Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3142]

Ambrosius Blarer an Bullinger
[Konstanz],
Samstag, 18. Februar 1548 1

Autograph: Zürich StA, E II 338, 1446f (Siegelspur) a Teildruck und Zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 685-687, Nr. 1511

[1]Blarer antwortet in Eile auf Bullingers Brief [nicht erhalten]. Die Konstanzer teilen die Vermutung der Zürcher, dass hinter dem Verzug [der Beantwortung des Konstanzer Versöhnungsgesuches bei Kaiser Karl V]unredliche Absichten stehen. Aber durch Gottes Fügung wird dieser Betrug den [Kaiser]selbst treffen! Die Konstanzer müssen es standhaft ertragen. Die Absperrung von Konstanz wird immer erdrückender. Man möchte dadurch verhindern, dass die Konstanzer Nachrichten erhalten und von den [kaiserlichen]Absichten erfahren. -[2] Vor einigen Tagen wurde ein Mann aus Urach [N.N.], der Briefe für den Konstanzer Rat, für Konrad Zwick und einen seiner Konstanzer Verwandten [N.N.]bei sich trug, in Überlingen unter Strafandrohung angewiesen, die Briefe wieder zurückzuschicken. Der Uracher übermittelte sie dennoch, indem er eine andere Route benutzte. [Wegen dieser Einschränkung]gelangen keine Briefe mehr [auf dem gewöhnlichen Weg] aus Schwaben nach Konstanz. Und wenn doch einmal Briefe ankommen, so enthalten sie keine Neuigkeiten. -[3]Kürzlich ist ein [Konstanzer]Bote [N.N]nach Augsburg gereist. Blarer hatte diesem einen Brief an Georg Frölich mitgegeben, aber keine Antwort darauf erhalten. Dabei hätte er gern gewusst, wie die Religionsgespräche stehen und ob Philipp Melanchthon wirklich daran teilnimmt. Es wird, wie Bullinger schrieb, eine merkwürdige Veranstaltung, bei

b-b Am Rande nachgetragen. -
C Textverlust durch Papierverlust. -
a Ohne Schnitt- oder Nadelstichspuren.
13 contra urbes maritimas: gegen die Hansestädte. - Zu den Berichten und Gerüchten über kaiserliche Kriegsvorbereitungen s. zuletzt Nr. 3139,58-61.
14 Paul III.
15 Heinrich II. von Frankreich.
16 Stadtschreiber von Reichenweier war Oswald Fürstenlob; s. HBBW XIV, Nr. 1968,
Anm. 23.
17 Nikolaus König (Regius), Pfarrer in Hunaweier (Herrschaft Reichenweier); s. HBBW V, Nr. 650, Anm. 6.
1 Blarer begann spätestens am 14. Februar 1548 den vorliegenden Brief zu verfassen; s. unten Z. 76.


