Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[337]

Bullinger an
Oswald Myconius
Zürich,
12. März 1534

Autograph: Zürich StA, E II 342, 30r.-v. (Siegelspur) Gedruckt: Füssli I 121-123 (Nr. 33)

Myconius hat ihm vor kurzem zwei Dinge ans Herz gelegt: er solle den französischen König [Franz I.] nicht allzu negativ beurteilen, und er möge die Wiederherstellung des Geheimen Rates in Zürich bedenken. Bullinger weiß nicht, was er dazu sagen soll. Der König heuchelt Wohlwollen gegenüber den Anhängern der Reformation, nur um seine selbstsüchtigen Machtziele in Italien zu erreichen; Gutes ist von ihm nicht zu erwarten. Der ehemalige Geheime Rat von Zürich mußte nach dem verlorenen Zweiten Kappeler Krieg auf Wunsch der Zürcher Landschaft beseitigt werden; vielen ist der Gedanke an seine Wiederherstellung verhaßt. Bullinger hofft dennoch, daß dieser Artikel des [Meilener]Abkommens, wie bereits andere vorher, mit der Zeit außer Kraft gesetzt werden kann, vielleicht wenn der von den Frommen Gewünschte [Hans Rudolf Lavater] tatsächlich zum Bürgermeister gewählt wird; im Augenblick läßt sich jedoch in dieser Sache nichts tun. Sendet Myconius seinen Kommentar zu den Petrusbriefen zu. Besuch und freundliche Aufnahme von vier Berner Landvögten in Zürich. Grüße. Auf Wunsch der Armen und der Pfarrerschaft hat der Zürcher Rat erlaubt, daß beim Rückkauf von Kernengülten das Mütt mit 20 Gulden abgelöst wird.

S. Gratiam et vitae innocentiam a domino.

Duo monuisti in postrema illa tua epistola 1 , prius, ut non omnino desperem de Gallo 2 , posterius, ut de senatu clanculario 3 restituendo cogitem. De utroque quid respondeam, ignoro.

Nam de Gallo, homine impuro, prophano et ambitioso quid boni mihi pollicear, nescio. Si quid simulat, non Christi et veritatis nomine, sed ambitionis gratia simulat. Recte enim tu dicis 4 , quod Italiae cupiat esse dominus. Id sane ambit, interim neque Christum neque Germaniam tanti facit. Insignis ille veterator 5 , qui nuper multa mecum commentabatur de regis instituto nec dubito quin ex primorum Galliae mandato, tandem adiiciebat: «Der kunig möcht lyden, was gloubens man hette, nun 6 das er herr inn Italia were.» Hanc mihi sententiam expende. Senties, quam impius sit, qui pro insatiabili illa sua imperitandi libidine quidvis et pati et facere paratus est. Sed quid hic nobis sentiendum, ipsa docebit res. Interim ne quid temere approbemus vel improbemus. Grata sunt, quae tu mihi in diem super hisce rebus scribis. Nam et imprudentiorem efficiunt circumspectiorem.

De senatu clanculario restituendo a nihil mihi polliceri ausim, cum quod non uni, sed multis sit adversum, tum quod post infaustam illam cladem nostram ager noster a civitate impetrarit tabulas 7 , quibus haec illi b stipulata est posthac se nullum constituturam senatum clancularium. Sed novimus, unde

a restituendo am Rande nachgetragen.
b illi aus illis korrigiert.
1 Oben Nr. 33 I.
2 Franz I., König von Frankreich.
3 Zu dem nach 1531 abgeschafften Geheimen Rat von Zürich s. oben, S. 74, Anm. 3, und S. 60, Anm. 19.
4 Oben S. 74, Z. 17.
5 Gemeint ist Christian Schreiber, s. oben S. 57,10-19.
6 nur.
7 Gemeint ist das obrigkeitliche Zugeständnis, den Geheimen Rat abzuschaffen, das nach der Niederlage im Zweiten Kappeler Krieg 1531 der zürcherischen Landschaft im 2. Artikel des «Meilener Abkommens» gemacht wurde, s. Blanke 138 und AZürcherRef 1797, S. 768.


Briefe_Vol_04_0085arpa

istud emerserit consilii 8 . Infregimus hactenus nonnulla, quae eadem pactione erant ultro citroque recepta 9 Forsan deo duce et hanc . impiam pactionem rumpemus, tum maxime, cum dominus nobis consulem 10 propediem dederit c , quem omnes pene pii maximis optant votis. Nihil certe perinde velim nec quicquam nobis vel utilius vel magis necessarium crediderim quam senatum clancularium, sed hodie nihil hac in re promoverimus.

