraum von Ende Januar bis Mitte März 1548 datiert werden. Durch Happels Verweis auf die Frankfurter Buchmesse (s. unten Z. 15f) kann dies präzisiert werden. Da Happel offensichtlich wünschte, dass ihm Geld durch einen zur Frankfurter Messe reisenden Zürcher Buchhändler ausgezahlt wer-
de (s. unten Anm. 11), muss der vorliegende Brief rechtzeitig aus Marburg abgeschickt worden sein. Für die Reise von ebendort nach Zürich sind etwa zwei Wochen zu veranschlagen; für die Reise des Zürcher Buchhändlers zur Frankfurter Messe etwa zehn Tage. Hieraus ergibt sich, dass Happel den vorliegenden Brief kaum nach dem 8. Februar abgeschickt haben kann.


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Mann fordert. Doch das ist ohne Zustimmung des [gefangenen]Landgrafen Philipp von Hessen unmöglich! Thamer ist aus Kassel wieder nach Marburg zurückgekehrt, und verhält sich ganz wie zuvor. -[4]Angesichts der schweren Zeit gedeiht die Marburger Universität wieder recht gut. Soweit Happel weiß, droht ihr auch keine Gefahr. Daher können die Zürcher durchaus [wieder]Studenten dorthin schicken, zumal nun auch alles günstiger geworden ist. Wenn es dazu käme, stünde Happel ihnen zu Diensten und würde darauf auch darauf achten, dass sie nur die nötigsten Bücher und Kleider erwerben und demzufolge viel weniger [als die vorherigen Zürcher Studenten]ausgeben. Das gelänge besonders gut, wenn sie bei ihm untergebracht würden, was sich sehr gut einrichten ließe. -[5]Davon abgesehen hat Happel nichts zu berichten. Bullinger möge ihm verzeihen, sollte ihm in der Eile ein Fehler unterlaufen sein. -[6] Gute Wünsche für Bullinger und seine ganze Familie. Grüße an Konrad Pellikan, Theodor Bibliander, Konrad Gessner, Rudolf Gwalther, Otto Werdmüller und alle andere [Pfarrer und Gelehrten].

Scripsi ante menses 4 tuae humanitati, 2 vir ornatissime, casque literas curavi pervenire ad manus d. Frechti, Ulmensis ecclesiae antistitis b , ut per hunc ad te Ulma Tygurum transmitterentur, speroque tibi redditas.

Continebatur autem us petitio, 3 ut dignareris aliquam mihi locare operam in promovenda mihi aut iuvenibus Veteranis 4 nomine meo ac procuranda solutione, 5 eaque, si praestita esset, efficeres id per literas Veteranorum amicis ipsorum 6 significari, quo ab his mihi satisfieret citius. Nam ab his non nisi 40 aureos 7 accepi. Reliquos 34 ac semiquinque bazenos 8 et albas quatuor 9 non potui honeste postulare ab invitis, propterea quod neque ego neque illi certiores facti sumus usque adhuc, an nostri Veterani iuvenes, quod mihi a iuvenibus vestris debetur, mea causa acceperint, nisi

b In der Vorlage antistiti.
2 Gemeint ist der Brief HBBW XX, Nr. 3061; vgl. oben Anm. 1. - Auf welchem Weg das Schreiben von Marburg nach Zürich geschickt wurde, war bisher unbekannt.
3 Siehe HBBW XX, Nr. 3061,52-64.
4 Gemeint sind die aus Wetter (Hessen) stammenden Brüder Johannes und Justus Vulteius, die 1547 in Zürich studiert hatten. Zur Abfassungszeit des vorliegenden Briefes hatten die Brüder Zürich vermutlich bereits verlassen, was Happel offensichtlich nicht wusste; s. HBBW XX, Wf; Nr. 2887, Anm. 13 und 14.
3 Happel hatte den Zürcher Studenten Johannes Fabricius (Schmid) Montanus, Heinrich Hindermann (Opisander), Hans Rudolf Funk und Karl Schweninger während ihres Studienaufenthaltes in Marburg ein Darlehen von insgesamt 74 Gulden, 4 ½ Batzen und 2
Weißpfennigen gewährt. Er hatte Bullinger gebeten, die geschuldete Summe bei den drei Studenten nach ihrer Heimkehr zurückzufordern und den beiden in Zürich studierenden Vulteius-Brüdern aus Wetter auszuhändigen. Die Schulden sollten damit auf die Familie der Brüder übergehen, von denen Happel sein Geld leichter zurückzuerhalten gedachte. Hierzu hatte er von Bullinger einen Beleg über die Auszahlung an die Brüder in Zürich erbeten. Diesen hatte er aber bis anhin noch nicht erhalten; s. HBBW XX, Nr. 2883,3-13 und Nr. 3061,52-64.
6 Die Familie der Vulteius-Brüder.
7 Gulden.
8 Viereinhalb Batzen.
9 Der Unterschied mit der oben in Anm. 6 gemachten Angabe (zwei Weißbatzen) ist vermutlich mit Kursschwankungen zu erklären.


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quod Henricus Faber 10 solus mihi soli perscripsit recepisse eos aliquam debitae mihi pecuniae partem. Quantam vero non expressit, reliquam autem brevi recepturos. Verum suspectum habuere amici Veteranorum scriptum illud ac propterea integram mihi solutionern praestare renuerunt. Quamobrem, si ilias priores meas ea de re literas non recepit humanitas tua, excusatum te habeo, ut maxime neque his nunc instantibus nundinis 11 integre mihi satisfactum sit. Fieri enim posset (quod tarnen non ausirn rnihi de iuvenibus vestris polliceri), ut, curn solvere per inopiam non statim queant, affirment tarnen apud vos rnihi satisfacturn esse.