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der Unvereinbares zusammengefügt wird. Gott stehe den Konstanzern bei, dass sie ihr Leben lang bei seiner Wahrheit bleiben, ohne auf das Wohl ihrer Nachkommen zu achten! -[4]Blarer ist sehr dankbar für das Fiebermittel. Doch meint Bullinger es ernst, dass der Kranke nichts Lyon dessen Verwendung] wissen dürfe und dass es [bei der Anwendung] genau drei Stücke des Arneimittels sein müssen? Das hielte Blarer für großen Aberglauben! Er will das Mittel ausprobieren und dem Patienten [NN]umbinden, allerdings mit dessen Wissen. Wenn es hilft, ist es gut. -[5] Um die Schrift "Onus ecclesiae" muss sich Bullinger nicht weiter kümmern, da Blarer ein entsprechendes Exemplar auftreiben konnte. Er hat sich beim Überfliegen der Schrift sehr gefreut, da es ganz und gar den gegenwärtigen Zeiten und den biblischen Prophezeiungen entspricht. Wenn es jemand mit gesundem Urteilsvermögen liest, wird er erkennen, dass das Buch durchaus nicht unnütz ist. -[6]Vom [Thurgauer]Landvogt [Leonhard Holzhalb aus Zürich] hat Blarer in letzter Zeit noch nicht vernommen, wie er zu der Ehe von [Hans Rutishauser und dessen Cousine Dorothea Diethelm gen. Münchin]steht. Wenn Blarer es erfährt, wird er Bullinger davon berichten. Es wäre angebracht, wenn Holzhalb die guten Leute in Ruhe ließe. -[7]Dass es Joachim Rheticus besser geht, freut Blarer. Der Heiland möge ihn vom Wirken des Teufels [einer psychischen Erkrankung?]völlig befreien! Es ist ganz klar, dass man sich für so ein frommes Mitglied der Kirche nicht schämen muss. Er dient als herausragendes Beispiel für Gottes Züchtigung, damit den unbekümmerten Menschen eine noch schwerere Strafe erspart bleibt. -[8]Blarer hat gerade von dem Schreiben erfahren, das der Konstanzer Rat bezüglich des Durchzuges von [kaiserlichen Landsknechten]durch die Gebiete des Grauen Bundes an den Zürcher Rat geschickt hat. Möglicherweise kommt der Bote [mit der Antwort der Zürcher zurück], noch bevor Blarer den vorliegenden Brief zu Ende schreibt. -[9]Der Rechtshandel gegen Joachim Mötteli wird sich wohl noch länger hinziehen, weil er sich mit großen Bestechungssummen das Schweigen vieler Leute [vor Gericht]erkauft. Das sind regelrecht Straßburger Verhältnisse! Möge Gott ihn und alle anderen in seiner Gnade bessern! -[10]Gott möge die eidgenössischen Vertreter [an der Badener Tagsatzung] in der Absicht bestärken, sich von den Bündnissen mit [fremden]Machthabern zu befreien! -[11]Für die mit dem Hahn, dem Wappentier der Familie Blarer, geprägte Münze ist Blarer sehr dankbar. Und das nicht, weil er nun ein Erinnerungsstück an Bullinger hat (er denkt ja ohnehin stets ganz besonders an ihn), sondern wegen Bullinger selbst: Dieser hat ihm das Geschenk aus Freundschaft gemacht und das ist Blarer mehr wert als das kostbare Geschenk selbst. Blarer vermutet, dass die Münze einst vom Konstanzer Bischof Albrecht Blarer oder eher vom St. Galler Abt [Eglolf Blarer]geprägt wurde. Solche Andenken hat er sehr gern. -[12]Er wird sich erkundigen, wer die Lieder in Konstanz haben könnte. Was er in Erfahrung bringt, wird er durch den [angedachten]Boten [einen Fuhrknecht, NN]des Briefes übermitteln. Er würde seine Schuld gern begleichen und Bullinger auch einmal einen großen Dienst erweisen, wenn er nur wüsste wie! Möge Gott Bullinger im Dies- und Jenseits belohnen! -[13]Der Prädikant von Ermatingen [Gregor Seemann] ist noch nicht bei Blarer gewesen. Ob er noch kommen wird, ist ungewiss. -[14]Blarer will in Hinblick auf Bullingers Vermutungen über [Hilfsbereitschaft] der Eidgenossen [im Falle eines kaiserlichen Angriffes auf Konstanz]gern das Beste hoffen. Er vertraut dabei aber allein auf Gott und ist bereit das Kreuz auf sich zu nehmen und ein Opfer zu erbringen. Möge Gott Konstanz gnädig sein und die Konstanzer [das Kommende]entweder tapfer leidend oder auf andere Weise überstehen lassen. Irgendwann muss mania sterben.