Mitto tibi commentarios nostros in utramque epistolam Petri 11 , in quibus si quid desyderaveris, indica.

Praefecti Bernenses, Lentzburgius, Küngsfeldius, Arburgius et Schenckenburgius 12 hisce diebus Tiguri fuerunt, ut amicitiam inirent cum || 30v. viris aliquot bonis. Illos senatus noster et delectus optimorum virorum triduo quam familiarissime tractav[erunt]d 13 . Deus faxit, ut propediem toti coalescamus.

Vale.

Tiguri, 12. martii 1534.

Salvum te vult Utingerus, Steinerius, Theodorus 14 etc.

Hein. tuus.

Was die unßernn 15 inn dem kouff der kernen güllten 16 nachgelassen 17 reclamantibus nobis 18 , wüssend ir. Uff anrüffen und ernstlich pitt der armen inn stadt unnd land habend sy na[ch]gelassen e ein müt 19 kernen gällts mitt 20 guten guldin ze kouf[fen]f .

c dederit aus dabit korrigiert.
d-f nicht lesbar, da im Bund teilweise zugeklebt.
8 Für Bullinger stand fest, daß die Verfasser der landschaftlichen Forderungen mit einer katholischen Opposition der Stadt Zürich in Verbindung standen, s. HBRG III 283f. Blanke 139-148 wies allerdings nach, daß es sich dabei eher um eine «Mittelgruppe» in der Stadt- und Landbevölkerung gehandelt hat, die keine Rückkehr zum Katholizismus wünschte, sondern nur die kriegerische Politik Zwinglis ablehnte.
9 Gemeint ist wohl die Ablehnung von Artikel 4 des «Meilener Abkommens», welcher die Einschränkung der Predigt, vor allem das Politisieren und das öffentliche Tadeln von unsittlichem Lebenswandel, betraf. Die Einwände, die Bullinger bei seiner Wahl zum Großmünsterpfarrer am 13. Dezember 1531 aussprach, wurden schließlich vom Rat akzeptiert; siehe Blanke 155-161 und Bächtold, Bullinger vor dem Rat 15-18. Ein weiteres Abweichen von den Bestimmungen des «Meilener Abkommens» bedeutete das Einlenken des Zürcher Rates nach der scharfen politischen Predigt Leo Juds 1532; s. Pestalozzi, Jud, 39-41, und Bächtold, Bullinger vor dem Rat 20-24.
10 Nämlich Hans Rudolf Lavater, der allerdings erst 1544 zum Bürgermeister gewählt wurde; s. Stucki, Lavater 145f und 198f.
11 Bullingers «Commentarius in Petri epistolam utramque» erschien im März 1534 (s. HBBibl I 52).
12 Zu dieser Zeit waren folgende Berner Vögte in den betreffenden Vogteien im Amt: Sulpitius Haller auf Lenzburg, Hans Ulrich Zehender zu Königsfelden, Gilg Schöni in Aarburg und Ulrich Megger zu Schenkenberg; s. Bern StA, Register 65b, 74-81. 84-86 und A I 665.
13 Zum Freundschaftsbesuch der Berner Landvögte s. Pestalozzi 121 und Stucki, Lavater 147.
14 Theodor Bibliander.
15 Die Zürcher Obrigkeit.
16 Kernen-Gült: Gekaufte Rente (auf Grundstück), bestehend in jährlicher Lieferung von Getreide- statt Geldzins (s. SI II 285-287).
17 zugelassen (SI III 14 10f). - D. h. die Zürcher Obrigkeit erlaubte den Rückkauf (die Ablösung) der Kernengülten durch die Schuldner zum Preis von 20 Gulden pro Mütt.
18 Die Zürcher Pfarrer und Gelehrten hatten Ende Februar 1534 für die Obrigkeit ein Gutachten zum Problem des Zinskaufes und der Geldumrechnung verfaßt; s. Zürich StA, E II 102, 335-341 (Aut. Bullingers).
19 Das Mütt war das Hohlmaß für Getreide und betrug im Zürcher Hoheitsgebiet (mit Ausnahme von Winterthur) 82,8 l (ca. 54 kg) für entspelztes Getreide; s. Paul Kläui, Ortsgeschichte, 2. Aufl., Zürich


Briefe_Vol_04_0086arpa

[Adresse darunter:] Clarissimo viro d. Oswaldo Myconio, Basileiensis ecclesiae antistiti primario, suo in domino charissimo fratri.