Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3140]

Benedikt Schürmeister
an Bullinger
Zofingen,
Mittwoch, 15. Februar 1548

Autograph: Zürich StA, E II 359, 2822 (Siegelspur) a Ungedruckt

[1]Dass Schürmeister bisjetzt noch nicht auf die beiden sehr gütigen und recht bewegenden Briefe [HBBW XX Nr. 3039, vom 13. Oktober 1547 und einen nicht erhaltenen Brief] geantwortet hat, liegt entgegen Bullingers Vermutung sicherlich nicht an seiner fehlenden Zustimmung mit den Schreiben. Ganz im Gegenteil! Er hat nämlich vor vielen wichtigen Männern offen zugegeben, dass er durch Bullingers Briefe belehrt wurde. Der Grund [für die fehlende Antwort] ist vielmehr dies: Er war völlig irritiert durch den Trubel, die Gefahren und die Unsicherheit, die ihm einige bescherten, die er nicht gerade als "falsche Brüder" bezeichnen möchte, da es sich um Freunde (Gott weiß, ob wahre) handelt. Geblendet von der Schmeichelei wurde er seines Amtes beraubt! Aber Gott, der ihn rehabilitieren wird, ist und war immer mit denjenigen, die Unrecht erleiden! -[2]Die Mühen, die Bullinger bei seinen letzten Briefen an Schürmeister sowie bei der Schrift "Bedencken ob der verraether Judas auch an dem Tisch deß Herren gesessen "auf sich genommen hat, waren nicht umsonst! Denn viele stimmen ihnen zu: Bullinger hat nicht nur Schürmeister überzeugt, sondern auch viele andere, die ebenso in Irrlehren feststeckten, und sie zu Verteidigern des Büchleins gemacht. So mächtig ist das sorgfältige Nachdenken über die Wahrheit! Klarer als in einem Spiegel kann man darin erkennen, was dem menschlichen Verstand unverständlich und verborgen ist. -[3]Schürmeister wird in Kürze persönlich bei Bullinger über seine Lage vorsprechen. Er kann darüber jetzt aufgrund der Eile des Boten [NN] und seiner inneren Unruhe nicht ausführlich schreiben. -[4]Grüße. -[5][P.S.:]Schürmeister ist aus dem Pfarrhaus ausgezogen und wohnt jetzt beim frommen Brittnauer Pfarrer Johannes Lyon der Mühle], der ihn aufgrund ihrer langen Freundschaft gern aufgenommen hat. -[6]Die Nachfolger von ihm und Johannes Ulrich Göppel, diesem guten Schwaben, sind der gelehrte und fromme Bremgartner Johannes Räber aus Schinznach bei Brugg und [Johann]Georg L Will] aus Bözberg. Letzteren kennt Schürmeister noch nicht. -[7]Erneuter Gruß. Bullinger, der sich Schürmeister und andere gute Menschen zu Dank verpflichtet hat, möge Schürmeister weiterhin unterstützen.

S. in domino precatur. Quod hactenus ad literas tuas binas 1 piissimas et plane patheticas, Bullingere dulcissime, nihildum responderim, causa certe non est, quam

a Mit Schnittspuren.
1 Vermutlich sind Bullingers Brief vom 13. Oktober 1547 (HBBW XX, Nr. 3039) sowie ein weiterer, nicht erhaltener Brief ist gemeint. Offensichtlich hatte sich Bullinger in letzterem über die ausbleibende Antwort beschwert. Zudem thematisierte der Brief aber sicherlich ebenfalls den Streit zwischen den lutherisch
gesinnten Zofinger Prädikanten Johannes Ulrich Göppel und Schürmeister auf der einen und dem zwinglisch ausgerichteten Aarburger Pfarrer Peter Schnyder auf der anderen Seite. Die Streitigkeit wurde am 17. Januar 1548 vor dem Berner Rat verhandelt. Da Bullinger den ausführlichen Bericht über die


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suspicaris, quod minus mihi probentur, imo maxime. Ego enim abunde satis me edoctum ex illis apud multos et optimos viros 2 candide praedicavi. Sed hec est ipsa causa, quod hactenus tantis tumultibus et periculis et quidem ancipitibus agitatus sum a quibusdam, non dico grec 3 , sed ab ipsis amicis (an yens, novit dominus) b . Ego certe isto[rum]c melle linito gladio lesus 4 ministerio meo sum privatus! At iniuriam patientibus non deest nec unquam defuit dominus, scio, qui et iudicabit causam meam.

Ne autem unquam neque studii neque laboris te peniteat de prioribus ad me datis literis et libello illo tuo dissertationis d de proditore Juda 5 , tam enim probantur multis, ut non solum me, sed et illos ipsos totos tibi deviceris et libelli vindices habeas, qui et ipsi eodem luto hesere 6 . Tam potens veritatis diligens et perscrutatio et meditatio, in qua expressius quam in expolito grec 7 perspicitur, quicquid humanis sensibus est obscurum et velatum. 8