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Selig ist jener, der mit Gottes Hilfe die Welt in Duldsamkeit überwindet. -[15]Blarers Vetter Konrad Zwick hat mit seiner Kriegsmaschine etwas ganz anderes vor, als sie [bei einem Angriff] einzusetzen. Die Zürcher sollen inständig für Konstanz Fürbitte halten. -[16]Die [kaiserlichen]Einschränkungen werden immer strenger durchgesetzt. Von Lindau erhalten die Konstanzer gar nichts mehr und auch Briefe dürfen von dort nicht mehr nach Konstanz geschickt werden. Es ist bekannt, dass einige [Lindauer Bürger] ihre Töchter wohl aus Angst vor den ausländischen Landsknechten [des Kaisers]nach Arbon geschickt haben. Das alles ist merkwürdig. Ganz wunderbar aber ist Gott, denn er durchschaut die Vergangenheit und Gegenwart sowie die Machenschaften von Karl V. und König Heinrich II. von Frankreich! Ihn können sie nicht betrügen! Lob sei ihm in Ewigkeit. Man muss sich ihm ergeben, im Leben oder im Tod. -[17]Blarer hatte seinen Brief am Dienstag, [dem 14. Februar 1548]niedergeschrieben, da er dachte, dass die Fuhrleute am nächsten Tag [in die Eidgenossenschaft]aufbrechen würden. Sie wollen aber erst am Mittwoch in acht Tagen [am 22. Februar 1548]abfahren. Blarer weiß nun nicht, ob er bis dahin einen Boten findet, [der früher aufbrechen kann], wird sich aber darum bemühen. -[18]Eine Frau [N.N.], die man für sehr vertrauenswürdig hält, hat behauptet, dass sich in der Nähe [der Festung]Hohentwiel im Hegau innert vier Wochen kaiserliche Truppen sammeln werden. -[19]Zu Mariä Lichtmess [am 2. Februar 1548] ritt der Kaiser mit den [sechs]Kurfürsten [Sebastian von Heusenstamm, Erzbischof von Mainz, Adolf III. von Schaumburg, Erzbischof von Köln, Johann V von Isenburg, Erzbischof von Trier, Friedrich II. der Weise von der Pfalz, Moritz von Sachsen und Joachim II. von Brandenburg] zur Messe. Friedrich der Weise kehrte aber um und hörte in seiner Unterkunft die Predigt. -[20]Blarer kann diesen Brief nun Jakob Ruf zur Übermittlung übergeben. Der hat doch tatsächlich die Trinkerei aufgegeben! Möge Gott ihn und alle anderen Gläubigen, wo auch immer sie sind, im Guten bestärken. -[21] Wider Erwarten und zu seinem großen Verdruss konnte Blarer die Lieder in Konstanz nicht ausfindig machen, weder beim Konstanzer Buchhändler [Gregor Mangolt] noch bei anderen. -[22]Der fromme Diener der Lindauer Kirche, Thomas Gaßner, ist [am 13. Februar 1548]verstorben. Wie schlecht es doch um die Lindauer Kirche steht! Möge Gott mit ihr und allen anderen Kirchen Erbarmen haben! Gaßner ist es sehr gut ergangen: Glücklich sind nämlich die, die im Herrn sterben, und vollends selig, die jetzt sterben!

Alles guts von gott sampt meinem hertzbrüdiderlichen willen zuvorn! Ewere schriben 2 sind mir worden 3 , daruff in yl antwurt wie folgt: Der argwon, so uff den verzug 4 by euch fellt, ist nitt on grund. Dann 5 es ouch by unß diß rechnung 6 hat, es stecke untrüw 7 darhinder. Der truw gott aber kans und wirts ouch (hoff ich) dermassen

2 Nicht erhalten. - Da die Reisezeit zwischen Konstanz und Zürich zu Fuß etwa zwei Tagen beträgt und Blarers letzter Brief vom 8. Februar datiert und somit bereits am 10. Februar bei Bullinger angekommen sein konnte, Blarer den vorliegenden Brief jedoch bereits am 14. Februar zu schreiben begann, handelt es sich bei dem hier genannten Schreiben Bullingers möglicherweise um das Antwortschreiben auf Blarers letzten Brief (Nr. 3133).
Dieses muss dementsprechend zwischen dem 10. und dem 12. Februar verfasst worden sein; s. Anm. 1.
3 zugekommen; s. SI XVI 1338.
4 Zum Versöhnungsgesuch der Konstanzer an den Kaiser, das dieser bislang nicht beantwortet hatte, s. zuletzt Nr. 3137,96-106.
5 Denn.
6 Überlegung.
7 Verrat.


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fugen, das untrüw iren aignen herren schlachen wirt. Er gebs unß mitt duldt 8 zu erharren! Man sperrt und drengt unß ye lenger ye hefftiger, das man ouch verhüt, damitt kam brieff herkommen und wir Allso nitt erfaren mögind, was man im sinn habe.

Diß tag 9 hat amer 10 von Urach brieff mitt im 11 gefurt an mine herren 12 und v[etter]C[onrat]Z[wick], ouch sonst an amen seiner schweger 13 , so 14 er hie hat. Alls er aber gen Überlingen 15 kommen, hatt man inn rechtgefertiget 16 und gesagt: Welle er nitt in angst und lyden kommen, solle er die brieff widerum hindersich 17 schicken. Das hat er thon, wiewol sy 18 derselbig 19 yetz widerum durch ander weg hergeschaffet. So kommend kaine schriben nienen her mehr 20 usß dem Schwabenland. Und wann 21 man gleych 22 etwas schreibt, so schreibt man unß doch kam zytung 23 .

Yetz ist ain bott 24 zu Augspurg gewesen. Hab ich Leto 21 geschriben, etc., aber nitt ain wort hinwider 26 empfangen. Hett gern gewusst, wie es um das colloquium 27 stund, ob Philippus 21 da ankommen were, wie man sagt, etc. Es wirt ja, wie ir schreibt, ain seltzam brüderessen 29 und ain trilch ex lana et lino 30 . Gott helf uns, das wir by der warhait unser leben lang bestandind. Mag es ye nitt anderst gesein. Die nachkomen werdend vyllicht ouch bessers oder bösers erfaren.

