Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3169]

Johannes Gast
an Bullinger
Basel,
Freitag, 23. März 1548

Autograph: Zürich StA, E II 366, 188 (Siegelspur) a Ungedruckt

[1]Die Briefe von Gilbert Cousin [Nr. 3165 vom 17. März 1548]und Gast [Nr. 3163 vom 13. März 1548] wurden gewiss von den zuverlässigen Boten [Antoine Cousin und N.N.] überbracht. -[2]Gast hat sich verlässlich um die Weiterleitung des Briefes [nicht erhalten]

a Ohne Schnitt- oder Nadelstichspuren.
Dies wurde auch auf der Badener Tagsatzung, die am 23. Januar 1548 begonnen hatte, diskutiert; s. Nr. 3112,18f mit Anm. 10.
15 Paul III. - Zur vermeintlichen Versöhnung zwischen Kaiser und Papst s. zuletzt Nr. 3156,6f mit Anm. 6; zur Verstimmung zwischen den beiden s. zuletzt Nr. 3146,17. -Ein Reisender, der aus Sardinien kam, hatte Myconius, wie dieser in seinem Schreiben vom 3. Februar 1548 angab, von Kriegsvorbereitungen und Truppenansammlungen in Rom, Florenz und den venezianischen Städten berichtet; s. Nr. 3130,18-20. -Am 15. April 1548 sollte Graf Wolrad von Waldeck in seinem Tagebuch zum Augsburger Reichstag vermerken, der Papst habe Piacenza und Parma dem Kaiser übergeben, scheint aber der Nachricht
nicht allzuviel Vertrauen entgegenzubringen; s. Woirad, Augsburg 12.
16 Theodor Biblianders "Dc ratione communi omnium linguarum et literarum commentarius" (VD16 B5330; BZD C382), das gemäß der datierten Vorrede nicht vor dem 6. März 1548 in Zürich erschien; s. Bibliander, aaO, f. cr[4],r. -Möglicherweise hatte Bullinger in seinem nicht erhaltenen, etwa am 8. März 1548 verfassten Schreiben (s. Nr. 3156, Anm. 7) an Curione über den Abschluss der Drucklegung berichtet.
17 Der Überbringer des vorliegenden Briefes war, wie aus Celio Secondo Curiones Brief an Bullinger vom 6. Mai 1548 (Zürich StA, E II 346, 234) hervorgeht, ein nicht weiter bekannter Händler.


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an die [oder von der?]Frau von Stadion [NN]gekümmert. -[3]Seltsam, dass Bullinger [in seinem letzten, nicht erhaltenen Brief]gar keine Neuigkeiten mitgeteilt hat. -[4] Vor Kurzem hatte er über die Prügelei der Burschen [aus Gaienhofen, Hemmenhofen, Feldbach und Steckborn]berichtet. Und nun kann Gast ein ganz ähnliches Geschehnis vom Wirtshaus "Zum Neuen Haus", unweit von Basel [in Kleinhüningen], berichten, wo sich Markgraf Ernst von Baden-Durlach und die Stadt Basel die Steuereinnahmen und die Gerichtsbarkeit teilen: Dort haben sich am Sonntag, dem 18. März [1548][kaiserliche] Landsknechte der Zecherei von jungen Burschen und Handwerksgesellen aus verschiedenen Gegenden angeschlossen. Unruhig wurde es, als ein Urner Bäckergeselle [NN.]nicht länger mit den Landsknechten trinken wollte und daher einen von ihnen niederschlug. Man konnte den Streit aber schlichten. Dann wurden die etwa acht [anwesenden]Eidgenossen von ungefähr dreißig Bauern, die vor dem Wirtshaus standen, mit Geschrei ("Hier ist Österreich!"und "Hier ist die Markgrafschaft!") provoziert. Sie konnten sich aber noch zurückhalten. Als sie aber derb beleidigt wurden, stürzten sie sich auf jene, worauf eine etwa einstündige Prügelei auf dem Reichsgebiet begann, bei der neun Männer schwer verletzt wurden. Der Wirt des Gasthauses [N.N.]hat dabei mit Steinen nach den Eidgenossen geworfen. Er ist seitdem auf der Flucht, wird aber seine Strafe noch erhalten! [Dennoch]konnten die Letzteren die Prügelei für sich entscheiden. Nur ein Urner [N.N]wurde von den Bauern gefangen und zur Burg Rötteln gebracht. Eine ordentliche Prügelei! -[5]Als König Ferdinand I von der gemeinsamen, mit 8'000 Gulden gefüllten Kriegskasse der Adligen [Vorderösterreichs] erfahren hatte, beanspruchte er das Geld für sich. Als sie sich weigerten, drohte er ihnen mit Ungnade. Der Adel ist übel dran! Das geschieht ihm aber recht. -[6]So manche Gerüchte sind im Umlauf denen Gast jedoch keinen Glauben schenkt. -[7] Viele Rechtgläubige kommen auf ihrer Flucht vor der Grausamkeit Kaiser Karis V nach Basel. Dort breitet sich nun eine unbekannte Krankheit aus, die den Körper wie durch eine Vergiftung anschwellen lässt. Einige werden von ihr dahingerafft, andere überleben. Neue Menschen, neuer Glauben, neue Krankheiten und neue Sitten... -[8]Grüße. Der Briefüberbringer [Fernando Diaz Paterniano], der ausführlich über die Lage von Martin Bucer berichten kann, sei Bullinger anempfohlen.