Ego brevi apud te ero viva epistola et coram de statu meo omnia indicabo, 9

b Dieses und die zwei nächsten Klammerpaare ergänzt. -
c Textverlust durch nachträglichen Seitenbeschnitt. -
d In der Vorlage dssertationis.
Verhandlung (Nr. {3116 vom 21. Januar 1548) vermutlich erst in der zweiten Februarhälfte 1548 von Schnyder erhalten haben wird, muss Bullinger seine Informationen über den Streit Schreiben von Jodocus Kilchmeyer vom 31. Januar entnommen haben, das ihn auch über Schürmeisters Entlassung unterrichtete; s. Nr. 3116, Anm. 2; Nr. 3125,23-33. -Mit dem Brief vom 13. Oktober 1547 hatte Bullinger zu den Ausführungen Schürmeisters zu dessen theologischen Standpunkten Stellung genommen und ihn zur Befolgung der zwinglischen Abendmahllehre ermahnt. Schürmeister hatte sich vor den Berner Ratsherren (vor der eigentlichen Verhandlung, bei der er nicht anwesend gewesen ist) mit dem Verweis auf Bullingers Mahnschrift einsichtig gezeigt und war bis auf Weiteres nach Hause geschickt worden. Als er nach der Verhandlung schließlich entlassen wurde, zeigte sich Schürmeister sehr betroffen; s. Nr. 3116,27-30; 32f; 83-87 und 100-105 sowie Anm. 21.
2 Zu diesen Männern gehörten auch die Berner Ratsherren sowie wohl die für die Verhandlung ernannten Schiedsmänner; s. oben Anm. 1; zu den Namen der Schiedsmänner s. Nr. 3116, Anm. 11.
3 falschen Brüdern; vgl. 2Kor 11, 26; Gal 2, 4.
- Sicherlich meint Schürmeister hier insbesondere seinen Zofinger Pfarrerkollegen Göppel, der ebenfalls in den Streit verwickelt war, der vor dem Berner Rat ausgetragen wwurde; s. oben Anm. 1.
4 Vgl. Adagia 1, 8, 57 (ASD 11/2 282, Nr. 757). Schürmeister meint hier, dass er unerwartet seines Amtes enthoben wurde, nachdem er sich öffentlich zu Bulliners Lehrmeinung bekannt hatte; s. oben Z. 3f.
5 Zu Bullingers posthum 1596 in Lich (Hessen) unter dem Titel "Bedencken ob der verraether Judas auch an dem Tisch deß Herren gesessen" gedruckter, 12 Blätter umfassender Schrift (HBBibl I 714; VD16 B9558) s. Nr. 3105, Anm. 4. - Offensichtlich hatte Bullinger entweder seinem Brief vom 13. Oktober 1547 (HBBW XX, Nr. 3039) oder seinem nicht erhaltenen Schreiben das Werk, dessen Manuskript heute als verschollen gilt, in Abschrift zugeschickt.
6 Vgl. Adagia 1, 4, 99 (ASD II/I 472-474, Nr. 399). - Gemeint ist hier, dass die Leser der Schriften Bullingers zuvor andere Lehrmeinungen vertraten.
7 in expolito grec im klaren Spiegel.
8 Vgl. 1Kor 13, 12.
9 Schürmeister sollte bei dieser Gelegenheit Anfang


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10 quum omnia ob tabellionis festinationem non potuerim calamo comprehendere et animi turbas enarrare.

Vale. 15. februarii 1548. Ego ex parrochialibus aedibus 11 migravi ad pium illum fratrem bannern Brittnoensem 12 , qui me suo iam fovet hospitio ob amititie diutinum in me studium.

In locum autem meum et Göppelii (boni scilicet Suevi) suffectus est egregius et doctus vir et certe Pius d. bannes Reber ex Schintznach Brengartinus et Georgius uff dem Bötzberg (mihi nondum cognitus). 13

Iterum vale et Benedictum cum reliquis bonis vins tibi devictum jam et fove et promove. 14 Benedictus Schurmegistus tuissimus in Zofingen.

[Adresse auf der Rückseite:] Eximiae eruditionis et pietatis viro d. Henrico Bullingero, ecclesiæ Tigurine pastori vigilantissimo. März einen nicht erhaltenen Brief Bullingers zur Übermittlung an Jodocus Kilchmeyer an sich nehmen; s. Nr. 3159,1f mit Anm. 2.

10 Unbekannt.
11 parrochialibus aedibus: Pfarrhaus.
12 Vermutlich Johannes zur Mühle, der seit 1528 als Pfarrer in Brittnau wirkte; s. Pf-Aargau 102, Nr. 459. —Die Bezeichnung als "fratrem Brittnoensem"legt nahe, dass es sich beim genannten Johannes um Schürmeisters Pfarrerkollegen aus dem von Zofingen 4 Kilometer entfernten Brittnau handelte. Auffällig ist jedoch, dass der vorliegende Brief in Zofingen verfasst wurde (s. unten Z. 28). Eine mögliche Erklärung findet sich im verheerenden Dorfbrand Brittnaus vom 26. Juli 1547,
der 32 Wohnhäuser sowie die Kirche bis auf den Chor zerstört hatte. Womöglich hatte der Brittnauer Pfarrer bis zum Wiederaufbau seines Pfarrhauses in Zofingen Zuflucht gefunden; vgl. Michael Stettler, Die Bezirke Aargau, Kulm, Zofingen, Basel 1948 —Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau 1, S. 266; LL IV 313.
13 Die Nachfolger von Schürmeister und Göppel waren Johannes Räber, der zuvor in Schinznach (Kt. Aargau), und Johann Georg Will, genannt Jürg Jochem, der zuvor in Bözberg (Kt. Aargau) gewirkt hatte; s. Pf-Aargau 173, Nr. 2032 und 171, Nr. 1994.
14 Schürmeister sollte bald eine Stelle in Brugg erhalten; s. HBBW XIX, Nr. 2747, Anm. 4.