Um 31 die wurtzen 32 sag ich euch höchsten danck. Mich wundert aber, ob ir mir im schertz schreibind, das man dem febricitanten nichts davon sagen und der wurtzen äben 33 drey sein mussen. Es were ain grosser abergloub, wann es war were.

8 Standhaftigkeit; s. SI XII 1763.
9 Diß tag: Dieser Tage.
10 Unbekannt.
11 sich.
12 Gemeint ist der Konstanzer Rat.
13 Ein unbekannter Verwandter des Urachers. - Es muss sich dabei nicht zwingend um einen angeheirateten Verwandten handeln; vgl. DRW XII 1563.
14 den; s. SI VII 29f
15 Überlingen.
16 zurechtgewiesen.
17 zurück; s. SI VII 170f.
18 die Briefe.
19 derselbe Mann aus Urach.
20 kaine schreiben nienen her mehr: keine Briefe mehr hierher.
21 wenn.
22 dennoch.
23 Neuigkeit.
24 Unbekannt. -Der Bote muss spätestens am 8. Februar von Konstanz ins etwa fünf Tagesmärsche entfernte Augsburg aufgebrochen
sein, um zur Abfassungszeit des vorliegenden Briefes wieder nach Konstanz zurückgekehrt sein zu können (s. unten Z. 160.
25 Georg Frölich.
26 zurück.
27 Gemeint sind die von Karl V. veranlassten Verhandlungen, die zur Interimslösung in den Religionsstreitigkeiten führen sollten; s. Nr. 3135, Anm. 16.
28 Philipp Melanchthon. -Zu seiner vermeintlichen Teilnahme an den Religionsgesprächen s. Nr. 3120,30f und Nr. 3123,14f.
29 Hier ironisch.
30 trilch ex lana et lino: Kleid aus Wolle und Leinen. -Vgl. SI XIV 946; Dtn 22, 11; Lev 19, 19.
31 Für.
32 Gemeint ist ein (pflanzliches) Arzneimittel gegen Fieber, das Blarer zuletzt am 31. Januar 1548 von Bullinger erbeten hatte; s. Nr. 3123,38f und Anm. 22.
33 genau.


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Ich wills versuchen und aber dem kranken 34 mitt seinem vorwüssen anhencken 35 lassen. Hilffts, so ists grecht.

De Onere ecclesiæ 36 ne porro sis sollicitus. Nactus sum exemplar satis commodum. Valde oblector istius libri tumultuaria lectione, quoniam adeo omnia respondent nostris temporibus et scripturarum prophetiis. Profecto, si quis sano iudicio legat, plane intelliget non prorsus vanum esse librum.

Vom landtvogt 37 hab ich noch diße tag nichts gehört, wie ers hellt mitt dem ehvölckle 38 . Wills wol erfaren und dann euch wyter berichten. Were gut, das 39 er die guten leut allso mitt stillschweygen belyben liesse 40 .

Ioachimum 41 nostrum meliuscule habere supra modum illi gratulor. Servator noster diaboli opera prorsus in illo dissolvat ac totum suum quamprimum faciat! Quemadmodum claris argumentis colligere est domini illum esse et non poenitendum ecclesie sue membrum nobisque propositum divine castigationis egregium exemplum, ne in tanta nostra incuria gravius aliquando domini iudicium sentiamus.

Der Grauwen Pundter und des pass halber 42 hapt ir 43 ain schreiben 44 empfangen, davon ich nichts gewisst byß darnach 45 . Vyllicht kompt der bott 46 , eh ich disen brieff ausschreib 47 .

