Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3152]

Oswald Myconius
an Bullinger
Basel,
Mittwoch, 29. Februar 1548

Autograph: Zürich StA, F II 336, 300 (alt: 285)(Siegelspur) a Zusammenfassung: Henrich, Myconius BW 1018f Nr. 1133

[1]Es wäre merkwürdig, wenn die Flotte von Philipp II. von Spanien, dem Sohn Kaiser Karls V, [tatsächlich]in Genua eingelaufen wäre, zumal in einem kürzlich aus Italien angekommenen Schreiben an Celio Secondo Curione das Gegenteil behauptet wurde. -[2]König Heinrich II. von Frankreich wird sich wohl aufgrund der zahlreichen Christenverfolgungen seit seiner Krönung nicht lange [[auf dem Thron]halten. -[3]Auf was für eine gewaltige Katastrophe deuten die vermessenen Unternehmungen des Totschlägers, Karls V, wohl hin? Er plant, den inhaftierten Christian II. von Dänemark wieder als König und Karl III. von Savoyen wieder als Herzog einzusetzen sowie seinen Sohn Philipp II. zum König von Italien und seinen Neffen Maximilian zum römisch-deutschen König zu machen. Zudem will er das Herzogtum Württemberg seinem Bruder, König Ferdinand I., überlassen, die Eidgenossen und Heinrich II. unterwerfen sowie über Sultan Suleiman I. und sogar über Gott triumphieren! Denn er will über die Religionsfrage allein entscheiden, ganz gleich, was der [lnterimsausschuss]beschließen wird, den er selbst mit den Reichsständen eingesetzt hat. Dieser tagte am 10. Februar 1548 zum ersten Mal und setzt sich zur Vermeidung von Streitigkeiten aus Theologen und auch aus Laien wie dem [Straßburger Bürgermeister] Jakob Sturm und dem Ulmer Bürgermeister [Georg Besserer] zusammen. Von den Übrigen sowie von dem Vorhaben des Ausschusses hat Myconius keine Kenntnis. Der ehrsüchtige Kaiser hat die einfältigen Leute überzeugt, dass Gott auf seiner Seite ist. Tatsächlich ist er aber gottlos, da ihm [der Glaube an]Christus fehlt! Einige der Augsburger Pfarrkollegen [N.N]wagen sogar noch zu hoffen. Doch worauf? Karl V ist nicht Gott! Und nur auf Gott darf man hoffen. Soll der Weltenlenker [Karl V]bloß aufpassen! -[4]Die Konstanzer setzen ihre Hoffnung ebenfalls in den Kaiser. Doch dieser hat alle getäuscht, die auf ihn hofften. Die Gelehrten und Ungelehrten, die Bedeutenden und Unbedeutenden: Sie alle sind blind [für die Wahrheit]! Hierfür kann Myconius keinen anderen Grund als Gottlosigkeit finden. Alle ziehen es vor, in größtem Unglück auf Erden statt in größter und unendlicher Freude beim Herrn zu leben! So wenig hat das jahrelange Predigen bewirkt! Selbst die Pfarrer richten sich mehr nach ihrer Gemütsverfassung als nach dem Wort Gottes! Die Konstanzer verhalten sich ebenso und es scheint, dass sie durch ihr Handeln einen Angriff auf die Eidgenossenschaft oder gar deren Untergang herbeiführen zu wollen! Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die Eidgenossen sie geringschätzen. Möge Gottes Wille geschehen! -[5]Konrad Wedenschwiler arbeitet als Setzer bei Christoph Froschauer d.Ä. Seine Frau [NN] wird sich ganz nach ihm richten; das kann Bullinger ihm mitteilen, wenn er ihm zufällig begegnen sollte. Nur möge sich Wedenschwiler um eine gemeinsame Unterkunft kümmern, da Eheleute nicht getrennt leben sollten. Myconius stimmt dem zu. -[6]Bullinger, der bereits mit [Heinrich Messikommer]über dessen Sohn, den Briefüberbringer [Kaspar Messikommer], gesprochen hat, möge sich nach Möglichkeit für [die

a Ohne Schnitt- oder Nadelstichspuren.


briefe_vol_21-238arpa

Ausbildung] von Letzterem einsetzen. Wenn dieser allerdings bei seinem erlernten Beruf bleiben soll, ist es Myconius auch recht. -[7]Grüße, auch an Rudolf Gwalther und Theodor Bibliander, von denen Myconius nichts [mehr]gehört hat.

