Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3133]

Ambrosius Blarer
an Bullinger
[Konstanz],
Mittwoch, 8. Februar 1548

Autograph: Zürich StA, F II 357, 291 (Siegelspur) a Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 684

[1]Die Briefe, die Blarer am 31. Januar 1548 [Nr. 3123] durch Bullingers Neffen Josua Bullinger und tags darauf [Nr. 3127]durch Gregor Mangolts Sohn [Hans?]geschickt hat, wird Bullinger zweifellos erhalten haben. -[2] Von dem, was Blarer heute schreibt, ist außer der Verzögerung bei der Aussöhnung [von Konstanz mit Kaiser Karl V]nichts sicher. Und diese ist eine große Qual, vor allem, weil so manch einer furchterregende Mutmaßungen über die drohende Plünderung von Konstanz anstellt. Die Stadt liegt am Boden und man befürchtet schreckliche Intrigen [von Seiten des Kaisers]. -[3]Graf Friedrich von Fürstenberg-Heiligenberg ist vor einigen Tagen bei Abt Georg Tschudi von Kreuzlingen gewesen, worauf jener sich sogleich zu Abt Diethelm Blarer von Wartensee nach St. Gallen begab. Derzeit werden viele reitende und laufende Boten hin- und hergeschickt. -[4][Die Konstanzer]vermuten, Karl V. werde versuchen, ihre Stadt zu unterwerfen. Dabei wird er verhindern, dass die Eidgenossen den Konstanzern zu Hilfe kämen. Sonst würde er auch in ihr Gebiet einfallen. Karl V. wird dies nach Kräften hinauszögern, um so seine Eroberungen außerhalb der Eidgenossenschaft länger halten zu können. -[5][Die Kaiserlichen]wollen ebenfalls verhindern, dass die Eidgenossen den Konstanzern mit Kornlieferungen oder anderen Hilfsgütern beistehen. Daher werden sie den eidgenössischen Getreideimport [aus Württemberg]derart einschränken, dass die Eidgenossen nur sich selbst, nicht aber auch noch die Konstanzer versorgen können. Sollte das geschehen, ist Konstanz in die Enge

a Mit Schnittspuren.
12 Hieronymus Sailer hatte seinen Freund Vadian mit seinen Briefen vom 18. und 27. Januar 1548 (Vadian BW VI 697f Nr. 1589; 700, Nr. 1591) um Neuigkeiten von der Badener Tagsatzung gebeten. Ob dieser der Bitte entsprochen hat, ist unklar.
13 Bürgermeister des Natalrates von Zürich war damals Hans Rudolf Lavater. Jedoch wurde an jene Tagsatzung nicht dieser, sondern Johannes Haab, Bürgermeister des Baptistalrats, entsandt; s. Schnyder, Ratslisten 310; EA IV/1d 904, Nr. 416.


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getrieben. Es muss Bullinger klar sein, dass den Eidgenossen das Gleiche droht! Der Kaiser ist sich sicher: Sollte er das Konstanzer Versöhnungsgesuch annehmen, würden ihm die Konstanzer anschließend den verlangten Durchmarsch durch ihr Gebiet in die Eidgenossenschaft nicht gestatten. Zwänge er die Konstanzer dann dazu, würden ihnen die Eidgenossen zuhilfe kommen. Wenn er aber Konstanz mit Gewalt erobern würde, hätte er sich dabei noch nicht feindlich gegen die Eidgenossen erwiesen. Nach der Eroberung von Konstanz könnte er sie dann nach Belieben und ungehindert angreifen. -[61 Aber Gott wird die Pläne der Mächtigen vereiteln! Im Vertrauen auf ihn sind die Konstanzer in Sicherheit und all ihren Feinden überlegen. Bullinger soll niemals aufhören, für die Konstanzer Kirche zu beten. -[7]Bullinger möge nicht vergessen, das Buch "Onus ecclesiae"[für Blarer zu besorgen]. -[8]Grüße aus Konstanz, insbesondere von Thomas Blarer und Konrad Zwick an Bullinger, seine Familie und seine Kollegen. Segenswünsche.

Scripsi 1 ad te pridie calendas februarii per adulescentem illum ex fratre nepotem tuum 2 , mox postridie 3 per Mangolti nostri puerum 4 . Nec dubito, quin omnia acceperis.

Nunc nihil plane est, quod scribam, nisi quod nostros perpetua ista reconciliationis nostre dilatio 5 vehementer excruciat, praesertim quum nonnulli horrenda subinde iactitent de impendenti urbis nostre direptione. Es wyll die sauw gantz pfinnig 6 sein, und besorgt man sich 7 grausamer practic 8 und fürnemmen 9 .

Der grauff vom Hailgenberg 10 ist diß tag" by dem abbt 12 zu Creutzlingen gewesen, daruff der abbt gleich zum abbt 13 zu Sanct Gallen geritten. Und ist 14 des rösslins 15 und renninds 16 hin und wider gantz vyl.

