Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[293]

Bullinger an
[Oswald Myconius]
[Zürich],
4. Dezember 1533

Autograph: Zürich StA, E II 342, 18r.-v. Zusammenfassende Teilübersetzung: Rudolf; Aussöhnungsversuch 510f

Erklärt die Funktion der in Krisenzeiten, wie während der vergangenen Solothurner Reformationswirren, ständig in Luzern tagenden fünf bevollmächtigten, geheimen Ratsboten der V Orte. Beklagt, daß die reformierten Orte einander mißtrauen und nichts im geheimen verhandeln können. Uneinigkeit unter den V Orten. Bullinger befürchtet, daß sich die Annäherung von Papst und französischem König unheilvoll auf die Eidgenossenschaft auswirken wird, wogegen die reformierten Orte in ihrer Schwäche kaum etwas ausrichten können. Schreibt deutsch, damit Myconius den Brief einem Gönner zum Lesen geben kann. Auf Wolfgang [Wissenburgs]Brief wird Leo Jud antworten. Empfehlung für Oswald.

Gnad und frid von gott.

Wer die 5 syend, lieber bruder, und was sy understandint 2 , merck also. Die Immontani 3 sind kriegslüt und wüssend, was inn den gemeinden, ouch inn rädten under

18 Schon am 17. März 1533 hatte Haller die Meinung Bullingers zu dieser Problematik erbeten (s. oben S. 86, 85-87), und am 30. Dezember 1533 kommt er nochmals darauf zurück (s. unten S. 274, 4-275, 18).
19 Leo Jud.
20 Bullingers Kommentar zum 1. Korintherbrief erschien im Juni 1534 (HBBibl I 53).
1 Adressat ist ohne Zweifel Myconius, auf dessen Brief vom 23. November 1533 (oben Nr. 289) sich Bullinger mehrfach direkt bezieht, s. unten Anm. 2 und Zeile 58f.
2 unternehmen (SI XI 619). - Zur Anfrage von Myconius betreffend fünf nicht näher genannte Persönlichkeiten s. oben S. 235, 1f.
3 die V Orte.


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vilen personen verhandlet wirt, daß es gar nitt verschwygen, und so dann die radtschläg 4 geoffnet 5 , das grosser schad daruß entstat, das sich der vynd darnach weyß ze rychten. So dann ye müssend radtschleg sin, wo man ettwas sölicher sachen will ann die hand nämmen, so habend sy vor unsermm unfaal 6 vor jaren 5 man, uß yedem ort einen, gen Lutzeren verordnet mitt volmächtigem gewallt, die radtschleg ze thun 7 . Also hast, wer sy syend und was sy thügind. Jetzund, wie die vonn Solothurn in zerwürffnus kummen, sind aber 8 quinqueviri Luceriae 9 xin, daß sich wol ze versähen 10 , was sy gethon, oder was iro fürnemmen, ex ante actis. Ob sy aber noch syend, vragst. Nein, ich kan nitt verston, daß sy noch syend, diewyl doch die sach jetzund vertragen 11 ist. Sy sitzend da (wenn ettwas löüffen 12 vorhanden), habend iro kundtschafft, erfaarung und erkondigung allenthalb. Darnach rychtend sy alleß in stille, causa a , worumb wir allwäg nüt vernämind, wenn sy sich rustind b , und wenn sy meynend, daß gut sye, so varend sy dahär. Sy habend die gmeinden 13 ad votum. By denen bringend sy mitt gschwätz ze wägen, was sy wellend. Darzwüschen mag niemands nützid von inen durch ghein späch 14 vernemmen, und wo man sust hin kumpt, erfaart man allwäg nüt dann fryden, doch das yederman sölle gerüst sin. Dann vonn den consiliis wüssend ouch die gemeynen rädt nüt. Also gadt es, wenn sy sich neiswas 15 versähend 16 oder besorgen müssend. Haec in genere.