34 Unbekannt.
35 umbinden; s. SI 111459.
36 Blarer hatte Bullinger zuletzt am 31. Januar 1548 gebeten, ihm den 1531 in Köln erschienenen Druck "Onus ecclesiae"(VD16 P2933 zu besorgen; s. Nr. 3123,40-44.
37 Leonhard Holzhalb, zu jener Zeit Zürcher Landvogt im Thurgau. -Er war um den 1. Februar nach Zürich gereist, um in Erfahrung zu bringen, ob die Eheschließung von Hans Rutishauser und seiner bereits schwangeren Cousine Dorothea Diethelm gen. Münchin rechtmäßig sei; s. Nr. 3106, Anm. 2; Nr. 3118, Anm. 6; Nr. 3127,4f und Anm. 4.
38 Ehepaar.
39 wenn; s. SI XIII 1736.
40 mitt stillschweygen belyben liesse: in Ruhe ließe; vgl. Fischer I 1191.
41 Gemeint ist der berühmte Astronom und Mathematiker Joachim Rheticus, der an einer nicht genauer bestimmbaren, wohl aber psychischen Erkrankung litt. -Vielleicht hatte Bullinger in seinem vorausgehenden, nicht erhaltenen Brief an Blarer mitgeteilt, dass sich
Rheticus aufgrund seiner vorangeschrittenen Genesung nach Basel begeben konnte, wo er im Februar 1548 nachgewiesen ist; s. HBBW XX, Nr. 2968, Anm. 47.
42 Der Grauwen Pundter und des pass halber: Wegen der Graubündner und des Truppendurchzugs. - Ein vom Kaiser geplanter Truppendurchzug durch das Bündner Land war auf der Tagsatzung, die am 23. Januar 1548 in Baden begonnen hatte, besprochen worden; s. Nr. 3112, Anm. 10.
43 Gemeint: die Zürcher Ratsherren.
44 Möglicherweise handelt es sich hier um einen nicht mehr erhaltenen Brief des Konstanzer Rates an den Zürcher Rat, der ohne Blarers Wissen abgeschickt worden war, von dem er aber unterdessen Kenntnis erlangt hatte. Anscheinend erwartete er, dass in Kürze eine entsprechende Antwort aus Zürich bei den Konstanzern einträfe.
43 byß darnach: bisher.
46 Unbekannt.
47 zu Ende schreibe.


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Möttelis 48 sach, glob ich wol, werde sich noch lang verziechen 49 , dann 50 er mitt grossem gelt iren 51 vylen Argentinenses 52 machet, das men angina 53 (das zepflin im halss) b feilt 54 und sy nitt reden konnen. Es lofft im 55 unglöplich grosser kost und gellt uff die sach. Gott welle inn und uns alle bald mitt vyl gnaden verbessren!

Das ewere herren 56 der frirsten und herren pundtnissen müssig gon und sich entschlachen 57 wellend, darinn bestäte 58 sy gott und in allem güten! ||446v Pro nummo illo galli nostri effigie insignito maximas tibi gratias ago et tua caussa: non ut tui meminerim, cuius est alioqui apud me praesentissima semper memoria, sed quod tu illum donaveris et munus illud per se mihi valde gratum magis etiam tua dilectione commendaveris. Puto a Constantiensi episcopo Blaurero 59 ohm

b Klammern ergänzt
48 Zu der Verhandlung über die despotische Regierungsweise von Joachim Mötteli vom Rappenstein, Vogtherr zu Pfyn (Thurgau), sowie zur Verschwägerung Blarers mit Möttelis Ehefrau, Maria Petronella von Ulm, aufgrund der Blarer über den Fall gut informiert gewesen sein dürfte, s. Nr. 3137, Anm. 42; HBBW X, Nr. 1397, Anm. 2. - Zu Blarers Urteil über den Fall; s. HBBW XX, Nr. 2945,42.
49 hinziehen.
50 weil.
51 Gemeint sind die Ankläger und Zeugen im Verfahren gegen Mötteli.
52 Straßburger. - Den Straßburgern, besonders aber den Straßburger Kaufleuten wurde zu dieser Zeit große Geldgier und Bestechlichkeit unterstellt; s. HBBW XIX, Nr. 2870,20-42. - Mötteli unternahm tatsächlich Bestechungsversuche und rühmte sich dessen sogar, wie Blarer im Dezember 1547 zu berichten wusste; s. HBBW XX, Nr. 3092,22-26.
53 Gaumenzäpfchen; s. Dasypodius, Dict. 9v.
54 angina ... feilt: die Stimme versagt.
55 ihm. - Gemeint: Mötteli.
56 die Vertreter der eidgenössischen Orte an der Tagsatzung in Baden; s. EA IV/1d 904f.
57 freimachen; s. SI IX 412. - Zur ablehnenden Haltung der Eidgenossen gegenüber einem neuen Vertrag mit Karl V. und einem Abkommen mit Heinrich II. s. Nr. 3130, Anm. 10; Nr. 3137,53-56 mit Anm. 59.
58 bestärke.
H Albrecht Blarer, gest. 1441, von 1407-1410 Bischof von Konstanz; s. Helvetia Sacra 1/2 340-343. - Da die Konstanzer Bischöfe ihr
Münzrecht bereits 1372 vollständig zugunsten der Stadt, die Fürstäbte von St. Gallen ihres aber erst 1457 verloren hatten, ist Blarers Vermutung wahrscheinlicher, dass es sich um eine Münze von Eglolf Blarer handelt, da letzterer von 1426 bis 1442 Fürstabt des Klosters St. Gallen war; s. Emil Hahn, Uebersicht einer Münzgeschichte der Stadt St. Gallen, in: Schweizerische numismatische Rundschau, Bd. 16, 1910, S. 226f; Friedrich Wielandt, Münz- und Geldgeschichte des Bodenseegebietes. Ein Überblick, in: Schweizer Münzblätter Jg. 15, H. 60, 1965, S. 146; Helvetia Sacra 111/1 1316f. -Da die bekannten St. Galler Münzbilder aus diesem Zeitraum allerdings entweder einen Bären oder ein Lamm zeigen und ein Hahn z.B. auf mittelalterlichen Pfennigen aus dem Breisgau nachzuweisen ist, darf auch ein historischer Irrtum Bullingers und Blarers nicht ausgeschlossen werden; s. Heinrich Meyer, Die Bracteaten der Schweiz. Nebst Beiträgen zur Kenntnis der schweizerischen Münzrechte während des Mittelalters, in: Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Bd. 3, 1846-1847, S. 52; Markus Peter und Benedikt Zäch, Ein Münzfund des 14. Jahrhunderts aus Kaiseraugst (Kanton Aargau), in: Schweizerische numismatische Rundschau, Jg. 83, 2004, S. 147 und Tafel 20, Nr. 92-97. Wir danken Markus Peter (Augusta Raurica) und Rahel Ackermann (Inventar der Fundmünzen der Schweiz) für die Hinweise auf diese Münzprägungen.