S. in domino. Gilberti 1 literas et meas te accepisse non dubito. Nam fidis hominibus concredidi.

Similiter curavi reddendas proximas dominæ a Stadion. 2 Mirum autem, quod ne verbulum quidem rerum novarum adieceris. 3

1 Gilbert Cousin. - Bei dessen genannten Brief handelt es sich um das Schreiben vom 17. März 1548, das von Gilbert Cousins Bruder, Antoine Cousin, nach Basel übermittelt wurde; s. Nr. 3165, Anm. 4. - Die Überbringer von diesem sowie von Gasts Brief (Nr. 3163) von Basel nach Zürich sind unbekannt.
2 In Bullingers Briefwechsel hat sich kein Schreiben der hier erwähnten, nicht weiter bekannten Frau aus der Familie von Stadion
erhalten; s. auch Bächtold, Frauen 156-159 (Anhang I - Es ist jedoch auch denkbar, dass der Brief den Gast an die besagte Frau übermittelt hatte, gar nicht von Bullinger verfasst, sondern diesem nur zur Weiterleitung anvertraut worden war, oder dass es sich um einen Brief von der genannten Frau an Bullinger handelt, falls "dominæ"nicht als Dativ, sondern als Genitiv aufzufassen wäre.
3 Bullingers Schreiben an Gast, dem der oben in Z. 3 erwähnte Brief wohl beigelegt wor