Wir c sind nitt zemen ze bringen. So truwt gheiner dem anderen nüt. Empfilcht man besondern personen, so wills die gmein 17 nitt lyden; sy will ouch wüssen, womitt man umbgang. Schlecht es umb 18 , so müssend die heymmlicher verräter sin 20 20 . Handlet man neiswas one besonder personen, so ist es alleß geschwätzt und ein confusio. Darzu sind wir allß arm, daß man kum weist, wemm man truwen sol. Vere, vere, postrema tempora: 2. Timoth. 3[1ff]. Quos non detur, at hypocrisis, eos daementat [!]pusilanimitas. Quisque sibi consultum putat, si ipse caveat, sileat, negotio sancto non immisceatur. Interim vincunt impii et semel omnia vectant d .

Jetzdan weiß ich gar nüt von iro handlung, hörr nitt, daß sy ützid besonders handlind, dann daß sy selbs einandren seer vynd, doch occulte. Es sind simultates 21 .

a-b von causa bis rustind am Rande nachgetragen.
c-d von Wir bis vectant am Rande nachgetragen.
4 Beratungen (SI IX 240-243).
5 öffentlich bekannt werden (vgl. SI I 114).
6 Zürichs Niederlage im Zweiten Kappelerkrieg.
7 Die V Orte hatten am 30. Juli 1531 in Brunnen beschlossen, einen Ausschuß von Bevollmächtigten abzuordnen, welche in aller Stille die Entscheidungen über die Kriegsvorbereitungen treffen sollten. Dabei waren allerdings zwei Abgeordnete pro Ort vorgesehen, s. EA IV/1b 1093f und Meyer, Der Zweite Kappeler Krieg 133.
8 wieder.
9 Während der Solothurner Reformationswirren tagten besondere Ratsboten der V Orte vom 2. bis 20. November 1533 in Luzern, die in ständigem Kontakt mit Solothurn und Freiburg standen und eine rege außenpolitische Tätigkeit entfalteten, s. EA IV/1c 205-211; besonders 207.
10 daß gut zu erkennen ist (SI VII 573).
11 beigelegt (SI XIV 531f). -Zum Vertrag vom 16. November 1533 s. Haefliger 198.
12 Vorgänge, Ereignisse (SI III 1112f).
13 Landsgemeindeversammlungen.
14 Auskundschaften (SI X 75f).
15 irgend etwas.
16 erwarten (SI VII 566f).
17 die Bevölkerung (im Gegensatz zur Regierung; vgl. SI IV 302).
18 schlägt es fehl (vgl. SI IX 373).
19 die heimlichen Räte (SI II 1288).
20 Nach dem Zweiten Kappelerkrieg hatte man die Schuld an der zum Krieg führenden Politik dem heimlichen Rat zugeschoben, der dann auf Forderung der Landschaft abgeschafft wurde, s. Maeder, Unruhe 128. 131 und Meyer, Der Zweite Kappeler Krieg 273f.
21 Bei den im Sommer und Herbst 1533 geführten Verhandlungen um ein Bündnis mit Papst und Kaiser konnten sich die V Orte nicht auf eine einheitliche Politik einigen, s. die Abschiede der Tagungen der V Orte am 6. August (EA IV/1c 134f c.), 27. August


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Ennius 22 hatt sy wol zugerüst. Jetzund van er hin 23 , und sind die herren 24 eins, umb dero willen die 5 ort vor warend uneins, und scheinend sich jetzund der sach etc. Vereor autem, ne quid maximi mali nobis ex illa regis et pontificis societate oboriturum sit. Tu si quid certi de ea habes, fac sciam. Sind sy eins umb das Meyland, so wirt es under unß an ein hynlouffen 25 und unghorsamme gon. Sind sy den sust eins und dem keyser nitt zewider, so wirt es an ein vervol- 18v. || gen gon. Gwünnend sy dem keysser das Meyland an, so habend wir vor iro übermut ghein ruw. Werdent sy geschlagen, so werdents ein fart 26 gesucht inn nästen 27 . Hälffend wir, so sind wir umb 28 ; hälffend wir nitt, so sind sy umb, und geniessend wir sy nüt 29 . Wo nun uß? Vides vindictam domini sanguinariis nobis impendere. Vides verum esse verbum domini: «Qui effuderit sanguinem humanum, fundetur sanguis illius» [Gen 9, 6]. Was wir nun mitt den unsern anhebind, so ist ghein einigheyt, so ist ghein satt 30 hertz, ob schon ettlich 31 , dero doch vast wenig, so mögend 32 sy es nienan 33 hin bringen, und ob es neißwan bracht wirt, so kost es die frommen und kömend die schelmen darvon. Die truckends dann alleß under. In hisce sumus angustus. Dorumb gott wol anzerüffen ist, daß er sich unser erbarmm und hälff, das ich imm ouch trüwlich vertruw. Dann ich sich 34 sunst by der wällt nitt vil redlichs. Hüt also, morn also.