Man achtet 17 , der kaiser 18 werde sechen 19 , wie er unser statt gar zu sinem willen

1 Gemeint ist Blarers Brief an Bullinger vom 31. Januar 1548 (Nr. 3123).
2 Josua Bullinger; s. HBBW XIV Nr. 1986, Anm. 10.
3 am Folgetag. - Gemeint ist Blarers Brief vom 1. Februar 1548 (Nr. 3127).
4 Um welchen Sohn des Konstanzer Buchhändlers Gregor Mangolt es sich hierbei handelt, ist ungewiss. Möglicherweise war Hans Mangolt der Briefüberbringer; vgl. Johannes Haller an Bullinger, 29. Oktober 1548 (Zürich StA, E II 370, 88), wo Hans ebenfalls als Gehilfe seines Vaters nachzuweisen ist.
5 Zum Konstanzer Versöhnungsantrags an Karl V. s. zuletzt Nr. 3127,7-9.
6 krank (mit den Larven des Schweinebandwurms befallen); s. SI I 839. -Mit der sprichwörtlich kranken Sau meint Blarer Konstanz, das durch die vom Kaiser verhängten wirtschaftlichen
Sanktionen schwer getroffen ist; s. Nr. 3110, Anm. 30.
7 besorgt man sich: befürchtet man.
8 Intrigen; s. SI V 568.
9 9 Pläne; s. SI IV 476.
10 Graf Friedrich von Fürstenberg-Heiligenberg, ein kaiserlicher Leutnant und Rittmeister; s. HBBW XIX, Nr. 28 12,76-78 mit Anm. 83.
11 diß tag: dieser Tage.
12 Georg (Jörg) Tschudi, von 1545-1566 Abt des Augustinerchorherrenstifts Kreuzungen; s. HBBW XX, Nr. 3101, Anm. 5.
13 Dietheim Blarer von Wartensee.
14 es gibt.
15 Gemeint: der reitenden Boten.
16 Gemeint: der laufenden Boten.
17 vermutet; s. SI I 80.
18 Karl V.
19 danach trachten.


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hab. Dann allso 20 werde er davor sein 21 , das die aidgnossen nienenhein 22 ziechind 23 , wellind sy anderst nitt in fahr 24 stehn, das er men gleich einfall und schaden thu. Er wirdt ye 25 , wie vermutlich 26 , den krieg dinnen 27 hinderen und anstellen 28 , wie er ka[n]b , damitt er lenger hie ussen blyben und, das er in die hend gebracht, behalten moge.

Man hofft ouch, die aidgnossen dahin zu vermögen 29 , das sy uns ouch weder mitt korn noch anderm furschub thain 30 können. Dann 31 man werde sy auff den merckten 32 dermassen halten, das sy nitt weyter dann 33 für sich selbs kofind 34 und unß nichts davon zukommen lassind, etc. Beschicht 35 nun das seib, so sind wir nach menschlicher rechnung gar im sack 36 , und werdend ir gewisslich darnach auch drin mussen, etc. Versteht mich wol! Der kaiser gedenckt wol, sollte er unß zu gnad uffnemmen 37 und darnach den pass 38 und ofnung durch unß wider euch zümütten 39 , das wirs wie billich nitt bewilligen könten. Wellt er uns dann darzu zwyngen, so 40 wurden ir alls dann 41 zu unß setzen 42 mussen. Sonst, so 43 er unß yetzund mitt gwalt erobere, so 44 hab er sich noch nichts wider euch vernemmen 45 lassen, und könne danecht 46 darnach seines gefallens durch unser statt wider euch handlen, so 47 er unser gar gwaltig sein wurdt 48 .

Sed dominus est, qui dissipat consilia principum, etc., 49 cui nos cunctos concredentes tutissimi ac omnibus hostibus nostris superiores fuerimus. Ah, mi frater, ne unquam cesses interpellare pro nostra ecclesia celestem patrem per unicum filium suum lesum Christum, ut dexter nobis semper ac propicius in tantis omnium rerum discriminibus adsit, ne nos det in opprobrium inimicis nostris propter

b Textverlust durch Papierverlust.
20 Dann allso: In dem Fall; vgl. SI XIII 23.
21 davor sein: verhindern.
22 irgendwohin.
23 Gemeint ist, dass die Eidgenossen den Konstanzern zu Hilfe kämen.
24 Gefahr.
25 immer.
26 wie vermutlich: wie zu vermuten ist.
27 den krieg dinnen: Gemeint ist ein Krieg gegen und in der Eidgenossenschaft.
28 aufschieben; s. SI XI 154.
29 veranlassen; s. SI IV 111.
30 furschub thain: Hilfe leisten. 31 Denn.
32 (Getreide)märkten. — Die Eidgenossenschaft war abhängig von Getreideimporten aus Württemberg. Sollte der Kaiser diese einschränken, waren Hungersnöte zu befürchten; s. HBBW XVIII, Nr. 2722,50-55 und Anm. 14.
33 als; s. SI XIII 29.
44 kaufen würden.
35 Geschieht.
36 im sack: in die Enge getrieben; s. SI VII 607.
37 Zum Konstanzer Versöhnungsantrag an den Kaiser s. oben Z. 4-7.
38 Durchgang. 39 verlangen; s. SI IV 585.
40 dann; s. SI VII 28.
41 alls dann: dann.
42 zu unß setzen: uns beistehen; s. SI VII 1624f. 43 wenn; s. SI VII 28. 44 dann.
35 verlauten.
46 dennoch.
47 wenn.
48 unser ... gwaltig sein wurdt: uns unterworfen haben würde.
49 Vgl. Ps 33 (Vulg. 32), 10.


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sanctum suum, quod super nos est invocatum. 50

Libri istius, qui Onus ecclesiæ inscribitur, 51 ne obliviscare, multum te obsecro.

Salutant te nostri, praecipue germanus 52 frater 53 cum Zviccio 54 . Salveat tua domus, praeterea omnes administri tui in domino, qui nos in servatore Christo diligunt. Bene vale, mi anima, meque (ut facis) constanter ama. 8. februarii 1548. Tuus A. B.

[Adresse auf der Rückseite:] Dem ehrwirdigen, hochgelerten herren Hainrich Bullinger zu Zurich, meinem insonder vertrauwten, lieben freund.