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De pugna puerorum ad me scripsisti proxime. 4 Non inconveniens erit, et que apud nos acciderunt, narrare: Es ist ein würthus, das heist Zum Nüwen Huß 5 , grad an Basel (ein roßlouff b darvon) b . Ist margrevisch und baslerisch, gemein umbgelt 7 und gemein gericht. Do haben die jungen gesellen dominica iudica 8 getruncken. 9 Do sindt lantzknecht kommen, haben ouch mit ynen gezecht. Es sindt antwerchsgsellen 10 do ouch gsin uß vil landen. Einer 11 von Un hat nit wellen fur und fur 12 trincken mit den lantzsknecht. Do hat sich ein lermen angehebt, hat der beckenknecht 13 ein lantzknecht 14 zu boden geschlagen, gsagt: "Müsste ich dan trincken, wan du woltest?" Man hat fridt genomen 15 . Darnach syndt etlich 16 furß 17 wirtzhuß gangen,
b Klammern ergänzt
den war, ist nicht überliefert. Es muss zwischen seinem letzten, ebenfalls nicht erhaltenen Brief an Gast vom 8. März und dem 20. März 1548 verfasst worden sein, um in Anbetracht der etwa dreitätigen Reisezeit von Zürich nach Basel rechtzeitig vor der Abfassungszeit des vorliegenden Briefes dort eingetroffen sein zu können; s. Nr. 3163, Anm. 2.
4 Vermutlich irrt Gast hier. Er hatte Bullinger zwar tatsächlich mit seinem Brief vom 25. Januar 1548 um eine ausführliche Schilderung der Prügelei der Steckborner mit der Hemmenhofener Jugend auf dem Eis des zugefrorenen Rheinsees gebeten. Doch hatte Bullinger wohl nur Oswald Myconius mit seinem Schreiben vom 11. Februar 1548 hiervon ausgiebig berichtet und darum gebeten, seine Ausführungen auch Gast zukommen zu lassen. Vermutlich hatte Myconius Letzterem den Brief von Bullinger zur Lektüre überlassen; s. Nr. 3120,35f; Nr. 3137,74-95.
5 Das Wirtshaus Zum Neuen Haus befand sich in Kleinhüningen, etwa in der Gegend des Otterbachguts, heute Freiburgerstraße 66, wo die Neuhausstraße in die Freiburgerstraße mündet; s. Hansjörg Huck und André Sprecher, Vor dem ehemaligen Sankt Bläsy-Thor. Flurnamen und Ortsbezeichnungen im Kleinhüninger Bann sowie ins Markgräflerland hineinreichende Fluren, Basel 2006, [s. 45f].
6 Ein "roßloufF' entspricht einem Stadium, also etwa dem 45. Teil einer gemeinen deutschen Meile (7,42km) und misst somit ca. 164 Meter; s. SI III 1118; Zedler XXXIX 762.
7 Steuern; s. SI II 241-244. - Zwischen der Stadt Basel und dem Markgrafen Ernst von
Baden-Durlach bestand seit 1536 ein Vertrag, der neben der Aufteilung der Steuereinnahmen zwischen Markgrafschaft und der Stadt Basel auch die Gerichtsbarkeit regelte. Die von Gast genannte paritätische Teilung der Steuereinnahmen lässt sich für das Steuerjahr 1547/1548 belegen: Die Stadt Basel erhielt 16 ½Pfund, 11 ½Schilling und 5 ½ Pfennig; s. Basel StA, Regest St. Urk. 2987. Gr; Regest Justiz B. 2; Finanz H 104.1, 7r. (Jahrrechnung Stadt Basel 1547/1548; einsehbar in der Online-Edition ,jahrrechnungen der Stadt Basel 1535 bis 1610 -digital").
8 dominica iudica: am Sonntag, dem 18. März 1548.
9 Nicht nur für Gast waren solche Wirtshausgeschichten von Interesse: In der Furcht vor einem Konflikt mit Kaiser und König wurden vom Basler Rat neben Berichten und Gerüchten auch "freche Gassen- und Wirtshausreden" erfasst und ausgewertet; s. Paul Burckhardt, Basel zur Zeit des Schmalkaldischen Krieges, in: BZGA 38, 1939, S 61-63.
10 Handwerksgesellen.
13 Unbekannt.
12 fur und fur: immer wieder.
13 Bäckergeselle; s. SI III 727. - Sicherlich die genannte, unbekannte Person aus Un.
14 Unbekannt.
15 fridt genomen: von beiden Parteien ein rechtlich bindendes Versprechen abgenommen, sich friedlich zu verhalten; s. SI I 1277f.
16 Gemeint sind die unten in Z. 17 genannten Bauern.
17 vor das.