S. Mirurn, si naves filii cesaris 1 Genuam adpulse essent. Adeo nuper litere venerunt ex Italia ad Celium 2 contrarium continentes.

Gallus 3 ob persequutiones christianorum tam crebras ab initio regni praesagire veluti videtur non diu duraturum se.

Cesoris 4 conatus tarn vani et magni, quid putas, indicant quam casum tandem aliquem gravissimum? Vult restituere Danum 5 hactenus captum, restituere Sabaudum 6 , ex fluo facere regem in Italia, ex fratris filio 7 regem Germanie, Wirtembergam reddere Ferdinando, subdere sibi Helvetios, subdere Gallum, vincere Turcam 8 et vincere deum! Religionis etenim iudicium sibi vult reservatum, quicquid statuerint, qui ab ipso et statibus 9 ad concordandam illam sunt deputati. 10 Decirna februarii primo consederunt non docti modo, sed et laici, ut contentiones vitentur. Sturmius ex his est et consul Ulmensis. Reliquos nescio. Quod conantur, nihil apud me est. Instituit sic cesaris ambitiosus animus, ut a simplicibus iudicetur etiam habere deum, quo tarnen vacat, quia Christo vacat. Ex fratribus Augustanis sunt, 11 qui dicere audent: Spero. Bone deus, undenarn speratis? Cesar non est deus, in quem solum omnis spes coniicienda. Gubernator mundi videat!

Constantia pariter sperat. 12 Sed in eo 13 , qui hactenus fefellit, quicunque sic

1 Philipp II. von Spanien, Sohn von Karl V. - Bullinger hatte Myconius in seinem Brief vom 25. Februar 1548 von dem Gerücht berichtet, dass Philipp II. in Genua angekommen sei, um zum römisch-deutschen König gewählt zu werden; s. Nr. 3148,14-16.
2 Celio Secondo Curione.
3 König Heinrich II. von Frankreich. -Er hatte den französischen Thron im Juli 1547 bestiegen. - Zu den Verfolgungen der Evangelischen in Frankreich s. Nr. 3119,24-29; Nr. 3136,52-54; Nr. 3148,7-11.
4 Totschläger. -Gemeint ist Karl V. -Das Wortspiel caesar-caesor, das im Briefwechsel von Bullinger und Myconius des Öfteren verwendet wird, findet sich zuletzt in Nr. 3148,12.
5 Christian II. von Dänemark. -Zu den Kriegsplänen gegen König Christian III. von Dänemark und zur Wiedereinsetzung des gefangenen Christians II. s. zuletzt Nr. 3148,19 mit Anm. 11.
6 Karl III. von Savoyen. - Zum Gerücht über die kaiserlichen Pläne, Karl III. von Savoyen
zur Restitution von dessen 1536 an Bern und Frankreich verlorenen Gebieten zu verhelfen, s. zuletzt Nr. 3150,32-35.
7 Der damals 20ährige künftige Kaiser Maximilian II., Sohn von König Ferdinand I
8 Sultan Suleiman I
9 von den Reichsständen.
10 Zu den sechzehn Mitgliedern des Interimsausschusses, zu denen auch die Bürgermeister von Straßburg und Ulm, Jakob Sturm und Georg Besserer, gehörten, s. Nr. 3135, Anm. 16. -Die Befürchtung, dass sich der Kaiser über die Beschlüsse des einberufenen Ausschusses zur Schlichtung der Religionsstreitigkeiten hinwegsetzen könnte, findet sich ebenfalls im Brief von Georg Frölich an Bullinger vom 19. Januar 1548; s. Nr. 3113,7-12.
11 Welche Augsburger Pfarrkollegen hier gemeint sind, ist unbekannt.
12 Zum Konstanzer Versöhnungsgesuch an den Kaiser s. zuletzt; s. Nr. 3148,12f.
13 Gemeint ist Karl V.