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fuisse excusum vel certe Sangallensi abbati. Valde capior istiusmodi monumentis.

Die lieder 60 lasß ich allenthaib erkundigen, wer sy hie haben möcht 61 . Sovyl ich zu wegen bring, will ich euch schicken by dißem botten 62 . Ach gott, ich wellt euch gern ainmal ain grossen dienst thain 63 , der mich ubel ankern 64 . Ich byn euch vyl vyl ze thain 65 . Der herr seye selbs ewer ewiger beloner hie und dört!

Der predicant 66 von Ermatingen ist nitt by mir gewesen. Nitt waiß ich, ob er noch kompt oder nitt.

Wes ir euch dann unser halb 67 zu 68 ewern aidgnossen versecht 69 , will ich ouch gern das beste verhoffen, daneben das vertrauwens allain uff gott setzen, den rucken under das creutz schicken unnd mich meinem gott zu ainem opfer ergeben. Er well das vatterland in gnaden uffnemen und die ehr seines nammens an uns erhalten, das wir aintweders mitt dapferm, dultmütigem 70 leyden (will ers allso haben) oder in ander weg, deren er vyl waist, uberwyndind. Es muß doch ainmal gestorben sein. Seelig ist der, dem gott die ehr gündt, das er die wellt mitt duldt 71 uberwyndt.

V[etter] C[onrat] Z[wick] hat vyl ain ander rechnung 72 mitt seiner kunst 73 , dann das 74 sy yetzund in disem fal ze brauchen. Bittend gott mitt ernst, glouben und allen truwen für unser statt und kirchen sampt allen frommen.

Die mandata werden ymmer ye strenger gehalten. 75 Von Lyndauw kompt unß gar nichts zu. Es darff unß nieman da dannen 76 schreiben. Doch wissend wir, das ettlich 77 ire tochteren gen Arba 78 schickend, daher wir achtend, sy versechind sich

60 Um welche Lieder es sich handelt, nach denen sich Bullinger bei Blarer erkundigt hatte, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden. -Mit der Suche sollte er, wie er im Verlauf des Briefes schreibt, keinen Erfolg haben; s. unten Z. 89-91.
61 wer sy hie haben möcht: wer sie hier wohl hat.
62 Da Blarer ursprünglich vorhatte, den Brief einem Konstanzer Fuhrmann anzuvertrauen, ist hier mit "botten" wohl ein unbekannter Fuhrmann gemeint. Letztendlich wurde der Brief von Jakob Ruf überbracht; s. unten Z. Wf sowie 86.
63 tun.
64 mich ubel ankern: mich teuer zu stehen käme; s. SI I 55 s.v. übel; III 274 s.v. a(n)chommen.
65 vyl ze thain: schuldig.
66 Georg (Gregor) Seemann (Sämann), gest. 1566, hatte mit Blarers Empfehlung Anfang Juli 1547 bei Bullinger um ein Stipendium für seinen Sohn Maximilian gebeten; s. HBBW XX, Nr. 2935,1-5 mit Anm. 3.
67 unser halb: unseretwegen.
68 hier: von.
69 erwartet; s. SI VII 566. -Offensichtlich hatte Bullinger in seinem nicht erhaltenem Schreiben die Hoffnung geäußert, dass die Eidgenossen im Falle eines kaiserlichen Angriffes auf Konstanz der Stadt zu Hilfe eilen würden.
70 geduldig; s. Fischer II 447.
71 mit duldt: geduldig. -Vgl. Röm 5, 4.
72 Absicht.
72 technische Erfindung. - Gemeint ist die von Zwick erfundene Kriegsmaschine; s. dazu HBBW XX 49 und Anm. 310.
74 dann das: als.
74 Zu den wirtschaftlichen Sanktionen s. oben Anm. 4.
76 da dannen: von dort.
77 Gemeint sind hier Lindauer Bürger.
78 gen Arba: nach Arbon (Kt. Thurgau). -Arbon wurde während des schmalkaldischen Krieges ebenfalls Zufluchtsort für Augsburger Flüchtlinge; s. HBBW XX, Nr. 2891, Anm. 54.


