Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3182]

Graf Georg von Württemberg-Mömpelgard
an Bullinger
Basel,
Dienstag, 10. April 1548

Autograph: Zürich StA, E II 363, 108. 104a (Siegelspur) a Teildruck: Mühling 57, Anm. 67

[1]Graf Georg entnimmt Bullingers Schreiben [nicht erhalten], dass sein eigener Brief [Nr. 3105 vom 4. :Januar 15481, der von Pfarrer Matthias Erb aus der Herrschaft Reichenweier [HBBW XX, Nr. 3098, vom 22. Dezember 1547] und dessen Abhandlung über die Teilnahme des Judas am Abendmahl angekommen sind und Bullinger mit Erbs Auffassung einverstanden ist. [Auch] der Graf heisst sie gut. Möge ihnen Erb noch lange erhalten bleiben. -[2]Graf Georg kann lediglich folgende, Bullinger vielleicht schon bekannte Neuigkeiten über das Interim berichten: Da sich die Mitglieder [des Interimsausschusses] nicht einigen konnten, liegt die Sache wieder bei Kaiser Karl V. Dieser bestellte mit Friedrich II. dem Weisen von der Pfalz, Joachim II. von Brandenburg und Moritz von Sachsen diejenigen Kurfüsten ein, die er am ehesten für seine Machenschaften zu gewinnen glaubte. Er brachte Friedrich II. und Joachim II. mit Versprechungen dazu, ihm die [Abfassung des Interims] zu überlassen. Moritz soll erst nach langem Widerstand zugestimmt haben. Das gibt Anlass zur Sorge um die Religion. Möge es Gott richten! -[3]Viele angesehene Leute haben (wie Graf Georg brieflich erfahren hat) versichert, dass die Interimsbestimmungen günstiger als gedacht ausfallen werden, größtenteils etwa in Art der kursächsischen oder brandenburg-nürnbergischen Kirchenordnung. Hoffentlich kommt es nicht noch schlimmer! -[4]Das sei Bullinger nicht vorenthalten. Er kann diese Nachrichten dem Zürcher Rat gern mit Graf Georgs Empfehlungen mitteilen. Grüße auch an Rudolf Gwalther. -[5]Der Kaiser soll den Konstanzern laut glaubhaftem Bericht erträgliche Auflagen in Hinblick ihres Versöhnungsgesuchs gemacht haben und eine Gesandtschaft der Stadt [nach Augsburg] bestellt haben. Diese soll sich ihm dort unterwerfen. Bullinger möge berichten, was er hierzu weiß.

a Mit Schnittspuren.
41 Ergänze: literae. -Zu Bullingers nicht erhaltenem
Briefs, oben Anm. 1.


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Georg, grave zu Wirtemberg unnd zu Mümpelgart, usw.

Unsern grus zevor, wolgelerter, lieber besonder. Wir haben ewer schreiben 1 , darinn gemelt, das ir unser und unsers predicanten Matthis Erben schryben entpfangen unnd allzytt mit desselben predicanten lere (benantlichen 2 auch der communion Jude halben) b wol zufriden, usw., behendigt 3 und vernommen. 4 Und so vil bedachten Erben lere und wandell 5 berürt, haben wir deren 6 an ime ein guth vernügen und gefallen gehabt, Gott den herrn trülich bittendt, men uns also langkwirig 7 erhaltten wöll.

Nuwer zytung wissen wir itzundt nichts sonders, das uch 8 nit zevor kuntlich 9 sey, es were dann sach 10 , das ir des interim halben noch nit bericht hetten, das sich namlichen die verordneten 11 dessen nit haben vergleichen 12 können und also dem kayser 13 wider übergeben. Daruff hatt ir majestat die dry churfursten"Pfaltz, Brandenburg und Sachssen (als do er vermainth, am mainsten 15 angelegen sein 16 ) beschigkt 17 und begerth, sye sollens ir majestat gmainlich haimstellen 18 und zu ir majestat getrösten 19 , das sy es nit anderst dan kayserlich, christlich und billich

b Klammern ergänzt.
1 Nicht erhalten.
2 namentlich; s. SI IV 749.
3 erhalten; vgl. SI ll 1409.
4 Graf Georgs letztem Brief an Bullinger vom 4. Januar 1548 (Nr. 3105) lag auch Matthias Erbs Brief vom 22. Dezember 1547 (HBBW XX, Nr. 3098) sowie dessen nicht mehr erhaltene Abhandlung über die Teilnahme von Ungläubigen und des Judas am Abendmahl bei; s. Nr. 3105,5-7 mit Anm. 3.
5 Haltung; s. SI XVI 460.
6 derentwegen.
7 lange.
8 euch. - Gemeint: Bullinger.
9 bekannt.
10 es were dann sach: es sei denn.
11 Zum Interimsausschuss und zur Interimskommission s. Nr. 3135, Anm. 16. -Trotz der kaiserlichen Absicht, die Kommissionsarbeit geheim zu halten, dürften Kurfürst Friedrich II. der Weise von der Pfalz und insbesondere Joachim II. von Brandenburg durch seinen Hofprediger Johannes Agricola, der der dreiköpfigen Interimskommission angehörte, über die Entwicklungen im Bilde gewesen sein (entsprechende Gerüchte kursierten ebenfalls). Der vorliegende Brief (unten Z. 16-18) gibt zudem Anlass zur Vermutung, dass auch Kurfürst Moritz von Sachsen letztendlich mit
dem Vorgehen des Kaisers, die Reichsstände bei der Findung einer Lösung der Religionsstreitigkeiten zu übergehen, einverstanden war. Nachdem der Interimsentwurf vorlag, kamen Friedrich II. und Joachim II. (wohl auch um die kaiserliche Gunst wieder zu erlangen) dem Wunsch Karis V. nach, den Interimsentwurf vor den Reichsständen als ihren eigenen auszugeben und bei Moritz für dessen Zustimmung zu werben. Dieser sollte sich jedoch nach der Verabschiedung des Augsburger Interims strikt weigern, seinem Territorium dieses aufzuzwingen; s. RTA-JR XVIII/2 1707f Nr. 176; Rabe, Interim 55. 63-65 mit Anm. 150; PC IV/2 901, Nr. 745 mit Anm. 2; Moritz von Sachsen PK III 755-758, Nr. 1030; zu Agricola s. HBBW IV, Nr. 424, Anm. 57.
12 einigen.
13 Karl V.
14 Friedrich II. der Weise von der Pfalz, Joachim II. von Brandenburg und Moritz von Sachsen.
15 meisten.
16 am mainsten angelegen sein: die sich am ehesten (auf seine Machenschaften) einlassen würden; s. FNHDW I 1300 s.v. anlegen.
17 kommen lassen; s. SI VIII 523.
18 zur Entscheidung überlassen; s. DRW V 641.
19 Vertrauen haben; s. FNHDW VI 1751f.