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haben geschruwen: "Hie gutt österich", die anderen: "Hie gutt marckgrävisch." Der eidgenosßen sindt etwan by acht gsin. Sind stille gesessen, byß sy handt angehebt schruwen: "Wo sindt die kümüler 18 und kuschneyer 19 ."Do sindt die unßer 20 usser c,21 gewischt, hinder 22 die buren, deren by 30 sindt gsin, haben einander gejagt uff dem feld by einer stundt 23 . Sindt by 24 9 wundet worden vast 25 ubel. Der wirt 26 hat hernach mit steinen in die unseren gworfen, der nun ist gweichen 27 . Aber im wirt sin theil werden 28 . Die unseren hendt das feldt behalten 29 . Einer 30 von Ury ist do bliben, den hendt die buren gefangen, in gen Röttelen gefirt uff das schloß 31 . Also schickte sich 32 alles zu einem krieg 33 .

Ferdinandus 34 rex hat geschmeckt 35 , das die landtschafft 36 hat byeinanderen gehan 37 8000 fi., die sy 38 zusamen gelegt 39 haben zu einer rustung, wo 40 etwas sich erhübe. || v Die wil er haben. Hat sy darum zum ersten gebetten, hernach, do es im abgeschlagen ist, getruwt 41 , das gelt zu geben by verlierung 42 aller seiner huldt 43 . Der adel ist nit wol daran. men beschickt 44 aber recht.

Multa praeterea vana sparguntur, quibus fidem non habeo.

Confluunt ad nos pii vin caesaris saevitiam declinantes. Inauditus praeterea morbus gliscit apud nos: Intumescunt corpora, quasi venena hauserint. Quosdam 4 morbi vis perdidit, quidam evaserunt. Novi hommes, nova fides, novi morbi et mores.

c Von Gast korrigiert aus hiusser. -
d In der Vorlage Quidam.
18 Kuhmäuler; s. SI 1V 180.
19 "Kuhficker"; vgl. SI IX 1214; HLS XIII 751 Zoophilie.
20 hier: die Eidgenossen.
21 Während das von Gast zunächst notierte, dann aber überschriebene hiusser "draußen auf eigenem, baslerischem Boden"meint, bedeutet usser "außerhalb des baslerischen Gebiets (und der Eidgenossenschaft), auf Reichsgebiet"; s. SI I 559f.
22 sindt ... gewischt hinder: haben sich gestürzt auf; vgl. SI XVI 2134.
23 by einer stundt: etwa eine Stunde lang; s. SI IV 902f
24 ungefähr; s. SI IV 902f
25 sehr; s. SI I 1112.
26 Unbekannt.
27 geflohen; s. SI XV 217f
28 im ... werden: er wird seine Strafe erhalten; s. vgl. SI XII 1468.
29 das feldt behalten: die Prügelei gewonnen; vgl. SI I 806 s.v. Feld; 111238 s.v. behalten.
30 Unbekannt.
31 Burg Rötteln im Wiesental bei Lörrach (Baden-Württemberg), etwa 12 Kilometer von Basel entfernt.
32 schickte sich: passte; s. SI VIII 508.
33 zu einem krieg: zu einer rechten Rauferei; vgl. SI III 793 s.v. Chrieg.
34 Ferdinand I war seit 1521/22 Erzherzog von Österreich und damit auch Regent in Vorderösterreich (Regierungssitz Ensisheim), das der Stadt Basel benachbart war; s. Territorien des Reichs V 256f.
35 erfahren; vgl. SI IX 900f.
36 Vermutlich Vorderösterreich.
37 hat byeinanderen gehan: bereitgestellt hatte.
38 Gemeint sind die Adligen in der Landschaft; s. oben Z. 27.
39 zusamen gelegt: gesammelt.
40 falls.
41 aufgefordert; vgl. SI XIV 1575 s.v. dräuwen.
42 unter Androhung des Verlusts; s. SI IV 906 s.v bi.
43 Gunst.
44 geschieht es


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Vale. Commendo tibi d. Ferdinandum 45 praesentium latorem, optimum fratrem, ex quo de statu Buceri 46 cognoscere poteris multa. Basilee, 23. martii 1548. Tuus G. [Adresse darunter:] Insigni theologo d. Heinrycho Bullingero, suo in domino charissimo. Zurich. 47