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ains frombden volcks 79 . Die practica 80 sind wunderbarlich. Aber vyl wunderbarlicher ist der herr gott Zebaoth 81 . Der verstaht all allt und neuw, teutsch und welsch 82 practica. Dem werden sy kains uber ain aug geben 83 . Im 84 seye preyß in ewigkait. Sein wellen wir sein, wir lebind oder sterbind. 85

Diß hab ich geschriben uff hütt zinstag 86 , hab gewänt 87 , unsere karrer 88 wellind 89 morn 90 inhe 91 . So wellends erst von morn uber acht tag 92 hinein. Waiß nitt, ob ich mittler zyt 93 bottschafft 94 haben mag, wyll fleyss ankeren 95 .

Ain weyb 96 hat aussgeben 97 , sy hab ain gut onzweyfelig wissen, das ain musterplatz 98 by Wiel 99 im Hegöw innerhalb vier wochen sein werde, und man maint, diß wyb hab vyl kuntschafft 100 .

Uff purificationis Marie 101 ist der kaiser 102 mitt den fursten zu kirchen geritten. Sind die churfursten mitt im zum baalsdienst 103 hiningangen, habend da verharret.

79 versechind sich ais frombden volcks: treffen wegen des ausländischen Kriegsvolkes Vorbereitungen. - Die kaiserlichen Landsknechte, besonders die italienischen und spanischen, waren aufgrund von Plünderungen und sexuellen Übergriffen (zum Teil auch an den Kindern in den besetzten Städte) berüchtigt; s. HBBW XX, Nr. 2892,[2]; Nr. 2978,112f; Nr. 2997,4-7.
80 Machenschaften.
81 Aus dem hebräischen "Zebaoth"(Heere). In der Vulgata unübersetzt als "Dominus Sabaoth" wiedergegeben.
82 teutsch und welsch: deutsche und französische. -Gemeint sind also die Machenschaften von Karl V. und Heinrich II.
83 Dem werden sy kains uber ain aug geben: Ihn werden sie nicht betrügen können; s. SI 1134. - Zur Redensart vgl. auch Adagia 1, 5, 48 (ASD II/I 522, Nr. 448).
84 ihm. - Gemeint: Gott.
85 Vgl. Röm 14, 8.
86 Es handelt sich um Dienstag, den 14. Februar 1548. - Diese Stelle zeigt, dass Blarer den vorliegenden Brief ursprünglich bereits am 14. Februar abschicken wollte.
87 angenommen; s. SI XVI 10.
88 Fuhrknechte.
89 hätten die Absicht.
90 morgen [Mittwoch, 15. Februar 1548].
91 hinein. - Gemeint: in die Eidgenossenschaft.
92 Gemeint: am Mittwoch, dem 22. Februar 1548.
93 mittler zyt: unterdessen.
94 einen Boten; s. SI IV 1905.
85 will fleyss ankeren: will mich darum bemühen. -Offenbar hatte Blarer Erfolg; s. unten Z. 86.
96 Unbekannt.
97 behauptet.
98 Truppensammlungsplatz.
99 Gemeint ist die Festung Hohentwiel im Hegau. Bereits seit geraumer Zeit wurde befürchtet, der Kaiser könne diese besetzen und von dort Konstanz und die Eidgenossenschaft angreifen; s. HBBW XX, Nr. 3081,10f mit Anm. 12. -Zu den Berichten und Gerüchten über kaiserliche Kriegsvorbereitungen s. zuletzt Nr. 3141,24f.
100 hab vyl kuntschafft: sei sehr vertrauenswürdig.
101 An Mariä Lichtmess, dem 2. Februar 1548, besuchten neben vielen anderen Würdenträgern die Kurfürsten Sebastian von Heusenstamm, Erzbischof von Mainz, Adolf III. von Schaumburg, Erzbischof von Köln, Johann V. von Isenburg, Erzbischof von Trier, Moritz von Sachsen und Joachim II. von Brandenburg die Messe, die von Kardinal Otto Truchseß von Waldburg im Augsburger Dom (Frauenkirche) abgehalten wurde; s. Creutznachers Diarium 319f. - Dass Friedrich II. die Teilnahme an der Messe ablehnte, bleibt bei Creutznacher unerwähnt.
102 Karl V.
103 Gemeint: zur Messe. -Baal ist ein im Alten Testament verschriener Götze.