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ordnen und daneben eß gegen men mit allen gnaden erkennen 20 wöllen. Desß haben sich Pfaltz und Brandenburg bald bewilligt. Aber Sachssen soll sich lang gewegert haben und doch zuletst auch mitgehellen 21 . Darum man der religion halber in grossen sorgen stät. Gott schigks 22 zu seinem lob und pryß.

Darneben wurdt uns aber auch geschryben, das ettlich namhafft 23 angezaigt und vertröst 24 , eß werde mit der religion nit so böß, alß 25 || 108v. man vermainth, und der mererteils 26 by sachssischer, brandenburgischer und nurnbergischer religion und ordnung pleiben. 27 Gott geb, daß nit erger werde.

Das haben wir uch, so irs zevor nit wissens haben, gnediglich nit verhaltten 28 wöllen, welchs ir ewern häuptern 29 von unsertwegen wol entdecken 30 mögen 31 und men von unsertwegen unsern fruntlichen und gnedigen grus sagen sampt ewerm mitbruder dem Gvalthero. Datum Basell, den 10. aprilis anno, usw., 48.

Unß ist auch glaublich 32 anzaigt worden, daß denen von Costentz irer ußsönung halben güthe leidliche 33 conditiones zugelassen 34 , derhalben sie ire gesanthen 35 abgefertigt sollen haben, den fußfall zu thon. Was ir deßhalben in erfarung haben, wollet unß auch zu wissen machen. G. grave zu Wyrttemberg, usw.

20 anerkennen.
21 eingewilligt (haben); s. SI II 1141 s.v. gehellen. -Hiermit ist nicht die Zustimmung zum Interim gemeint, sondern die Genehmigung von Moritz, dem Kaiser die Abfassung des Interims zu überlassen; s. oben Anm. 11.
22 ordne es; vgl. SI VIII 503.
23 Welche bedeutenden Personen gemeint sind, ist unbekannt.
24 versichert (haben); s. SI XIV 1414.
25 wie.
26 der mererteils: zum größeren Teil; s. SI IV 363.
27 Tatsächlich dürfte diese Mitteilung für Graf Georg wie auch für Bullinger und somit auch für andere zwinglisch Ausgerichtete, die die Hostienverehrung ablehnten, alles andere als nit so böß gewesen sein: Sowohl in den Kirchenordnungen des Ernestinischen Sachsen (und damit auch in der für Wittenberg gültigen) als auch in der von Kurbrandenburg war die Elevation des Brotes und des Weines nämlich bezugnehmend auf die "Formulae Missae"(1523) und die "Deutsche Messe" (1525/26) von Martin Luther nach wie vor
Teil der Abendmahlsliturgie, wobei die Elevation tatsächlich in der Wittenberger Praxis schon abgeschafft worden war. In Nürnberg wurde diese liturgische Handlung zwar nicht in den Kirchenordnungen von 1528 und 1533 (EKO XI 135-206, Nr. 3 und 4a) festgelegt, aber bis zur Abschaffung durch Veit Dietrich im Jahr 1543 praktiziert; s. Irmgard Pahl, Coena Domini I Die Abendmahlsliturgie der Reformationskirchen im 16/17. Jahrhundert, Freiburg Schweiz 1983, S 25-28. 31f. Wf; Bernhard Klaus, Veit Dietrich. Leben und Werk, Nürnberg 1958, S. 225-228. 321-331.
28 vorenthalten.
29 ewern häuptern: dem Zürcher Rat.
30 mitteilen; s. SI XII 1215.
31 dürft; s. SI IV 110.
32 verlässlich.
33 güthe leidliche: gut erträgliche.
34 zugestanden.
36 Zur Konstanzer Gesandtschaft, die durch das kaiserliche Geleitschreiben vom 17. März 1548 nach Augsburg bestellt worden war und am 19. April dorthin aufbrechen sollte, s. Nr. 3173,66-85 mit Anm. 89.


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[Adresse auff. 104a,v. c :]Dem wolgelerten unserm lieben besondern maister Hainrich Bullingern, predicanten zu Zürich, zu handen.