Praeterea inclusae erant literis illis meis theses Theobaldi 12 nostri antipaulinae excusae, quas adhuc usque pertinacissime ut sirniles alias defendit et mordicus tuetur. Integrum ea de re conscripsit librum et cupit in lucem edere, 13 si id impetrare possit a proceribus ecclesiae nostrae. Summa schwermerus est insigniter hypocrisi instructus et munitus. Ex cordatis vins nemo est, quod sciam, qui non cuperet eum ministerio c et albo c ecclesiae nostre exclusum. Sed absque consensu nostri illustrissimi principis id fieri nequit. 14 Rediit Cassellis huc et agit veterem Theobaldum. 15

c-c Über der Zeile nachgetragen.
10 Happel bringt hier offensichtlich die Namen von den oben in Anm. 5 genannten Johannes Fabricius und Heinrich Hindermann durcheinander. Sicherlich meint er Johannes Fabricius Montanus, da Hindermann nach seiner Rückkehr nach Zürich (März 1547) bereits verstorben war; s. HBBW XX, Nr. 306 1,52-64 mit Anm. 32.
11 Gemeint ist die Frankfurter Frühjahrsmesse, die im Jahr 1548 etwa vom 3. bis zum 25. März stattfand. -Der Satz ist als indirekte Bitte zu verstehen, dass ein zur anstehenden Buchmesse reisender Zürcher Buchhändler ihm den Geldbetrag überbringen möge. Er dachte hierbei sicherlich an Christoph Froschauer d.Ä.
12 Theobald Thamer, geb. 1502, gest. 1569, war Theologieprofessor in Marburg und Prediger an der dortigen Elisabethkirche; s. HBBW XIV Nr. 1984, Anm. 14. -Thamers Thesen gegen die protestantische Rechtfertigungslehre durch den Glauben allein war etwa zwischen dem 18. September und dem 5. Oktober 1547 in Marburg als Einblattdruck unter dem Titel "Dc fide, quae per dilectionem operatur, disputatio prima contra eos, qui secundam tabulam a prima sicut coelum a terra separent"erschienen. Thamer wurde daraufhin
in Kassel von den landgräflichen Räten verhört. Er verteidigte seine Kritik an der lutherischen Rechtfertigungslehre und erklärte sogar, dass er allein durch seine wahre Bußpredigt die Befreiung des seit seinem Fußfall vor Kaiser Karl V. gefangenen Landgrafen Philipp von Hessen bewirken und die Streitigkeiten der Lutheraner beenden könnte; s. HBBW XX, Nr. 3061,1-12 und 35-51; Karl Wilhelm Hermann Hochhuth, Theobald Thamer und Landgraf Philipp, in: Zeitschrift für die historische Theologie, NF XXV, 1861, S. 201.
13 Thamers "Warhafftiger Beriecht von den iniurien und Lästerungen, welche ihme [d.h. Thamer] die lutherischen deßhalb falsch und unchristlich zumessen" erschien 1552 ohne Druckangabe (VD16 ). Aus dem vorliegenden Brief wird ersichtlich, dass er eine vorläufige Fassung der Schrift bereits vier Jahre zuvor veröffentlichen wollte.
14 Landgraf Philipp von Hessen misstraute den Wittenbergern und untersagte die von seinen eigenen Räten vorgeschlagene Reise Thamers zu Melanchthon entschieden; s. Hochhuth, aaO, S. 201.
15 Thamer wurde die Rückreise nach Marburg unter der Bedingung gestattet, sich nicht wieder gegen die lutherische Lehre zu äußern.


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Schola nostra cepit rursum florere satis pro temporum horum injuria, 16 neque quicquam certi periculi imminet, quod sciam. Quamobrem non desuaserim, si vobis ita videatur, plures ad nos transmittere iuvenes. Quod ad me attinet, polliceor vobis omnem meam operam, studium atque fidem. 17 Viliori nunc praetio emuntur omnia, ac si mihi ita commendentur, efficiam, ut non nisi necessarios libros et vestes sibi comparent atque longe minus insumant, praesertim, si mihi cohabitent, ut nunc ||367r commode poterunt.

Praeterea, quod scribam, nihil est. Rogo igitur, boni consulas, quae mihi per temporis angustiam obiter exciderunt.

Bene vale cum tota familia tua. Salutabis meo nomine mihi observantissimos et reverendos viros d. Chunradum Pellicanum, Theodorum Bibliandrum, Gesnerum, Gvaltherum, Otthonem 18 et reliquos omnes bonos viros. Tuae celsitudini addictissimus Wigand Happel.

[Adresse darunter:] Clarissimo viro domino Heinricho Bullingero, Tygurinae ecciesiae antistiti dignissimo, domino et preceptori suo sancta fide colendo. Zurich.

Nach kurzer Zeit verstieß er jedoch abermals mit einer Predigt gegen die Auflage und geriet in einen Rechtshandel; s. Hochhuth, aaO, S. 201f.
16 Infolge des Schmalkaldischen Krieges ging die Zahl der Studenten an der Universität Marburg stark zurück; s. Wilhelm Martin Becker, Die Marburger Studentenschaft unter der Regierung des Landgrafen Philipp. Eine historische Skizze, in: Philipp der Grossmütige. Beiträge zur Geschichte seines Lebens
und seiner Zeit, Marburg 1904, S. 337f - Noch im September 1547 hatte Happel den Zürchern davon abgeraten, weitere Studenten nach Marburg zu schicken; s. HBBW XX, Nr. 3007,29-32.
17 Happel hätte gerne Zürcher Studenten bei sich aufgenommen und deren Studium betreut, sofern die Zürcher für die dabei entstehenden Kosten aufkommen würden; s. HBBW XX, Nr. 3007,33-46.
18 Otto Werdmüller.