Scis, cur tibi scribam germanice, si forsan hasce patrono nostro 35 exhibeas legendas. Caeterum curaveris post hac, ne ulli offerantur mortalium. Effudi enim in sinum charissimi amici, quicquid noctes atque dies angit. Breviter video actum esse de Helvetia: Fuimus Troës. Da e will ghein ratschlagenn nüt hälffenn. Es gadt alleß hindersich. Vereor tempus adesse vindictae, maturare dominum, daementare [!] omnia consilia. Interim tamen non cessandum nobis, tentanda omnia pro patria, maxime vero orandus dominus, si forsan, ut olim, fiat pax in diebus nostris. Sed semper obstant Iosiae tempora, quibus nostra usqueadeo sunt similia 36 . Forsan agimus nunc sub Zedechia f 37 .

Literae tuae 23. novembris scriptae 38 3. decembris tandem sunt redditae, quo minus

e-f von Da bis Zedechia am Rande nachgetragen.
(ebenda 140f g.), 12. September (ebenda 152f k.) und 4. Oktober (ebenda 164 e.). Bullinger hatte Myconius gegenüber schon am 18. Oktober die Uneinigkeit der V Orte erwähnt (oben S. 208, 17-20).
22 Der päpstliche Nuntius Ennio Filonardi.
23 Siehe oben S. 232, Anm. 8.
24 Papst Clemens VII. und Franz I. von Frankreich.
25 reislaufen in die Dienste des Papstes und des französischen Königs, was in Zürich untersagt war.
26 einmal (SI I 1028).
27 in den Schlupfwinkeln (SI IV 837).
28 kommen wir zu Fall (vgl. SI I 227).
29 haben wir davon keinen Vorteil (SI IV 817).
30 ungeteiltes, starkes (SI VII 1425-1429).
31 Gemeint ist: Wenn schon einige Gutwillige vorhanden sind.
32 können.
33 nirgends.
34 sehe.
35 Wahrscheinlich der Basler Bürgermeister Jakob Meyer, der sich aktiv für die Verständigung zwischen den reformierten Orten einsetzte, s. unten S. 263, 6-8.
36 Bullinger sieht wohl die Parallelen vor allem in Zwinglis Reformation und Josias umfassender Kultreform sowie im gewaltsamen Tod der beiden in der Schlacht. Den zweiten Punkt erwähnte Bullinger früher in «De prophetae officio», 1532 (Büsser, De prophetae officio 251); s. noch Robert Bach, in: RGG III 869-871.
37 Zedekia, der Sohn Josias, König von Juda. Der von ihm geführte Aufstand gegen die Babylonier hatte die Zerstörung Jerusalems und des Tempels sowie die Babylonische Gefangenschaft zur Folge, s. Robert Bach, in: RGG VI 1876.
38 Oben Nr. 289, S. 235.


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mireris, si tardius scripserim. Ad literas Wolphgangi 39 respondit Leo 40 . Wolphgango scribere non licuit. Salutabis hominem et excusabis nos.

Vale, frater in domino charissime.

4. decembris.

Commendatum tibi habe hunc Osvaldum 41 .

1533.

Totus tibi deditus

Hein. Bullingerus.

[Ohne Adresse.]