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Allain der pfaltzgrauff Friderich, bald 104 er byß zur kirchen kommen, ist er widerum hindersich in sein herberg geritten, habe predig gehört.

||1447r. Yetz schick ich euch diß schreiben by unserm maister Jacoben 105 . Der ist doch gar in ain ander hut geschloffen 106 des trinckens halber! Gott bestat inn in allem gutem und unß alle. Dem 107 seind 108 hie und dort 109 bevolchen.

Der lieder 110 hab ich zum wunder 111 kains können finden noch erfaren 113 , weder by unserm büchfürern 113 noch by den andern. Da ich doch gemaint hett, si werind damitt verfasset 114 gewesen. Ist mir warlich sehr laid!

Her Thomas Gasner 115 zu Lyndauw, der fromm, yferig 116 , truw gottes und seiner kirchen diener c , ist auch im herren entschlaffen. O wie ists der kirchen zu Lyndauw alls gantz ubel gangen! Gott erbarm sich iren 117 und aller kirchen! Sinen halb 118 ists ain besten gangen: Beati mortui, qui in domino moriuntur. 119 Wie gantz selig ist, der yetzund stirbt! Datum den 18. februarii 1548. Tuus A. Bl.

[Adresse auf der Rückseite:] Eximio valde viro d. Heinricho Bullingero, amico et fratri incomparabili. Tiguri. 120

c

In der Vorlage diene.

104 kaum.
105 Der aus Konstanz stammende Jakob Ruf war seit 1532 Stadtwundarzt in Zürich und kehrte hier wohl von einem Heimatbesuch nach Zürich zurück. Obwohl er in seinen Theaterstücken (er betätigte sich ebenfalls als Dichter) die Trinkerei verspottete, scheint er selbst eine Zeit lang dem Alkohol verfallen gewesen zu sein. Bereits im Juli 1545 hatte Blarer auf den unangebrachten Lebenswandel Rufs hingewiesen. Offensichtlich hatte dieser nun seinen Lebenswandel geändert; s. HBBW XIV, Nr. 1961, Anm. 29; XV Nr. 2190,49f.
106 in ain ander hut geschloffen: in eine andere Haut geschlüpft; vgl. Lexer 11408 s.v. hut; II 974 s.v. sliefen. - Gemeint ist hier: er hat sich geändert; vgl. Wander II 443, Nr. 173.
107 Ott.
100 seind ... bevolchen: seid ... anbefohlen.
109 hie und dort: im Dies- und Jenseits.
110 Zu den Liedern, nach denen Blarer für Bullinger in Konstanz gesucht hatte, s. oben Z. 53f mit Anm. 60.
111 zum wunder: erstaunlicherweise.
112 Wohl wie nhd., jedoch ohne Ergänzung: etwas erfahren.
113 Buchhändler. - Gregor Mangolt, der von 1526-1548 als Buchhändler in Konstanz wirkte; s. HBBW III, Nr. 204, Anm. 1. -Neben Blarer hatte auch Mangolt zu der Zeit Lieder geschrieben und gesammelt; vgl. z.B. Markus Jenny, Eine zweite Liederhandschrift Gregor Mangolts mit einem bisher unbekannten Liede Leo Juds, in: Zwa XII 28 1-286.
114 werind damitt verfasset: wären damit versehen; s. SI I 1061.
115 Der Lindauer Pfarrer und Reformator Thomas Gaßner verstarb am 13. Februar 1548; s. HBBW III, Nr. 294, Anm. 5.
116 eifrig.
117 ihrer.
118 Gemeint: Was Gaßner betrifft.
119 Apok 14, 13.
120 Der Überbringer des vorliegenden Briefes war Jakob Ruf; s. oben Anm. 105.