briefe_vol_21-239arpa

sperarunt. Ceci sunt hommes, 14 docti et indocti, magni et parvi. Invenire causam non valeo nisi impietatem. Malumus omnes vivere hic in summa infelicitate quam apud dominum in summis et perpetuis Gaudus. Dominum enim non diligimus, terrena diligimus. Adeo non promovit doctrina tam multis annis praedicata Christi! Adfectus audimus, non verbum, etiam qui nos ipsos in aciem constituimus. Non mirum itaque, quod a confoederatoribus 15 illa civitas tam vilihabetur 16 , ut qui plerique verbo carent et a sous adfectibus gubernantur. Sic agunt, tanquam velint confoederationem nostram violatam, imo finitam. Fiat, quod bonum est in oculis domini.

Wedenschwiler 17 apud Froschouerum componit. Si casu factus fuerit obviam, uno verbo velim dicas uxorem 18 et missuram et facturam, que veut, tantum sit prospectum de loco, ubi queant ||300v. simul habitare. Non conveniat enim, ut coniugati habitent inter se seiuncti. Videat ergo ille, quomodo uxori hac in re possit satisfieri. Nam mihi recte sentire videtur.

Preterea, qui has reddit literas, is est, de quo Mesicumerus, pater eius, tecum est colloquutus. Si quid pro eo in domino valebis, agas, queso. Si placebit autem, ut ad artem redeat, quam didicerat, contra me non erit.

Vale cum tuis in domino. Salutabis Gvaltherum et Theodorum 20 mutos erga me. Basilee, ultima februarii anno 1548. Tuus Os. Myc.

[Adresse darunter:] D. Heinricho Bullingero doctissimo, ministro Christi fidelissimo, fratri ac symmistae in domino perquam venerando suo. Tiguri. 21

14 Vgl. Joh 9, 30-40; Mt 9, 27-30.
15 von den Eidgenossen. -Weder die altgläubigen noch die evangelischen Orte waren bereit, Konstanz im Widerstand gegen den Kaiser zu unterstützen; s. HBBW XX 48-5 1.
16 gering geschätzt wird. -Zur Wortbildung vgl. Stotz V 1039 s.v. vilipendere.
17 Konrad Wedenschwiler. - Dieser war nach einem von ihm begangenen Verbrechen von Basel nach Zürich geflüchtet. Myconius hatte sich bereits am 14. Februar 1548 im Auftrag von dessen Frau bei Bullinger nach dem Verbleib Wedenschwilers erkundigt; s. Nr. 3138, 2-11 mit Anm. 3.
18 Unbekannt.
19 Kaspar Messikommer, geb. 1530, gest. 1587, Sohn des Pfarrers Heinrich Messikommer; zu Kaspars Vornamen s. den Brief von Bullinger
an Myconius vom 7. März 1549 (Henrich, Myconius BW 1070, Nr. 1192f); zu seinem Vater s. HBBW VI, Nr. 824, Anm. 4. -Bullinger sollte den jungen Messikommer tatsächlich unterstützen und seine Aufnahme als Stipendiat am Großmünsterstift im Sommer 1548 bewirken. Dieser wirkte ab 1553 in Weiach, ab 1556 in Dällikon und ab 1563 (als Nachfolger seines Vaters) in 'Weisslingen als Pfarrer; s. hierzu die Studentenabrechnungen 1547/1548 (Zürich StA, G II 39.2) unter "ze Pfingsten" und Bullingers Stipendiatenliste (Zürich ZB, Ms Car C 44, S. 927, Nr. 62); Pf-Zürich 427f.
20 Theodor Bibliander.
21 Der Überbringer des vorliegenden Briefes war Kaspar Messikommer; s. oben Z. 31 mit Anm. 19.